In ziemlich genau einem Jahr sollte die Welt der Astronomie mit einem Schlag eine völlig andere werden: Noch im Sommer 2016 wird voraussichtlich der erste von mehreren Sternkatalogen des Gaia-Projekts veröffentlicht, mit den bereits extrem genauen Positionen und Gesamthelligkeiten von rund 1.5 Milliarden Sternen der Milchstraße. Denn trotz allerlei anfänglichen Schwierigkeiten („Brillianter Vortrag …) arbeitet der Astrometrie-Satellit der ESA jetzt so gut, dass er mit einer Grenzgröße von 20.7 mag. noch einmal 50% mehr Sterne erreichen wird als geplant war. Und es sieht nun so aus, dass er den Ort eines 15-mag.-Sterns am Himmel am Ende auf 20 bis 25 Mikrobogensekunden genau angeben können wird. Diese erfreuliche Kunde gab es vorgestern in Kiel („Die letzte AG-Tagung vor der Veröffentlichung des ersten Gaia-Katalogs“) in einem Splinter-Meeting der AG-Tagung zu hören, auf dem sich Astronomen detailliert auf die kommende Datenflut vorbereiten konnten: Oben sieht man links den Großvater von Gaia, Erik Høg („Im Splintermeeting H …“), vorne ein Modellchen des Satelliten aus dem ARI in Heidelberg und rechts Toni Sagrista bei seinem Vortag über die Visualisierung der Gaia-Daten. Denn mit denen sinnvoll umzugehen, ist eine Herausforderung auch an die Informatik.
Die Zahlen sind in jeder Hinsicht beeeindruckend: Von einer guten Milliarde Sternen soll Gaia am Ende – der abschließende Katalog wird frühestens 2022 erwartet – Positionen, Eigenbewegungen, Parallaxen, Helligkeiten in zwei Farben, Spektren geringer Auflösung und mehr liefern, dazu detaillierte Spektren von 50 bis 100 Mio. Sternen. 50-mal genauer als bei seinem Vorgänger Hipparcos (dem Satelliten, nicht dem griechischen Astronomen natürlich) wird die Ortsgenauigkeit sein, und 10’000-mal empfindlicher ist er, mit 10’000-mal mehr Sternen. Und während Hipparcos nur stur einen Input-Katalog abarbeiten konnte, findet Gaia alles selbst und wird auch zur Entdeckungsmaschine: Man rechnet mit am Ende 5 Mio. neuen Quasaren, 1-10 Mio. Galaxien, 100 Mio. Doppelsternen, 400’000 Weißen Zwergen, 50’000 Braunen Zwergen, 50’000 Exoplaneten-Systemen (die sich durch die Ablenkung der Sterne in der Himmelsebene verraten) und 100’000 Asteroiden. Um mit dem kommenden Gaia-Katalog schon mal üben zu können, hat die ESA mit dem Gaia Object Generator einen Fake-Katalog erzeugt, auf den über das Table Access Protocol hier zugegriffen werden kann, mit der Datenbank-Sprache ADQL, die speziell für astronomische Anwendungen entwickelt wurde. Und spätestens in der Gaia-Ära sollte man sich wirklich mal mit dem German Astrophysical Virtual Observatory vertraut machen, dem Zugang zur astronomischen Datenflut des 21. Jahrhunderts.
Der Satellit ist nun seit gut einem Jahr im Routine-Betrieb, und die drei großen Probleme, die bei der Inbetriebnahme 2014 entdeckt worden waren, sind entweder gelöst oder so gut verstanden, dass man damit leben kann. Das Verschmutzungsproblem der Optik ist nach vier Erhitzungszyklen weitgehend verschwunden und scheint nicht mehr wieder zu kommen. Bei dem sehr ärgerlichen Streulicht weiß man jetzt, dass es von einzelnen Gewebefasern des Sonnenschilds stammt, die ein bisschen über den Rand hinaus ragen und das Sonnenlicht verblüffend effizient um den Schild herum in die Optik streuen (man wusste schon vor dem Start von den Fasern, hielt sie aber für nicht störend genug, um ein Kontaminationsrisiko beim Abschnippeln einzugehen). Und die periodische Variation des Basic Angles zwischen beiden Teleskopen Gaias ist zwar mit 1 mas statt 4 µas schockierend groß aber andererseits so regelmäßig, dass sie fast perfekt modelliert werden kann. Und so kann die Gaia Astrometric Global Iterative Solution (AGIS) ihre Arbeit tun, die Stern-Entfernungen in 40 parsec auf 1 Promille und in 4 kpc auf 10% genau liefern soll. Als spektakuläres „Abfallprodukt“ der Mission gibt es schon jetzt mit der „Gaia Sandbox“ einen tollen Online-Simulator des Satelliten wie des Kosmos für den Outreach, wobei aber empfohlen wird, die Standalone-Version lokal laufen zu lassen.