Noch bis zum 19. März ist im Kölner Museum Schnütgen die Ausstellung „Magie Bergkristall“ zu sehen, die diese Varietät reinen Quarzes und seine Bearbeitung und Verwendung durch die Kulturgeschichte mit prächtigen Exponaten zeigt – vor allem aus dem europäischen Mittelalter, als auch die bemerkenswerten optischen Eigenschaften geschliffenen Bergkristalls vielfältig ausgenutzt wurden. Und so nebenbei auch Grundlagen der modernen Optik schufen.
Von der größten Bedeutung dafür sind wohl die beiden Visby-Linsen in der Ausstellung, aus einem Wikinger-Schatz, der um 1050 niedergelegt wurde, womit sie aus der 1. Hälfte des 11. Jh. stammen dürften. „Bei der ungefassten Linse handelt es sich um eins der größten Exemplare aus Visby“, heißt es im Ausstellungstext: „Sie ist asphärisch geschliffen, also nicht wie die Oberfläche einer Kugel gekrümmt, und verfügt über hervorragende Abbildungseigenschaften. Legt man sie direkt auf ein Objekt, wirkt sie als perfekte Lupe, ohne dass die Randbereiche unscharf werden.“ Den Strahlengang zeigt eine Abbildung aus dem Katalog, das Paper „Die Visby-Linsen“ beschreibt Messungen an mehreren Linsen. Ob die große Linse jemals als Lupe verwendet wurde, ist nicht klar und wird im Katalogtext bezweifelt – eher sollte sie wohl sie wie die kleinere als Schmuckstück gefasst, vom hinten verspiegelt und in einer Kette getragen werden. (Der Katalog erinnert auch an die „Nimrud-Linse“ ebenfalls aus Bergkristall und aus dem 8. Jh. BCE, deren Nutzung genau so unklar ist.)
Mehrere wertvolle Bücher sind in der Ausstellung zu sehen, etwa „Das Buch der Natur“ von Konrad von Megenberg in einer Auflage von 1482 (es entstand aber um 1350): daraus diese Abbildung eines Edelstein-Schleifers in der Werkstatt mit einem Kunden oder Experten.
Zu den prachtvollsten Kölner Exponaten gehören religiöse Gegenstände, insbesondere Reliquiare, bei denen Bergkristall mit Bedacht eingesetzt wurde: „Durchsichtige Kristallplatten ermöglichen einen klaren Blick ins Innere, während Linsen die Reliquien zwar sichtbar machen und vergrößern, häufig aber auch verzerren. Das Heilige scheint greifbar und bleibt doch entrückt“. Zum Beispiel hier in diesem Vierpassreliquiar aus Limoges aus der 2. Hälfte des 13. Jh.: „Fünf große gleichartige Linsen […] vergrößern und verzerren die darunter verborgenen Reliquien und korrespondieren mit dem gravierten Bildprogramm auf der Rückseite“.
Oder hier: Auf zwei Seiten des Reliquiars der hl. Barbara aus Köln um 1300 „stehen sich zwei große Kristallcabochons gegenüber, während an den Seiten ein noch größerer, stark gewölbter Kristall mit einer rechteckigen Platte korrespondiert. Die runden Kristalle sind zwar transparent, ermöglichen aber wegen der Wölbung keinen klaren Blick auf die Reliquien sondern verzerren diesen sogar. […] Nur die Platte gewährte eine etwas klarere Sicht auf den Reliquieninhalt. Offenbar ging es beim Einsatz von Bergkristall hier weniger um die größtmögliche Sichtbarkeit der Reliquien, als um einen ‚Visionseffekt'“.
Beim Großen Bernwardskreuz aus Hildesheim um 1150 war dagegen maximaler Durchblick angesagt, mit einem großen klaren Bergkristall in der Kreuzmitte als Symbol für Christus: „Die Transparenz des Bergkristalls machte die darunter geborgenen Kreuzpartikel sichtbar, die Kaiser Otto III. seinem Freund und Lehrer Bernward von Hildesheim geschenkt hatte. Sie waren die Hauptreliquien des von ihm neu gegründeten Michaelsklosters.“ Unter dem Bergkristall am oberen Kreuzende sitzt ein kleines Goldkruzifix.
Ein westfälisches Reliquienkreuz um 1050, mit Teilen bis ins 9. Jh. zurück: „Der im oberen Kreuzarm eingesetzte Cabochon ist tadellos poliert“, sagt der Text, „und fing das Licht während der rituellen Abläufe der Liturgie ein: Er wird zum Sinnbild der vollendeten Herrlichkeit des Auferstandenen.“
Es ging auch ohne Reliquien: ein Detail aus dem Scheibenkreuz mit gerippten Ranken wiederum aus dem Hildesheimer Domschatz von etwa 1140, mit Bergkristallcabochons verziert. „Von den kreuzförmig angeordneten Kristallen verweist der größte in der Mitte unmissverständlich auf Jesus Christus“, heißt es im Ausstellungstext: „Als Hinweis auf dessen unendliche, alle Räume und Zeiten umfassende Herrschaft könnte das Kreissymbol gelesen werden.“
Und zum Schluss noch zwei karolingische Gemmen aus Bergkristall, zum einen dieses Intaglio der Taufe Christie, um 855/69: „Die Taufszene zeichnet sich durch große Plastizität aus, das Spiel mit Licht und Schatten ist grandios.“
Und ein Standkreuz mit einem Intaglio der Kreuzigung aus etwa dem Jahr 900 (das Kreuz ist aus dem 15. oder 16. Jh.): „Personifikationen von Sonne und Mond erinnern an die Finsternis beim Tod Jesu“.