Ein Jahrtausend ist es nun her, dass mit der Supernova von 1006 eine außergewöhnlich helle Sternexplosion im Lupus für Aufsehen sorgte (hier ein Röntgenbild Chandras des Überrests): Das schlug sich in Chroniken auf mehreren Kontinenten nieder, aber noch immer sind nicht alle Schätze geborgen. Denn auch im Jemen wurde über den neuen Stern geschrieben, doch erst vor einigen Jahren durchsuchte ein arabischer Physiker und Astronomiegeschichtler die dortigen Bibliotheken und machte gar machen Fund. Das Jahr 2000, in einem von Wasserpfeifen verqualmten Café in der jordanischem Hauptstadt Amman: Nach einer Konferenz in Israel zum Leoniden-Sturm des Vorjahres ist dieser Blogger zu den Gastgebern seiner Beobachtungen desselben von der Jordanian Astronomical Society zurück gekehrt – und wird unversehens nämlichem Manuskripten-Forscher vorgestellt, der eine Menge zu erzählen hat.
Wafig Rada heißt er, war mal Spezialist für Detektoren der Kosmischen Strahlung, hat über Meteorschauer in arabischen Chroniken publiziert, in Libyen über Sonnenaktivität geforscht (wo die Ergebnisse dann zur Geheimsache erklärt wurden) und war gerade im Sudan aktiv. Eine erstaunliche Persönlichkeit – die sich Jahre später plötzlich mit dem Entwurf eines Papers meldet: In besagten jeminitischen Bibliotheken habe er Hinweise auf mehrere Supernovae vergangener Jahrhunderte gefunden, die der Forschung bislang unbekannt gewesen seien. Dieser Blogger vermittelt daraufhin einen Kontakt zu Bonner Orientalisten, die Erfahrung mit arabischen astronomischen Handschriften (aus Timbuktu) haben; es gibt aber Meinungsverschiedenheiten über den wissenschaftlich formal korrekten Umgang mit solchem Material, und das Paper erscheint nicht. Rada ist inzwischen an der University of Babylon im Irak in Hilla südlich von Baghdad: Korrespondenz mit einem babylonischen Astronomen!
2013: Auf der Tagung des Arbeitskreises Astronomiegeschichte in der Astronomischen Gesellschaft in Tübingen lernt dieser Blogger Ralph Neuhäuser von der FSU Jena kennen, der über Historische Beobachtungen als Schlüssel für das Verständnis von Radiocarbon-Schwankungen vorträgt und dabei alte Quellen und aktuelle Astrophysik in Verbindung bringt – die Spezialität seiner Arbeitsgruppe. Man kommt in’s Gespräch, und dieser Blogger macht Neuhäuser auf Radas weiter unpublizierte Forschungen aufmerksam. 2014: Bei der nächsten Tagung der Reihe trägt Neuhäuser wieder vor, nunmehr über genau dieses Thema: Arabische Beobachtungen historischer Supernovae! Er hatte tatsächlich mit Rada zusammen neue Quellen erschlossen (etwa in der Mitte der Seite), wenn ihm auch nur die bereits bekannten Supernovae und nicht die vermeintlichen neuen Fälle als glaubwürdig erschienen.
2015: Im Frühjahr kommt ein gemeinsames Paper der beiden über die SN 1006 heraus, allerdings hinter einer Paywall versteckt. Und vor wenigen Tagen ist das Paper nun Open Access erschienen: eine außerordentlich akribische Analyse zweier jeminitischer Texte, Wort für Wort und quasi zwischen den Zeilen. Der ältere der Texte, bisher der Forschung gänzlich unbekannt, ist detaillierter und scheint zuverlässiger – und er vermeldet den neuen Stern bereits anderthalb Wochen vor jeder anderen bisher gefundenen Quelle zur SN 1006! Offenbar hatte man im gebirgigen Jemen einfach einen klareren Blick auf die sehr tief stehende Supernova als z.B. in Kairo. Auch über ihre Helligkeit, Lichtkurve usw. lassen sich neue Informationen extrahieren. Und so hat zumindest dieser Teil der Saga, 1009 Jahre nach der Sternexplosion und 15 Jahre nach der ersten Begegnung von Rada und Blogger, ein Happy End gefunden: