Posts Tagged ‘Aborigines’

Die Astronomie der Aborigines wird erforscht

28. Juli 2012

Die Kultur der australischen Ureinwohner – genauer: der rund 400 mehr oder weniger isolierten Aborigines-Gruppen – gilt mit rund 40’000 Jahren als die längste kontinuierliche auf dem ganzen Planeten, aber ihre astronomischen Vorstellungen waren lange kaum erforscht. Viele Überlieferungs-Ketten sind durch die brutale Kolonialgeschichte jäh unterbrochen worden, und nur wenig wurde von professionellen Ethnographen dokumentiert, bevor es zu spät war. Erst in den letzten paar Jahren haben sich vor allem zwei Astronomen, Ray Norris (der die Webseite „Australian Aboriginal Astronomy“ pflegt und Gegenstand eines Wikipedia-Artikels ist) und Duane Hamacher (der das Blog „Australian Aboriginal Astronomy“ betreibt), um die systematische Erforschung der Aborigines-Astronomie bemüht, was sich u.a. in neun frei verfügbaren Papers niedergeschlagen hat: über Finsternisse, Kometen, Meteoriten, Impakte, Eta Carinae, Felszeichnungen und allgemein hier, hier und hier.

Gestern gab Norris (Bild) auch einen Abriss des Forschungsstandes in einem öffentlichen Vortrag an der Uni Bochum: Da die Aufzeichnungen der Kolonisten über vermeintliches Aborigines-Wissen nur mit größter Vorsicht zu genießen sind, konzentiert er sich zum einen auf die Yolngu im Arnhem Land, deren originale Kultur noch gut erhalten zu sein scheint, und zum anderen auf Felszeichnungen und Steinsetzungen allerdings längst verschwundener Kulturen. Mit Aborigines-Astronomie meint Norris nicht die tollen Mythen (in denen z.B. der abnehmende Mond dadurch zustande kommt, dass Frau Sonne ihren fetten Mann über den Himmel jagt und mit der Axt immer mehr abhackt), sondern Versuche, himmlische Beobachtungen auch zu verstehen. Nicht alles, was die Aborigines wissen oder denken, verraten sie auch den „whitefellas“ (und Norris verriet diesem Blogger, dass er immerhin ein bisschen Geheimwissen erhalten hat aber nicht weiter erzählen darf), aber ein paar Facetten haben Norris et al. doch ans Tageslicht gebracht.

So ist den Yolngu z.B. klar, dass sich die Venus nur bis zu einem bestimmten Winkel von der Sonne entfernen kann, was sie durch eine Art Seil zwischen den beiden Himmelskörper erklären (identisch mit dem Zodiakallicht?): für Norris immerhin „frühe Wissenschaft“. Die Venus als Morgenstern spielt eine wichtige Rolle bei Ritualen: Wann es wieder so weit ist, wissen die Yolngu vorher, weil sie die Tage zählen und von der regelmäßigen Wiederkehr der Venus-Sichtbarkeiten wissen. Andere Aborigines-Einsichten die tatsächliche Zusammenhänge im Sonnensystem, die Norris für original (und nicht von den Kolonisten aufgeschnappt) hält: Die Gezeiten werden dem Mond zu geschrieben (wenn auch auf irrige Weise: indem er sich am Horizont mit Wasser fülle), eine fundamentale Einsicht, zu der nicht einmal Galilei gelangte. Und Mondfinsternisse als Unterbrechung der Sonnenstrahlung auf ihn verstanden – ein großer intellektueller Sprung, der auch das Prädikat „Wissenschaft“ verdient.

Die Analyse von Felszeichnungen und Steinsetzungen (Paradebeispiel: Wurdi Youang [NACHTRÄGE: ein neues Paper dazu und Jahre später ein Artikel]) ist erheblich schwieriger, da man niemand mehr fragen kann, aber statistisch gesehen sind die über den ganzen Kontinent verteilten Steinketten vorwiegend im Azimut 0° und 90° ausgerichtet, auf wenige Grad genau: Das erforderte im Vorfeld jeweils – mangels Polarstern – systematische Himmelsbeobachtungen, namentlich von Sonnenauf- und -untergängen und ihren Wanderungen im Jahreslauf. Norris‘ Fazit: Die Aborigines-Kultur ist mehr als Didgeridoo und Malerei – man interessierte sich für den Himmel, nutzte die Sterne für Navigation und Zeitmessungen, maß Sonnenauf- und untergangspunkte am Horizont und durchschaute bis zu einem gewissen Grad das Wesen von Finsternissen. Von denen Australien im November mal wieder eine totale bevorsteht: Norris wird sie mit seinen Yolngu-Freunden verbringen, die sich in diesem Zusammenhang schon als abgeklärter als manch andere Aborigines-Gruppe erwiesen haben.

Kosmisch Kurioses & Kontroverses kompakt

5. Dezember 2010

Jacob C. Ravn, Aarhus University

Die sterblichen Überreste von Tycho Brahe wurden im November eine knappe Woche lang ans Tageslicht geholt, um sie mit modernen forensischen Methoden zu untersuchen: Es geht um neue Details zum Leben und v.a. Tod dieser ungewöhnlich schillernden Figur der Astronomiegeschichte. Resultate der Untersuchungen – um deren Genehmigung sich dänische Forscher fast ein Jahrzehnt bemüht hatten – soll es im kommenden Jahr geben. Aber schon jetzt hat die Exhumierung Brahe und seinem verrückten Leben – ein betrunkener Elch inklusive – zu enormer Publicity verholfen. (New York Times 29., IO9 22., New York Times, Space.com 19., Physics World 16., BBC, Scientific American, Space.com, Tagesschau, Spiegel 15.11.2010)

Schon wieder eine neue Antikythera-Hypothese: alles babylonisch?

Seit er vor 110 Jahren aus dem Mittelmeer geborgen wurde, bewegt das ebenso komplexe wie verrottete Maschinchen von Antikythera die Gemüter – und auch die Rekonstruktion des Mechanismus von 2006 (ISAN 28-3) ist womöglich nicht der Weisheit letzter Schluss: Jetzt gibt es schon wieder einen neuen Ansatz, der in dem Apparat im Wesentlichen babylonische Ideen umgesetzt sieht. Und zwar so durchgängig, dass womöglich die Antikythera-Maschine nicht das griechische Bild des Kosmos umgesetzt hat sondern umgekehrt die Griechen ihr Weltbild (inklusive der Idee der Epizykel) aus der Maschine ableiteten. Da aber weder bekannt ist, wer sie baute noch warum, darf wohl erst mal weiter spekuliert werden … (Decoding the Heavens, Nature News 24., Decoding the Heavens 28.11.2010)

Australiens Ureinwohner bauten Eta Carinaes Eruption in ihre Astro-Überlieferung ein

Die Boorong in Victoria taten es jedenfalls: Zum ersten Mal ist damit das Himmelsphänomen des 19. Jh. („Die historische Lichtkurve …“) in einer indigenen Tradition nachgewiesen worden – leider eines Clans, der nicht mehr existiert. (Hamacher & Frew, Preprint 22.10.2010. Auch Papers zu Kometen in der Aboriginal-Astronomie und möglichem Astrosymbolismus in ihren Felszeichnungen. Und zu den grundlegenden Problemen der Ethnoastronomie …)

Wie einfach ist die Reise zu den nächsten Exoplaneten?

Ein amüsantes Paper über das Ärgernis, die Bewohner fremder Welten nicht im Detail sehen zu können („Scharfe Bilder …“), selbst wenn wir einen bewohnten Planeten aufspüren sollten, hat ein Jahr danach zu einem nicht minder inspirierten Schlagabtausch geführt: Ein Fan der interstellaren Raumfahrt hält die Schlussfolgerung für zu pessimistisch, dass man nicht in absehbarer Zeit mit hoher Geschwindigkeit zu einem Exoplaneten fliegen könne; insbesondere werde man mit interstellarem Staub schon fertig. Der ursprüngliche Autor bleibt dagegen skeptisch – und hofft eher darauf, dass uns die Aliens per Funk ein Bild von sich schicken … (Crawford, Preprint 8. vs. Schneider, Preprint 21.10.2010)

Debatte über Saurier-und-Co.-Sterben ohne Ende in Sicht

30 Jahre ist die Hypothese vom großen Impakt vor 65 Myr nun alt, und seit 25 Jahren ist weithin akzeptiert, dass er die Ursache des profunden Artensterbens am Ende der Kreidezeit war – so wurde es dieses Jahr auch in einem vermeintlich finalen Reviewpaper konstatiert. Doch die neuerlichen Zweifel an dem Kausalzusammenhang (siehe z.B. Artikel 749, diese Links und Cosmic Mirror #323) sind nicht ausgeräumt, wie bald darauf Gegenartikeln zu entnehmen war. (Schulte & al., Science 327 [5.3.2010] 1214-8 vs. Archibald & al./Courtillot & Fluteau/Keller & al., Science 328 [21.5.2010] 973-5 vs. Schulte & al., ibid. 975-6; NSF, PSI, Cambridge Univ., UCSD Releases, Uni Erlangen PM 4., PMn der Uni Wien, Humboldt-Uni 5., Berkeley Release 9. vs. FU Berlin PM 19.3.2010. Auch Science 3.9.2010 1140-1 zum Untergang der Hypothese eines Impakts [„Dung-Pilz …“] vor 13’000 Jahren [die Un-Entdeckung des Jahres]) NACHTRAG: Die „Chiemgau-Impakt-Hypothese“ (ISAN 6-7) ist auch vom Fenster – ebenfalls nichts Neues. NACHTRAG 2: dasselbe auf Deutsch. NACHTRAG 3: auch eine Stellungnahme aus Berlin dazu. NACHTRAG 4: und ein technisches Paper wider die Spinner.