Posts Tagged ‘Galilei’

Das Semikolon der Inquisition – wieder gefunden

9. März 2014

semikolon

Am 24. Februar 1616 begann eine lange Talfahrt des gerade aufkommenden heliozentrischen Weltbildes in Europa: Eine von der Inquisition eingesetzte Theologen-Komission lieferte eine Beurteilung der kopernikanischen Weltsicht ab, die keine Fragen offen ließ. „Omnes dixerunt dictam propositionem esse stultam et absurdam in Philosophia; et formaliter haereticam, quatenus contradicit expresse sententiis sacrae scripturae in multis locis,“ steht auf dem unscheinbaren Zettel (im vatikanischen Geheim-Archiv und oben) über die Sonne als ruhendes Zentrum des Kosmos zu lesen, also „alle sagen, dass diese Behauptung wissenschaftlich töricht und absurd ist, und formell ketzerisch, da sie den Worten der heiligen Schrift an vielen Stellen eindeutig widerspricht“, und das gleiche gelte für die sich bewegende und drehende Erde. Kurioserweise ist dieser Schlüsselsatz aber in den vergangenen vier Jahrhunderten häufig mit falscher Interpunktion wiedergegeben worden – die die Begründung der angeblichen Dummheit des Heliozentrismus auf bedeutsame Weise verzerrt.

Zwar waren die Regeln für die Zeichensetzung damals nicht wirklich festgeschrieben, aber ein Semikolon zwischen zwei Satzteilen meinte unzweifelhaft eine klare logische Trennung. Und just das im Original klar erkennbare Semikolon nach ‚Philosophia‘ – was damals für die weltliche Wissenschaft generell stand – ist erstaunlich oft „vergessen“ worden. Dann liest sich der Satz aber so, als beginne die Begründung für die Verdammung des kopernikanischen Weltbildes (die am 5. März prompt dazu führte, dass De Revolutionibus in der originalen Fassung, 73 Jahre lang unbehelligt, auf dem Index landete, und schließlich in den Galilei-Prozess von 1633 mündete) erst mit ‚quatenus‘ und sei mithin allein im Widerspruch zu Sätzen in der Bibel zu verorten. Doch in der korrekten Version wird klar, dass es primär wissenschaftliche Probleme waren, die zu der Ablehnung führten, und zusätzlich noch theologische. Und genau jene damals weithin gesehenen wissenschaftlichen Probleme hatte dem Heliozentrismus ausgerechnet die Einführung des Fernrohres in die Astronomie beschert! Dieses hatte zwar mit dem Nachweis der Venus-Phasen das ptolemäische System, bei dem sich alles um die Erde drehte, sehr eindeutig erledigt und u.a. mit dem unebenen Erdmond und den Jupitermonden als einer Art ‚zweitem Sonnensystem‘ das wohlgeordnete aristotelische Weltbild zumindest kräftig erschüttert.

Doch alle teleskopischen Beobachtungsdaten der ersten Jahre (und genau besehen sogar des ganzen ersten Jahrhunderts) ab 1609 waren mit hybriden Weltmodellen – mit der Erde im Zentrum aber den meisten Planeten im Orbit um die Sonne – genau so gut verträglich wie mit einem reinen heliozentrischen. Und ein hybrides Modell wie das bekannteste von Tycho erklärte einiges sogar besser: insbesondere die vermeintlich im Fernrohr sichtbaren Sterndurchmesser! Die waren in Wirklichkeit nichts weiter als Beugungsscheibchen, aber das konnte damals keiner wissen. Korrekt war dagegen die Beobachtung, dass kein einziger Stern für die verfügbaren Teleskope eine jährliche Parallaxe zeigte: Zusammen mit den vermeintlichen Durchmesser bedeutete das, dass die Sterne im kopernikanischen System extrem weit entfernt und verglichen mit der Sonne dramatisch groß sein mussten – im tychonischen Bild dagegen saßen sie in harmloser Größe auf einer nicht weit entfernten Sphäre. Ausgerechnet die Kopernikaner mussten sich auf göttliche Allmacht berufen, um die fernen Riesensterne zu begründen, währed letztere aus rein wissenschaftlicher Sicht – wie sie etwa Simon Marius vertrat – klar für einen tychonischen Kosmos sprachen. Es ist schwer zu sagen, ob die Gutachter der Inquisition so konkret physikalisch gedacht haben – aber das nun wieder sicher an seinen Platz gerückte Semikolon hinter ‚Philosophia‘ deutet in diese Richtung.

albategnius

Der Mondkrater, der übertrieben groß Galileis Siderius Nuncius dominieren dürfte, ist gestern überraschend durch diesen Blogger „wieder entdeckt“ worden – passenderweise während eines Seminars über Galilei, wo er gerade nämliche Illustration gezeigt hatte. Ein Schnappschuss in der Abenddämmerung, wenige Stunden nach dem 1. Viertel, zeigte bereits auf dem Kameradisplay einen bei dieser harten Beleuchtung verblüffend dominanten Mondkrater direkt am Terminator etwas südlich der Mitte, der sogleich an Nuncius-Illustrationen wie diese erinnerte. Es handelt sich um den 129 km großen Albategnius – der tatsächlich meist für Galileis Vorbild gehalten wird und auf den dieser wohl besonderen Wert gelegt hatte (Fig. 15-18) und ihn daher übertrieben groß (S. 42-43) darstellen ließ.

Hatte Galilei geheime Kenntnisse von theoretischer Optik?

Da es keinerlei Schriften Galileo Galileis gibt, die auf eine theoretische Durchdringung jener Teleskope schließen lassen, mit denen er ab 1609 eine Reihe bahnbrechender Entdeckungen machte (s.o.), wird allgemein angenommen, dass er in Sachen Optik lediglich ein geschickter Tüftler war. Doch zwei israelische Wissenschaftshistoriker widersprechen neuerdings diesem Eindruck: In Zik & Hon, „Magnification: how to turn a spyglass into an astronomical telescope“, Arch. Hist. Exact. Sci. 66 [2012] 439-64 und „Galileo’s Knowledge of Optics and the Functioning of the Telescope – Revised von vor 5 Tagen können sie zwar auch keine geheimen Tagebücher Galileis vorlegen, spekulieren aber durchaus plausibel über Berechnungen des Physikers bevor er seine astronomischen Teleskope herstellte. Diese seien ihren niederländischen Vorgängern – die tatsächlich durch Kombination existierender Brillengläser plus geschickten Einsatz einer Objektivblende gebaut werden konnten – derartig überlegen, dass Galilei die optischen Parameter der Linsen mit ihren oft ungewohnten Brennweiten geplant haben müsse. Die Theorie dazu könne er durch Kombination der optischen Erkenntnisse della Portas – dessen De refractione optices parte von 1593 er nachweislich besaß – und Einsichten bei der Entwicklung des Sectors zu Eigenschaften von Winkeln entwickelt haben, doch konkrete Spuren gibt es nicht.

Drei unzusammenhängende Gedanken zum Tage

28. Dezember 2012

Heute vor 400 Jahren „entdeckte“ Galilei den Neptun

Dass der Teleskop-Pionier Galileo Galilei am 28. Dezember 1612 den Planeten Neptun sichtete und auch 1613 wieder, gilt als sicher – und bis 2009 auch, dass er ihn für einen Fixstern hielt und wieder vergaß. Dann allerdings kam der Verdacht auf, Galilei habe doch eine Bewegung bei dem für seine Instrumente punktförmigen Himmelskörper festgestellt, was seinerzeit für allerlei aufgeregte Schlagzeilen sorgte. Oder ist das alles voller Fehler und nichts als eine „spekulative Blase“?

Gestern starb Jesco von Puttkamer überraschend mit 79

Wie heute bekannt wurde, ist gestern völlig überraschend der dienstälteste NASA-Mitarbeiter Jesco von Puttkamer gestorben – in seiner deutschen Heimat, die er oft besuchte, war er vor allem als charismatischer Verfechter der bemannten Raumfahrt in den Medien und bei öffentlichen Vorträgen bekannt, aber was hat er eigentlich in seinen 50(!) Jahren bei der NASA selbst getan? War er „gleichzeitig Legende und Visionär“ der NASA, dabei ein oder gar der „Vater des US Space Shuttles“ und „maßgeblich“ an der Planung der ISS beteiligt, kurz ein „Raumfahrt-Pionier“ und „einer der führenden Köpfe“ der NASA? Der offizielle Nachruf der NASA bleibt verblüffend detailarm, nennt auch auf US-Seite eher publizierende Leistungen wie die Tagesberichte von der ISS – sein letzter, vom 23.12.2012 – in der Funktion als „a technical manager“ des Programms oder auch die Förderung der Übersetzung der Chertok-Memoiren. Die Zusammenarbeit mit der Sowjetunion bzw. Russland scheint er auch wiederholt unterstützt zu haben. In eher raren US-Nachrufen wird von Puttkamer v.a. als langjähriger Weggefährte Wernher von Brauns gewürdigt (im Videointerview oben erzählt er die Anfänge), vom Überschwang der deutschen keine Spur. NACHTRÄGE: Dem sich auch Thomas Reiter angeschlossen hat – während NASAs Human Exploration and Operations Public Outreach Manager von Puttkamer als „the Forest Gump of space“ beschreibt: „always right on the fringes of every historical space moment.“ Die Diskussion wird interessanter – und noch ein Fundstück von 1976

Wird Komet ISON in einem Jahr „heller als der Vollmond“?

Anlässlich des nahenden Jahres 2013 und wohl ausgelöst durch diesen Independent-Artikel [NACHTRAG: der bald gelöscht wurde aber hier noch zu finden ist] ist der in einem knappen Jahr als sehr hell erwartete Komet ISON plötzlich in aller medialen Munde, so auch hier und hier [NACHTRAG: und hier]: „Heller als der Vollmond“ oder gar „der hellste Komet aller Zeiten“ sind die Kernaussagen. Hoffentlich gelingt es in den kommenden Monaten, dieses zentrale Missverständnis aus zu räumen: Wie man bei den Kometen McNaught Anfang 2007 und erst recht Lovejoy vor einem Jahr eindrücklich lernen konnte, ist die Koma-Helligkeit oft irrelevant, wenn es um den visuellen Impakt eines Großen Kometen geht. Lovejoy hatte ja nicht mal mehr einen Kern oder nennenswerten Kopf, als er mit seinem langen Post-Perihel-Schweif begeisterte. Vielleicht wird ISON in Perihel tatsächlich eine extrem negative Helligkeit von -15 mag. oder so erreichen (und technisch gesehen wirklich ‚heller als der Vollmond‘) – aber dann steht er auch extrem dicht neben der Sonne am Taghimmel, und die Maximalhelligkeit hält auch nur ein paar Stunden an. Viel spannender ist, was danach passiert, wenn der Komet – mit heißem Kern – wieder am Nachthimmel steht. Und da sind just beim sonst an so ziemlich allen neu entdeckten Kometen zweifelnden Kometen-Veteranen John Bortle die Erwartungen hoch (letzter Absatz), dass es einen „tail of amazing length and surface brightness“ an einer unbedeutenden Koma hängend zu sehen geben wird. Derzeit kann man das dem Kometen – Bilder vom 18. (mehr) und 17. Dezember – natürlich noch nicht ansehen.

„Nuncius“ mit angeblich von Galilei selbst gemalten Bildern offenbar komplette Fälschung

26. Juni 2012

Vor fünf Jahren war das Buch als „die bedeutendste Entdeckung zu Galilei in mehr als einem Jahrhundert“ gefeiert worden (siehe auch hier, hier und hier): eine aus dem Nichts aufgetauchte Ausgabe des „Siderius Nuncius“, in dem fünf Abbildungen nicht gedruckt sondern gemalt waren. Ein anfänglicher Fälschungsverdacht schien nach eingehender Untersuchung des Werkes vom Tisch, und ein deutscher Kunsthistoriker schrieb ihm gar eine Schlüsselrolle in der Druckgeschichte des „Nuncius“ zu. Doch fundamentale Zweifel waren immer geblieben (Absätze 4-5), zumindest an einer Rolle der Handzeichnungen darin als Grundlage für die späteren Drucke – und nun ist offenbar das gesamte Buch im Rahmen eines großen Buch-Skandals in Italien als moderne Fälschung entlarvt worden! Ein Zusammenhang besteht dabei offenbar auch mit einem massiven Buch-Diebstahl in der Biblioteca dei Girolamini in Neapel, wo nach der Wiedereröffnung diesen April tausende alte Werke gefehlt hatten.

Inzwischen sitzt u.a. der unter dubiosen Umständen berufene Bibliotheks-Direktor Marino Massimo De Caro im Gefängnis, eine schillernde Gestalt. Wie einem Info-Dienst für gestohlene Bücher zu entnehmen ist, hat er inzwischen den von langer Hand geplanten Raubzug gestanden und kooperiert mit der Polizei. Und er steht in einem noch nicht klaren Zusammenhang mit mehreren Galilei-Ausgaben, die sich jetzt als Fälschungen erwiesen haben, darunter auch zwei „Nuncius“-Exemplaren, jenes mit den gemalten Bildern inklusive! Die Details der Untersuchungen von N. Wilding & P. Needham kommen erst langsam ans Licht: Offenbar gibt es entlarvende Übereinstimmungen zwischen nämlichem Mal-Nuncius und einer anderen Ausgabe sowie weiteren vermeintlichen „Galileis“ – darunter bereits 2005 als Fälschungen erkannten. Die neuen falschen Galileis sind mit großem Aufwand hergestellt worden, mit moderner Drucktechnik, aber trickreich auf alt gemacht – da ist noch viel Detektivarbeit vonnöten, die u.a. in Deutschland stattfinden wird.

NACHTRAG: weitere Details der Affäre in einem GSU Press Release und Library Blog und in der NYT. NACHTRAG 2: De Caro hat gestanden, in Argentinien gefälschte Sideriusse bestellt zu haben (letzte Absätze). NACHTRAG 3: weitere internationale Artikel über den Skandal hier, hier und hier. NACHTRAG 4: zu guter Letzt auch aus deutschen Landen Aufklärendes hier, hier, hier, hier (Teil 2 und Teil 3), hier, hier, hier, hier und hier – und eine 66-seitige Meta-Kritik, bei auch dieser Artikel hier mitspielt. NACHTRAG 5: Das Buch über die Fälschung wird als E-Book kostenlos erhältlich sein – wenigstens etwas … NACHTRAG 6: Und hier ist das freie Buch, als Serie von PDFs! NACHTRAG 7: Die BAM erklärt lang & breit, warum sie die Fälschung nicht entlarven konnte: Weil sie keine Proben entnehmen durfte. NACHTRAG 8: Artikel über das Buch hier. NACHTRAG 9: Die große Meta-Geschichte der Affäre ist bereits auf 109 Seiten gewachsen, am Ende mit Details zu den Fälschern selbst. NACHTRAG 10: eine detaillierte Besprechung des Buches – mit einem pikanten Epilog …

Vor genau 400 Jahren: Galilei geht zur Post …

13. März 2010

Es war entweder am Samstag, dem 13. März 1610, oder dem folgenden Sonntag, als ein Mathematikprofessor in Padua ein kleines Paket zur Post brachte oder einem Boten übergab, auf dass es so schnell wie möglich ins 230 km entfernte Florenz gelangen sollte. Über die genauen Details dieser Versandaktion wird noch diskutiert, so ist der Begleitbrief zwar auf den 13.3. datiert, und immer Samstags ging auch die reguläre Post, aber im Brief heißt es, dass es schon Nacht geworden sei: Vielleicht verließ die Sendung Padua erst am 14.3. per Sonderkurier. Ihren Inhalt freilich kennen wir ganz genau: das erste druckfrische – und dem Vernehmen nach tatsächlich noch feuchte – und nicht einmal gebundene Exemplar eines kleinen astronomischen Büchleins auf Latein, dessen endloser Titel mit den Worten „Sidereus Nuncius“, Sternenbote also, beginnt.

Der erste jemals publizierte Bericht über astronomische Beobachtungen mit einem Fernrohr, die jüngsten vom 2. März, also keine zwei Wochen alt: Absender natürlich der Beobachter und Verfasser Galileo Galilei, Empfänger Belisario Vinta, Sekretär von Cosimo II. de‘ Medici, dem Großherzog der Toskana – in die Galilei (der bis 1592 Lektor für Mathematik in Pisa war, dann aber weggemobbt wurde) unbedingt zurückkehren wollte. Der Sidereus Nuncius war – nicht in erster Linie, aber auch – eine Art Bewerbungsschreiben, was zum gut Teil die enorme Hektik erklärt, mit der das Buch (Bild: ein Exemplar der 1. Auflage, wie es 2009 im Köln zu sehen war) entstand: Galilei wusste, dass sich sein ehemaliger Schüler Cosimo für Naturwissenschaft interessierte, und da sollte ihm keiner zuvorkommen.

Insbesondere hoffte Galilei, mit der Bezeichnung der Jupitermonde (die er in dem Buch mal als „irreguläre Sterne“, häufig auch als „Planeten“ anspricht) als „Cosmi[k]anische Sterne“ seinem erhofften Gönner zu schmeicheln – doch das wollte Vinta wegen der Verwechslungsgefahr mit „kosmisch“ nicht, als ihn Galilei im Februar darüber informiert hatte: „Mediceische Sterne“ wurden es stattdessen, und einige Druckplatten mussten nachträglich korrigiert werden. Den Empfang des ersten Exemplars bestätigte Vinta in einem Brief vom 19. März, nicht aus Florenz übrigens, sondern aus Pisa, wohin sich der Hof im Winter wärmeren Wetters wegen zurückgezogen hatte. An genau diesem Tag – Galilei wartete die Antwort nicht ab – ging schon ein weiteres Paket auf die Reise von Padua in die Toskana: diesmal ein ordentlich gebundenes Exemplar des Sidereus Nuncius, zusammen mit jenem Fernrohr, mit dem er die Jupitermonde beobachtet hatte. Die Mühe lohnte sich bekanntlich: Noch im Herbst 1610 machte Cosimo Galilei zum Hofmathematiker und -philosophen und zum Ersten Mathematikprofessor in Pisa – ohne jede Lehrverpflichtung.

Auch 400 Jahre nach seinem Erscheinen ist der Sidereus Nuncius – halb sorgfältiges Beobachtungsprotokoll, halb (populär gehaltener) wissenschaftlicher Artikel – noch Gegenstand energischer Forschung und angeregter Kontroversen, die sich insbesondere auf die faszinierenden Darstellungen des Mondes beziehen. So vermutete ein deutscher Kunsthistoriker 2007, dass ein ungewöhnliches und lange unbekannt gebliebenes Exemplar des Buches („M-L copy“) mit den Monden in Wasserfarbe statt gedruckt, ein allererster Probedruck sei, in den Galilei eigenhändig die späteren Druckvorlagen gemalt habe, wobei das früheste Bild vom 31.12.1609 stammen müsste. Das passt aber nach noch aktuelleren Untersuchungen eines amerikanischen Astronomiehistorikers und eines Amateurastronomen einfach nicht zur komplizierten Druckgeschichte des Buches. Vor allem auch deswegen, weil sich die einzelnen Mondbilder inzwischen auch astronomisch gut datieren lassen: Sie entstanden zwischen dem 30.11.1609 und 16.1.1610.

So dürfte es sich bei dem kuriosen Wasserfarb-Nuncius erst um eine spätere Fassung jenes kleinen aber bedeutenden Werkes handeln, das vor 400 Jahren die Astronomiegeschichte in ganz neue Bahnen lenkte. Der viel kritisierte unnatürlich große Mondkrater am Terminator (Abb.) ist übrigens kein Teleskop- oder Beobachtungsfehler: Galilei hat hier quasi ein herausvergrößertes Bildchen genommen und aus didaktischen Gründen an der kritischen Terminator-Stelle belassen statt es separat daneben zu stellen. Auf seinen Original-Zeichnungen ist nämlich alles richtig! Quellen u.a.: Gingerich, Galileana [eine italienische Fachzeitschrift nur zu Galilei] VI [2009] 141-165 und Truffa, HASTRO-Mailingliste 3. und 12.3.2010. Einen Originial-Nuncius online gibt es u.a. hier [NACHTRAG: ein anderer] (die Frankfurter Fassung weicht ab), eine ältere englische Übersetzung mit Original-Umbruch hier, eine kommentierte Übersetzung von A. van Helden hier – und das Buch als Blog, Postings 1, 2, 3, 4 und 5. Plus ein Galilei-Quiz der New York Times.