Es ist ein bekanntes – und diesmal besonders nerviges – Ritual: Die NASA kündigt eine Pressekonferenz an, mit 5 Tagen Vorlauf und nur vagen Andeutungen, es wird wild herum spekuliert und ein gewaltiges Geheimnis drum gemacht, während diejenigen Wissenschafts-Journalisten, die die Forschungsarbeit bereits kennen, um die es geht (wie auch dieser Blogger), zum Schweigen verdammt sind, da für „Molecular water detected on the sunlit Moon by SOFIA“ bis diese Minute ein striktes Embargo galt. Was in diesem Fall noch einmal extra lächerlich war, denn die wesentlichen Erkenntnisse des Papers und ungefähr dieselben Zahlen hatte die erste Autorin bereits im März auf der 51st Lunar and Planetary Science Conference präsentiert – und schon vor einem Jahr als Teil ihrer Dissertation über IR-Fernerkung von Volatilen auf Erde und Mond (Seiten 74 bis 99) ausgiebig eingeordnet.
Am 30./31. August 2018 hatte sie mit der fliegenden Sternwarte SOFIA und deren Instrument FORCAST – dank einer halben Stunde Director’s Discretionary Time – zwei Bereiche der Mondoberfläche zwischen 5 und 8 µm Wellenlänge spektroskopiert und in der Nähe des Kraters Clavius tief im Süden starke Emission bei 6 µm gefunden, was nur außerhalb der Erdatmosphäre zu beobachten ist. Und dieses Signal kann nur vom fundamentalen Vibrations-Übergang von Wasser stammen: Es ist kein anderes Material auf dem Mond als Quelle ersichtlich. Hingegen kann die schon seit 2009 auf dem Mond bekannte Emission um 3 µm (konkret 2.8 bis 3.5 µm) gleichermaßen vom Wasser-Molekül wie anderen Verbindungen des Hydroxyls (OH) kommen. Der Anteil echten Wassers am Bodenmaterial liegt nun den SOFIA-Spektren zufolge bei 100 bis 400, Mittelwert 200 µg/g (ppm) – und ist sicher kein globales Phänomen, denn im ebenfalls spektroskopierten Mare Serenitatis in der Nähe des sonnigen Äquators (Region Sulpicius Gallus) wurde erwartungsgemäß kein Wasser-Signal gefunden.
Die Mondkarten oben zeigen, wo FORCASTs 2.4 x 191 Bogenminuten großer Spektroskopenspalt platziert wurde (die dritte stellt das UV/VIS-Verhältnis von Clementine dar), die obere Grafik zwei typische Spektren aus einem Clavius-Spalt mit viel und wenig H2O-Signal. Und die untere zeigt den OH-Gehalt (mit unklarem Wasser-Anteil) nach Messungen mit dem Instrument M3 auf Chandrayaan 1 (grün) und den wahren H2O-Anteil gemäß SOFIA (weiß) als Funktion der Breite. SOFIAs 6-µm-Emission stellt den ersten eindeutigen Nachweis von Wasser auf dem Mond außerhalb der ewig finsteren Kältefallen nahe der Pole und in sonnenbeschienenem Gelände dar! Da die Umweltbedingungen des Mondes für Wassermoleküle auf freien Oberflächen nicht gerade förderlich sind, dürften diese entweder in (Impakt-)Gläsern enthalten sein – die etwa 30% des Mondbodens ausmachen – oder sich in Lücken zwischen Regolith-Partikeln verstecken. Quellen des Wassers sind verschiedene denkbar, am wahrscheinlichsten wohl die Bildung aus lunarem Material bei Impakten von Mikrometeoroiden. Weitere Messungen an anderen Orten und zu anderen Zeiten sind nun in Planung: Das 3-µm-Signal variiert nämlich mit dem lunaren Tagesgang. Die PK strömt hier. [NACHTRÄGE: Dort wird erzählt, dass die SOFIA-Beobachtungen nur ein Experiment während eines Rückflugs nach Palmdale waren – jetzt sind aber weitere intensivere geplant. Und der NASA-Chef freut sich: auch das Paper open access, Press Releases von USRA und NASA, Pressemitteilungen von DSI und DLR und ein Video-Clip desselben]
Auf dem Mond gibt es mehr „Kältefallen“ durch kleine Schattenzonen als bisher abgeschätzt: Das berechnet ein weiteres zeitgleich erschienenes Paper über Hochrechnungen aus Beobachtungen auf ganz verschiedenen Größenskalen (hier vom Lunar Reconnaissance Orbiter, dem ersten chinesischen Mondrover Yutu und Apollo 14). Zwar ist mit hinreichend Schatten, so dass (Wasser-)Eis lange überleben kann, erst jenseits von ±80° Breite zu rechnen, aber kleine Schattenzonen tragen maßgeblich bei:
Die Grafik trägt die Gesamtzahl der Permanently Shadowed Regions und Kältefallen auf dem gesamten Mond gegen die Größe auf. Auf etwa 40’000 km^2 wird die Gesamtfläche der Kältefallen nun geschätzt (davon 23’000 im Süden), woran „Mikro-Fallen“ mit 10 bis 20 Prozent Anteil haben: 2500 km^2 in Schatten < 100 Meter und 700 km^2 sogar in Schatten < 1 m. Und da es viel mehr von ihnen als von den großen dunklen Kratern gibt, könnte das für künftige Mondmissionen praktischen Nutzen haben. Aber auch für die Grundlagenforschung: Da diverse Prozesse Eis aus Mini-Fallen schnell woeder entfernen, würden Messungen dort zeigen, wie viel Volatiles im Sonnensystem unterwegs ist. [NACHTRÄGE: dieses Paper open access, ein Press Release dazu und Artikel zum 1., 2. oder beiden Papers hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier und hier.]
Schon wieder Wirbel um das Phosphan (?) auf der Venus
Jetzt sind es nicht die vermisste Infrarot-Signatur oder der mögliche Nachweis vor Ort sondern die einsame Absorptionsline des Radio-Interferometers ALMA, mit der alles begonnen hatte: An ihrer Existenz sind plötzlich Zweifel aufgekommen, die Situation ist aber im Gegensatz zu reißerischen Schlagzeilen alles andere als klar. Im Video zum Hintergrund der radioastronomischen Beobachtungen eine detaillierte Diskussion vor einer Woche, bei der einige frühe Reaktionen aufgegriffen wurden, die für die neuesten aber leider knapp zu früh kam. Da gibt es zum einen ein mögliches Problem bereits mit ALMA selbst bzw. der Vor-Reduktion der Venus-Daten, die vorerst aus dem öffentlichen Archiv genommen wurden. Wie gravierend das ist, wird nicht mitgeteilt, aber die Erstautorin des Original-Papers hat keine Probleme mit der Maßnahme. Zuvor war indes ein sehr kurzes Paper erschienen, dass ihre Arbeitsgruppe frontal angegriffen hatte: Es war ihr vor, bei der Glättung des Hintergrunds der ALMA-Spektren durch die Subtraktion eines Polynoms 12. Ordnung zu forsch gewesen zu sein – die fragliche Linie könne ein Artefakt dieser Reduktionsweise gewesen sein. Nun klingt „Polynom 12. Ordnung“ für Laien – und auch manchen Astronomen, die nicht direkt ‚vom Fach‘ sind – nach reiner Willkür, es handelt sich aber um ein Standardverfahren, und die usprünglichen Autoren bleiben bei ihrer Methode. Eine besonders lehrreiche Animation gibt es hier zu sehen, bei der die ALMA-Daten mit Polynomen verschiedener Ordnung beackert werden: Wie man bereits mit dem Auge und besser in diesem Plot sieht, nimmt das Signal-zu-Rausch-Verhältnis der mutmaßlichen PH3-Absorption bereits bei geringeren Polynom-Ordnungen deutlich zu, geht allerdings erst bei zweistelligen durch die Decke. Was das alles bedeutet, muss jedenfalls noch geklärt werden: mehr oder weniger zielführende Artikel in diesem speziellen wie dem generellen Kontext hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier und hier.
22. November 2020 um 22:11 |
[…] Nachweis des Moleküls Monophosphan in den Venus-Wolken gestritten, wobei im Oktober erst an den Messungen von ALMA gezweifelt wurde („Schon wieder Wirbel …“) und dann auch an denen des JCMT, während […]
15. Januar 2021 um 20:31 |
[…] den wichtigsten Forschungsvorhaben dieses Jahr gehören neben der Kartierung des Wassers auf dem Mond auch Magnetfeld-Messungen rund ums Galaktische Zentrum, das ISM in verschiedenen Regionen der […]
17. Februar 2021 um 23:10 |
[…] Geschichte des mutmaßlichen Monophosphans auf der Venus vor – Zeitschritte hier, hier, hier, hier („Schon wieder Wirbel …“) und hier – inklusive der Papers On the Robustness […]
17. März 2023 um 18:29 |
[…] kam bei der Fortsetzung der Messung von Wasser-Molekülen auf dem Mond durch SOFIA heraus: unten links die Südpolregion im Kontinuum bei 6 µm, unten rechts die Intensität der […]