Posts Tagged ‘Bücher’

Vor genau 400 Jahren: Galilei geht zur Post …

13. März 2010

Es war entweder am Samstag, dem 13. März 1610, oder dem folgenden Sonntag, als ein Mathematikprofessor in Padua ein kleines Paket zur Post brachte oder einem Boten übergab, auf dass es so schnell wie möglich ins 230 km entfernte Florenz gelangen sollte. Über die genauen Details dieser Versandaktion wird noch diskutiert, so ist der Begleitbrief zwar auf den 13.3. datiert, und immer Samstags ging auch die reguläre Post, aber im Brief heißt es, dass es schon Nacht geworden sei: Vielleicht verließ die Sendung Padua erst am 14.3. per Sonderkurier. Ihren Inhalt freilich kennen wir ganz genau: das erste druckfrische – und dem Vernehmen nach tatsächlich noch feuchte – und nicht einmal gebundene Exemplar eines kleinen astronomischen Büchleins auf Latein, dessen endloser Titel mit den Worten „Sidereus Nuncius“, Sternenbote also, beginnt.

Der erste jemals publizierte Bericht über astronomische Beobachtungen mit einem Fernrohr, die jüngsten vom 2. März, also keine zwei Wochen alt: Absender natürlich der Beobachter und Verfasser Galileo Galilei, Empfänger Belisario Vinta, Sekretär von Cosimo II. de‘ Medici, dem Großherzog der Toskana – in die Galilei (der bis 1592 Lektor für Mathematik in Pisa war, dann aber weggemobbt wurde) unbedingt zurückkehren wollte. Der Sidereus Nuncius war – nicht in erster Linie, aber auch – eine Art Bewerbungsschreiben, was zum gut Teil die enorme Hektik erklärt, mit der das Buch (Bild: ein Exemplar der 1. Auflage, wie es 2009 im Köln zu sehen war) entstand: Galilei wusste, dass sich sein ehemaliger Schüler Cosimo für Naturwissenschaft interessierte, und da sollte ihm keiner zuvorkommen.

Insbesondere hoffte Galilei, mit der Bezeichnung der Jupitermonde (die er in dem Buch mal als „irreguläre Sterne“, häufig auch als „Planeten“ anspricht) als „Cosmi[k]anische Sterne“ seinem erhofften Gönner zu schmeicheln – doch das wollte Vinta wegen der Verwechslungsgefahr mit „kosmisch“ nicht, als ihn Galilei im Februar darüber informiert hatte: „Mediceische Sterne“ wurden es stattdessen, und einige Druckplatten mussten nachträglich korrigiert werden. Den Empfang des ersten Exemplars bestätigte Vinta in einem Brief vom 19. März, nicht aus Florenz übrigens, sondern aus Pisa, wohin sich der Hof im Winter wärmeren Wetters wegen zurückgezogen hatte. An genau diesem Tag – Galilei wartete die Antwort nicht ab – ging schon ein weiteres Paket auf die Reise von Padua in die Toskana: diesmal ein ordentlich gebundenes Exemplar des Sidereus Nuncius, zusammen mit jenem Fernrohr, mit dem er die Jupitermonde beobachtet hatte. Die Mühe lohnte sich bekanntlich: Noch im Herbst 1610 machte Cosimo Galilei zum Hofmathematiker und -philosophen und zum Ersten Mathematikprofessor in Pisa – ohne jede Lehrverpflichtung.

Auch 400 Jahre nach seinem Erscheinen ist der Sidereus Nuncius – halb sorgfältiges Beobachtungsprotokoll, halb (populär gehaltener) wissenschaftlicher Artikel – noch Gegenstand energischer Forschung und angeregter Kontroversen, die sich insbesondere auf die faszinierenden Darstellungen des Mondes beziehen. So vermutete ein deutscher Kunsthistoriker 2007, dass ein ungewöhnliches und lange unbekannt gebliebenes Exemplar des Buches („M-L copy“) mit den Monden in Wasserfarbe statt gedruckt, ein allererster Probedruck sei, in den Galilei eigenhändig die späteren Druckvorlagen gemalt habe, wobei das früheste Bild vom 31.12.1609 stammen müsste. Das passt aber nach noch aktuelleren Untersuchungen eines amerikanischen Astronomiehistorikers und eines Amateurastronomen einfach nicht zur komplizierten Druckgeschichte des Buches. Vor allem auch deswegen, weil sich die einzelnen Mondbilder inzwischen auch astronomisch gut datieren lassen: Sie entstanden zwischen dem 30.11.1609 und 16.1.1610.

So dürfte es sich bei dem kuriosen Wasserfarb-Nuncius erst um eine spätere Fassung jenes kleinen aber bedeutenden Werkes handeln, das vor 400 Jahren die Astronomiegeschichte in ganz neue Bahnen lenkte. Der viel kritisierte unnatürlich große Mondkrater am Terminator (Abb.) ist übrigens kein Teleskop- oder Beobachtungsfehler: Galilei hat hier quasi ein herausvergrößertes Bildchen genommen und aus didaktischen Gründen an der kritischen Terminator-Stelle belassen statt es separat daneben zu stellen. Auf seinen Original-Zeichnungen ist nämlich alles richtig! Quellen u.a.: Gingerich, Galileana [eine italienische Fachzeitschrift nur zu Galilei] VI [2009] 141-165 und Truffa, HASTRO-Mailingliste 3. und 12.3.2010. Einen Originial-Nuncius online gibt es u.a. hier [NACHTRAG: ein anderer] (die Frankfurter Fassung weicht ab), eine ältere englische Übersetzung mit Original-Umbruch hier, eine kommentierte Übersetzung von A. van Helden hier – und das Buch als Blog, Postings 1, 2, 3, 4 und 5. Plus ein Galilei-Quiz der New York Times.

Kosmische Kuriosa kompakt

25. Dezember 2009

2011 ein neues 2-m-Teleskop auf deutschem Boden

Mit Kayser-Threde als Hauptauftragnehmer entsteht derzeit im Auftrag der Ludwig-Maximilians Universität München und dem Staatlichen Bauamt München ein 2-m-Teleskop für das Wendelstein-Observatorium, wo ein betagtes 80-cm-Teleskop bereits weichen musste (und nun in Amateurhand der Wiederauferstehung entgegen sieht). Das neue Teleskop wird eine Weitwinkelkamera zur Abbildung von wenigstens 0.5° des Himmels sowie eine Mehrkanalkamera (optisch und nahes Infrarot) und Spektrographen für mittlere bis hohe Auflösung bekommen; die Übergabe soll 2011 erfolgen. (Kayser-Threde PM 17.12.2009)

Wenn ein Neutrinoteleskop die Meeresforschung voranbringt: Bei Testmessungen zum möglichen akustischen Nachweis von Neutrinos hoher Energie, die durch’s Meer sausen, sind Physiker auf Klicksignale von Pottwalen gestoßen: An jedem zweiten Messtag waren sie da, was durch bekannte Populationen nicht zu erklären ist. Die Daten des Ocean Noise Detection Experiments werden nun von Walforschern ausgewertet – und künftige Neutrinoobservatorien im Ozean werden nicht nur Lichtblitze sondern auch akustische Signale messen. (Nature 3.12.2009 S. 560-1, ScienceBlogs 3.12.2009. Auch DLF 16.12.2009 zur Wiederaufnahme von Neutrinobeobachtungen unter dem Gran Sasso nach dem Erdbeben vom April) NACHTRAG: Ein Jahr später machen die Neutrino-Wale wieder Schlagzeilen …

Großes Wehklagen in der britischen Astronomie

ist ausgebrochen, nachdem das Science and Technology Facilities Council am 16. Dezember seine „Prioritisation 2010-2015“ verkündete, eine 2.4-Mrd.-Pfund-„Investitionsstrategie“ in Forschung in Technologie, bei der einige Astronomieprogramme des U.K. auf der Strecke bleiben. Top-Priorität sollten Programme haben, die britischen Forschern Zugang zu internationalen Spitzeneinrichtungen ermöglichen: Es sollen in den 5 Jahren 639 Mio. in die Weltraumforschung und 267 Mio. in die Astronomie am Boden gesteckt werden. Aber eben nicht alle: Ein „managed withdrawal“ ist u.a. bei den Gemini-Teleskopen (ab 2012), dem UKIRT und Auger vorgesehen. Und auch der astronomische Arbeitsmarkt im U.K. wird gehörig schrumpfen. (STFC Release, Reaktionen von R.A.S. [noch eine], IOP und ING, eine riesige FAQ-Liste, Kommentare von Astronomy Blog, Megan’s Blog, Physics World, Nature Blog, Bad Astronomy, Herschel Blog, In the Dark, SN Condensate, AstroEngine, e-Astronomer, Askew, Left of Centre und Orbiting Frog sowie gesammelte Tweets) NACHTRAG: der Lay Scientist dazu. NACHTRAG 2: die Folgen für … Hawaii.

Sollten wissenschaftliche Papers vor der Veröffentlichung offen diskutiert werden? Mike Brown hat jedenfalls bei seiner Arbeit zu Nebel auf dem Titan die Erfahrung gemacht, dass sein Paper noch erheblich klarer formuliert werden konnte, nachdem er es in seinem Blog dem Volk zum Fraß vorgeworfen hatte. Der ‚offizielle‘ Reviewer war da weniger hilfreich gewesen … (Mike Brown’s Planets 28.11.2009)

Vier primäre Atomuhren in Deutschland tragen zur Weltzeit bei

Bisher waren drei Uhren der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt Mitglied des exklusiven Clubs der primären Caesium-Atomuhren, nun ist eine vierte hinzugekommen: die Caesium-Fontänenuhr CSF2. Ihre Daten werden in diesem Monat erstmals zur Bestimmung von UTC mit berücksichtigt. (PTB PM 16.12.2009)

„Farbe des Universums“ machte wieder mal Schlagzeilen: Die Geschichte ist alt (siehe Artikel 436!), aber weil man sie jetzt eines Astronomy Picture of the Day für würdig befand, war die blass-beige Gesamtfarbe des Kosmos auf einmal wieder „News“ … (Telegraph 2., Cosmic Ray 4.11.2009. Auch der New Scientist 2.12.2009 zur überraschenden „Durchsichtigkeit“ des Alls für hochenergetische Strahlung)

Zehntausende alte Bücher online verfügbar

Abseits aller Copyright-Streiterei hat die Bibliothek der Cornell-Universität über 80’000 bereits für den Eigenbedarf eingescannte Bücher, die vor 1923 gedruckt werden (so dass es „no known copyright restrictions in the United States on the use of the texts“ gibt), frei verfügbar gemacht – darunter auch viele astronomische. Leider fragt die Suchmaske nur nach Autor und Titel; eine Auflistung des vorhandenen Materials nach Themen scheint nicht möglich zu sein. (Cornell Chronicle 15.12.2009)

Ein englisch-französisch-persisches Astronomie-Wörterbuch hat M. Heydari-Malayeri anlässlich des IYA online gestellt – und dafür jede Menge Astro-Begriffe in Farsi erfunden, weil die Sprache nichts Passendes zu bieten habe bzw. nur arabische Lehnworte. (Heydari-Malayeri, Preprint 24.11.2009)

Mit Billig(st)-Ballons bis an den ‚Rand des Weltraums‘

vorzudringen, oder wenigstens eine Kamera deutlich höher über die Erde zu tragen als ein Passagierflugzeug fliegt, ist zu einer regelrechten Sportart geworden – und das bemerkenswerteste Ergebnis erzielte wohl das „Projekt Ikarus“, das am 2. September eine Digitalkamera bis in 30 km Höhe schaffte, bei gerade einmal 150 US-Dollar Materialkosten. Und sogar ein regelrechtes Handbuch für Nachahmer verfasst hat. Später wurde am 15.11. beim Project Dragon ein Kunstwerk auf dieselbe Höhe getragen. (New Scientist 14., On Orbit 21., The Atlantic 22., Space.com 23.9.2009. Auch noch so ein Flug – und ein irres Commercial mit Höhenballon …)

Ballon-Flug zum Mond für’s erste gescheitert: Bei einem Test eines „Rockoons“, der ihm Rahmen eines neuen X Prize eine Rakete mit Mondrover in der Luft starten will, ist das Vehikel im Schwarzen Meer buchstäblich baden gegangen. (Nature Blog, Universe Today 17.11.2009)

Kosmisches Bonner Dreigestirn: 3 Ausstellungen zur Geschichte der Astronomie gleichzeitig

14. Dezember 2009

sind seit dem Wochenende geöffnet, alle inspiriert durch das zuende gehende Internationale Jahr der Astronomie und noch bis ins kommende Jahr hinein zu sehen:

  • Im Deutschen Museum Bonn gibt es bis zum 5. April Bonner Durchmusterungen – Argelander und sein astronomisches Erbe, wo die Astronomie der Mitte des 19. Jahrhunderts lebendig wird. Im Bild links eines der wenigen noch existierenden Heliometer; mit einem fast baugleichen – aber verschollenen – Gerät maß Bessel die erste Fixsternparallaxe. Und rechts der Kometensucher der Bonner Durchmusterung; weitere Impressionen hier, hier, hier, hier und hier sowie in einer Galerie und einem Videoclip.

  • In der Universitäts- und Landesbibliothek Bonn wird bis zum 29. Januar Kosmos im Wandel gezeigt, eine Geschichte der letzten 500 Jahre Astronomie anhand von bedeutenden Büchern, die allerdings überwiegend nur in Faksimile gezeigt werden – eine letzte Chance, mit wertvollen Originalen aus dem Bestand (siehe die Bilder eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben, acht und neun) in Kontakt zu kommen, besteht nur bei einer Sonderführung am 4. Advent. Berichte zur Ausstellung selbst auch hier und hier.

  • Im Frauenmuseum Bonn schließlich werden bis zum 4. April Astronominnen – Frauen, die nach den Sternen greifen präsentiert: in Form großer Poster die Vitae ausgewählter Astronominnen der Vergangenheit und der Gegenwart, dazu jede Menge teils raumgreifende moderne Kunstwerke mit mehr oder weniger erkennbarem Weltraumbezug. Ein paar Impressionen von der ungewöhnlichen Vernissage am Sonntag: Im Kontext der historischen Astronominnen sind auch – diesmal originale – sehr alte Bücher zu sehen und auch ein bisschen Astro-Hardware.
Wem das alles immer noch nicht reicht, der möge bis zum 28. Februar in der Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland James Cook und die Entdeckung der Südsee ansehen: Dort gibt es mehrere Teleskope und Navigationsinstrumente aus seiner Zeit zu bestaunen. NACHTRAG: Festrede zur Eröffnung der 3. Ausstellung – mit Bildern dieses Bloggers.