2012: NASA-Weltraumobservatorien müssen zittern
Alle zwei Jahre führt die NASA eine „senior review“ durch, bei der alle laufenden Astronomie-Missionen gegeneinander antreten und ihre ‚Wissenschaft pro Dollar‘ nachweisen müssen: 2012 werden es 9 sein, drei US-Beteiligungen an internationalen Projekten und 6 eigene Missionen, Hubble, Chandra, Kepler, Fermi, Swift und Spitzer. Im Prinzip könnten alle neun weiter geführt werden, aber darüber hat ein Ausschuss zu befinden, der im Dezemver zusammen gestellt wird und am 30.3.2012 Bericht erstattet. Noch nicht auf den Prüfstand kommt die fliegende Sternwarte SOFIA, auch wenn ihr jährlicher Betrieb mit 75 Mio.$ nur um 20 Mio.$ unter dem Niveau von Hubble erreicht hat – das wesentlich mehr Wissenschaft produziert. Aber SOFIA – weiterhin Darling von Medien, Weltraum-PR und Luftfahrtfans gleichermaßen, siehe z.B. hier (mehr & mehr), hier, hier (mehr), hier, hier, hier, hier, hier und hier – beginnt gerade erst mit der Arbeit und wird sich damit wohl erst 2018 zum ersten Mal der Konkurrenz stellen müssen. (Nature Blog 12.10.2011. Auch Planetary Society Blog 7.10.2011 zur Krisenstimmung in der US-Weltraumastronomie – und NASA Release 29.9.2011 zur Downselection neuer Explorer-Kandidaten)
Ed Weiler hat die NASA nach 33 Jahren verlassen, in denen er die meiste Zeit der Top-Manager für das Wissenschaftsprogramm war: 1979 bis 2004 Chefwissenschaftler von Hubble, dann bis 2004 und wieder ab 2008 im NASA-HQ Chef der Wissenschaftsabteilung. Neben seiner ‚großen Liebe‘ Hubble wird Weiler auch maßgebloch der Neuaufbruch des Marsprogramms nach der Doppelpleite 1999 zugeschrieben, mit 5 erfolgreichen Missionen in Folge. Der Ärger mit ExoMars, d.h. die Unfähigkeit der US-Regierung, die Versprechen an die ESA zu halten, war es aber auch, der ausschlaggebend für Weilers Rücktritt war, wie er jetzt erzählt. (NASA Release 27.9., Nature Blog 12.10.2011)
Indisch-französischer Tropen-Wettersatellit im Orbit
Mit dem 20. indischen Polar Space Launch Vehicle ist am 12. Oktober der Satellit Megha-Tropiques (“Indisch-französischer …”) – zusammen mit drei Kleinsatelliten – auf eine 865-km-Bahn mit 20° Neigung gebracht worden, aus der er die rasanten Wetterentwicklungen in den Tropen besser überblicken kann als andere Satelliten. Das gemeinsame indisch-französische Projekt – für die letztere Seite ein Unikum, da Paris nicht überflogen wird! – ist schon seit 1998 in Planung, füllt aber auch jetzt noch eine Lücke. Megha bedeutet auf Sanskrit Wolken, und deren Kommen und Gehen in den Tropen auf Zeitskalen von Stunden ist auch der zentrale Forschungsgegenstand des Satelliten, der vier Instrumente trägt, vor allem MADRAS, die Microwave Analysis and Detection of Rain and Atmospheric Structures. Megha-Tropiques steht in der Nachfolge der schon sehr alt gewordenen amerikanisch-japanischen Tropical Rainfall Measuring Mission von 1997, hat aber selbst nur eine Lebensdauer von 3 bis 5 Jahren – und keinen direkten Nachfolger in Sicht.
Der Satellit ist aber Teil der Global Precipitation Measurement-Mission, deren Hauptsatellit GPM Core 2013 starten soll: Er verfügt auch über ein aktives Radar, während die Instrumente auf Megha-Tropiques alle passiv arbeiten. Dessen Co-Passagiere auf dem PSLV – dessen Start um eine Minute verzögert wurde, um eine bedrohnliche Annäherung an Weltraummüll zu vermeiden – waren die indischen Satelliten SRMSAT (22.5 kg; IR-Spektrometer zur Messung von Treibhausgasen) und Jugnu („Indischer Studentensatellit …“; 3 kg, mit IR-Kamera, meldete sich prompt aus dem Orbit) sowie der Luxemburger VesselSat-1 (28.7 kg) zum Tracking von Schiffen. (ISRO Releases 14., 10.10.2011; launch pictures & video; The Hindu 15., Times of India [more], Tribune Eureka 13., The Hindu, Outlook, Hindustan Times, BusinessLine, Space News, NASA Spaceflight, BBC, Space Today 12., The Hindu 11., Times of India 8.10.2011)
Japanisches Instrument auf NASA-Satellit Aqua ausgefallen: Das Advances Microwave Scanning Radiometer-EOS (AMSR-E) sendet seit dem 4. Oktober keine Daten mehr, weil die Antenne klemmt – vermutlich permanent. Das Instrument – seit 2002 im Einsatz – hatte seine nominelle Lebensdauer von 3 Jahren eh‘ weit überschritten; 2012 soll mit dem japanischen Satelliten Shuzuku Ersatz kommen. (Nature Blog 7.10.2011. Und Space News 4., NASA Release 12.10.2011 zum neuen Starttermin 27. Oktober 11:48-57 MESZ für den US-Wettersatelliten NPP; bei der Hydraulik der Delta 2 musste was repariert werden [NACHTRAG: erneute Verschiebung auf den 28. Oktober, gleiche Zeit])
1. bemannter SLS-Flug – um den Mond – „schon“ 2019?
Der allgemein als erschreckend langgezogen empfundene Zeitplan für die ersten Flüge des Space Launch System – unbemannte Premiere 2017, erster bemannter Flug erst 2021 – ist nur ein Worst-Case-Szenario wird nun betont: Jetzt gilt es als möglich, dass schon 2019 US-Astronauten mit einem SLS und einer Orion-Kapsel einmal um den Mond herum fliegen dürfen. Auch das „Evolved SLS“ mit 130 statt 70 Tonnen Nutzlast könnte um Jahre früher kommen als im Plan steht. Die erste unbemannte Orion wird derweil 2013 oder 2014 mit einer Delta IV ein paar Mal um die Erde geschickt – und es erscheint inzwischen möglich, dass Europa kräftig an der Kapsel mit baut! Denn die Schlüsseltechnik des ESA-ATV für die ISS eignet sich durchaus als Orion-Servicemodul – und die NASA braucht die restlichen drei ATVs ab 2015 eigentlich gar nicht für die Versorgung der ISS. Die hat die ESA als ihren Anteil an den Betriebskosten der Raumstation zugesagt: Stattdessen könnte sie entsprechend wertvolle Beiträge für Orion leisten. A propos ISS: Da gibt es inzwischen auch Überlegungen, einzelne Module nach 2020 wieder ab zu koppeln und in einem Lagrangepunkt zu stationieren, wo sie dann eine Basis für interplanetare bemannte Flüge bilden könnten … (NASA Spaceflight 30.9., 9., AW&ST 10.10.2011. Und Space.com 3., 7., New Scientist Blog 10.10.2011 zu einer möglichen bemannten Variante des Militär-Shuttles X-37B sowie Space News 30.9.2011 zu heftigem Downsizing bei Bigelow: Sein aufblasbares Weltraumhotel braucht noch keiner …)
Die Soyuz scheint wieder für die Versorgung der ISS bereit: Zum einen ist am 2.10. erstmals seit dem Progress-Unfall im August wieder eine Rakete eines eng verwandten Typs ohne Probleme gestartet (mit einem GLONASS-NavSat), zum anderen ist die NASA mit dem russischen Progress-Untersuchungsbericht (“Die russischen Raketenversager …”) zufrieden. Danach verstopfte ein Fremdkörper eine Treibstoffleitung – und neue Prozeduren sowie Videoüberwachung der Arbeiten sind bereits eingeführt. So sollen nun am 30. Oktober wieder ein Progress-Transporter und am 14. November und 26. Dezember zwei Soyuz-Kapseln mit je drei neuen Besatzungsmitgliedern zur ISS starten: Die derzeit drei verlassen die Station am 22. November – die mithin nicht unbemannt zurück gelassen werden muss. (Space Policy Online 2., Space Today 4., Spaceflight Now 13.10.2011. Und Spaceflight Now 7.10.2011 zum Ende russischer Pläne für den Soyuz-Nachfolger Rus-M)
Argentinien will eine Orbit-fähige Rakete entwickeln
Und schon 2013 soll die zweistufige Tronador („Donnerer“) II den ersten Satelliten starten (Nutzlast 200 kg): Sie basiert auf der Tronador I, die bisher allerdings nur 20 km hoch gekommen ist. Und Argentinien träumt bereits von einer Südamerika-weiten Raumfahrtagentur. (Parabolic Arc 7.10.2011. Und Telegraph, Space.com, Discovery, Space Policy Online 12., Spiegel 13.10.2011 zum erst jetzt gemeldeten Fehlstart der iranischen Rakete Kavoshgar-5 mit einem Affen an Bord im September, die einen 120 km hohen Suborbitalflug durchführen sollte; ein Test ohne Passagier war Mitte März gelungen)
Der US-Satellit AEHF wird Ende Oktober seine korrekte Bahn erreichen, trotz des Totalausfalls seines Apogäumsmotors: Zuerst mit Düsen der Lageregelung dann ganz langsam mit seinem Xenon-Ionenantrieb – Hall Current Thrusters – ist Advanced Extremely High Frequency (“AEHF muss …”) nach einem Jahr tatsächlich ans Ziel gekommen. Und hat immer noch genug Sprit für die vollen 14 Betriebsjahre. (Spaceflight Now 9.10.2011. Und Ottawa Business Journal, Space Today 7.10.2011 zum folgenreichen Ausfall des kanadischen Nachrichtensatelliten Anik-F2)
Und noch kurz gemeldet
Warum nicht einen kleinen Asteroiden einfangen und in Erdnähe bringen? Solch ein Szenario – Einsacken mit einer robotischen Mission, Transport in einen Lagrange-Punkt, dann bequem Astronauten hin schicken – wurde kürzlich auf einem Workshop diskutiert und für sinnvoll erklärt; die Kosten würden allerdings selbst für ein nur Meter-großes Objekt schon in die Milliarden gehen. Aber man könnte die Sache ja refinanzieren: Die Regierung holt das Ding lediglich herbei, Privatfirmen dürfen es dann zerkleinern und die Rohstoffe verwerten … (Wired 5.10.2011)
Die erste Vega-Rakete macht sich auf den Weg nach Korou – von Livorno aus über Rotterdam, wo Bauteile der neuesten europäischen Rakete aus verschiedenen Ländern zu geladen werden. Der Jungfernflug ist – ziemlich verspätet – für kommenden Januar geplant. (ESA Release 4.10.2011. Auch ESA-Sonderseiten, eine Broschüre, ESA Release 15., Arianespace Release 14., ESA Release 13., Spiegel 12., ESA Release 4.10.2011 zum Galileo-Soyuz-Start bei Kourou am 20. Oktober. Und Spaceflight Now 6.10.2011 über den Abriss des Ensemble de Lancement Ariane-2 in Kourou, das seit 2003 nicht mehr benutzt wird)
Das Symposium zum „100 Year Starship“ war ein großer Science-Fiction-Kongress mit 700 Teilnehmern – sagt einer von zahlreichen SF-Autoren, die dort auftraten. Und dabei feststellten, dass so manche ihrer verrückten Ideen inzwischen von Ingenieuren ernst genommen und zumindest durchgerechnet worden sind. Was die Veranstalter DARPA und NASA bei all dem mitgenommen haben, wird nicht verraten – am 11.11. jedenfalls ist Einsendeschluss für Bewerbungen zur die Fortführung des kuriosen Projekts (“Das „100 Year Starship“ …”); 500’000 Dollar sind ja noch da. (The Space Review, Centauri Dreams 10., Gregory Benford 5., Discovery, Space.com 4., Moon & Back [mehr], Centauri Dreams 3., Space.com 2.10., Parabolic Arc, Space.com 30.9.2011) NACHTRAG: noch ein Nachzügler.
5. Februar 2012 um 02:30 |
[…] Rettung des teuren Satelliten AEHF 1 ist geglückt, der sich allein mit seinem Ionenantrieb („Der US-Satellit …“) auf die geostationäre Bahn hieven musste, nachdem die […]