Er hat 155 km Durchmesser, ist – eine Rarität im Sonnensystem – nach einem Amateurastronomen benannt, dem Australier Walter Frederick Gale (1865-1945; Biographien hier, hier und hier) und liegt ungewöhnlich tief, 4.6 km unter dem Normalniveau des Mars. Aber das ist es nicht, was die NASA bewogen hat, ihren nächsten Marsrover Mars Science Laboratory alias Curiosity in diesen Krater zu schicken („Curiosity is am Cape …“): Vielmehr lockt im Kraterinneren ein faszinierender Berg aus zahlreichen Sedimentschichten, die mit flüssigem Wasser in unterschiedlichen Mars-Epochen zusammen hängen könnten, enorme 5 km hoch und doch von so geringer Steigung, dass der Rover den Aufstieg schaffen sollte, während gleichzeitig Canyons exzellente Aufschlüsse versprechen (im Bild eine 3D-Darstellung aus MRO- und Mars-Express-Daten; von oben sieht Gale so aus). Gale war bereits für die Mars Exploration Rover in die engere Auswahl gekommen, aber damals dominierten noch technische Aspekte die Auswahl der Landeplätze: Die Landeellipsen waren so groß, dass auch der Berg selbst hätte getroffen werden können, abgefahren werden musste aber im Flachen.
Das ist nun möglich, da das MSL von einem schwebenden „Kran“ aus abgeseilt werden soll – und die Zielellipse ist jetzt nur noch 21 x 14 km groß, so dass in sicherem Abstand neben dem Berg aufgesetzt werden kann. Zum ersten Mal überhaupt war die Wissenschaft ausschlaggebend für die Wahl des Landeplatzes einer Marsmission: Auf fünf offen Workshops seit 2006 und schließlich in kleinem Kreis führender Manager war die Zahl der Kandidaten von anfangs rund 60 auf vier, dann zwei eingedampft worden, und zum Schluss gewann Gale haarscharf vor einem anderen Krater namens Eberswalde, in den offensichlich früher ein See Sedimente abgeladen hatte. Aber in Sachen Sediment-Erwartung hatten die Marsplaner schon einmal daneben getippt, als sie den MER Spirit in den Krater Gusev schickten – und sich dort auf langweiligem Basalt wieder fanden. Eberswalde war ein „one trick pony“, hatte nur den See-Verdacht zu bieten. Gale dagegen verspricht die größte Auswahl an Untersuchungsmaterial: Da der Krater so tief liegt, ist praktisch sicher, dass hier irgendwann flüssiges Wasser landete und Spuren hinterließ. Der Berg besteht offenbar aus Lagen aus Ton wie Sulfaten, aber es ist – was bei den Curiosity-Planern durchaus Unbehagen hinterlässt – reichlich unklar, wie er überhaupt entstanden ist. Ablagerungen aus verschiedenen feuchten Epochen können es sein – aber auch lediglich angewehtes Material, was dann weniger über das Auftreten lebensfreundlicher Zeiträume verraten würde.
So oder so verspricht der Berg aber eine regelrechte Lektüre der Marsgeschichte mit mindestens drei ganz unterschiedlichen Phasen, während Curiosity langsam hinauf rollt. Die Primärmission soll dabei zwei Jahre dauern, wobei auch die spektakulärste Rundum-Sicht aller bisherigen Marslander versprochen wird: So viel Topografie war noch nie! „Die Szenerie allein“, verspricht ein Gale-Fan, „wird die Sicht der Welt auf den Mars verändern.“ Mit zehn wissenschaftlichen Instrumenten – weit mehr als bei den MER – wird das diverse Bodenmaterial unter die Lupe genommen und auch auf organische Chemie abgeklopft. (Und nein, zum Fossiliensuchen ist auch das MSL-Mikroskop nicht ausgelegt: Sollten sich verdächtige Strukturen zeigen, würde es keine Handhabe geben, einen biologischen Ursprung nachzuweisen – was schon auf der Erde bei mikrobiologischen Hinterlassenschaften oft misslingt.) Angestachelt durch die Zähigkeit der MER wird bereits an Plänen für eine verlängerte Mission gebastelt, die bis zu einem Aufstieg zum Gipfel des Berges reichen: Das allerdings könnte zehn Jahre dauern. Science 29.7.2011 S. 508-9; Discovery 26., S&T 24., AGU Blog, Science Insider, CSM, New Scientist 22.7., New Scientist 19., Planetary Society Blog 18.5.2011
Der MER Opportunity nähert sich seinem größten Aufschluss, dem 22-km-Krater Endeavour: Der unermüdliche Rover – der kürzlich die 30-km- und 20-Meilen-Marken seiner 7-1/2-jährigen Marsrundfahrt knackte – wird als erstes Cape York am Kraterrand erreichen, von dem „Oppy“ nur noch 1/2 km entfernt ist. Dort locken Phyllosilikate und insbesondere Ton, für dessen Bildung längere Zeit flüssiges Wasser vorhanden gewesen sein muss. (Road to Endeavour 15.5., LA Times 7.6., JPL Release 19., Planetary Society Blog 21., Road to Endeavour 26.7.2011) Der Beschluss zur Aufgabe des anderen MER Spirit im Mai („Nachruf …“; auch ISAN 137-5) war gefallen, nachdem sich die Beleuchtungsverhältnisse an seinem Standort bereits wieder verschlechterten: Selbst wenn er sich überraschend doch noch mal gemeldet hätte, wäre nichts Sinnvolles mit dem Rover anzufangen gewesen, dem bereits der nächste Winter ins Haus stand. Das MER-Projekt wurde schon Monaten vorher de facto als Ein-Rover-Mission betrieben, mit 40 verbliebenen Fulltime-Experten (gegenüber mehreren hundert 2004) und jährlichen Kosten von 12 Mio.$. Auf einem Festakt im JPL wurde im Juli Spirits gedacht. (Planetary Society 26., Cosmic Log 31.5., JPL Blog 20.7.2011) NACHTRAG: der neueste der entsetzlich langen MER-Lageberichte der Planetary Society.
ExoMars-Missionen 2018 und 2016 im Schwebezustand
Der Plan – von ESA und NASA eigentlich gemeinsam beschlossen – sieht den Start eines Marsorbiters im Fester 2016 vor, der auch eine experimentelle Landeeinheit mitführt, und den Start eines gewaltigen Rovers 2018, der wesentliche Komponenten der Landetechnik Curiositys übernimmt und in dem der ursprüngliche ESA-Rover ExoMars aufgeht („Nur ein gemeinsamer …“). Doch angesichts ihrer Haushaltsprobleme konnte die NASA bis zu einer entscheidenden ESA-Sitzung Ende Juni nicht schriftlich garantieren, dass sie ihre versprochenen Beiträge zum Rover auch wirklich leisten kann und musste bis September vertrösten – das wiederum hat Frankreich und Großbritannien veranlasst, gegen den expliziten Willen der ESA-Spitze die Mittelfreigabe für den Baubeginn des 2016-er Orbiters zu verhindern. Denn die beiden Missionen werden als eine gemeinsame betrachtet, mit einem harten Kostendeckel von 1 Mrd. Euro (von denen 850 Mio. aufgebracht sind): Ärger mit dem Rover müsste durch Kürzungen beim Orbiter aufgefangen werden. Der soll zum einen als Funkrelais für den Rover dienen, zum anderen aber den mysteriösen Methanquellen des Mars nachspüren und u.U. zur Auswahl des Landeortes für den Rover beitragen. Auch ist er der Träger der Landeeinheit, mit der die ESA den Atmosphäreneintritt und das weiche Aufsetzen – im Hinblick auf spätere Missionen – üben will; gerade wurde die Nutzlast ausgewählt. Die ESA verhandelt nun mit den Firmen, die den Orbiter bauen sollen, über eine Zwischenlösung: Ab wann die Zeit (zu) knapp wird, darüber gehen die Meinungen auseinander. (ESA Release 10., Space News 24., 30.6.2011)
Eine weitere NASA-Marsmission hat die Critical Design Review passier: Damit kann der Bau von MAVEN – Mars Atmosphere and Volatile EvolutioN – beginnen, der Ende 2013 starten soll. Bei dieser Mission aus der neuen (und schon wieder eingestellten) „Mars-Scout“-Serie geht es ganz um die Marsatmosphäre und insbesondere ihre Verlustprozesse, um die sich frühere Sonden – etwa Phobos 2 – nur am Rande kümmern konnten. Erst wenn der Verlust durch den Sonnenwind genau quantifiziert werden kann, lässt sich zurücl rechnen, wieviel Atmosphäre der Mars einmal gehabt haben kann – und ob das zu der geologischen Evidenz für reichlich flüssiges Wasser in der Frühzeit passt. (NASA, U. Colorado Releases 22.7.2011)
Zwei Hinweise zur Frage, warum der Mars so klein ist
(im Vergleich mit den terrestrischen Planeten Erde und Venus), haben kürzlich Untersuchungen an Marsmeteoriten wie Modellrechnungen zur Wanderung des Jupiter im Sonnensystem in dessen wilder Jugend gegeben: Die Isotopenanalysen legen nahe, dass der Mars in nur wenigen Jahrmillionen entstanden ist, im Gegensatz zur 100 Mio. Jahre lang gewachsenen Erde – und der Jupiter hat möglicherweise durch damals viel geringeren Sonnenabstand dafür gesorgt, dass gar nicht mehr ‚Baumaterial‘ für einen größeren Planeten vorhanden war. Nach der neuen Hafnium/Wolfram-Analyse erreichte der Mars seine heutige – kleine – Größe in nur 800’000 bis 2.7 Mio. Jahren und blieb als „gestrandeter planetarer Embryo“ zurück, mit nur 11% der Erdmasse. Und in den Simulationsrechnungen des jungen Sonnensystems macht sich der Jupiter bis auf 1.5 AU an die Sonne heran, was die Planetesimal-Scheibe bei 1 AU regelrecht abschneidet: Für die Erde blieb reichlich Baumaterial zurück, für den Mars aber nicht. Später, als der Saturn entstand, zog sich der Jupiter dann auf die heutigen 5 AU zurück, wobei zwischen Mars und ihm der – mit neuen Planetesimals aufgefüllte – Asteroidengürtel verblieb: Auch seine Feinstruktur mit mehr eisreichen Kleinplaneten weiter draußen ist in diesem Szenario gut zu verstehen. (Dauphas & Pourmand, Nature 473 [26.5.2011] 489-92, Brandon, ibid 460-1, Walsh et al., Nature 475 [14.7.2011] 206-9; Science 10.6.2011 S. 1255; U. Miami, U. Chicago Releases 25.5., SwRI, PSI Releases 5.6., NASA Feature 6.6.2011)
18. August 2011 um 19:56 |
[…] die Kosten für das Doppel-Mars-Projekt ExoMars („ExoMars-Missionen 2018 und 2016 …“) in den Griff zu bekommen, erwägt die ESA […]
15. Oktober 2011 um 23:09 |
[…] erhoffte Brief von der NASA („ExoMars-Missionen …“) ist im September nicht gekommen, und auch ein […]