Es naht – übermorgen – ein runder Jahrestag, mit dem umzugehen nicht leicht ist: Am 3. Oktober 1942 gelang nach drei Versagern der erste Flug eines Aggregat 4, bei dem diese spätere Massenvernichtungswaffe nicht nur 190 km weit flog sondern dabei auch bis in 84.5 km Höhe aufstieg. Das war ein neuer Rekord – und wird gerne als erstes Erreichen des Weltraums betrachtet. Anlässlich des 50. Jahrestags wollte das die damalige Bundesregierung 1992 sogar groß feiern (nach Protesten wurde es eine eher verhaltene Gedenkstunde in Peenemünde, an der auch dieser Blogger teilnehmen konnte; Berichte erschienen seinerzeit im gedruckten Skyweek und SuW), jetzt will man den Termin allerorten möglichst lautlos verstreichen lassen [NACHTRAG: weitere neue Artikel hier und hier]. Aber abseits der düsteren Hintergründe und diffizielen Erinnerungskultur bleibt eine ganz konkrete Frage: Hat das A4 – hier eine Rekonstruktion auf den Gelände des ehemaligen Peenemünder Kraftwerks – Nummer 4 tatsächlich 1942 „den Weltraum erreicht“?
Wo der überhaupt beginnt, darüber wird seit gut einem halben Jahrhundert gestritten: Die bei weitem populärste Definition lautet 100 km, die in den 1950-er Jahren eingeführte „Kármán-Linie“, oberhalb derer die Orbital- die Aerodynamik dominieren soll. Aber bereits seit Anfang der 1960-er Jahre feierte die U.S. Air Force ihre Piloten als „Astronauten“, sobald sie – mit dem Überschallflugzeug X-15, hier 1965 eins nach dem Abheben – höher als 50 Landmeilen = 80.5 km gekommen waren. Bei acht X-15-Piloten war das der Fall: Während die fünf, die zur USAF gehörten, ihre „Astronaut Wings“ verliehen bekamen, gingen die anderen drei in Diensten der NASA leer aus (was 2005 schließlich symbolisch „korrigiert“ wurde; einer von ihnen hatte übrigens auch die 100-km-Marke geknackt). Die Vereinten Nationen haben offenbar überhaupt keine amtliche Meinung, wo denn nun der Weltraum beginnt, in Papieren von einzelnen Raumfahrtagenturen tauchen zuweilen sogar Höhen über 100 km auf, und so müssen wohl die Astronomen ran:
Das sind die Schlussfolgerungen einer Analyse des Raumfahrtchronisten Jonathan McDowell, die demnächst auch als Paper erscheinen soll: Die wahre Kármán-Linie liegt demnach deutlich erdnäher als seinerzeit abgeschätzt, nämlich (Zufall?) just bei den USAF-bevorzugten 80 km! Eine gewisse Art Luftfahrt ist demnach noch bis rund 50 km Höhe möglich, dann beginnt eine 30 km breite Übergangszone – und Raumfahrzeuge können sich ab etwa 80 km Höhe eine Zeitlang im Orbit halten. Nach dieser Definition hätte das A4 Nr. 4 tatsächlich „den Weltraum“ erreicht, wenn auch als Abfallprodukt einer Waffenentwicklung (emsige Beteuerungen in der Nachkriegszeit, dass von Braun und Co. ja eigentlich immer zum Mond statt nach London wollten, mal beiseite). Und auch wenn man auf der 100-km-Regel beharrt, „gewinnt“ erneut ein Aggregat 4, wenn auch ein viel späteres: Am 20. Juni 1944 gelang auf der vorgelagerten Insel Greifswalder Oie ein Senkrecht-Schuss, der bis in 174.6 km Höhe führte. Und es gab tatsächlich Pläne, das A4 mit Meßgeräten für echte Weltraumforschung zu nutzen, doch dazu kam es in Deutschland nicht mehr, sondern erst später in den USA mit erbeuteten Raketen in White Sands, wo bereits am 10. Mai 1946 abermals die 100-km-Marke überschritten wurde. Und diesmal als öffentliches Spektakel – mit der Rakete in gelb:
Der über 2100 Jahre alte Bronzeapparat, der 1900 vor der griechischen Insel Antikythera in einem Schiffswrack gefunden wurde, ist neuerdings wieder Gegenstand intensiver Forschung (siehe z.B. ISAN 28-3 oder auch hier, „Schon wieder eine neue Antikythera-Hypothese …“) – und den neuesten Stand präsentierte heute Ιωάννης-Χιου Σειραδάκης von der Universität Θεσσαλονίκη, ein führendes Mitglied im Antikythera Mechanism Research Project, in einem anderthalbstündigen Vortrag im Deutschen Museum Bonn: Viele Slides gibt es hier, und unter den Thumbnails hier liegt jeweils eine größere Version.
Der in 82 Fragmenten geborgene Apparat bestand aus über drei Dutzend Zahnrädern, und wenn man einen Drehknopf – nach neuester Analyse vorne drauf und nicht an der Seite – bediente, drehten sich Zeiger auf Skalen auf Vorder- wie Rückseite, die parallel eine ganze Reihe von astronomischen Angaben lieferten. Wieviele insgesamt, ist immer noch nicht klar, es werden immer neue Untermechanismen entdeckt.
Besonders clever sind dabei die – möglicherweise erst später hinzu gefügten – Anzeigen auf der Rückseite, mit denen Sonnen- und Mondfinsternisse mit ziemlicher Präzision vorhergesagt werden können. Selbst dass sich SoFis erst nach drei Saros-Zyklen à 18 Jahren wieder ungefähr am selben Ort wiederholen, wurde eingebaut …
… und mit einem cleveren Stift-Mechanismus zwischen zwei Zahnrädern übereinander der ungleichmäßige Lauf des Mondes am Himmel realisiert.
Die aktuelle Rekonstruktion des Zahnradsystems von der Seite: Die meisten wurden zumindest in Fragmenten tatsächlich gefunden, die Anwesenheit von ein paar weiteren ergibt sich zwingend aus dem Kontext, etwa vorhandenen Zeigern. Das hier – vielleicht für ein Didaktik-Werkzeug – umgesetzte astronomische Wissen ist alles in der damaligen Literatur belegt und auch, dass die Technik der Metallverarbeitung weit genug entwickelt war. Trotzdem ist der Antikythera-Mechanismus weiter ein absolutes Unikat – aber Seiradakis ist sich praktisch sicher, dass noch mehr Exemplare in anderen Wracks der Hebung harren. Und hier noch die neueste Entdeckung in einem Röntgenbild, eine mutmaßliche Kurvenscheibe – mit der offensichtlich ziemlich exakt für ein weiteres (verschollenes) Anzeigesystem die Zeitgleichung dargestellt wurde:
Abertausende Fotos der Apollo-Missionen, eingescannt von den Mittelformats-Negativen mit 1800 dpi, gehen derzeit hier online, der Upload läuft auf vollen Touren, und rund 9300 sind schon oben: Artikel zum Hintergrund hier, hier und hier und Fan-Animationen aus den Bildern hier und hier [NACHTRAG: und hier] – und hier ein paar Funde nach einer Geschwind-Sichtung des Füllhorns [NACHTRÄGE: dito hier, hier, hier, hier, hier, hier und hier]; gerade die unperfekten (aus denen aber mit Bildverarbeitung noch einiges heraus zu holen ist wie in den Beispielen oben) machen die Missionen besonders lebendig:
Den Saal gibt es schon lange nicht mehr, wohl aber das Gebäude, das Kieler Gewerkschaftshaus in der Legienstraße 22: Hier hat heute vor genau 95 Jahren Albert Einstein vor – zeitgenössischen Quellen zufolge – über 1000 Zuhörern einen allgemeinverständlichen Vortrag über „Raum und Zeit im Lichte der Relativitätstheorie“ gehalten. Ein Jahr nach der viel beachteten Bestätigung einer zentralen Voraussage der 1915 vollendeten Allgemeinen Relativitätstheorie bei der SoFi von 1919 war Einstein ein auch in Deutschland gefeierter Wissenschaftler – der gleichzeitig wegen seiner jüdischen Herkunft und pazifistischen Haltung auch zunehmenden Anfeindungen ausgesetzt war. Auch die Angriffe feindseliger ‚Kollegen‘ nahmen just 1920 erheblich zu, während die Kieler (sozialdemokratische) Presse vor „Raudau-Antisemiten“ warnte. In diesem Zusammenhang ist zu sehen, dass Einsteins Vortrag nicht etwa an der traditionsreichen Christian-Albrechts-Universität Kiels stattfand, die heuer ihr 350-jähriges Bestehen feiert, sondern bei den Gewerkschaftern. Bei der Enthüllung der Gedenktafel durch die CAU-Vizepräsidentin K. Schwarz, den Kieler OB U. Kämpfer und den Geschäftsführer der DGB-Region KERN F. Hornschu wurde dies – wie von Kämpfer auch schon bei der Eröffnung einer Astronomen-Tagung am Morgen – als großer Schandfleck in der Geschichte der CAU gewertet und Mahnung, nie wieder Menschen wegen ihrer Religion oder Meinung auszugrenzen.
Die genauen Umstände von Einsteins Kieler Auftritt bleiben allerdings unklar: Die einzige Quelle für die Ereignisse vor 95 Jahren, die Hornschu bereits vor zwei Jahren die Anbringung der Tafel motivierte, ist letztlich ein Satz in dem Kapitel „Einstein als Politikum“ des Buches „Einstein, Anschütz und der Kieler Kreiselkompass“ (Schriften der Schleswig-Holsteinischen Landesbibliothek Nr. 16, hrsg. von Lohmeier 1992) auf den Seiten 71-72, aus dem auch obige Aussagen zitiert sind. Daraus geht allerdings nicht zwingend hervor, dass die Universität Einstein explizit auslud, auch wenn antisemitische Tendenzen dort bereits 1920 anderweitig dokumentiert sind, wie am Rande der Enthüllung zu erfahren war. (Und Einsteins lautstärkster Gegner in der Physik, Philipp Lenard, war peinlicherweise ein Kieler Alumnus.) So oder so werfen die damaligen Vorgänge ein grelles Licht auf den Geisteszustand Deutschlands vor 95 Jahren – mit gewissen Parallelen zur Gegenwart, mag man hinzufügen – und zugleich die Rezeptionsgeschichte Einsteins in den ersten Jahren nach der Veröffentlichung der ART. Und der Frust der Kieler ist spürbar: 1922 dachte Einstein o.g. Buch zufolge nämlich über eine Umsiedlung von Berlin nach Kiel nach, wohnte dort zeitweise und hatte sogar schon eine permanente Wohnung in Aussicht – aber wohl u.a. durch die Umstände des 1920-er Auftritts unsicher geworden, ob er in der Ostseestadt willkommen war, entschied er sich dagegen. NACHTRAG: Artikel hier, hier und zuvor hier. NACHTRAG 2: Mehr zu Einstein und Kiel (er wohnte bis 1926 immer wieder mal dort) – und wie Recherchen von R. Bülow ergeben waren, war der 1920-er Vortrag Teil der 1. Kieler Herbstwoche für Kunst und Wissenschaft und wurde von Einstein in einem Brief vom Vortag erwähnt, ohne Hinweise auf irgendwelche Probleme.
Ein Jahrtausend ist es nun her, dass mit der Supernova von 1006 eine außergewöhnlich helle Sternexplosion im Lupus für Aufsehen sorgte (hier ein Röntgenbild Chandras des Überrests): Das schlug sich in Chroniken auf mehreren Kontinenten nieder, aber noch immer sind nicht alle Schätze geborgen. Denn auch im Jemen wurde über den neuen Stern geschrieben, doch erst vor einigen Jahren durchsuchte ein arabischer Physiker und Astronomiegeschichtler die dortigen Bibliotheken und machte gar machen Fund. Das Jahr 2000, in einem von Wasserpfeifen verqualmten Café in der jordanischem Hauptstadt Amman: Nach einer Konferenz in Israel zum Leoniden-Sturm des Vorjahres ist dieser Blogger zu den Gastgebern seiner Beobachtungen desselben von der Jordanian Astronomical Society zurück gekehrt – und wird unversehens nämlichem Manuskripten-Forscher vorgestellt, der eine Menge zu erzählen hat.
Wafig Rada heißt er, war mal Spezialist für Detektoren der Kosmischen Strahlung, hat über Meteorschauer in arabischen Chroniken publiziert, in Libyen über Sonnenaktivität geforscht (wo die Ergebnisse dann zur Geheimsache erklärt wurden) und war gerade im Sudan aktiv. Eine erstaunliche Persönlichkeit – die sich Jahre später plötzlich mit dem Entwurf eines Papers meldet: In besagten jeminitischen Bibliotheken habe er Hinweise auf mehrere Supernovae vergangener Jahrhunderte gefunden, die der Forschung bislang unbekannt gewesen seien. Dieser Blogger vermittelt daraufhin einen Kontakt zu Bonner Orientalisten, die Erfahrung mit arabischen astronomischen Handschriften (aus Timbuktu) haben; es gibt aber Meinungsverschiedenheiten über den wissenschaftlich formal korrekten Umgang mit solchem Material, und das Paper erscheint nicht. Rada ist inzwischen an der University of Babylon im Irak in Hilla südlich von Baghdad: Korrespondenz mit einem babylonischen Astronomen!
2015: Im Frühjahr kommt ein gemeinsames Paper der beiden über die SN 1006 heraus, allerdings hinter einer Paywall versteckt. Und vor wenigen Tagen ist das Paper nun Open Access erschienen: eine außerordentlich akribische Analyse zweier jeminitischer Texte, Wort für Wort und quasi zwischen den Zeilen. Der ältere der Texte, bisher der Forschung gänzlich unbekannt, ist detaillierter und scheint zuverlässiger – und er vermeldet den neuen Stern bereits anderthalb Wochen vor jeder anderen bisher gefundenen Quelle zur SN 1006! Offenbar hatte man im gebirgigen Jemen einfach einen klareren Blick auf die sehr tief stehende Supernova als z.B. in Kairo. Auch über ihre Helligkeit, Lichtkurve usw. lassen sich neue Informationen extrahieren. Und so hat zumindest dieser Teil der Saga, 1009 Jahre nach der Sternexplosion und 15 Jahre nach der ersten Begegnung von Rada und Blogger, ein Happy End gefunden:
Heute Abend wird in der Kunst- und Ausstellungshalle der BRD die neue Super-Show „Outer Space – Faszination Weltraum eröffnet, wobei die Vernissage – ungewöhnlich – eine öffentliche Veranstaltung ist, Anmeldung via FB genügt. Bereits auf dem Museumsplatz locken ein 1:5-Modell einer Ariane 5 und der bekannte Aufblas-Astronaut des EAC – unddieser Blogger hatte schon heute Mittag die Gelegenheit zu einer Vorbesichtigung der Ausstellung mit viel DLR-Unterstützung, während noch die letzten Schildchen geklebt wurden, passend mit Laser-Hilfe. Ein paar Impressionen aus den 12 Räumen, in denen sich wertvolle Weltraumartefakte und alte und neue Kunst begegnen; der Rundgang beginnt unten rechts:
Begrüßt wird der Besucher – anfangs ist die Richtung vorgegeben, in der Mitte nicht mehr, am Ende wieder – vom größten Brocken des Meteoriten von Ensisheim vor Rubens‘ Erschaffung der Milchstraße. Und nach dem 8. Dezember auch von der „Bundesbiene“, einer auf natürliche Weise verstorbenen Bewohnerin eines Bienenstocks auf dem Dach der Kunsthalle – die zur Zeit auf der ISS ‚haust‘, dann aber von Alexander Gerst im Rahmen einer großen Party persönlich zurück gebracht werden wird.
Verbeulte Spitze einer V2 vor alle 20 Minuten lautstark startender Soyuz mit der ISS-Expedition 38. In diesem Raum wird kurioserweise mehr über die Technik der V2 erzählt als derzeit im Museum in Peenemünde, aber die unmenschlichen Aspekte der Raketengeschichte bleiben natürlich auch in Bonn nicht unerwähnt.
Diverse Raumanzüge mit Kurator und Ausstellungsleiter Stephan Andreae – und die Kapsel, mit der der Schimpanse Enos Ende 1961 als erster Primat von amerikanischem Boden aus in den Orbit gelangte – keine gute Erfahrung übrigens. [NACHTRAG: ein Bild …]
Marsforschung im frühen 20. Jh. (oben, aus einer entlegenen französischen Sammlung) – und Zeichnungen von Antoniadi von 1896: Da sah auch er noch die Kanäle, zu deren Widerlegung erspäter maßgeblich beitrug.
Das Highlight für Astrofans (ohne Platzangst): eine Kugel aus 4200 Holzstücken, in die 30’000 Glasfasern gesteckt sind – im Inneren schaffen sie einen bemerkenswert realistischen Sternenhimmel. Und zwar rund herum um den jeweils einen Besucher, hinter dem sich lichtdicht eine Klappe schließt! Ein außergewöhnliches Kunstwerk von Hiroyuki Masuyama aus dem Jahre 2010, eine Leighabe der Galerie Sfeir-Semler in Hamburg: Selbst Astronaut Reinhold Ewald sei „mit leuchtenden Augen“ wieder heraus gekommen, hieß es auf der PK (unten).
Ein prächtiger Himmelsglobus von – natürlich mal wieder – Willem Blaeu aus Amsterdam, aus dem Jahre 1616.
Ein Passage-Instrument von John Bird, ebenfalls aus London, um 1750.
Das erste Bonner Universitätsfernrohr von Carl Dietrich Münchow, aus der Wende 18./19. Jh.; im Hintergrund eine der vom Fotokünstler Thomas Ruff bearbeiteten Himmelsaufnahmen der ESO.
Gänse auf Mondmission – oder so ähnlich. Sehr bizarr …
Socken des deutschen Astronauten Reinhold Ewald von seinem Mir-Flug 1997.
Heute persönlich anwesend: Galina Balaschowa, hier vor dem von ihr entworfenen Farbdesign für die sowjetische Raumfahrt.
Ein Kunstwerk – Acryl auf Masonit – von Ken Grimes von 2011, dessen kompletter Titel praktischerweise gleich drauf steht. Die darin gestellte Frage beantwortete der anwesende Pressesprecher des Teleskopbetreibers … nicht.
SF-Movie-Props satt: z.B. eine Enterprise aus Star Trek: Generations, der Prototyp von Gigers Chest Burster aus Aliens und die beiden Roboter aus den Star Wars-Filmen.
Ein Kometensucher von Jesse Ramsden aus London, um 1780.
Der letzte von drei den zwölf Haupträumen zugeordneten Kunsträumen: die Installation „The Men Who Flew Into Space“ von Ilya Kabakow.
Und das allerletzte Exponat vor dem Ausgang: die „Big Crunch Clock“ von Gianni Motti, die seit 1999 die letzten 5 Mrd. Jahre des Lebens der Sonne herunterzählt.
Auf einer PK am Vormittag hatten Kunsthallen-Chef Wolfs, eine Sprecherin des DLR, die Kuratoren Claudia Dichter & Stephan Andreae und der Ausstellungsarchitekt das Konzept des „Outer Space“ – siehe auch Interviews hier, hier und hier – in Anwesenheit der gefeierten Balaschowa (u.) diskutiert: Derartige „Hybrid“-Ausstellungen von Wissenschaft, Technik und Kunst gibt es schon seit 95 Jahren (die allererste Dada-Schau 1919 war so angelegt), und hier werde die „transdisziplinäre“ Faszination für den Kosmos als „anthropologische Konstante“ gezeigt. Vier Jahre dauerten die Vorbereitungen, manches war verblüffend leicht zu bekommen (die Liberty Bell wurde den Kuratoren schon 20 Minuten nach ihrem Eintreffen in der Kansas Cosmosphere angeboten), anderes nicht. Am Ende sei ein „feines Gespinst aus Assoziationslinien“ zwischen Kunst und Wissenschaft (Dichter) enstanden – das nun bis zum 22. Februar bestaunt werden kann, umrahmt von allerlei eher Kunst-orientierten Veranstaltungen und ein paar ‚Satelliten‘, etwa einer kleinen Foto-Ausstellung im Kunstmuseum nebenan. Zu entdecken gibt es eine Menge, und Kunst- wie Astronomie- wie Raumfahrtfans werden gewiss auf ihre Kosten kommen. NACHTRÄGE: ein paar Bilder auch vom Abend, ein weiteres Exponat mit Sonnenfinsternis, mehr Artikel zur Eröffnung hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier und hier, spätere hier, hier und hier, ein Balaschowa-Interview und andere Galerien hier, hier, hier und hier nach und hier vor der Eröffnung.
„Drei prominente US-Astronauten“ wollen heute um 20:00 MESZ auf einer Pressekonferenz in Seattle „unveil a new video showing the surprising number of asteroid impacts on Earth during the last decade, and the even more surprising fact that we can prevent future asteroid impacts.“ Es werde „data from the nuclear weapons test warning network, supplied by Peter Brown, Western University of Canada,“ zu sehen geben, das „has detected 26 multi-kiloton explosions since 2001, all of which are due to asteroid impacts“ – die seien damit „3-10 times more common than we previously thought.“ Keiner dieser „Impakte“ sei vorhergesagt gewesen, womit „the only thing preventing a catastrophe from a ‚city-killer‘ sized asteroid is blind luck.“ Wohingegen der von nämlichen Astronauten unterstützte „Sentinel“-Satellit eben diese Vorhersagen liefern könne. Markige Worte, in einem Werbetext für eine Werbeveranstaltung wohlgemerkt, die aber vielerorts – etwa hier, hier oder hier – sogleich als Fakt und sensationelle Entdeckung verbreitet wurden, zuweilen gleich mit dem erhofften Satelliten als Retter der Menschheit obendrauf.
Aber sind die Daten überhaupt neu – und ist ihre Interpretation als bislang ignorierte Attacke kosmischer „City-Killer“ richtig, denen wir bisher nur durch pures Glück entgingen? Eine Spurensuche in der Fachliteratur zu den aktuellen Impaktraten auf der Erde schafft einige Klarheit. Visuelle oder fotografische Aufzeichnungen über dramatische Feuerkugeln am Himmel – im Stil des Airbursts von Chelyabinsk – reichen nicht, um die globale Rate in die Atmosphäre eindringender Asteroid(ch)en vernünftig abzuleiten: Benötigt werden Datensätze, die möglichst die ganze Erde bzw. den sie umgebenden Weltraum abdecken. Da gibt es im Prinzip drei Quellen: die bereits im Weltraum teleskopisch entdeckten Near Earth Objects, aus denen sich die Einschläge speisen, die Beobachtungen von deren Feuerkugeln durch militärische Frühwarnsatelliten (die eigentlich auf fremde Raketenstarts lauern) und die Messung der Schallwellen dieser Luftexplosionen durch ein weltweites Netz von Infraschallsensoren, die eigentlich auf fremde Nukleartests lauern. Die teleskopische Datenbasis der NEOs ist dank verstärkter Anstrengungen in den vergangenen 20 Jahren – getriggert durch den Shoemaker-Levy-Crash auf den Jupiter im Juli 1994 – inzwischen ziemlich gut, wobei im Bereich oberhalb von 1 km Durchmesser inzwischen rund 90% aller erdnahen Asteroiden entdeckt sind (von denen keiner auf Erdkurs ist)
Die Extrapolation aus den Ergebnissen der Asteroidensuche auf der Erde im sichtbaren Licht wird inzwischen auch durch entsprechende Suchen mit dem WISE-Satelliten im Infraroten gestützt: Die bislang angenommene mittlere Albedo der NEOs von 14% scheint zu passen. Bei den viel zahlreicheren kleineren NEOs ist der Grad der Vollständigkeit bei den direkten Suchprogrammen natürlich viel geringer, aber es hat sich ein konsistentes Bild der Impaktraten ableiten lassen, an dem sich die anderen Methoden messen lassen müssen. Die direkten Beobachtungen der Airbursts durch die Satelliten – die am direktesten Auskunft über Explosionsenergien und andere Parameter liefern – stehen dabei leider der Wissenschaft nicht systematisch zur Verfügung, doch konnten sie in der Vergangenheit insbesondere herangezogen werden, um die dritte Methode, Infraschall anhand dutzender Beobachungen derselben Boliden recht präzise zu eichen: Aus dem Muster der Druckwellen lässt sich nun auf die Explosionsenergie schließen, die in der Impaktologie traditionsgemäß in der äquivalenten Masse des Sprengstoffs TNT angegeben wird, in Kilo- oder Megatonnen.
In den 1960-er und 1970-er Jahren betrieb das U.S. Air Force Technical Applications Center (AFTAC) ein Infraschall-Messnetz, dass speziell für die damals noch ‚populären‘ Nukleartests in der Hochatmosphäre optimiert war und damit auch ideal für den Nachweis von NEO-Airbursts war: Die Grafik (oben Durchmesser in m, unten Energie in kt) zeigt eine neue Auswertung der AFTAC-Daten aus dem Jahre 2009, wobei sie als gelbe Dreiecke diversen anderen beiden Informationsquellen zur Impaktrate – teleskopisch, Frühwarnsatelliten, Mondkrater – gegenüber gestellt sind. Es überraschte, dass die AFTAC-Rate bei wenigen Meter großen Körpern von deren Gesetzmäßigkeit um höchstens einen Faktor 2 abwich, im Bereich 5 bis 20 Meter aber um einen Faktor von bis zu 10 darüber lag: Eine triftige Erklärung fiel den Infraschall-Forschern damals nicht ein, sie mahnten aber zur Vorsicht, weil die größte Abweichung durch genau ein einziges Ereignis, ein Megatonnen-Explosion 1963 zustande kommt, und genau für die gibt es im Gegensatz zu den anderen neun, die in die Auswertung eingingen, keinerlei unabhängige Bestätigung. Verwirft man diesen seltsamen Fall als Anomalie, passen die AFTAC-Daten wieder zu den anderen beiden Methoden.
Heute kümmert sich um die weltweite Nukleartest-Überwachung die Comprehensive Test-Ban Treaty Organization (CTBTO), deren globales Netzwerk von Mikrobarometern nunmehr für unterirdische Explosionen optimiert ist aber ebenso wie das des AFTAC gleichermaßen kosmische Airbursts über der gesamten Erde erfasst: Mittels CTBTO-Daten konnte beispielsweise die Explosionsenergie im Falle von Chelyabinsk rasch auf rund 500 Kilotonnen (und der Durchmesser des Impaktors damit auf knapp 20 Meter) eingegrenzt werden. Die Auswertung (Brown & al., Nature503 [14.11.2013] 238-241) der CTBTO-Airbursts von 1994 bis Mitte 2013 (rote Dreiecke in der Grafik; Skalen wie oben) wie auch der verfügbaren Satellitendaten aus diesem Zeitraum (schwarze Kreise) deckt sich mit der AFTAC-Analyse: nur wenig über den teleskopischen NEO-Zahlen im Meter-Bereich, aber bei 15 bis 30 Metern – also der Chelyabinsk-Klasse – um eine Größenordnung mehr Ereignisse. Und natürlich auch wieder der Fluch der kleinen Zahl: Die größte Abweichung nach oben geht auf einzelne besonders große Airbursts zurück, jetzt Chelyabinsk und zwei andere Airbursts mit mehr als 30 Kilotonnen. „Rate“ heißt dann einfach: ein Ereignis im betrachteten Zeitraum. Das ist statistisch gewagt – was natürlich erst recht für die Feststellung gilt, Chelyabinsk wie auch das viel stärkere Tunguska-Ereignis von 1908 seien jeweils ziemlich unwahrscheinlich gewesen, weshalb man über eine deutlich größere Zahl von Ereignissen und gar eine zusätzliche Asteroiden-Population nachdenken solle.
Wie kann das alles zusammen passen? In einer derzeit laufenden Reihe von Online-Seminaren zum NEO-Komplex der NASA auf hohem Niveau hat sich am 28. März 2014 der Altmeister der Asteroiden-Statistik Alan Harris mit den Impaktraten auseinander gesetzt: Er gibt zu, dass gerade im Größenbereich Chelyabinsk bis Tunguska die Unsicherheiten der NEO- und damit Impaktor-Population am größten sind. Die Vollständigkeit der Suchprogramme ist hier gering, die Zahl der tatsächlich beobachteten Airbursts gleichzeitig minimal. Sowohl bei den großen und extrem seltenen Impakten (Vollständigkeit durch Suchprogramme de facto erreicht) wie den kleinen und häufigen Airburst-Ereignissen (genügend CTBTO- und Satelliten-Fälle) ist die Statistik dagegen gut: Im obigen Diagramm (oben Energe in Mt, unten Durchmesser in km, links kumulative Anzahl für > H, rechts Impakt-Intervall in Jahren) hat Harris daher eine neue Gerade (blau) durch diese beiden „Anker“ gelegt – und vermutet, dass die tatsächliche NEO/Impakt-Zahl nirgends um mehr als einen Faktor 3 davon abweicht. Wobei die Unsicherheit ungefähr bei Tunguska am größten ist, es gerade dort (50-m-Klasse, 10 Mt Energie) aus den Suchprogrammen aber auch Argumente für eine Unterschreitung der Geraden gibt.
Auf eine Frage dieses Blogs zum Sachstand und der ominösen Pressekonferenz meinte Harris letzte Woche: „The bottom line is that the bolide data, in the range where most of the detections occur and statistics are good implies a rate about 3 times higher than I derive from survey detections, well within the range of uncertainty of the survey data, and in fact about where I think the real number lies“ – nämlich in seiner revidierten Grafik. „At larger size, the bolide data becomes less certain because of very few events, while the survey data become more robust in the size range where we have hundreds to thousands of discovered bodies. Extrapolating the bolide data beyond the range of observations is a bit of a fool’s errand. The Brown et al. paper is very good, except for the rather bold extrapolation beyond the range where they actually know anything. The press conference coming up is a sales pitch, ‚full of sound and fury, signifying nothing“ – ein böses Zitat aus ‚Macbeth‘ übrigens. Und warum die Brownsche Infraschall-Extrapolation – auf der die Pressekonferenz, die hier gestreamt wird, wohl im Wesentlichen basiert – keinen Sinn ergibt, hat Harris in einer weiteren Mail klar gemacht: „extrapolating out to ‚Tunguska‘ size leads to a very un-physical ‚kink‘ in the population to match up with the survey estimates in the range where we are quite certain that they are close to correct.“
NACHTRAG: Ein Press Release zur PK kam schon 5 Stunden vorher raus. Die einzigen konkreten Zahlen: „Between 2000 and 2013, this network detected 26 explosions on Earth ranging in energy from 1 to 600 kilotons – all caused not by nuclear explosions, but rather by asteroid impacts. […] While most of these asteroids exploded too high in the atmosphere to do serious damage on the ground, the evidence is important in estimating the frequency of a potential ‚city-killer-size‘ asteroid. The Earth is continuously colliding with fragments of asteroids, the largest in recent times exploding over Tunguska, Siberia, in 1908 with an energy impact of 5-15 megatons. More recently, we witnessed the 600-kiloton impact in Chelyabinsk, Russia, in 2013, and asteroid impacts greater than 20 kilotons occurred in South Sulawesi, Indonesia, in 2009, in the Southern Ocean in 2004, and in the Mediterranean Sea in 2002.“ Konkrete Berechnungen in Sachen ‚city killer‘ kommen nicht vor – dieser Blogger hat dagegen mal eben einen Fall nur grob alle 25’000 Jahre abgeschätzt, während man hier nicht so recht weiß, was das alles bedeuten soll.
NACHTRAG 2 [Video-Link ersetzt]: hier ist die angekündigte „Visualisierung“ der 26 Airbursts. Und der Off-Text wie auch diese dürre FAQ-Liste erwähnen die Hochrechnung eines ‚city killers‘ irgendwo auf dem Planeten einmal alle hundert Jahre: genau die Zahl, auf die dieser Blogger auch gerade gekommen war! Also ein tatsächlicher Treffer in Jahrzehntausenden – und deswegen muss sofort ein teurer Spezialsatellit gebaut werden …? Muss er sicher nicht, sagt z.B. dieser Veteran der NEO-Jagd. NACHTRAG 3: Oder ein anderer Astronom ganz am Ende dieses Artikels, der sonst leider nicht tiefer recherchiert ist – dito hier und hier (während nach einer ‚Ermahnung‘ hier am Ende immerhin die Harris-Slides angetackert wurden). Die PK beginnt übrigens erst um 20:30 MESZ. NACHTRAG 4: Alan Harris stimmt den Berechnungen dieses Bloggers zu und präzisiert seine eigenen Zahlen bzw. der Impaktfolgen.
NACHTRAG 5: Die Statements auf der PK [NACH-NACHTRAG: komplette Aufzeichnung] – hier Tom Jones und Ed Lu – brachten keine weiteren Erkenntnisse, wie auch die Artikel hier, hier und hier. In Q&A weigert sich Lu, die „Millionen“ $ konkret zu beziffern, die man von den für Sentinel benötigten 250 Mio.$ schon eingesammelt hat (aber 2018 als Starttermin steht weiter im Raum, und er soll mindestens 6 1/2 Jahre arbeiten). Das Risiko durch die von dem Satelliten zu entdeckenden Klein-NEOs konkret zu quantifizieren oder mit anderen zu vergleichen, ist in den ingesamt 70 Minuten PK nicht einmal Thema … NACHTRAG 6: … aber dafür hat man ja A. Harris, der hier detailliert erklärt, wo das tatsächliche Restrisiko der NEOs für die Erde liegt: „The bottom line is that, even with surveys 90% complete, the main risk remains the large objects. So even though a ‚globally catastrophic‘ event is expected only a couple times in a million years, the frequency with which a small impact (Tunguska size) will ‚come to your town‘ and destroy it is even less.“ Was man in mehr oder weniger verwirrten Artikeln wie hier, hier, hier, hier, hier, hier oder hier (der dort so überraschte Alan Harris ist übrigens ein anderer NEO-Mann) leider nicht liest. Das experimentelle Last-Minute-Warnsystem ATLAS macht übrigens Fortschritte. NACHTRAG 7: ein Artikel, der es am Ende auf den Punkt bringt, hier wankt schon der vermeintliche Kronzeuge – und in einer 2. FAQ muss B612 zugeben, dass eben keine Schwärme von „City-Killern“ im Anflug sind …
Das Ergebnis waren drei große Dokumentationen, weitsichtig bereits in Farbe produziert, obwohl es noch gar kein reguläres Farbfernsehen gab: Man in Space, der am 9. März 1955 Premiere hatte, Man and the Moon im selben Jahr und schließlich Mars and Beyond 1957 – vor allem diese aufwändigste Produktion von allen besticht noch heute durch ihre langen und technisch brillianten Animationssequenzen, auch zur Geschichte des Lebens auf der Erde. Dass die drei Filme die US-Politik direkt beeinflusst hätten, ist zwar umstritten („In the mid-1950s …“), aber die eigentliche Zielgruppe war angetan – drei weitere angedachte Filme kamen gleichwohl nie zustande.
Am 24. Februar 1616 begann eine lange Talfahrt des gerade aufkommenden heliozentrischen Weltbildes in Europa: Eine von der Inquisition eingesetzte Theologen-Komission lieferte eine Beurteilung der kopernikanischen Weltsicht ab, die keine Fragen offen ließ. „Omnes dixerunt dictam propositionem esse stultam et absurdam in Philosophia; et formaliter haereticam, quatenus contradicit expresse sententiis sacrae scripturae in multis locis,“ steht auf dem unscheinbaren Zettel (im vatikanischen Geheim-Archiv und oben) über die Sonne als ruhendes Zentrum des Kosmos zu lesen, also „alle sagen, dass diese Behauptung wissenschaftlich töricht und absurd ist, und formell ketzerisch, da sie den Worten der heiligen Schrift an vielen Stellen eindeutig widerspricht“, und das gleiche gelte für die sich bewegende und drehende Erde. Kurioserweise ist dieser Schlüsselsatz aber in den vergangenen vier Jahrhunderten häufig mit falscher Interpunktion wiedergegeben worden – die die Begründung der angeblichen Dummheit des Heliozentrismus auf bedeutsame Weise verzerrt.
Zwar waren die Regeln für die Zeichensetzung damals nicht wirklich festgeschrieben, aber ein Semikolon zwischen zwei Satzteilen meinte unzweifelhaft eine klare logische Trennung. Und just das im Original klar erkennbare Semikolon nach ‚Philosophia‘ – was damals für die weltliche Wissenschaft generell stand – ist erstaunlich oft „vergessen“ worden. Dann liest sich der Satz aber so, als beginne die Begründung für die Verdammung des kopernikanischen Weltbildes (die am 5. März prompt dazu führte, dass De Revolutionibus in der originalen Fassung, 73 Jahre lang unbehelligt, auf dem Index landete, und schließlich in den Galilei-Prozess von 1633 mündete) erst mit ‚quatenus‘ und sei mithin allein im Widerspruch zu Sätzen in der Bibel zu verorten. Doch in der korrekten Version wird klar, dass es primär wissenschaftliche Probleme waren, die zu der Ablehnung führten, und zusätzlich noch theologische. Und genau jene damals weithin gesehenen wissenschaftlichen Probleme hatte dem Heliozentrismus ausgerechnet die Einführung des Fernrohres in die Astronomie beschert! Dieses hatte zwar mit dem Nachweis der Venus-Phasen das ptolemäische System, bei dem sich alles um die Erde drehte, sehr eindeutig erledigt und u.a. mit dem unebenen Erdmond und den Jupitermonden als einer Art ‚zweitem Sonnensystem‘ das wohlgeordnete aristotelische Weltbild zumindest kräftig erschüttert.
Doch alle teleskopischen Beobachtungsdaten der ersten Jahre (und genau besehen sogar des ganzen ersten Jahrhunderts) ab 1609 waren mit hybriden Weltmodellen – mit der Erde im Zentrum aber den meisten Planeten im Orbit um die Sonne – genau so gut verträglich wie mit einem reinen heliozentrischen. Und ein hybrides Modell wie das bekannteste von Tycho erklärte einiges sogar besser: insbesondere die vermeintlich im Fernrohr sichtbaren Sterndurchmesser! Die waren in Wirklichkeit nichts weiter als Beugungsscheibchen, aber das konnte damals keiner wissen. Korrekt war dagegen die Beobachtung, dass kein einziger Stern für die verfügbaren Teleskope eine jährliche Parallaxe zeigte: Zusammen mit den vermeintlichen Durchmesser bedeutete das, dass die Sterne im kopernikanischen System extrem weit entfernt und verglichen mit der Sonne dramatisch groß sein mussten – im tychonischen Bild dagegen saßen sie in harmloser Größe auf einer nicht weit entfernten Sphäre. Ausgerechnet die Kopernikaner mussten sich auf göttliche Allmacht berufen, um die fernen Riesensterne zu begründen, währed letztere aus rein wissenschaftlicher Sicht – wie sie etwa Simon Marius vertrat – klar für einen tychonischen Kosmos sprachen. Es ist schwer zu sagen, ob die Gutachter der Inquisition so konkret physikalisch gedacht haben – aber das nun wieder sicher an seinen Platz gerückte Semikolon hinter ‚Philosophia‘ deutet in diese Richtung.
Der Mondkrater, der übertrieben groß Galileis Siderius Nuncius dominieren dürfte, ist gestern überraschend durch diesen Blogger „wieder entdeckt“ worden – passenderweise während eines Seminars über Galilei, wo er gerade nämliche Illustration gezeigt hatte. Ein Schnappschuss in der Abenddämmerung, wenige Stunden nach dem 1. Viertel, zeigte bereits auf dem Kameradisplay einen bei dieser harten Beleuchtung verblüffend dominanten Mondkrater direkt am Terminator etwas südlich der Mitte, der sogleich an Nuncius-Illustrationen wie diese erinnerte. Es handelt sich um den 129 km großen Albategnius – der tatsächlich meist für Galileis Vorbild gehalten wird und auf den dieser wohl besonderen Wert gelegt hatte (Fig. 15-18) und ihn daher übertrieben groß (S. 42-43) darstellen ließ.
Hatte Galilei geheime Kenntnisse von theoretischer Optik?
Da es keinerlei Schriften Galileo Galileis gibt, die auf eine theoretische Durchdringung jener Teleskope schließen lassen, mit denen er ab 1609 eine Reihe bahnbrechender Entdeckungen machte (s.o.), wird allgemein angenommen, dass er in Sachen Optik lediglich ein geschickter Tüftler war. Doch zwei israelische Wissenschaftshistoriker widersprechen neuerdings diesem Eindruck: In Zik & Hon, „Magnification: how to turn a spyglass into an astronomical telescope“, Arch. Hist. Exact. Sci.66 [2012] 439-64 und „Galileo’s Knowledge of Optics and the Functioning of the Telescope – Revised von vor 5 Tagen können sie zwar auch keine geheimen Tagebücher Galileis vorlegen, spekulieren aber durchaus plausibel über Berechnungen des Physikers bevor er seine astronomischen Teleskope herstellte. Diese seien ihren niederländischen Vorgängern – die tatsächlich durch Kombination existierender Brillengläser plus geschickten Einsatz einer Objektivblende gebaut werden konnten – derartig überlegen, dass Galilei die optischen Parameter der Linsen mit ihren oft ungewohnten Brennweiten geplant haben müsse. Die Theorie dazu könne er durch Kombination der optischen Erkenntnisse della Portas – dessen De refractione optices parte von 1593 er nachweislich besaß – und Einsichten bei der Entwicklung des Sectors zu Eigenschaften von Winkeln entwickelt haben, doch konkrete Spuren gibt es nicht.
ist derzeit in Schloss Hohentübingen zu sehen (auch eine PM zur Eröffnung, ein Flyer und ein Artikel): In einem einzigen Raum werden in Form meist originaler Bücher oder Faksimiles „vormoderne“ astronomische Vorstellungen des Zeitraums 800-1800 thematisiert. Dabei geht es weniger um die großen akademischen Strömungen dieser Zeit sondern eher um den Umgang der breiten – europäischen – Bevölkerung mit dem Kosmos: Der reichte von bedenklich (reichlich astrologisch motivierter Aderlass) über clever (drehbare Kalender-Rechenhilfen in Bücher integriert) bis kurios. Letzteres insbesondere in einem Kometen-Flugblatt von 1682 anlässlich einer Erscheinung des Halleyschen Kometen, das auch detailliert die aktuellen Theorien(!) dieses Phänomens diskutiert: alternativ die Vorstellung von bis dahin unsichtbaren Himmelskörpern, die als göttliches Warnlicht eingeschaltet werden, und von Wolken, die die Sonne beleuchtet; da gäbe es sogar noch weitere Ideen, die aber nicht der Rede wert seien. (Mitten in der ausgedehnten Antiken-Abteilung desselben Museums gibt es übrigens in der Abguss-Sammlung noch eine astronomische Attraktion: ein 2 Meter großes Ölgemälde des Vollmonds von 1895.)