Die Astronomie der Aborigines wird erforscht

Die Kultur der australischen Ureinwohner – genauer: der rund 400 mehr oder weniger isolierten Aborigines-Gruppen – gilt mit rund 40’000 Jahren als die längste kontinuierliche auf dem ganzen Planeten, aber ihre astronomischen Vorstellungen waren lange kaum erforscht. Viele Überlieferungs-Ketten sind durch die brutale Kolonialgeschichte jäh unterbrochen worden, und nur wenig wurde von professionellen Ethnographen dokumentiert, bevor es zu spät war. Erst in den letzten paar Jahren haben sich vor allem zwei Astronomen, Ray Norris (der die Webseite „Australian Aboriginal Astronomy“ pflegt und Gegenstand eines Wikipedia-Artikels ist) und Duane Hamacher (der das Blog „Australian Aboriginal Astronomy“ betreibt), um die systematische Erforschung der Aborigines-Astronomie bemüht, was sich u.a. in neun frei verfügbaren Papers niedergeschlagen hat: über Finsternisse, Kometen, Meteoriten, Impakte, Eta Carinae, Felszeichnungen und allgemein hier, hier und hier.

Gestern gab Norris (Bild) auch einen Abriss des Forschungsstandes in einem öffentlichen Vortrag an der Uni Bochum: Da die Aufzeichnungen der Kolonisten über vermeintliches Aborigines-Wissen nur mit größter Vorsicht zu genießen sind, konzentiert er sich zum einen auf die Yolngu im Arnhem Land, deren originale Kultur noch gut erhalten zu sein scheint, und zum anderen auf Felszeichnungen und Steinsetzungen allerdings längst verschwundener Kulturen. Mit Aborigines-Astronomie meint Norris nicht die tollen Mythen (in denen z.B. der abnehmende Mond dadurch zustande kommt, dass Frau Sonne ihren fetten Mann über den Himmel jagt und mit der Axt immer mehr abhackt), sondern Versuche, himmlische Beobachtungen auch zu verstehen. Nicht alles, was die Aborigines wissen oder denken, verraten sie auch den „whitefellas“ (und Norris verriet diesem Blogger, dass er immerhin ein bisschen Geheimwissen erhalten hat aber nicht weiter erzählen darf), aber ein paar Facetten haben Norris et al. doch ans Tageslicht gebracht.

So ist den Yolngu z.B. klar, dass sich die Venus nur bis zu einem bestimmten Winkel von der Sonne entfernen kann, was sie durch eine Art Seil zwischen den beiden Himmelskörper erklären (identisch mit dem Zodiakallicht?): für Norris immerhin „frühe Wissenschaft“. Die Venus als Morgenstern spielt eine wichtige Rolle bei Ritualen: Wann es wieder so weit ist, wissen die Yolngu vorher, weil sie die Tage zählen und von der regelmäßigen Wiederkehr der Venus-Sichtbarkeiten wissen. Andere Aborigines-Einsichten die tatsächliche Zusammenhänge im Sonnensystem, die Norris für original (und nicht von den Kolonisten aufgeschnappt) hält: Die Gezeiten werden dem Mond zu geschrieben (wenn auch auf irrige Weise: indem er sich am Horizont mit Wasser fülle), eine fundamentale Einsicht, zu der nicht einmal Galilei gelangte. Und Mondfinsternisse als Unterbrechung der Sonnenstrahlung auf ihn verstanden – ein großer intellektueller Sprung, der auch das Prädikat „Wissenschaft“ verdient.

Die Analyse von Felszeichnungen und Steinsetzungen (Paradebeispiel: Wurdi Youang [NACHTRÄGE: ein neues Paper dazu und Jahre später ein Artikel]) ist erheblich schwieriger, da man niemand mehr fragen kann, aber statistisch gesehen sind die über den ganzen Kontinent verteilten Steinketten vorwiegend im Azimut 0° und 90° ausgerichtet, auf wenige Grad genau: Das erforderte im Vorfeld jeweils – mangels Polarstern – systematische Himmelsbeobachtungen, namentlich von Sonnenauf- und -untergängen und ihren Wanderungen im Jahreslauf. Norris‘ Fazit: Die Aborigines-Kultur ist mehr als Didgeridoo und Malerei – man interessierte sich für den Himmel, nutzte die Sterne für Navigation und Zeitmessungen, maß Sonnenauf- und untergangspunkte am Horizont und durchschaute bis zu einem gewissen Grad das Wesen von Finsternissen. Von denen Australien im November mal wieder eine totale bevorsteht: Norris wird sie mit seinen Yolngu-Freunden verbringen, die sich in diesem Zusammenhang schon als abgeklärter als manch andere Aborigines-Gruppe erwiesen haben.

Schlagwörter: , ,

8 Antworten to “Die Astronomie der Aborigines wird erforscht”

  1. Drei interessante Termine in und nördlich von Bonn « Bonner Sterne Says:

    […] westlichen Welt die Schätze des uralten Wissens der Aborigines näher bringt. [AIRUB. NACHTRAG: ein Bericht über den […]

  2. Engywuck Says:

    „Die Gezeiten werden dem Mond zu geschrieben […], eine fundamentale Einsicht, zu der nicht einmal Galilei gelangte.“

    Diese Aussage ist doch dezent unfair, da indirekt unterstellt wird, dass kein europäischer Forscher, „nicht einmal Galilei“ zu dieser Einsicht gelangte — aber trotz der Verlinkung ignoriert, dass schon im antiken Griechenland über einen Zusammenhang spekuliert wurde und Galilei sich eben mal irrte, indem er Gegenteiliges vermutete. Zudem ist der Tidenhub im Mittelmeer – da es kaum Verbindung zu den Weltmeeren hat – im Allgemeinen sehr gering. Dies dürfte um Australien herum anders sein.

    Zudem hege ich beim Versuch, durch *heute* stattfindende Gespräche herauszufinden, was indigene Völker *vor* dem Kontakt mit Wissenschaft der europäischen Kulturgeschichte wussten immer eine gehörige Skepsis. Zwar gehe ich nicht davon aus, dass heute noch so primitive Fehler gemacht werden wie bei den angeblichen Sirius-Kenntnissen der Dogon, aber auch extrem abgeschieden lebende Aborigines-Völker hatten inzwischen mehrere Jahrzehnte, andere Jahrhunderte, Zeit, „europäisches“ Wissen (unbewusst) einzubauen – und sei es durch mehrfaches Weitertragen zwischen den Völkern.

    Eine ganz andere Frgae ist, was man als „Wissenschaft“ gelten lässt. Dass sich die Venus nie weit von der Sonne entfernt würde ich ja als „gute Beobachtungsgabe“ werten – bzw. als fast unvermeidliche Beobachtung, wenn man Jahrtausende und Wüstenbedingungen (also kaum Wasserdampf in der Atmosphäre) voraussetzt. Zumal bei Völkern, die über astronomische Beobachtungen ihren Kalender steuerten. Die Finsternisse wären dagegen schon eher „Wissenschaft“ (wobei „Wissenschaft“ im modernen Sinn ja auch eine gewisse Methodik voraussetzt, aber dies sei hier mal hintangestellt)

    Wenn ich den Begriff „Azimut“ richtig verstehe heißt „Azimut 0“ ja: „nach Süden ausgerichtet“. Die vier Haupt-Himmelsrichtungen kann ich aber mit einem Stock, der Sonne und etwas primitiver Geometrie einfacher als durch „systematische Himmelsbeobachtungen, namentlich von Sonnenauf- und -untergängen und ihren Wanderungen im Jahreslauf“ ermitteln. Oder bezieht sich dies in diesem Fall auf eine andere Definition von „Azimut“?

    Bitte nicht falsch verstehen: ich finde die Erforschung alter Kulturen lobenswert und ein sinnvolles Unterfangen, insbesondere wenn die möglichen Fehlerquellen wie in den zitierten Papers auch benannt werden (ein Beispiel aus dem Abstract zu „Impacts“: „We find that, while detailed Aboriginal descriptions of cosmic impacts are abundant in the literature, there is currently no physical evidence connecting these accounts to impact events currently known to Western science.“). Der Post hier wird dem aber nicht gerecht bzw. unterschlägt zu vieles. Schade bei einem sonst extrem lesenswerten Blog.

  3. skyweek Says:

    Dieser Artikel gibt die Quintessenz des Norris-Vortrags wieder und hält sich ziemlich exakt an meine Notizen davon – „unterschlagen“ wird hier gar nichts (zumal ja auch zu sämtlichen open access bereits verfügbaren Originalarbeiten verlinkt wird). Was fehlt sind lediglich jene Anekdoten, die Norris zwar erwähnte aber selbst für reichlich zweifelhaft erachtet: z.B. zu vermeintlichen Finsternis-Vorhersage-Künsten, die in der Literatur zuweilen behauptet werden. Einzelne Punkte können Sie übrigens mit den Forschern direkt am Hamachers Blog diskutieren.

    Die Problematik des Zurückfließens ‚westlichen‘ Wissens ist heutigen Aborigines-Forschern natürlich bewusst, und ich wurde schon 1999 in Perth von einem Geologen darauf aufmerksam gemacht, dass eine angebliche Legende zur Entstehung der Gosses-Bluff-Struktur durch etwas vom Himmel gestürztes eine solche ‚Verschmutzung‘ sein könnte (sonst werden die großen Impaktkrater nämlich meist durch etwas aus dem Erdinneren Aufgestiegenes erklärt). Norris selbst konzentiert sich gerade deshalb auf das Arnhem Land, weil die dortigen Stämme am spätesten in Kontakt mit Weißen kamen.

    Die Spitze gegen Galilei stammt von Norris selbst („Yolngu 1 – Galileo 0“), aber dass dieser bei der Erklärung der Gezeiten konsequent den Mond ignorierte, wird in der Tat heute als seine größte wissenschaftliche Fehlleistung gewertet; vor Newton hat niemand eine physikalisch plausible Theorie bieten können. Die Azimut-Statistik ist m.W. noch nicht publiziert, und die Steine setzenden Stämme sind heute leider allesamt verschwunden. Im Falle von Wurdi Youang ist aber ziemlich offensichtlich, dass hier Extremstellungen der Sonne im Jahreslauf registriert und dann durch auffällige Peillinien dargestellt wurden: Das hat sogar mich überzeugt, der ich sonst solcherlei Behauptungen sehr skeptisch sehe.

  4. Engywuck Says:

    Hmmm, egal wie oft ich ihn lese, der Artikel klingt weniger nach „Zusammenfassung eines Vortrags“ als nach einer eigenständigen Darstellung des Fachgebiets aus Anlass und unter Einbeziehung einiger Anmerkungen des Vortrags. Sei’s drum.
    Das mit den „möglichst späten Kontakt“ hatte ich auch nach Lesen einiger der angegebenen Links nicht gefunden, konnte aber leider aus Zeitmangel auch nicht alle verlinkten Quellen komplett lesen…

    Wenn die Aussage „nicht mal Galilei…“ so im Vortrag fiel, würde ich diese als Zitat kennzeichnen. Ansonsten wäre ich wie im ersten Post für eine Entschärfung, da damit gleich die ganze europäische Wissenschaftsgeschichte niedergemacht wird – im Vergleich zu einem „der Mond sauft Wasser“-Mythos…

    Eigentlich ist Galileos Annahme, dass die Gezeiten nichts mit dem Mond zu tun haben, (in der damaligen Zeit) sogar in gewisser Weise wissenschaftlicher als eine primitive „der Mond ists irgendwie“-Annahme [0]. Dass er mit „seinem“ Grund dann auch falsch lag ist dann natürlich unschön 🙂
    Grund für meine Aussage: unter „primitiver“ Annahme, dass der Mond „an sich“ für Ebbe und Flut „verantwortlich“ ist müssten Mondauf- und Untergangszeiten an verschiedenen Orten am selben Tag in gleicher Weise mit Ebbe und Flut korrelieren, also beispielsweise „immer zu 1/3 der Zeit zwischen Mondauf- und Untergang Flut“ oder „immer wenn der Mond am höchsten ist Flut“. Dies ist ganz offensichtlich nicht der Fall (Beispiel für Galileis erstem Tätigkeitsort Pisa heute [1]: Flut 8:00 und 20:35, dafür im nur wenige Kilometer entfernten Carrara mit fast denselben Mondauf- wie -untergangszeiten [2]: 7:40 und 20:15 (von weiter entfernten Orten ganz zu schweigen). In erster Anschauung scheint die Annahme, dass der Mond für die Gezeiten verantwortlich ist also widerlegt zu sein – oder Nebenannahmen zu erfordern. Wenn man dann noch mit Bewegungen viel Erfolg hatte und Zentrifugalkräfte gut kennt wird ein Erklärungsversuch darüber nicht unbedingt unlogischer. Erst durch Newton – der ein Jahr nach Galileis Tod geboren wurde – konnte dann ja eine logische Erklärung für das „irgendwie“ des Mondes gefunden werden – und es dauerte bis ins zwanzigste Jahrhundert für die heute gültige Annahme (zwischen den Küsten hin- und herreflektierte Tidenwellen, die durch Gravitationseffekte von Mond, Sonne und in sehr geringem Umfang anderen Himmelskörpern angeregt werden). Eine längerfristige Vorhersage rein aus physikalischen Gesetzen ist aber weiterhin unmöglich – man benötigt zusätzlich für jeden Ort empirisch zu findende Daten.

    [0] wie sie ja laut Artikel die Aborigines haben – er fülle sich mit Wasser und deshalb entstünden die Gezeiten.
    [1] http://www.gezeitenfisch.com/it/toscana/pisa
    [2] http://www.gezeitenfisch.com/it/toscana/carrara

  5. skyweek Says:

    „Hmmm, egal wie oft ich ihn lese, der Artikel klingt weniger nach ‚Zusammenfassung eines Vortrags‘ […]“ Hmmm, ein Riesenfoto des Referenten als einzige Illustration und expliziter Bezug auf seinen Namen in jedem zweiten Satz …

  6. Nachrichten aus der Astro-Geschichte kompakt | Skyweek Zwei Punkt Null Says:

    […] der Aborigines Australiens ist in einer aktuellen Übersicht zusammen gefasst, natürlich von den beiden Haupt-Experten, die “a deep understanding of the motion of objects in the sky” konstantieren, […]

  7. Allgemeines Live-Blog vom 27. April – 1. Mai 2014 | Skyweek Zwei Punkt Null Says:

    […] or material culture” der Menschheit nachweisbar (nur der Ausbruch von Eta Carinae bei Australiens Aborigines), weitere Fälle dank Gravitationslinsen heller erscheinender Supernovae in Press Releases hier, […]

  8. gunst01 Says:

    Hat dies auf Die Goldene Landschaft rebloggt.

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit Deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Twitter-Bild

Du kommentierst mit Deinem Twitter-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit Deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..


%d Bloggern gefällt das: