Posts Tagged ‘Gaia’

Bald kommt die Flut der 1.5 Milliarden Sterne

19. September 2015

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In ziemlich genau einem Jahr sollte die Welt der Astronomie mit einem Schlag eine völlig andere werden: Noch im Sommer 2016 wird voraussichtlich der erste von mehreren Sternkatalogen des Gaia-Projekts veröffentlicht, mit den bereits extrem genauen Positionen und Gesamthelligkeiten von rund 1.5 Milliarden Sternen der Milchstraße. Denn trotz allerlei anfänglichen Schwierigkeiten („Brillianter Vortrag …) arbeitet der Astrometrie-Satellit der ESA jetzt so gut, dass er mit einer Grenzgröße von 20.7 mag. noch einmal 50% mehr Sterne erreichen wird als geplant war. Und es sieht nun so aus, dass er den Ort eines 15-mag.-Sterns am Himmel am Ende auf 20 bis 25 Mikrobogensekunden genau angeben können wird. Diese erfreuliche Kunde gab es vorgestern in Kiel („Die letzte AG-Tagung vor der Veröffentlichung des ersten Gaia-Katalogs“) in einem Splinter-Meeting der AG-Tagung zu hören, auf dem sich Astronomen detailliert auf die kommende Datenflut vorbereiten konnten: Oben sieht man links den Großvater von Gaia, Erik Høg („Im Splintermeeting H …“), vorne ein Modellchen des Satelliten aus dem ARI in Heidelberg und rechts Toni Sagrista bei seinem Vortag über die Visualisierung der Gaia-Daten. Denn mit denen sinnvoll umzugehen, ist eine Herausforderung auch an die Informatik.

Die Zahlen sind in jeder Hinsicht beeeindruckend: Von einer guten Milliarde Sternen soll Gaia am Ende – der abschließende Katalog wird frühestens 2022 erwartet – Positionen, Eigenbewegungen, Parallaxen, Helligkeiten in zwei Farben, Spektren geringer Auflösung und mehr liefern, dazu detaillierte Spektren von 50 bis 100 Mio. Sternen. 50-mal genauer als bei seinem Vorgänger Hipparcos (dem Satelliten, nicht dem griechischen Astronomen natürlich) wird die Ortsgenauigkeit sein, und 10’000-mal empfindlicher ist er, mit 10’000-mal mehr Sternen. Und während Hipparcos nur stur einen Input-Katalog abarbeiten konnte, findet Gaia alles selbst und wird auch zur Entdeckungsmaschine: Man rechnet mit am Ende 5 Mio. neuen Quasaren, 1-10 Mio. Galaxien, 100 Mio. Doppelsternen, 400’000 Weißen Zwergen, 50’000 Braunen Zwergen, 50’000 Exoplaneten-Systemen (die sich durch die Ablenkung der Sterne in der Himmelsebene verraten) und 100’000 Asteroiden. Um mit dem kommenden Gaia-Katalog schon mal üben zu können, hat die ESA mit dem Gaia Object Generator einen Fake-Katalog erzeugt, auf den über das Table Access Protocol hier zugegriffen werden kann, mit der Datenbank-Sprache ADQL, die speziell für astronomische Anwendungen entwickelt wurde. Und spätestens in der Gaia-Ära sollte man sich wirklich mal mit dem German Astrophysical Virtual Observatory vertraut machen, dem Zugang zur astronomischen Datenflut des 21. Jahrhunderts.

Der Satellit ist nun seit gut einem Jahr im Routine-Betrieb, und die drei großen Probleme, die bei der Inbetriebnahme 2014 entdeckt worden waren, sind entweder gelöst oder so gut verstanden, dass man damit leben kann. Das Verschmutzungsproblem der Optik ist nach vier Erhitzungszyklen weitgehend verschwunden und scheint nicht mehr wieder zu kommen. Bei dem sehr ärgerlichen Streulicht weiß man jetzt, dass es von einzelnen Gewebefasern des Sonnenschilds stammt, die ein bisschen über den Rand hinaus ragen und das Sonnenlicht verblüffend effizient um den Schild herum in die Optik streuen (man wusste schon vor dem Start von den Fasern, hielt sie aber für nicht störend genug, um ein Kontaminationsrisiko beim Abschnippeln einzugehen). Und die periodische Variation des Basic Angles zwischen beiden Teleskopen Gaias ist zwar mit 1 mas statt 4 µas schockierend groß aber andererseits so regelmäßig, dass sie fast perfekt modelliert werden kann. Und so kann die Gaia Astrometric Global Iterative Solution (AGIS) ihre Arbeit tun, die Stern-Entfernungen in 40 parsec auf 1 Promille und in 4 kpc auf 10% genau liefern soll. Als spektakuläres „Abfallprodukt“ der Mission gibt es schon jetzt mit der „Gaia Sandbox“ einen tollen Online-Simulator des Satelliten wie des Kosmos für den Outreach, wobei aber empfohlen wird, die Standalone-Version lokal laufen zu lassen.

‚Global Precipitation Measurement‘ gestartet

28. Februar 2014

Global Precipitation Measurement (GPM) Mission

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Der japanisch-amerikanische Niederschlags-Forscher GPM Core Observatory ist in der vergangenen Nacht in Japan auf einer H-IIA gestartet, die betagte Tropical Rainfall Measurement Mission (TRMM) von 1997 abzulösen: NASA, JAXA und JPL Releases, eine Langzeit-Belichtung, ein Video, ein weiteres Standbild daraus, ein Live-Blog mit mehr Bildern, Artikel hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier und hier, Vorschauen hier, hier und hier und mehr Links. Und auf derselben Rakete war auch der Space Tethered Autonomous Robotic Satellite-2 mit einem Experiment zur Raumschrott-Bekämpfung (mehr, mehr und mehr) mit einem stromführenen Seil.

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Ein Blick über den Aufschluss „Junda“ auf den Aeolis Mons

mit Curiositys Navcam am 19. Februar (Sol 548 der MSL-Mission): Dieses geschichtete Gestein war den Planern schon aus dem Orbit aufgefallen, da kann man ja mal gucken. Auch weitere Sorgen um den Mars Express wegen des Kometen, ein erfolgreicher Relais-Test mit MAVEN, der russische Beitrag zu JUICE, die dritte Nacht von Yutu und Chang’e-3, die erste Kometen-Entdeckung des wieder erweckten WISE-Satelliten, die Höhepunkte von 10 Jahren Rosetta, die Helligkeit von Gaia während der Drehmanöver mit dem Satelliten, mal wieder SoFis für das SDO – und die laufenden Startvorbereitungen für Sentinel-1A in Kourou.

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Die letzten der vielen Nanosatelliten haben die ISS verlassen, und nach dem Abschluss dieser Operation wird nun das Ende der Expedition 38 am 10. März vorbereitet. Unten noch mehr ISS-Polarlicht nebst Venus, auch neue µg-Möglichkeiten für die ISS, wie es Menschen daselbst ergeht, Erinnerungen an den SuitSat, Fortschritte bei den kommerziellen ISS-Zubringern – und eine kuriose Erde-Venus-Mars-Erde-Flugbahn, die 2021-23 möglich wäre und ein kurioses Hearing verursacht hat: Statements hier und hier, Artikel hier, hier und hier und Testimony hier und hier. NACHTRAG: ein weiteres Statement und Artikel hier und hier.

Das ist mal ein Lichtecho: der Nebel um RS Pup

17. Dezember 2013

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Die periodischen Helligkeitsschwankungen dieses Cepheiden zeichnen ein Muster auf den Nebel um diesen instabilen Stern, das sich ständig nach außen bewegt – und das Hubble im Detail „gefilmt“ hat.

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Der Helix-Nebel, umgeben von Asteroiden-Spuren, auf einem Stack von IR-Aufnahmen des WISE-Satelliten von 2010 als Ketten gelber Pünktchen zu erkennen – bald nimmt der Satellit seine Asteroiden-Suche wieder auf.

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Galaxien-Durcheinander, wiederum von Hubble: Die helle Galaxie NGC 1190 rechts gehört zur Hickson Compact Group 22, deren andere vier Mitglieder aber außerhalb des Bildfelds stehen, während die Galaxien weiter links nicht dazu gehören.

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Noch anderthalb Tage bis zum Start des Satelliten Gaia

Hier wird er – bereits in der Nutzlastverkleidung eingeschlossen – gerade auf die Soyuz-Rakete montiert, die bereits senkrecht auf der Startrampe steht: weitere Press Releases hier, hier und hier, aktuelle Bilder hier und hier, laufende Updates, eine Infografik, technische Papers hier, hier, hier, hier und hier, Artikel hier und hier – und hier wird der Start übertragen. Auch ein Paper mit neu analysierten Planck-Daten: Das würde die Widersprüche zu anderen kosmologischen Messungen reduzieren, ist aber selbst auch wieder umstritten. Vom Röntgensatelliten Swift gibt es nun einen Katalog mit 150’000 Quellen, rund 100’000 davon neue Entdeckungen, von Chandra & XMM-Newton Beobachtungen an zwei Vorgängern von AM-CVn-Systemen. Und der SDO wird langsam alt – es gibt keine 450-nm-Bilder mehr (aber noch genug andere Farben).

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Der Kleinplanet Vesta mal ganz in bunt: Zwar fand die Sonde Dawn eine im Wesentlichen graue Oberfläche vor, aber man kann ja mal an der Farbsättigung drehen und mit den 7 Farbfiltern kreativ werden, wie hier um den Krater Aelia. Auch Indiens MOM als Hit im Internet, wenn auch oft mit falschen Seiten, Erinnerungen an Juno bei der Erde, der kürzlich gestartete FIREBIRD (Focused Investigations of Relativistic Electron Burst Intensity, Range, and Dynamics) zur Untersuchung ihrer Strahlungsgürtel, mit dem Solar Ultra-Violet Imager (SUVI) ein wichtiges Instrument für GOES-R – und erst mal kein Cygnus zur ISS mit ihren Kühlungsproblemen. NACHTRAG: Die Verschiebung ist bestätigt – dafür gibt’s drei EVAs am 21., 23. und 25. Dezember; Artikel hier, hier, hier, hier, hier, hier und hier und mehr Links.

Der Satellit Gaia ist fertig: Start am 25. Oktober?

27. Juni 2013

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Der nächste große Astronomiesatellit der ESA, der Hipparcos-Nachfolger und Astrometrie-Satellit Gaia, ist fertig getestet und kann Europa verlassen: Wann er in Kourou starten soll, darüber wird weiter ein großes Geheimnis gemacht – aber heute wurde der 25. Oktober genannt, was aber seitens Arianespace aber noch nicht bestätigt worden ist [NACHTRAG: mehr Bilder]. Und ein kurzer Talk über den ESA-Satelliten Euclid, der von Thales Alenia Space gebaut wird (und Neutrino-Forschung).

Der nächste Astronomiesatellit soll aber heute Nacht starten, der Interface Region Imaging Spectrograph der NASA, dessen Pegasus-Abwurf wegen eines Stromausfalls in der Vandenberg AFB in Kalifornien um einen Tag auf 4:27 MESZ kommende Nacht verschoben wurde – jetzt ist aber alles go: der Status, ein Press Release aus Montana zum Sinn des Ganzen, eine IRIS-Broschüre, die Aufzeichnung einer früheren PK und weitere Artikel hier, hier, hier, hier, hier und hier [NACHTRÄGE: noch ein Artikel – und Updates hier, hier und hier]

Das Sterilisieren von Marslandern macht keinen Sinn

So argumentieren zwei Exobiologen: Es seien eh schon reichlich Erdbakterien via Meteoriten zum Mars gereist, dann könne man das viele Geld für die Sterilisierung von Marslandern besser in leistungsfähigere Technik oder mehr Missionen investieren. Heftigen Widerspruch gibt es aber auch schon. [NACHTRAG: noch ein Artikel] Auch eine bevorstehende Entscheidung über das Fahrgestell des Marsrovers von ExoMars 2018 und Unterstützung der NASA für den indischen Marsorbiter dieses Jahr durch das Deep Space Network.

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Wie der große Sturm auf dem Saturn funktionierte, den Cassini 2010/11 beobachtete, ist in Computermodellen nachvollzogen worden: Er begann demnach 300 km über den sichtbaren Wolken und zog große Mengen feuchte Gase in die Höhe. Ein Grund mehr, dem Planeten zuzuwinken: eine neue Seite für das Rahmenprogramm für die große Cassini-Show am 19. Juli.

Ein kurioser japanischer Roboter fliegt auf die ISS, wo er sich mit Astronauten unterhalten soll – allerdings kann der wunderliche „Kirobo“, den ein weiterer Roboter begleitet, nur Japanisch … Und noch was Ernsthaftes von der ISS: In diesem CERN-Hangout – scheint der letzte Schrei in Wissenschafts-Kommunikation zu sein – über Dunkle Materie spielt das AMS-Experiment daselbst ab Minute 9 mit.

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Jede Menge Qualm weht(e) über Singapur als Folge von illegalen Wandbräden auf Sumatra, hinter denen Palmöl-Plantagen stecken sollen: ein Bild des Satelliten Aqua vom 19. Juni; Aufnahmen aus dem Weltraum gehörten zur Beweisführung.

Noch kurz gemeldet: Gleich 28 Nanosatelliten auf einer Rakete sollen beim ersten Cargo-Flug der Antares zur ISS dabei sein: der „Flock-1“ zur Erdbeobachtung. / Die TWINS-Satelliten sind schon 5 Jahre im All, in denen die beiden die Erdmagnetosphäre in 3D erkundeten. / Eine Deep Space Atomic Clock wird auf dem Satelliten OTB in den Orbit gebracht. / Ein paar Erkenntnisse der Radioastron-Mission mit Spektr-R. / Und Forschung auf einer Suborbital-Rakete zu kritischen Phasen der Planetenbildung.

Nachrichten von Weltraum-Teleskopen kompakt

16. Juli 2011

Der 4 Lichtjahre lange „Schweif“ des Pulsars PSR J0357+3205 auf einer Chandra-Aufnahme vor einem optischen Bild der Digital Sky Survey (der Neutronenstern sitzt o.r.; die beiden hellen Objekte ‚im‘ Schweif u.l. sind extragalaktisch): Welche Physik dahinter steckt, ist nicht klar.

Der Protoplanetare Nebel Minkowski 92 alias IRAS 19343+2926 alias Minkowskis Fußabdruck auf einer alten HST-Aufnahme (noch mit der WFPC2): Da der Zentralstern noch keine heiße Quelle von UV-Photonen geworden ist, sehen wir den Nebel nur in seinem reflektierten Licht; zur Anregung von Emission reicht’s noch nicht. Aber bald.

Der Dust Trail des Kometen 103P/Hartley (2) ist erstmals bei der Himmelsdurchmusterung des Satelliten WISE in Erscheinung getreten (bei 4.6 bis 22 µm): Er besteht aus besonders großen Staubteilchen, bis zur Größe von Golfbällen, die in der Kometenbahn zurück bleiben und hat eine Gesamtmasse von mindestens 40 Mio. Tonnen.

Monster-Satellit James Webb Space Telescope auf der Abschussliste des US-Kongresses

„Das Komitee glaubt, dass [die Streichung des JWST] der NASA letzten Endes nutzen wird, indem sie ein gutes Beispiel der Kosten-Disziplin für andere Projekte setzt und den enormen Druck beseitigt, den das JWST auf die Möglichkeiten der NASA ausübte, anderen wissenschaftlichen Missionen nach zu gehen.“ Also sprach das Committee on Appropriations des US-Abgeordnetenhauses in der COMMERCE, JUSTICE, SCIENCE, AND RELATED AGENCIES APPROPRIATIONS BILL, 2012 (auf Seite 72) – und der entsprechende Ausschuss lehnte am 14. Juli den Antrag ab, das JWST wieder ins Programm auf zu nehmen. Der riesige Aufschrei, der seit dem Bekanntwerden der House-Pläne zur Beendigung des – finanziell und terminmäßig weit aus dem Ruder gelaufenen – JWST-Projekts am 6. Juli durch die astronomische Welt gegangen war (angeführt von AURA und AAS), hatte die republikanische Mehrheit dort nicht beeindruckt. Vielleicht schon nächste Woche, vielleicht auch erst nach der Sommerpause, wird das gesamte Abgeordnetenhaus über den CJS-Haushalt beraten, und auch da sieht es nicht rosig aus.

Eine Kürzung des NASA-Haushalts für 2012 um 1.9 Mrd.$ gegenüber den Wünschen des Weißen Hauses – was ihn noch unter das Niveau von 2008 drücken würde – scheint den „Washingtoner Geiern“ wohl gar zu verlockend. Viele Hoffnungen der JWST-Befürworter – die argumentieren, ohne den großen Infrarotsatelliten stießen bald weite Bereiche der Astronomie an ihre Grenzen, und auf die zu 75% mehr oder weniger fertige Hardware wie die gerade fertig geschliffenen Segmente des Hauptspiegels und schon 3 Mrd. ausgegebene Dollars verweisen – ruhen daher auf dem demokratisch kontrollierten Senat, wo sich insbesondere Barbara Mikulski trotz aller – u.a. auf ihr Betreiben hin überhaupt erst bekannt gewordenen – Probleme für das JWST stark gemacht hatte. Wenn das House so und der Senat anders entscheiden sollten, wäre es an einer Konferenz, eine Lösung zu finden. Unterdessen scheinen die Kostenschätzungen für das JWST auf 7.8 bis 8 Mrd.$ gestiegen zu sein – aber die NASA glaubt weiterhin, einen Start im Oktober 2018 schaffen zu können – wenn das Geld jetzt reichlich fließen würde. In Europa wird man jedenfalls nach dem alten Plan pünktlich die versprochenen JWST-Instrumente fertig stellen: Das künstlich zu verzögern, würde nämlich extra kosten … (Links auch im Cosmic Mirror #343!)

Früher war alles besser bei der Langzeitplanung

von Weltraum-Observatorien, beklagen sich zwei Architekten des „Horizon 2000“-Programms der ESA: 1985 beschlossen, sei es 2009 mit nur 2 Jahren(!) Verspätung abgeschlossen worden, und keines der drei Großprojekte (Cornerstones) SOHO, Cluster, Rosetta, XMM-Newton und Herschel war je ernsthaft in Gefahr, ja sogar den Nachbau der Clusters nach dem Totalverlust beim 1. Ariane-5-Start konnte man verschmerzen. Das sei so gut gegangen, weil die Cornerstones erst dann die Realisierungsphase eintreten durften, als die nötige Technologie zur Verfügung stand und die Anforderungen an die Mission eingefroren waren: Das verhinderte exorbitante Kostenexplosionen wie nun gerade beim JWST. Zwar wussten die beteiligten Wissenschaftler lange nicht, wann sie starten würden, dafür konnten sie sich aber darauf verlassen, dass ein einmal gestartetes Projekt nicht mehr bedroht würde. Einen derart idyllischen Zustand hatten die amerikanischen Kollegen noch nie, schon wegen des jedes Jahr neu in Frage gestellten Haushalts, aber auch in Europa laufe es nicht mehr so rund. Eine globale Langzeitplanung für die großen Sternwarten im Weltraum – inklusive der gemeinsamen Festlegung von Prioritäten beiderseits des Atlantik (und gerne auch in Asien und Südamerika) sei nun dringend erforderlich, und tatsächlich ist eine globale ‚Roadmap‘ bereits in Arbeit. (Bonnet & Bleeker, Science 333 [8.7.2011] 161-2)

Neuer russischer Astro-Satellit startet … übermorgen!

Man traut es sich kaum hin zu schreiben, aber der russische Astronomiesatellit Spektr-R – die ersten Starttermine lagen schon um 2004 – steht tatsächlich auf der Startrampe in Baikonur und soll in der Nacht zum 18. Juli um 4:31 MESZ auf seiner Zenit-3SLBFSBM abheben – wobei kurioserweise Amateurastronomen zur optischen Bahnverfolgung aufgerufen sind. Ausgestattet mit einer 10 m großen Radioantenne soll Spektr-R im Rahmen des internationalen RadioAstron-Projekts zusammen mit Radioteleskopen auf der Erde VLBI mit besonders großen Basislinien für besonders hoch aufgelöste Beobachtungen ermöglichen: Spektr-R soll auf einer hoch elliptischen Bahn landen, die bis zu 350’000 km Abstand zwischen seiner und einer irdischen Antenne realisiert, was sich in einer Winkelauflösung von Mikrobogensekunden niederschlägt! Auch das Effelsberger 100-m-Teleskop soll Teil dieses Experiments werden. (Roskosmos Press Releases 16.7., 10.7.2011; New Scientist 16.7., ITAR-TASS 24., Space News 17.6.2011)

Die riesige Kamera des Gaia-Satelliten ist fertig, ein 50 cm x 1 m großes Feld aus 106 CCD-Chips, die zusammen die größte Digitalkamera bilden, die je für einen Satelliten entwickelt wurde. Der Start des Astrometrie-Satelliten der ESA ist weiterhin für 2013 geplant: Im Lagrangepunkt 2 (1.5 Mio. km ‚hinter‘ der Erde) stationiert, wird er mit zwei gegeneinander versetzten Teleskopen ständig den Himmel abscannen, wobei die Bilder der Sterne über die Fokalebene mit den 106 CCDs sausen: Ein relatives Netz ihrer Positionen mit ungeheurer Präzision und zahllosen Anwendungen quer durch die Milchstraße ist das Ziel. (ESA Release 6.7.2011)

Der LISA Pathfinder darf trotz Problemen weiter machen

Auch wenn die Zukunft des eigentlichen LISA-Projekts eines gewaltiges Detektors für Gravitationswellen im Orbit nach dem Ausstieg der USA ziemlich unklar ist: Das Science Programme Committee der ESA hat sich entschieden, den Technologiedemonstrator LISA Pathfinder trotzdem fertig zu stellen und 2014 zu starten. Denn die Schlüsseltechnologie, die er unter Weltraumbedingungen testen soll, die ultrapräzise ‚Aufhängung‘ von Probemassen im Raum, wäre auch für andere Projekte interessant: Sie ist etwa eine Größenordnung besser als das drag-free control system, das der Satellit GOCE zur Vermessung des Erdschwerefelds einsetzt. (Space News 23.6.2011. Auch eine ESA-Seite und Science Blogs 6.6.2011 zum Status von LISA)

Weltraumsensoren auf dem Vegetationssatelliten Proba V bilden das Energetic Particle Telescope (EPT): Während das Hauptinstrument des im Frühjahr 2012 startenden kleinen ESA-Satelliten die Überwachung der Erd-Vegetation des entsprechenden Sensors auf Spot-5 übernehmen soll, kümmert sich das EPT um die Teilchen-Situation im erdnahen Raum, die mit der nun wieder ansteigenden Sonnenaktivität interessanter werden dürfte. (ESA Release 17.6.2011. Und ein ESA Release 30.6.2011 zur Rettung eines Cluster-Instruments mit einem „schmutzigen Hack“)

Nachrichten von Weltraumteleskopen kompakt

4. November 2010

Kosmologie-Satellit WMAP nach neun Jahren stillgelegt

Am 20. August nahm die Wilkinson Microwave Anisotropy Probe ihre letzten Daten auf, am 9. September schickte sie ein letztes Bahnmanöver in eine Parkbahn, und am 6. Oktober hatte die NASA die geniale Idee, das auch mal der Welt mitzuteilen (auf der Homepage war die Abschaltung der Nutzlast auch danach nicht erwähnt worden). Für die Auswertung der Daten ist noch bis 2012 Geld da, so dass es eine Komplettanalyse aller 9 Messjahre geben wird; die ersten 7 sind bereits verarbeitet. (NASA Release, Spaceflight Now 6., Cosmic Variance 8., Space Today 10., Nature 13.10.2010) NACHTRAG: Überzeugende Evidenz für ein zyklisches Universum steckt übrigens nicht in den WMAP-Karten.

WISE darf trotz Erwärmung noch ein bisschen weiter machen: Überraschenderweise hat die NASA dem IR-Satelliten, dessen Kühlmittel vor einen Monaten zuende gegangen war („Die Aufwärmung …“), noch ein paar Monate Messzeit mit den beiden kurzwelligsten Detektoren zugebilligt. Genutzt wird das für die „NEOWISE Post-Cryogenic Mission“, die Vervollständigung der 2. Himmelsdurchmusterung speziell auf der Suche nach sich bewegenden Objekten: Kleinplaneten aber auch sonnennahen Braunen Zwergen. Bislang hat WISE 19 Kometen und über 33’500 Asteroiden entdeckt, davon 120 NEAs. Jeder Monat Verlängerung kostet rund 400’000$. (JPL Release, Planetary Society Blog 4., Space News 5.10.2010)

Hauptspiegel für Astrometriesatellit GAIA geliefert

In genau zwei Jahren soll der ESA-Satellit („Astrometrie-Satellit Gaia …“) auf einer Soyuz-Fregat starten, und entscheidende Bauteile finden sich nun ein: darunter auch am 3. September der erste der beiden Hauptspiegel; der zweite sollte im Oktober folgen. Gaia benutzt zwei identische Teleskope (mit zusammen der 11-fachen Lichtsammelfläche des Vorgängers Hipparcos), deren Bilder zusammen geführt werden, um extrem genaue relative Astrometrie zu ermöglichen. Hofft man. (ESA Release 13.9.2010) NACHTRAG: noch mehr ESA-Jubel aus dem Testprogramm.

Fortschritte beim, Sorgen um und Angst vor dem James Webb Space Telescope: Während kritische Bauteile des JWST („Eine neuerliche Startverschiebung …“) wie der Instrumententräger Integrsted Science Instrument Module aus einem eigens entwickelten Werkstoff oder das riesige Sonnensegel getestet werden, ist immer noch nicht klar, was das immens komplexe Weltraumteleskop eigentlich am Ende kosten wird und ob es tatsächlich 2014 starten kann. Und es gilt mit seinem enormen Finanzbedarf bereits als das „Teleskop, das die Astronomie fraß“ … (Nature 28.10.2010 S. 1028-30; NASA, GSFC Releases 28., STFC, ESA Releases 30.9., NASA Release 8.10.2010)

Optical Metrology System des LISA Pathfinder getestet

Bevor sich ESA und NASA eines Tages – vielleicht – an den aus drei Satelliten bestehenden Gravitationswellendetektor LISA (Laser Interferometer Space Antenna) wagen werden, soll der LISA Pathfinder erst einmal das entscheidende Messprinzip im Weltraum demonstrieren: Per Laser ist die Distanz zwischen zwei frei schwebenden Testmassen im Inneren des Satelliten zu messen. Im Laborversuch hat sich das Verfahren nun bewährt: Der Abstand zweier Spiegel wurde Picometer-genau und ihre Verkantung mit Nanoradian-Präzision bestimmt. Das geht zwar auf der Erde sogar noch genauer, aber dies ist der erste derartige Aufbau, der in den Weltraum geschickt werden kann. (ESA Release 21.10.2010. Auch ein UKSA Release zu weiteren Tests)

Nachrichten aus der Weltraumforschung kompakt

1. Juli 2010

Der Marsrover Opportunity sieht den Rand des Kraters Endeavour immer deutlicher, und man hat bereits mit der Taufe einzelner Features am Kraterrand begonnen, nachdem ein Superresolution-Bild neue Details des 13 km entfernten Randes enthüllt hat.

Eins von vier Reaktionsrädern auf Dawn macht Ärger

und wurde am 17. Juni automatisch abgeschaltet, nachdem die Reibung zu stark geworden war. Die anderen drei arbeiten einwandfrei, und den Besuchen von Vesta und Ceres soll nichts im Wege stehen – schließlich werden nur 3 benötigt. Die Reaktionsräder, die zur räumlichen Ausrichtung der Sonde dienen, waren am 15. Juni nach dem Upload neuer Software hochgefahren worden. (Dawn Journal 27., Mission Status Update 29., AW&ST Blog 30.6.2010. Auch Novosti zu internationalen Gesprächen über Asteroidenabwehr und frühere – bizarre/fehlerreiche – Artikel von Evangelisch, Neues Deutschland, Allgemeine Zeitung (Windhoek) und Bayr. Rundfunk zu Asteroiden-Ängsten sowie der Spiegel zum Projekt Asteroid Finder)

Voyager 2 ist jetzt 12’000 Tage unterwegs, fast 33 Jahre, hat über 21 Mrd. km im Sonnensystem zurückgelegt und ist 14 Mrd. km von der Sonne entfernt – nur Voyager 1 ist noch weiter, da diese Sonde (die kurz nach Voyager 2 startete) keinen Umweg über den Saturn machte. (JPL Release 28.6., New Scientist Gallery 1.7.2010. Auch BBC zur geplanten Jupiter/Europa-Mission)

Astrometrie-Satellit Gaia in ernsten Schwierigkeiten

Die Positionen, Parallaxen und Eigenbewegungen von einer Milliarden Sternen in der Milchstraße soll der ESA-Satellit messen, dessen Start für 2012 vorgesehen ist – aber die Ingenieure mühen sich noch immer, ein fundamentales Problem mit den CCDs seiner Kameras anzugehen: Einschläge energiereicher Protonen von der Sonne, die solche Detektoren normalerweise abkönnen, können den Ausleseprozess der Sternbilder in einer Weise sabotieren, dass es nichts mit der angestrebten Positionsgenauigkeit weit jenseits von Hipparcos wird. Das Problem (das ein aktueller ESA Press Release nur beiläufig streift) ist schon seit einem Jahrzehnt bekannt und hat im Projekt schon zu erheblichem Ärger geführt – prinzipielle Gegenmaßnahmen scheinen unmöglich, und ob man des Problems durch Kalibrationsmaßnahmen Herr werden kann, zeigt sich vielleicht erst nach dem Start. (ESA Release 29., Physics World 30.6., Nature Blog 1.7.2010) NACHTRAG: Die UKSA sagt nix.

Eine neuerliche Startverschiebung des James Webb Space Telescope auf Oktober 2014 dürften weitere Tests verursachen, die das JWST Standing Review Board im April empfohlen hat – und es könnte sich sogar noch länger hin ziehen, wenn die NASA nicht mehr als die z.Z. für 2011 vorgesehen 445 Mio.$ für das 5-Mrd.$-Weltraumteleskop freigibt … (Space News 14.5.2010. Auch ein großer AW&ST-Artikel, Bilder von ISIM-Tests und NIRSpec – und ein Zeitrafferfilm vom Aufbau eines JWST-Modells im Central Park in New York) NACHTRAG: Und das JWST wird wohl schon wieder teurer – bloß um wieviel?