Kann man ein Forschungsprojekt als Erfolg verbuchen, bei dem 52 Jahre von der Idee bis zum Abschluss vergangen sind, das über 750 Mio.$ gekostet und dessen Entwicklung nebenher eine Menge bemerkenswerter Technologien abgeworfen hat – aber dessen Ergebnis, das aus genau zwei Zahlen besteht, in der Zwischenzeit längst von anderen Methoden mit wesentlich kleineren Fehlerbalken eingefahren wurde, wenn auch nicht ganz so direkt? Genau das ist die Quintessenz des Satelliten Gravity Probe B aus Artikel 889: erdacht 1959, ein (mehrfach abgebrochenes und dann wieder belebtes) NASA-Projekt von 1963 bis 2008. Und Abschluss am 4. Mai 2011 (oben der Chefwissenschaftler F. Everitt – seit 1962 dabei – auf einer NASA-PK; hinter dem Screenshot liegen weitere Bilder) mit der Feststellung: Zwei von der Allgemeinen Relativitätstheorie vorhergesagte Effekte durch das Schwerefeld der Erde und den von ihrer Rotation quasi mitgeschleiften Raum auf vier ansonsten störungsfrei in einem Satelliten im Erdorbit rotierende Kugeln treten in genau dieser Größe ein.
Die geodätische Drift beträgt -6602±18 Millibogensekunden (mas) pro Jahr (a) bei vorausgesagten -6606 mas/a, das Frame-Dragging durch Gravitomagnetismus -37±7 mas/a (Theorie: -39 mas/a). Damit sind die Effekte auf 0.3% bzw. 19% genau bestätigt – dumm nur, dass im vergangenen Jahrzehnt Messungen an anderen Satelliten, der Mondbahn und im interplanetaren Raum beide Effekte mit um Größenordnungen höherer Genauigkeit – und ebenfalls im Einklang mit der Allgemeinen Relativität – vorgefunden haben: Der einzige Vorteil der Gravity Probe-Messungen ist, dass sie etwas direkterer Natur und ein kontrolliertes Experiment waren. Oder auch wieder nicht, denn unerwartete elektrostatische Wechselwirkungen zwischen den superpräzisen Kugeln in dem Satelliten und ihrer Einkapselung führten zu gewaltigen zusätzlichen Drehmomenten, die wenigstens teilweise heraus zu rechnen – die eigentlichen Messungen hatten von August 2004 bis August 2005 gedauert (siehe Artikel B31) – viele Jahre erfordert hatte.
Darin liegt eine weitere Ebene der Tragik dieses ungewöhnlichen Projekts: Wäre nämlich etwas anderes als die Einstein’schen Driftraten heraus gekommen, dann hätte das jeder auf Restfehler der Messung zurück geführt. Jetzt konnte zwar das „richtige“ Ergebnis präsentiert werden – wenn auch mit deutlich größeren Fehlerbalken als ohne den elektrostatischen Ärger zu erwarten gewesen wären – aber keinerlei neue Erkenntnis über das Wesen der Gravitation. Auf einer ziemlich nervigen Pressekonferenz der NASA (die die Finanzierung während der hoffnungslos scheinenden Datenauswertung abgebrochen hatte; die letzten 3 Jahre hielten Sponsoren – u.a. aus Saudiarabien! – das Projekt am Leben) gab es daher schlicht nichts über pyhsikalische Erkenntnisse zu hören. Stattdessen wurden im Wesentlichen Errungenschaften beim Lösen von technischen und Management-Problemen gefeiert … Stanford, Lockheed Martin, NASA Releases, Science@NASA 4.5.2011; Sky & Tel., NPR, Starts with a Bang, Science Journalism Tracker 6., Space Today, Bild der Wissenschaft, Science Blogs 5., Science News, New Scientist 4.5.2011. NACHTRAG: auch Nature News zur Frage, ob es das wert war
Keine Gravitationswellen vom Vela-Pulsar, die dieser während seiner abnehmenden Rotationsrate aussenden müsste, hat der VIRGO-Detektor nachweisen können: Das haben über 700 Autoren konstatiert, die aus dieser Grenze immerhin gewisse Schlüsse über das Wesen des Neutronensterns ziehen können. (LIGO & Virgo Collaborations, Preprint 15.4.2011)
Direkte Detektionsversuche der Dunklen Materie: Das Bild der Messdaten wird immer konfuser …
Denn nun sieht auch das CoGeNT-Experiment eine vage (nur 2.8 Sigma, also nicht signifikant!) jahreszeitliche Schwankung der Detektionsrate der von ihm angeblich erkannten massearmen WIMPs – in Phase mit den Schwankungen, die DAMA schon seit 1998 meldet und die sonst allgemein für einen kuriosen Störeffekt gehalten werden. Jedes Experiment für sich überzeugt nur wenig, aber die DAMA- und CoGeNT-Direktmessungen (442 Tage, typisch 3 Events/Tag), das Gammaglühen aus Richtung des Galaktischen Zentrums und ein nebulöser Radioeffekt, den der Satellit WMAP sah, wären alle mit einem WIMP von 5 bis 10 GeV verträglich. Das wiederum die Direktexperimente XENON100 und CDMS II ausgeschlossen zu haben glauben, was die DAMA- und CoGeNT-Forscher umgekehrt für Rechenfehler halten: Wieder einmal ging es gerade auf einer Tagung hoch her. Konstatieren kann man bisher nur, dass die Messverfahren fortwährend genauer werden (CoGeNT wie XENON 100 werden z.B. demnächst erheblich vergrößert) – aber ein Gesamtbild und ein klarer Nachweis eines spezifischen Dunkel-Materie-Teilchens lassen weiter auf sich warten … (Scientific American 6., Discovery 5., Starts with a Bang, Science Journalism Tracker 4., Cosmic Variance, New Scientist, Science News, Photonist 3.5., Physics Central 30., Physics World 26.4.2011)
309 Anti-Wasserstoff-Atome 1000 Sekunden lang eingesperrt hat jetzt das ALPHA-Experiment am CERN: eine deutliche Steigerung in Menge wie Zeit, die weitere Forschungen an diesem einfachsten Atom aus Antimaterie erlauben sollte. (ALPHA Collab., Preprint 26.4., Physics World 4., Bild der Wissenschaft 5.5.2011)
IceCube sieht keine diffusen Myon-Neutrinos aus dem All
Astrophysikalische Neutrinos würden sich von den allgegenwärtigen atmosphärischen – die durch Kosmische Strahlung produziert werden – deutlich unterscheiden, aber kein einziges von 12’877 Events, die das Teleskop unter dem Südpol sah und die genauer untersucht wurden, hat eine astronomische Charakteristik. Für einen diffusen Neutrino-Fluss würden viele über den Himmel verteilte Quellen sorgen, die IceCube nicht einzeln auflösen könnte. (IceCube Collab., Preprint 27.4.2011. Auch der CERN Courier 3.5.2011 über die Einweihung des Neutrino-et-al.-Detektors ICARUS im Gran Sasso)
IceCube sieht eine deutliche Anisotropie der Kosmischen Strahlung (die sich ihm über die o.g. Erzeugung atmosphärischer Neutrinos verrät): Nicht nur in Richtung des Vela-SN-Restes („IceCube misst …“) sondern auch anderswo am Südhimmel sieht das Teleskop Über- und Unterhäufigkeiten. Die von ziemlich nahen Quellen stammen müssen, da sonst das Magnetfeld der Milchstraße die Herkunftsspuren der geladenen Teilchen verwischt haben müsste. Vielleicht noch die am wenigsten exotische Hypothese: Der Rand der Heliosphäre funktioniert irgendwie als großer Teilchenbeschleuniger … (New Scientist 3.5.2011. [NACHTRAG: auch Physics World dazu.] Auch Quantum Diaries 28.4.2011 zu einem Kosmischen Strahlungs-Detektor auf dem Weg zu IceCube)
Keine Higgs-Anzeichen im anderen großen LHC-Detektor
Die angebliche Sichtung durch ATLAS wird – abermals in einem vertraulichen und natürlich sofort bekannt gewordenen – Dokument des konkurrierenden CMS-Detektors nicht bestätigt: Damit hat es sich wohl, wie eh‘ die meisten Beobachter vermuteten, nur um eine Fluktuation oder einen Dreckeffekt gehandelt. [NACHTRAG: Nach einer detaillierteren Analyse sieht ATLAS das Signal auch nicht (mehr).] Also: weitermessen – und das tut der LHC mit seiner gegenüber 2010 wie auch dem Konkurrenten Tevatron dramatisch gesteigerten Leuchtkraft besser denn je. (New Scientist 4.5., Symmetry Breaking 28., Quantum Diaries 27.4.2011. Und das Physics World Blog zum nahen Ende des Tevatron und seinem ‚Bump‘, der weiter im Raum steht) NACHTRAG: Nature News zu LHC-Leaks.