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Nachrichten aus der Teilchenphysik kompakt

12. Juni 2010

Die erste Oszillation eines Neutrinos in ein anderes beobachtet

Neutrino-Oszillationen, die Umwandlung eines Typs in einen anderen, sind schon von etlichen Experimenten nachgewiesen worden: indem weniger Neutrinos eines bestimmten Typs gemessen wurden, als man erwarten sollte. Offenbar hatten sich welche in den nicht nachweisbaren Typ verwandelt, was auch die Erklärung des berühmten Sonnenneutrinoproblems ist. Dies sind als „disappearance“-Experimente, aber nun meldet das erste „appearance“-Experiment einen Erfolg: In einem gewaltigen Strom von Muon-Neutrinos, die ein Beschleuniger des CERN in Richtung des 723 km entfernten OPERA-Detektors im Gran-Sasso-Tunnel schickte, war am 22. August 2009 genau ein Tau-Neutrino aufgetaucht. Das hatte sich in OPERA (aus 150’000 Platten Fotoemulsion zwischen Bleiplatten) in ein Tau-Lepton verwandelt, das wiederum in Muonen zerfiel, die nachgewiesen wurden – allerdings beträgt die Wahrscheinlichkeit noch 2%, dass dies ein Irrtum ist. Das Experiment läuft bereits seit 2006 und wird noch mehrere Jahre fortgesetzt – aber mit mehr als 10 Tau-Neutrinos wird auch am Ende nicht gerechnet. Unterdessen hat, ebenfalls im Gran-Sasso-Tunnel, mit ICARUS ein anderes Experiment den Betrieb aufgenommen, das ebenfalls – mit ganz anderer Technik – Neutrinooszillationen aber auch andere exotische Partikel und sogar ggf. den Protonenzerfall nachweisen können soll. (CERN [Video], INFN Releases 31.5., Berkeley Release 3.6.2010; Scientific Blogging 27.5., Nature Blog, Science News, New Scientist, Welt der Physik, DLF 1., Physics World, Tracker 2., Discovery 10.6.2010)

Immer neue Ergebnisse des Large Hadron Colliders aber – natürlich – noch keine neuartigen Entdeckungen des neuen Beschleunigers („Immer höhere Kollisionsraten …“) werden inzwischen berichtet: Innerhalb von 2 Monaten hat der LHC gewissermassen fast die gesamte Teilchenphysik des Standardmodells quasi wiederentdeckt. Im kommenden Jahr könnte dann die ersehnte neue Physik beginnen, wenn der LHC so robust weiter läuft wie bisher – auch wenn immer wieder mal der Strom ausfällt, so ist er doch 90% der Zeit in Betrieb. (BBC 31.5., Symmetry Breaking 8., DLF, Welt der Physik Video 9.6.2010. Und Physics World über Teilchenbeschleuniger als Messgeräte für Erdbewegungen)

IceCube misst Anisotropie der Kosmischen Strahlung – steckt der Vela-Supernova-Rest dahinter?

Teilchen der Kosmischen Strahlung, die die Atmosphäre treffen, lösen dort Muonen-Schauer aus, und die lassen es wiederum im Neutrinoteleskop IceCube („Eis-Teleskop IceCube …“) blitzen: Die Analyse von 4.3 Milliarden solcher Blitze, deren Herkunftsrichtung auf 3° genau angegeben werden kann, hat jetzt eine anisotrope Verteilung am Himmel gezeigt. Eine Erklärung wird nicht mitgeliefert, aber es könnte einen Zusammenhang mit dem Vela-SNR geben: Die ausgedehnten Überreste explodierter Sterne werden schon lange als wichtige Quellen der Kosmischen Strahlung in der Milchstraße vermutet. (Preprint 17., New Scientist 31.5.2010. Und der Wichita Eagle zum Wunsch, ein nördliches Auger-Teleskop in Kansas und Colorado zu bauen) NACHTRAG: ein sehr später Press Release.

Neue CP-Verletzung 1. fraglich und 2. irrelevant: Die vermeintlich bedeutsame Anomalie beim B-Mesonen-Zerfall, die letzten Monat erhebliches Aufsehen erregte, wird erstens von einem anderen Tevatron-Experiment gar nicht bestätigt – und selbst wenn sie wahr wäre, ist es überhaupt nicht ausgemacht, dass sie irgendetwas mit dem leichten Materie-Überschuss nach dem Urknall zu tun hätte … (Carroll, Cosmic Variance 4.6.2010) NACHTRAG: Manche haben von den Zweifeln an der DO-Anomalie noch immer nichts gehört und spekulieren munter über exotische Erklärungen.

Ein Kilogramm – für (quasi) jedermann zum Selberbauen?

Die fundamentale Einheit Kilogramm ist ein Ärgernis für die Metrologie: Bislang gibt es – im Gegensatz etwa zum Meter, das über die Lichtgeschwindigkeit definiert ist – keine Möglichkeit, unabhängig in einem Labor eins herzustellen. Immer noch ist das eine Ur-kg in Frankreich das einzig wahre, kaum einer kommt direkt dran, und man weiß auch nicht wirklich, ob es nicht im Laufe der Zeit an Masse verloren oder dazu gewonnen hat. Vorschläge für eine neue, clevere Definition des Kilogramms werden seit vielen Jahren gemacht – hier ist ein, vielleicht, besonders einfacher: Das kg möge die Masse von 2250× 28148963^3 Kohlenstoff-12-Atomen sein. Ein Kilogramm wäre dann ein 8.11 cm großer Würfel, bei dem eine Seite der Länge von 368’855’762 Atomen entspricht. (Fox & al., Preprint 27., arXiv Blog 31.5., ORF 1.6.2010)