Posts Tagged ‘Higgs’

Live-Blog zu den Higgs-igen Enthüllungen im Juli

2. Juli 2012

Der Zustand der Teilchenphysik jetzt, in wenigen Worten

zusammengefasst von einem CERN-Theoretiker: Wenn das gefundene Boson das Higgs ist, dann wirft das einige Fragen auf. Und „such a Higgs boson would allow us to rule out theories known as ‚Technicolor‘ and some of the theoretical models used in Supersymmetry. However, other supersymmetric or not scenarios could still apply, as well as extra-dimensional theories.“ Auch ein DPG-Flyer, Bilder vom Seminar, ein Statement aus Number 10 und Artikel hier, hier, hier, hier, hier, hier und hier. [13:13 MESZ] Ein STFC Press Release („It’s a boson!“) und Artikel hier, hier, hier, hier und hier. [14:01 MESZ] Pressemitteilungen aus Bonn, Aachen, Durham und Gießen sowie von der MPG, eine Live-Diskussion, ein schriftliches und ein TV-Interview mit Physikern und Artikel hier, hier und hier. [14:29 MESZ] Fermilab und IoP Releases und Artikel hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier und hier sowie ein Beitrag aus dem Mittagsmagazin mit bizarrem Intro. Und um 17:00 MESZ gibt’s einen Chat. [16:45 MESZ] Aufzeichnungen des CERN-Seminars und der anschließenden Pressekonferenz, eine deutsche Zusammenfassung, ein Caltech Press Release, wie lange es dauerte, bis diverse Teilchen gefunden wurden, das Higgs schon im Museum und mehr Artikel hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier und hier – und morgen gibt’s noch einen Chat. [21:55 MESZ am 4. Juli – ENDE]

Wenn es nicht das SM-Higgs sein sollte, wär’s toll

So der CMS-Sprecher auf der PK: Denn das würde „ein Portal“ zu neuer Physik öffnen. Und die ATLAS-Sprecherin findet zumindest die Masse für ein Standard-Modell-Higgs ein bisschen wenig, was ein Hinweis auf Physik jenseits des SM sein könnte. „We are moving in a new part of particle physics,“ betont Heuer: Egal, ob’s das SM-Higgs ist oder nicht, es ist eine neue Art von Teilchen! Man ergeht sich auf dem Panel in geheimnisvollen Andeutungen … [12:00 MESZ] Bisher kann man eigentlich nur die Masse des Teilchens verlässlich angeben; ob man bis Jahresende mehr zu seiner Natur sagen kann, da sind sich die ATLAS- und CMS-Sprecher nicht sicher. Ein weiterer Artikel und ein übersehenes Live-Blog, inzwischen beendet. [12:03 MESZ] Und in diesem Blog gibt’s eine inoffizielle CMS/ATLAS-Kombination (vor der Heuer warnte): Danach ist das Teilchen mit 6 Sigma da – und weicht mit 2.4 Sigma vom SM ab. [12:08 MESZ]

Die erste Post-Higgs-Entdeckungs-Pressekonferenz läuft

jetzt und kann hier verfolgt werden. „There could be worse days in the life of a Director General,“ sagt Heuer. [11:19 MESZ] Wir haben ein neues Teilchen entdeckt, ein Boson – aber jetzt liegt ein langer Weg zur Erforschung des Teilchens vor uns. Ein fundamentaler Skalar wäre noch nie beobachtet worden. Und schon Q&A. [11:21 MESZ] Der CMS-Sprecher: Vielleicht finden wir bis Jahresende (wenn der LHC länger abgeschaltet wird) schon heraus, ob es ein Skalar oder ein Pseudoskalar ist. [11:23 MESZ] Auch das BMBF feiert und der Regierungssprecher frohlockt. Oh, und das gestern versehentlich freigeschaltete CERN-Jubel-Video ist wieder online … [11:28 MESZ] Der CMS-Sprecher: Die Suche nach Supersymmetrie wird jetzt verstärkt, da sie gut zu einem Skalar passen würde. Weitere frühe Artikel hier und hier. [11:33 MESZ] Heuer: Die CMS- und ATLAS-Ergebnisse konnten noch nicht (ordentlich) kombiniert werden – das braucht einige Zeit. Und noch ein Artikel. [11:45 MESZ]

10:35 MESZ: tosender Beifall für 5.0 Sigma von ATLAS

Bevor die ATLAS-Sprecherin es überhaupt ausgesprochen hat, gewaltiger Jubel im Auditorium, als eine „5.0“ auf einem ihrer Ergebnis-Slide auftaucht. [10:37 MESZ] CMS und ATLAS werden gemeinsam ihre Entdeckungspapers ans selbe Journal schicken, Ende Juli. [10:40 MESZ] „An excess of events at 126.5 GeV with a local significance of 5.0“ ist das aktuelle Ergebnis von ATLAS. [10:43 MESZ] Der CERN-Chef: „As a layman I would say: I think we have it! Do you agree?“ Tosender Beifall im Auditorium. „We have a discovery!“ Aber ob es das Higgs-Teilchen ist, weiß man noch nicht. Ein Meilenstein, aber es ist erst der Anfang. [10:46 MESZ] Jetzt auch Standing Ovations … [10:48 MESZ] … und CERN-Chef Heuer lässt es auch auf der zugeschalteten Konferenz in Melbourne jubeln. [10:50 MESZ] Und Higgs freut sich, dass die Entdeckung noch zu seinen Lebzeiten gelang. [10:58 MESZ. NACHTRAG: ein Bild des Moments] Und hier die ATLAS-Details und ein weiterer Artikel. [11:05 MESZ]

Auch ATLAS hat das Teilchen mit 5 Sigma Signifikanz

Das erfährt man (noch) nicht aus dem laufenden Vortrag, sondern diesem CERN Press Release: „We observe in our data clear signs of a new particle, at the level of 5 sigma, in the mass region around 126 GeV,“ wird die Sprecherin darin zitiert. CMS & ATLAS sehen also im Wesentlichen dasselbe, aber alles was heute berichtet wird, ist noch vorläufig – genauere Auswertungen gibt’s bis Monatsende. Und der nächste Schritt „will be to determine the precise nature of the particle and its significance for our understanding of the universe. Are its properties as expected for the long-sought Higgs boson, the final missing ingredient in the Standard Model of particle physics? Or is it something more exotic?“ [10:13 MESZ] Und das deutsche DESY hat auch was zu sagen: „Es könnte sich um das seit langem gesuchte Higgs-Teilchen handeln“. [10:21 MESZ] Und hier sind die Details der CMS-Auswertung sowie frühe Artikel hier und hier. [10:24 MESZ]

9:37 MESZ: Wir – mit CMS – haben 5 Standard Deviations!

ER HAT ES GESAGT! Nach einer ellenlangen Vorgeschichte hat der CMS-Sprecher tatsächlich verkündet, dass die Kombination mehrerer Zerfallskanäle die Signifikanz des 125-GeV-„Bumps“ tatsächlich auf Sigma 5.0 getrieben hat, und das auch erst mit den Kollisionsdaten des letzten Monats. Tosender Beifall im CERN-Hörsaal. [9:38 MESZ] Die Masse des gefundenen Teilchens liegt bei 125.3±0.6 GeV – allerdings ist die Signifikanz am Ende doch „nur“ 4.9 Sigma, weil weitere Zerfallskanäle nicht ganz so gut aussehen – aber das kann ja noch werden. Manche gezeigten Auswertungen – die Schlüsselplots sind hier zu sehen – waren erst letzte Nacht erfolgt. Jetzt kommt ATLAS. [9:51 MESZ] Und wie schon letzten Dezember gibt’s den Vortrag wieder mit grauenhaften Slides – die Fans fassen es nicht … [9:58 MESZ. NACHTRAG: ein Beweisfoto]

Das CERN-Seminar hat begonnen! Higgs is inda house

Also Higgs, der Mann – ob’s auch das Teilchen ist, hören wir gleich. Der Webcast läuft stabil; Live-Blogs laufen z.B. hier, hier, hier, hier und hier. Nach einer kurzen Begrüssung durch den CERN-Chef spricht als erster der CMS-Sprecher. Fragen dürfen erst nach dem 2. Talk gestellt werden. Letzte Vorberichte hier, hier, hier, hier, hier und hier. [9:05 MESZ]

„Higgs excitement at fever pitch“, und immer noch 10 h

bis man offiziell erfahren wird (im CERN-Webcast ab 9 Uhr MESZ, bei den üblichen Verdächtigen unter den Physik-Blogs oder einem weiteren und noch einem Live-Blog), mit wieviel Sigma der LHC das Higgs-Teilchen – das kein Physiker als „god particle“ bezeichnet – denn nun schon im Kasten hat. Ein kurioses Triumph-Video vom CMS-Team ist jedenfalls versehentlich vom CERN veröffentlicht und seither wieder versteckt worden – in dem allerdings nicht von einer Entdeckung die Rede ist, also einem 5-Sigma-Effekt. Und angeblich wurden mehrere Versionen für alle Eventualitäten produziert … Weitere mehr oder weniger atemlose Artikel hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier und hier – und es wird schon spekuliert, wo denn der Nobelpreis hin gehen wird, an Herrn Higgs oder (auch) andere Theoretiker. [23:15 MESZ am 3. Juli] Eine einstündige Einführung in die Higgsologie, noch mehr Einführungen – und angeblich weiß auch der CERN-Chef noch nicht, was gleich erzählt werden wird. [0:35 MESZ am 4. Juli] Schon seit Mitternacht stehen sie Schlange vor dem – verschlossenen – Seminarraum im CERN, wo’s passieren wird … [1:55 MESZ]

ATLAS, CMS: knapp 5 Sigma für etwas bei 125 GeV

Heute sind die LHC-Leaks konkret genug geworden, um sie näher an zu schauen: Danach sehen die beiden Hauptdetektoren jeweils mit einer Signifikanz von 4.5 bis 5 Sigma ein neues Teilchen mit 125 GeV Masse, was in Kombination die 5-Sigma-Marke knackt. Aber bis zum Beweis, dass dies das Higgs-Teilchen ist, wird es noch länger dauern; nun werden bereits emsig die Zerfallskanäle des Partikels unter die Lupe genommen. Ein Teilchen in diesem Massenbereich hat übrigens der inzwischen abgeschaltete LHC-Konkurrent Tevatron ebenfalls aber viel weniger signifikant gesehen: zu wenig für einen Triumph über den europäischen Rivalen. Aber bestimmte Tevatron-Messungen werden nun zur weiteren Erforschung der LHC-Entdeckung beitragen können. Weitere Artikel zu den LHC-Gerüchten (an den präzisen Formulierungen für das Seminar übermorgen wird immer noch gefeilt), Tevatron-Fakten und was als Nächstes passiert hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier und hier – und Higgs (der Mann) ist schon unterwegs nach Genf. [22:15 MESZ am 2. Juli]

Nächste große Higgs-Enthüllung in fünf Tagen

29. Juni 2012

Am 4. Juli beginnt im australischen Melbourne mit der International Conference on High Energy Physics die erste große Hochenergie-Physik-Tagung des Sommers – und wenige Stunden vorher hält das CERN ein Seminar über den Stand der Suche nach dem Higgs-Teilchen mit dem LHC ab: Völlig widersprüchliche Gerüchte schwirren schon seit mehreren Wochen und reichen von einer Bestätigung der Anzeichen für ein Higgs um 125 GeV – siehe Artikel vom Dezember 2011 und März und April 2012 – bis zum Ausbleiben eines nennenswerten Fortschritts. Die Messungen von 2012 mit der höheren Kollisionsenergie von 8 statt 7 TeV haben bereits mehr Daten eingefahren als das ganze Jahr 2011, aber sie sind überhaupt erst Mitte Juni „entblindet“ worden, so dass nur eine Handvoll Physiker überhaupt wissen dürften, was Sache ist. Und in Physik-Blogs wird gestritten, ob das Verbreiten vermeintlicher Enthüllungen aus den ATLAS- und CMS-Detektor-Teams der Wissenschaft insgesamt und speziell der öffentlichen Wahrnehmung der – teuren und daher auf Zuspruch angewiesenen – Teilchenphysik eher schadet oder nützt.

Zum einen sollen natürlich die Auswerter der LHC-Datenfluten nicht irritiert werden, zum anderen ist die Öffentlichkeit seit Jahren „heiß“ auf das Higgs gemacht worden – da sollte man ihr den Spaß gönnen, in der Endphase der Jagd ‚live‘ dabei zu sein. Oder besser: dem Ende der ersten Phase der Higgs-Forschung. Denn entweder am 4. Juli (und eher weniger zwei Tage vorher, wenn das Fermilab ebenfalls Higgs-relevante Ergebnisse des Tevatron verkünden wird) oder im weiteren Verlauf des Jahres wird der LHC lediglich etwas Definitives über das einfachste oder Standard-Higgs-Teilchen aussagen können: Wenn der klare Nachweis ausbleibt, dann blieben immer noch jede Menge andersartige Higgs- und ähnliche Teilchen im Rennen, die bis Ende 2012 noch gar nicht in seinen Kollisionsdaten aufgetaucht sein können. Und umgekehrt wäre der Nachweis des Standard-Higgs zwar eine brilliante Bestätigung einer 48 Jahre alten Prognose und der theoretischen Physik insgesamt, dürfte aber gleich wieder neue Probleme aufwerfen. So entsprechen etwa die relativen Zerfallswege des mutmaßlichen 125-GeV-Higgs nicht den Erwartungen des Standardmodells der Teilchenphysik.

So oder so werden die Daten des LHC die Theoretiker vor sich her treiben, die nach mancher Auffassung in den letzten Jahr(zehnt)en etwas träge geworden sind: ein guter Zustand für die Physik! Guardian, Symmetry Breaking, Scientific American, Telegraph 29., LBL Release, Physics World, Quantum Diaries, PBS, Not Even Wrong, Muon 28., Brown Univ. Release, Quantum Diaries, IdeaLab 27., CERN TV 26., Uni Bonn PM, Strassler 25., Ballon Juice = Inverse Square 24., Guardian 23., CERN Release, Not even Wrong, Cosmic Variance, Quantum Diaries, Physics World, FAZ 22., Science News, Evolution True, BBC, Principles, Cosmic Log 21., Strassler, Quantum Diaries, Discovery 20., New York Times, New Scientist 19., Strassler 18., Guardian, Not even Wrong 17., Ars Technica 15., Reuters 12., Cosmic Variance 11., Quantum Diaries 9., 1. 6., Paper der BaBar Collab. 24., Physics World 23., Ars Technica 17., Quantum Diaries 9., Nature 4., Strassler, Nat’l Geographic, KosmoLogs 1.5., LiveScience 30., Telescoper 29., Quantum Diaries 28., Strassler, Spiegel 27., Paper der CMS Collab. 26., Strassler 24., Ars Technica, Scientific American Blog 20., CMS Press Release 17., Nature 12., ATLAS Blog 11.4.2012. NACHTRAG: der Gerüchte-Brei noch mal umgerührt.

Dritter Mischungswinkel der Neutrinos bestimmt

12. März 2012

Es ist das erste bedeutende physikalische Experiment in der VR China, und es hat vier Konkurrenten abgehängt: Mit dem internationalen Daya Bay Reactor Anti-neutrino Experiment („Chinesisches Neutrino-Experiment …“) in der Nähe von Hongkong ist binnen weniger Monate der dritte bisher nur vage bekannte Mischungswinkel Theta-1-3 („‚Double Chooz‘ auf dem Weg …“) bestimmt worden, und er ist mit 9° überraschend groß. Bei dem Experiment werden Elektron-Antineutrinos sowohl direkt neben großen Kernkraftwerken als auch in 1.7 km Abstand gezählt: 80’376 bzw. 10’416 Exemplare wurden für die Analyse registiert. Letztere Zahl ist um 6% ‚zu klein‘, d.h. ein Teil der Antineutrinos ist in einen anderen Flavor oszilliert: Daraus lässt sich der Mischungswinkel berechnen, der im Prinzip auch Null hätte sein können. Ist er aber nicht, im Gegenteil: Die Natur ist mindestens so interessant wie erhofft. Was auch eine sehr gute Nachricht für künftige Neutrino-Experimente ist, die nun eine Chance zum Nachweis einer CP-Verletzung haben und damit sehr tiefen Einsichten in die Physik des ganzen Universums, die Existenz der Materie inklusive. The Daya Bay Collaboration, Preprint; BNL, VT, Caltech, IHEP, LBL Releases; Physics World, Symmetry Breaking, Nature Blog, Quantum Diaries, New Scientist, Scientific American, Science Now, Science Journalism Tracker. Und Wired mit noch mehr Neutrino-Experimenten und Tavecchio & al., Preprint, S&T, Physics World mit zwei Spekulationen über Axions

Das erste Spektrum eines Anti-Wasserstoff-Atoms ist beim CERN-Experiment ALPHA („309 Anti-Wasserstoff …“) gewonnen worden: Viel kann man daraus noch nicht lernen, aber mit dieser Technik sollte es später möglich sein („Zum ersten Mal …“), heraus zu finden, ob Materie und Antimaterie identisch sind oder aber eine CPT-Verletzung vorliegt. Was dann auch wieder ungemein fundamental wäre. (LBL, CERN Releases. Und New Scientist, BBC, IO9 mit weiterer Antimaterie-Forschung und Scientific American, Science Journalism Tracker zu kuriosen Gedanken über „Zeit-Kristalle“ …)

„Higgsterie“ – oder 125-GeV-Higgs de facto bewiesen?

„Das Higgs-Boson ist noch nicht entdeckt, aber seine Masse beträgt 125 Mrd. Elektronenvolt“, geht derzeit ein Physiker-Witz: Nicht nur die ATLAS- und CMS-Experimente des LHC sondern auch die CDF- und D0-Detektoren des Tevatron sehen ein vages Signal in diesem Energiebereich, allerdings mit immer nur wenigen Sigma. Der Tevatron in den USA liegt seit letztem September still, aber die Gesamtheit seiner Kollisionsdaten ist nun ausgewertet (wobei u.a. die bisher beste Massenbestimmung des W-Bosons heraus gekommen ist). Und da scheint zwischen 115 und 135 GeV etwas zu sein, mit 2.2 Sigma: ein viel breiterer „Bump“ als beim LHC, weil die Energieauflösung geringer ist, aber die Mitte fällt mit den 124 bw. 125 GeV der ähnlich (in)signifikanten LHC-Exzesse zusammen. Wenn man alle Daten in einen Topf wirft und gut umrührt, kann man eine Gesamt-Signifikanz von beinahe 5 Sigma, also eine Entdeckung, „erzeugen“, aber davor warnen Sachkenner energisch: Die Einzelergebnisse basieren auf einer Vielzahl von Zerfallsszenarien des Higgs, die nicht unabhängig sind – und manche davon zeigen auch gar keinen Exzess, weshalb die Signifikanz des ATLAS-Bumps sogar wieder etwas gesunken ist (aber nicht dramatisch). Gewarnt wird daher vor einer regelrechten „Higgsterie“ schon jetzt und noch etwas Geduld angemahnt: Übermorgen wird der LHC schließlich nach der Winterwartung wieder hoch gefahren, ab dem 7. April gibt’s wieder Proton-Proton-Kollisionen – und schon die International Conference for High Energy Physics im Juli in Melbourne könnte den Durchbruch bringen. (Science 9.3.2012 S. 1159; Symmetry Breaking 9., ATLAS Blog, Spiegel 8., STFC Release, New York Times, AFP, New Scientist, Physics World, Ars Technica, Nature, Resonaances, Quantum Diaries, Symmetry Breaking, BBC, Guardian 7., CERN Release 5., Not even Wrong 4., ATLAS Blog 3., FNAL Release, Guardian, Quantum Diaries, BdW [umfassende Lagebeschreibung] 2., DLF 1.3., Symmetry Magazine März, Edinbg. Video 24., Vixra 23., CERN Courier, Nature 22., Resonaances 21., Discovery, Quantum Diaries 18., Scientific American Blog 17.2.2012)

Statt 7 nun 8 TeV Kollisionsenergie beim LHC

18. Februar 2012

wird es 2012 geben, also 4 statt 3.5 TeV pro Protonenstrahl, wenn sie Mitte März wieder eingeschaltet werden und ab Anfang April auch wieder kollidiert wird: Dieses Jahr sollen dabei ca. 15 inverse Femtobarn eingefahren werden, dreimal so viele Kollisionsereignisse also wie 2011. Und die Anzahl der Higgs-Teilchen, die dabei erzeugt werden sollten, vervierfacht sich sogar: Spätenstens bis Ende des Jahres wird – wenn der Beschleuniger weiter so gut funktioniert – eindeutig klar sein, ob das vage Signal bei 125 GeV vom letzten Jahr real oder doch nur eine Fluktuation gewesen ist. Inzwischen gibt es auch detaillierte Papers zu den gesamten 2011-er Daten: Bei ATLAS hat sich nichts geändert, bei CMS ist der Nachweis geringfügig signifikanter geworden, denn eine neue Kategorie von Ereignissen ist hinzu gekommen.

Ein Kombination aller Messungen beider Detektoren wird es vielleicht nächsten Monat auf einer Konferenz geben: Weil die Energien der möglichen Higgse weiter etwas auseinander fallen (126 bzw. 124 GeV), wird die gemeinsame Signifikanz vermutlich nicht dramatisch über den individuellen (2.5 und 2.1 Sigma) liegen, vielleicht bei 3 Sigma (und vom schon gar nicht mehr arbeitenden Tevatron soll auch was zu hören sein in Sachen pro oder contra Higgs). Wenn das LHC-Signal vielleicht im Sommer mit den neuen Kollisionen zu einer Entdeckung wachsen sollte, hätte ein 125-GeV-Higgs übrigens erstaunliche Konsequenzen für die Stabilität des ganzen Universums: Das könnte nämlich jederzeit in einen noch niedrigeren Energiezustand rutschen – außer zusätzliche Teilchen außerhalb des Standardmodells verhindern dies.

Da der Kosmos bislang recht stabil war, sieht es eigentlich ganz nach der Existenz der letzteren (oder einem anderen Mechanismus gegen den Phasenübergang) aus. In den Kollisionsdaten bis Ende 2011 sind freilich auch nach der neuesten Analyse vom Januar 2012 keinerlei exotische Teilchen jedweder Art aufgespürt worden, insbesondere keine Vertreter der ersehnten Supersymmetrie, die so viele Probleme gleichzeitig lösen würden – genau so wenig wie Anzeichen zusätzlicher Raumdimensionen oder Schwarze Mini-Löcher, beides besonders schwierige Suchen. Hier wird es 2012 entweder die ersten Indizien oder aber aussagekräftige Grenzwerte geben. Und dann kommt der große Umbau: Erst 2015 wird wieder kollidiert, dann aber mit einer Gesamtenergie von 14 TeV, die wieder einen neuen Erkenntnisschub verspricht.

Ellis, Nature 481 [5.1.2012] 24; Quantum Diaries 16., BBC, Physics World, Discovery, Quantum Diaries 14., CERN Release & Video News, Nature Blog, New Scientist, Strassler, Ars Technica, Symmetry Breaking 13., Symmetry Magazine 12., Vixra, New Scientist, Physik Blog 9., Resonaances 8., CMS Collab., ATLAS Collab. Preprints, CERN, ATLAS Releases, Nature Blog, Science 2.0, Strassler, Woit 7., CMS Release 4.2., New Scientist, Resonaances 31., Quantum Diaries 20., McGill, FAZ Blogs 11., Woit 10., TeenSkepChick 8., Uni Mainz PR, New Scientist 6.1.2012, New Scientist 29.12.2011. Und PM der TU Wien 17.1.2012 zu noch flüssigerem Quark-Gluonen-Plasma bei den LHC-Blei-Kollisionen

Borexino gelingt Nachweis der pep-Reaktion in der Sonne

Schon letzten Sommer wurde der Nachweis von Neutrinos dieser Reaktion vom Untergrunddetektor („Erste Neutrinos aus seltener Fusionsreaktion …“) berichtet, jetzt ist die entsprechende Veröffentlichung erschienen: Etwa der der entscheidenden Signale sieht Borexino jeden Tag, nachdem mit erheblicher Mühe der Untergrund reduziert werden konnte. (Science News 8., Physics World 9.2.2012. Auch Pan European Networks 24.2.2012 zu grünem Licht für das Neutrinoteleskop KM3NeT, Nature Blog 26.1.2012 mit einem US-Ruf nach einem ordentlichen Untergrundlabor für Neutrinoforschung und de Putter & al., Preprint 9.1.2012 mit neuen Neutrino-Massengrenzen aus der SDSS. Und Kanekar & al., Preprint 16., New Scientist, Science Journalism Tracker 26.1.2012 zu Problemen beim astronomischen Test der Konstanz von Naturkonstanten, astrobites 31.1.2012 mit kosmischer Messung des p/e-Massenverhältnisses und Nature 31.1.2012 mit Problemen bei der Messung der Ladung des Neutrons im Labor)

Die Datenlage in Sachen direkten Nachweises Dunkler Materie bleibt konfus, nachdem 3 Detektoren irgendwas sehen, 2 aber nicht: Mit viiiel gutem Willen könnte man das mit einem WIMP von etwa 10 GeV erklären, das sich den beiden Negativ-Experimenten irgendwie entzieht. (Hooper, Preprint 5., New Scientist 9.1.2012. Und astrobites 17.1.2012, Physics World 8.12.2011 mit Nullresultaten von Fermi bzgl. DM-Vernichtungs-Strahlung aus nahen Zwerggalaxien. Sowie Fang & al., Preprint 25.1., New Scientist 1.2.2012 zu jungen Pulsaren als möglicher Quelle von UHECRs und arxiv Blog 13.5.2011 zur möglichen Beobachtung derselben per Satellit)

Dunkel-Materie-Detektion im Untergrund-Labor: Nun steht es 3:2 …

15. September 2011

Drei Detektoren für den Nachweis von Teilchen der Dunklen Materie in unterirdischen Labors melden jetzt moderat positive Resultate („CoGeNT-Daten …“), zwei andere – wie gehabt – nichts: Mit viel gutem Willen könnte man die drei Signale von DAMA, CoGeNT und nun auch CRESST II noch unter einen Hut bringen, aber sie stehen im krassen Widerspruch zu den Negativmeldungen von XENON 100 und CDMS II. Manche Physiker sind angesichts der CRESST-Daten – 67 Events in Kalziumwolframat-Kristallen, von denen nur 40 durch bekannten Untergrund erklärt werden können – jetzt optimistischer geworden, dass die direkte Beobachtung der ansonsten nur astronomisch motivierten Dunklen Materie geschafft sein könnte, andere halten es für mindestens so wahrscheinlich, dass alle drei Positivresultate falsch sind und durch unterschiedliche unerkannte Hinterhrundeffekte oder systematische Fehler vorgetäuscht werden. Umgekehrt werfen einige der vermeintlich erfolgreichen Gruppen der detektionslosen Konkurrenz weiterhin Unfähigkeit vor – als einziges echtes Fazit bleibt also wieder nur: weiter warten auf bessere Detektoren, tieferes Verständnis der Störquellen und signifikantere Signale … Paper von Angloher & al. 4., Cosmic Variance 5., DLF 6., New Scientist, BBC 7., Physics World 8., KosmoLogs 9., Science News 12., Nature News 13., ASPERA 15.9.2011. Auch Papers zu WIMPs geringer Masse und neuen Limits durch die Detektoren XENON 100 und EDELWEISS-II. Und New Scientist 6.9.2011 zu Beobachtungen des Fermi-Satelliten, die nicht mehr zu zerstrahlender Dunkelmaterie passen

LHC besser als geplant: einfachste Supersymmetrie schon tot, Urteil über das Higgs-Teilchen bis Weihnachten denkbar

Der Large Hadron Collider läuft so hervorragend, dass wichtige Meilensteine bis zu einem Jahr früher als erhofft erreicht werden könnten – bloss wirklich Neues hat er immer noch nicht gefunden. Was bei Experimental- wie theoretischen Physikern inzwischen zwiespältige Gefühle hervorruft: Das Standardmodell der Teilchenphysik hat sich dank der LHC-Daten als robuster denn je erwiesen (und eine vermeintliche Abweichung, die Daten des Konkurrenten Tevatron zu liefern schienen, bestätigt der LHC-Detektor LHCb nicht), während gleichzeitig das dazu gehörige Higgs-Teilchen fehlt und sich immer weniger verstecken kann. Auch die einfachste Version der unter Theoretikern so populären Supersymmetrie als Erweiterung des Standardmodells hat der LHC praktisch schon erledigt: Weder sieht er die von ihr vorausgesagten Teilchen noch hat LHCb entsprechende Effekte registriert. In Sachen Higgs gibt es nun Optimismus, dass schon bis Weihnachten 2011 (und nicht 2012) ein klares Urteil möglich sein könnte, ob es denn nun existiert oder nicht: Noch stehen dem LHC gut zwei Monate Proton-Proton-Kollisionen mit hoher Rate bevor (gefolgt von einem Monat Blei-Blei-Kollisionen und einer Wartungsperiode bis kommendes Frühjahr). Mehr und mehr Artikel sind nun zu finden, in denen Physiker beteuern, eigentlich wäre es ja viel spannender, wenn der LHC das Higgs ausschließen könne – denn das würde den ersehnten Schritt über das Standardmodell hinaus zwangsläufig zur Folge haben, und der LHC würde Nobelpreis-trächtiges Neuland betreten. Genau diese Erweiterung der Teilchenphysik über das nun doch schon Jahrzehnte alte Standardbild hinaus ist dem Tevatron bei allen Erfolgen versagt geblieben: Ende dieses Monats ist es nun vorbei mit ihm. (Science News „24.“, Telegraph 14., LBL ATLAS Blog 10., Not even Wrong, Reuters 5., Quantum Diaries 2., BBC, UPI 1.9., CERN Bulletin, Ars Technica 29., BBC 27., CERN Release 26.8.2011. Und ATLAS Blog 6.9.2011 zu CERN bei der Ars Electronica und DLF 12.9.2011 zu kommenden kleinen Ringbeschleunigern)

Erste Neutrinos aus seltener Fusionsreaktion der Sonne von Borexino nachgewiesen

Die Borexino-Kollaboration hat im italienischen Gran-Sasso-Untergrundlabor hat dank verbesserter Unterdrückung von störenden Hintergrundereignissen erstmals Neutrinos aus der seltenen Fusionsreaktion von zwei Protonen und einem Elektron nachgewiesen und zugleich die bislang strengste Obergrenze für den so genannten Bethe-Weizsäcker-Zyklus bestimmt: Beide Resultate bestätigen die gängigen Modellvorstellungen zur Energieerzeugung der Sonne. Nach dem gängigen Sonnenmodell dominiert der so genannte Proton-Proton-Zyklus, der mit der Verschmelzung zweier Protonen (pp-Reaktion) startet: Die hieraus entstehenden Neutrinos haben recht niedrige Energie und waren daher lange Zeit schwer aufzuspüren. Borexino hat aber in den letzten Jahren unter Einbeziehung der Vorgängerexperimente Gallex/GNO den pp-Neutrinofluss indirekt bestätigt und zwei weitere Komponenten (7Be- und 8B-Neutrinos) aus diesem Fusionszyklus direkt nachgewiesen („Den 7Be-Sonnenneutrino-Fluss …“). Offen blieb noch der Nachweis einer alternativen Startreaktion, bei der zwei Protonen und ein Elektron zu einem Deuteriumkern unter Aussendung eines Neutrinos verschmelzen (pep-Reaktion). Dieses Neutrino hat höhere Energie und lässt sich besser nachweisen, jedoch ist diese Reaktion 400mal seltener, da sich hierfür drei Teilchen treffen müssen. Mit Borexino können täglich etwa 50 solare Neutrinos beobachtet werden, aber für den Nachweis der pep-Neutrinos mussten die Forscher weitere Tricks anwenden, um den Untergrund heraus zu filtern. (PM des MPI für Kernphysik 15.9.2011. Auch TU München Press Release, Exzellen Cluster Universe PM 6.9.2011 zur laufenden Theta13-Messung von Neutrinooszillationen mit dem Double-Chooz-Experiment und Physics World und Physics World Blog 13.9.2011 zu möglichen fundamentalen Physik-Tests mit Hilfe der Sonne)

LHC lässt dem Higgs immer weniger Verstecke

24. August 2011

Keine Spur des letzten „fehlenden“ Teilchens des Standardmodells der Teilchenphysik ist bislang in den Datenfluten des Large Hadron Collider zu finden, und das ohnehin nie signifikante vermeintliche Signal, von dem auf einer Tagung im Juli zu hören war, ist seitdem deutlich schwächer geworden und bei beiden Hauptdetektoren ATLAS und CMS jeweils von knapp 3 auf etwa 2 Sigma gefallen. Auf der Basis von fast doppelt so vielen Kollisionsdaten wie damals sowie gestiegenem Verständnis für Störeffekte wurden vorgestern auf der nächsten Mega-Tagung „Lepton-Photon 2011“ in Mumbai neue Ausschluss-Zonen für das Higgs präsentiert, allerdings nicht die angekündigte gemeinsame Analyse von ATLAS und CMS: Die schiere Datenmenge gerade der letzten Wochen – der Beschleuniger läuft fast schon zu gut – hat den Physikern keine Zeit gelassen. So hörte man nun von ATLAS, dass 80% des prinzipiell erlaubten Massenbereichs unter 466 GeV mit 95% confidence limit ausgeschlossen werden können: Noch möglich wären Higgse mit 115-146, 232-256 und 282-296 GeV sowie mit mehr als 466 GeV Masse.

Das CMS schließt derweil mit der gleichen Wahrscheinlichkeit Higgse mit 145-216, 226-288 und 310-400 GeV und mit 90% C.L. den gesamten Bereich 144-440 GeV aus, während von 110 bis 600 GeV „keine überzeugenden Extra-Ereignisse“ zu sehen sind. Bis Jahresende (wenn ab November wieder Blei-Blei-Kollisionen für andere Zwecke eingeschoben werden) sollte sich die Datenmenge der Proton-Proton-Kollisionen des LHC ein weiteres Mal verdoppeln: Bis dahin kann der geschrumpfte Exzess bei 140 GeV entweder so weit zurück gegangen sein, dass man ihn komplett verwerfen darf – oder er ist wieder gewachsen. Dann allerdings würde es noch bis Ende 2012 dauern, bis er Signifikanz erlangen könnte. Zu diesem Zeitpunkt sind zugleich auch lückenlose Aussagen über den gesamten möglichen Massenbereich zu erwarten. Klar ist bisher nur, dass dem LHC ein schneller Erfolg beim Higgs-Fang nicht beschieden ist, auf den manche gehofft hatten: Wenn es das Teilchen gibt (und die meisten Physiker gehen fest davon aus, auch wenn ein gewisser S. Hawking keck dagegen gewettet hat), dann hat es vermutlich eine Masse von nur 120-140 GeV – und genau dort tut sich der LHC besonders schwer (und der bisherige Nichtnachweis bedeutet noch gar nichts).

Und was, wenn am Ende gar kein Higgs zu finden sein sollte? Die bislang erfolglose Suche beunruhigt manche nun doch, und alternative Vorstellungen, wie denn die Teilchen zu ihren Massen gekommen sein sollen, werden bereits wieder stärker zur Kenntnis genommen. Leider würden Tests von diesen Konzepten mitunter unbezahlbare Teilchenbeschleuniger noch weit jenseits der LHC-Energie erfordern … Higgs-Updates von ATLAS, CMS, CERN, FNAL 22., Caltech Feature 15.8., ATLAS Update 27., CMS Update 22.7.2011; Resonaances, Ars Technica, Scientific American Blog, The Hindu, Science Journalism Tracker, DLF, Spiegel, Wahrheit über Wahrheit 23., Physics World, Nature News, Quantum Diaries, Science 2.0, New Scientist, Guardian, BBC, Telegraph 22., Quantum Diaries 21., ATLAS Blog, Guardian 20., Not even Wrong 18., Quantum Diaries, Universe Today 16., Not even Wrong 12., Science Blogs 11., Particular Significance 10., Guardian 6., Telegraph 1.8., ATLAS Blog, Cosmic Variance, MSNBC 27., Colbert Nation 25.7.2011. Auch Science Blogs 11.8.2011 zu SuSy-Problemen (da sieht der LHC auch keine Spuren von), BBC 11.8.2011 zu LHC@home, und New Scientist Blog 16.8.2011 zu Kunst bei CERN …

Chinesisches Neutrino-Experiment beginnt den Betrieb

Die Detektoren von Daya Bay in China „bedienen“ sich zweier großer Kernkraftwerke in der Nähe, die fleißig Antineutrinos produzieren: Aus der präzisen Messungen von deren Verschwinden aufgrund von Neutrinooszillationen soll sich der am ungenauesten bekannte der drei ‚Mischungswinkel‘ dieses Phänomens, Theta-1-3, besonders präzise bestimmen lassen, unbeeindruckt von einem – extra zu bestimmenden – Phasenfaktor. Daya Bay reiht sich damit ein in die Experimente T2K in Japan und MINOS („Oszillationen …“) in den USA, die bei der Beobachtung anderer Neutrinooszillationen jeweils schon fündig wurden. Das Experiment – das jetzt nach und nach eingeschaltet wird – ist auch deshalb bemerkenswert, weil die 68 Mio.$ je zur Hälfte von China und den USA aufgebracht wurden; China kümmerte sich auch um die Bauarbeiten drum herum. (IHEP Press Release 15., Physics World 16., Welt der Physik 18.8.2011. Und Science News 12.8.2011 zu den anderen beiden Experimenten)

Krawall unter Dunkel-Materie-Jägern geht in nächste Runde: Zwischen den Forschern des XENON-100-Experiments, die partout keine Teilchen der Dunklen Materie fangen, und den Experimenten DAMA und CoGeNT, die eine jahreszeitliche Variation derselben zu sehen behaupten, kracht es schon lange – und nun sagt XENON, man habe besagte Variationen mit dramatischer Signifikanz ausgeschlossen. Das werden die anderen kaum auf sich sitzen lassen … (Ars Technica 15.8.2011. Und arXiv Blog 24.8.2011 zu Experimenten, die offenbar die Schwerkraft als echte Kraft und nicht nur „emergentes“ Phänomen der Entropie bestätigen)

Der Large Hadron Collider treibt das Higgs-Teilchen, die Supersymmetrie & Co. in die Enge

26. Juli 2011

Der Hochsommer ist die Zeit der großen Tagungen der Teilchenphysik, und dieses Jahr steht natürlich der Large Hadron Collider im Zentrum: nicht mit Entdeckungen, worunter man den Nachweis eines neuen Teilchens oder Effekts mit 5 Standardabweichungen (Sigma) Signifikanz versteht, ja nicht einmal „Evidenz“ (3 Sigma). Sondern mit harten Limits für all die gesuchten Phänomene, für die immer weniger ‚Platz‘ bleibt, um sich noch zu verstecken: Das gilt ebenso für das letzte noch unentdeckte Teilchen des Standardmodells (SM) der Teilchenphysik, das Higgs, wie auch für Erweiterungen des SM in Richtung Supersymmetrie, zusätzliche Dimensionen etc. Die Datenmenge, die der LHC inzwischen eingefahren hat, ist deutlich größer als geplant, und täglich wird die Proton-Proton-Kollisionsrate weiter gesteigert: Nicht erst Ende 2012, wie das CERN-Management weiter konservativ verspricht, sondern schon diesen Herbst oder Winter könnten die ersten harten Aussagen möglich werden, hieß es vielfach auf der International Europhysics Conference on High Energy Physics, die derzeit in Grenoble läuft.

Das größte Interesse gilt dabei natürlich dem Higgs-Teilchen, das das SM abschließen und u.a. erklären würde, wie alle anderen Teilchen zu ihren Massen kommen – seine Masse selbst lässt sich indes nur sehr vage mit 100 bis 600 Protonenmassen = 95 bis 550 GeV/c^2 vorhersagen. Bereits der LHC-Vorgänger LEP hat nachgewiesen, dass das Higgs mindestens 114 GeV schwer sein musste, und der US-Beschleuniger Tevatron und nun der LHC haben den noch erlaubten Massenbereich immer weiter eingegrenzt: Verboten sind nun 155-190 und 295-450 GeV (LHC-Atlas, 95% Confidence) bzw. 149-206 und 300-440 GeV (LHC-CMS). Die beiden Tevatron-Detektoren CDF und D0 schließen derweil 157-174 bzw. 162-170 GeV aus. Die Limits aus diversen Detektoren einfach addieren darf man übrigens nicht; gemeinsame Limits zu berechnen ist kompliziert. Kurioserweise zeigt sich im erlaubten Bereich unter 150 GeV bei beiden LHC-Detektoren derzeit ein „Exzess“, d.h. ein vager Hinweis auf Teilchen mit weniger als 3 Sigma Signifikanz: bei 120-145 GeV mit 2.8 Sigma bei ATLAS und bei 130-150 GeV mit ca. 2 Sigma bei CMS.

Da allerdings beide Detektoren sehr ähnliche Mathematik zur Berechnung des Hintergrunds verwenden, auf dem dieses potenzielle Signal eines massearmen Higgs sitzt, handelt es sich nicht wirklich um eine gegenseitige Bestätigung, und gejubelt wird nicht. Auch das Tevatron sieht bei 140 GeV etwas, freilich nur mit nur 1 Sigma und daher kaum relevant, während LHCs ATLAS auch noch einen schwachen Exzess im erlaubten ’schwereren‘ Bereich bei 250 GeV hat. Der gute Lauf des LHC, der bis Jahresende fünfmal so viele Kollisionen wie bisher eingefahren haben sollte, dürfte dafür sorgen, dass die Exzesse nun binnen weniger Monate entweder zu Evidenz und schließlich Entdeckungen werden (was man daran erkennen würde, dass bei ATLAS wie CMS das Signal parallel weiter wächst) – oder aber ebenso verschwinden wie diverse andere vor ihnen. Das Higgs ist also eingekesselt, und spätestens nächstes Jahr wird klar sein, ob es existiert oder nicht: Beides wäre für die Physik spannend, letzteres sogar auf- und für die Zukunft auch anregender aber auch ziemlich unheimlich.

Derweil hat der LHC inzwischen auch scharfe Limits für zahlreiche von Theoretikern erdachte Erweiterungen des SM geliefert, denn weder Teilchen der Supersymmetrie noch Hinweise auf zusätzliche Raumdimensionen auf kleiner Skala (was die Entstehung der berüchtigten Schwarzen Mini-Löcher fördern würde) oder unbekannte Bosonen oder sonstige schwere Teilchen sind bisher in den Kollisionsdaten zu sehen, und die Quarks bleiben auch bei den bisherigen LHC-Energie punktförmig. „Niedrig hängende Früchte“ für den teuren Beschleuniger, auf die so mancher Physiker heimlich gehofft hatte, gibt es damit offenbar nicht, und in Grenoble machte sich bei aller Begeisterung über die Leistung des LHC, der nun reihenweise theoretische Vorhersagen mit der Realität konfrontiert, auch etwas Frust breit. Konkret für die populäre Supersymmetrie bedeutet das bisherige LHC-Nullresultat bereits, dass ihre einfachste Variante kaum mehr zu halten ist, da unter ~900 GeV keine „Spartikel“ gefunden wurden: „Die Luft wird dünn,“ hieß es in Grenoble.

Rasant geht es nun jedenfalls weiter: Bereits morgen werden auf der Tagung die gemeinsamen Higgs-Limits der beiden Tevatron-Detektoren präsentiert [NACHTRAG: Danach ist 156-177 GeV ausgeschlossen], im August dann in Mumbai gemeinsame der beiden LHC-Detektoren [NACHTRAG: die zusammen derzeit etwas bei 144 GeV mit 2.9 Sigma sehen]. Und ein britischer Buchmacher geht bei Wetten auf das Higgs neuerdings klar von seinem Nachweis noch 2011 aus … Physics World Blog, Symmetry Breaking, Basler Zeitung 26., Nature News & Blog, Quantum Diaries, New Scientist, Not Even Wrong, Cosmic Log, Independent, BBC, Space.com, Science Journalism Tracker 25., BBC, Ian Sample 24., BBC, KosmoLogs 23., Nature News, Physics World, Symmetry Breaking (mehr), Science Now, New Scientist Blog, Quantum Diaries 22.7.2011. Auch Fermilab Relase 20., Ars Technica 21., Welt der Physik 22.7.2011 zu einem neuen Baryon (aus strange, up & bottom) vom Tevatron und Nature News 23., Spiegel 15., Symmetry Breaking 14.7.2011 zu weiteren aktuellen Tevatron-Entdeckungen (asymmetrische Quarks bzw. ein seltener Zerfall) sowie DLF 26.7.2011 zum möglichen LHC-Nachfolger CLIC

Geoneutrinos: Halbe innere Erdwärme von Radioaktivität

Gleich 111 (Anti-)Neutrinos aus dem Erdinneren hat das japanische KamLAND-Experiment einfangen können, eine Größenordnung mehr als bei früheren Experimenten („10±4 Neutrinos …“): Daraus lässt sich berechnen, dass der radioaktive Zerfall im Erdinneren ungefähr 20 Terawatt Leistung erbringt, in ganz gutem Einklang mit theoretischen Modellen zur Menge der radioaktiven Isotopen. Da aber insgesamt 44 TW aus dem Erdinneren dringen, muss es noch andere Quellen geben: vielleicht aus der Entstehung des Sonnensystems herüber gerettet, vielleicht von einem anderen Prozess erzeugt. (Physics World, New Scientist 19.7.2011)

Spielt die Rotation der Milchstraße eine Rolle … in der Teilchenphysik? Das Frame-dragging von Materie durch das Schwerefeld der rotierenden Milchstraße bringen jetzt Theoretiker ins Spiel, um die CP-Verletzung bei bestimmten Teilchenzerfällen in den Griff zu bekommen: Das wiederum könnte den Weg zur Erklärung der Materie-Antimaterie-Asymmetrie nach dem Urknall weisen. (Hadley, Preprint 8., Warwick Release, Space.com 14.7.2011. Auch Physics World 25.7.2011 zur leichteren Positronium-Herstellung und BdW 8.6.2011 zum Langzeit-Fang von Antimaterie)

HiggsiLeaks am LHC: Internes ATLAS-Memo sorgt für Wirbel – und vermutlich ist nichts dran

26. April 2011

Nein, das ATLAS-Experiment vom Large Hadron Collider behauptet nicht, das Higgs-Teilchen mit einer Masse von 115 GeV entdeckt zu haben: Das steht lediglich in dem internen Memo ATLAS-COM-PHYS-2011-415 von gerade einmal vier Autoren, das vom Rest der Tausenden von Physikern an diesem Detektor noch gar nicht unter die Lupe genommen wurde und das Sprecher des Experiments wie des gesamten CERN bereits öffentlich für zwar echt aber zugleich wahrscheinlich falsch erklärt haben. Solche Memos von kleinen Untergruppen kursieren häufig und erweisen sich nur selten als so glaubwürdig, dass man sie überhaupt publik macht. Kurioserweise war einer der Memo-Autoren auch an der verzweifelten Higgs-Jagd mit dem LHC-Vorgänger LEP beteiligt gewesen, und die Masse des nun angeblich entdeckten LHC-Teilchens wäre mit 115 GeV praktisch dieselbe, die er damals vermutet hatte. Allerdings wäre der Wechselwirkungsquerschnitt dieser Teilchen nach den LHC-Messungen um einen Faktor 30 höher als theoretisch zu erwarten (was außerdem Tevatron-Daten zu widersprechend scheint), und dass die Signifikanz des Effekts bereits 4 Sigma betrage, wird auch bezweifelt. Eine statistische Schwankung, die wieder verschwinden wird, ist wohl die wahrscheinlichste Erklärung. Also: weiter warten auf richtige Papers von ATLAS und/oder CMS mit Higgs-, SuSy- oder sonstigen Effekten jenseits des Standardmodells, die tatsächlich eine höhere Herzfrequenz verdient haben. Not even wrong 21., Resonaances, The Reference Frame, Science 2.0, New Scientist Blog, LiveScience, Wired 22., IO9 24., Discovery, Science Journalism Tracker, Nature News 25., Sydney Morning Herald, Physics World, Starts with a Bang, BBC, Science Journalism Tracker, PhysikBlog 26.4.2011

Der LHC hat den Weltrekord für Luminosität gebrochen und damit das Tevatron übertrumpft, das erst letztes Jahr einen neuen Rekord aufgestellt hatte. In einer einzigen Woche werden bereits mehr Kollisionen beobachtet als im ganzen Jahr 2010: Möglich gemacht hat das nicht nur das immer bessre Verständnis, wie man den Riesenbeschleuniger optimal betreibt, sondern auch ein regelrechtes Freispülen des Vakuumrohres. Da die Bauteile noch neu sind, gasen sie aus, aber zehn Tage mit energiearmen aber besonders vielen Protonen haben die meisten Moleküle beseitigt: Sie wurden von den Protonen negativ aufgeladen und dann abgestoßen und mit Wucht in den Wände getrieben. (CERN Release, Quantum Diaries [früher], Reuters, Discovery 22.4.2011)

Kuriose Spekulation: Hatte der Kosmos erst eine, dann zwei und erst zum Schluss drei Raumdimensionen?

Diese „Vanishing Dimensions“-Hypothese erregt vor allem deswegen Aufsehen, weil sie mal nicht mit mehr Raumdimensionen (wie die String-Theorie mit 10 oder 11 davon) sondern weniger als den beobachteten dreien argumentiert: Je höher die Energie, desto weniger Dimensionen. Das gälte dann sowohl in der Vergangenheit in der Nähe des Urknalls wie auch in der Gegenwart bei Hochenergieprozessen: Bei Kosmischer Strahlung wird immerhin der kuriose Effekt beobachtet, dass sich Kollisionstrümmer bei hohen Energien bevorzugt in einer Ebene statt in einem gefüllten Kegel ausbreiten. Solche Effekte müsste es auch im LHC zu sehen geben – und sie müssten sich bei Gravitationswellen bemerkbar machen. Bislang ist die Vanishing-Hypothese aber nur eine nette Spekulation, der Kritiker zu wenig Substanz vorwerfen. (University at Buffalo Press Release 20., CSM, Space.com 22.4.2011. Und ein Caltech Release 10.4.2011 zu einer neuartigen Visualisierung der gekrümmten Raumzeit mit Tendex- und Vortex-Linien und Atra Materia 26.4.2011 zur Sichtweise, dass die Zeit nur eine 4. Raumdimension sei …)

LHC wird wieder hoch gefahren – und erste Negativ-Resultate in Sachen Supersymmetrie und Higgs-Teilchen

12. März 2011

Seit dem 19. Februar kreisen nach der Winter-Wartungspause wieder Protonen im Large Hadron Collider, der sich ohne nennenswerte Probleme wieder in Betrieb nehmen ließ, und ab Mitte März sollen sie auch wieder kollidieren: Da nun die „Leuchtkraft“ von Anfang an viel höher ist als während deren vorsichtiger Steigerung das Jahr 2010 hindurch, werden 2011 rund 100-mal mehr Kollisionsdaten – und damit viel aussagekräftigere Statistik – erwartet. Trotzdem waren auch schon die 2010-er Daten neben der Bestätigung des Standardmodells der Teilchenphysik bereits für Tests zumindest bestimmter Ideen in Sachen Supersymmetrie und Higgs-Mechanismus gut genug: Beide verliefen negativ. Doch das bedeutet noch nicht viel: Bei der – weithin als besonders sinnige und „schöne“ Erweiterung des Standardmodells angesehenen – Supersymmetrie können CMS und ATLAS bislang nur die Variante CMSSM + mSUGRA ausschließen, beim Higgs gilt das nur für eine spekulative Erweiterung der Teilchenfamilienzahl von 3 auf 4 und einen bestimmten Massenbereich.

Wenn der LHC weiter so gut läuft, sollte sich Supersymmetrie der einen oder anderen Art aber im Laufe des Jahres blicken lassen – wenn dies jedoch auch bis Ende 2012 (wenn der LHC für umfangreiche Upgrades ein Jahr lang still gelegt wird) immer noch nicht der Fall sein sollte, dann sieht es womöglich schlecht aus. Dito in Sachen Higgs (oder Higgse), aber da würde so mancher Physiker sogar eine eindeutige Nicht-Detektion für interessanter als einen Nachweis halten, weil das der Teilchenphysik erst recht neuen Schub verleihen würde. Symmetry Breaking 10., Interactions 7., Starts with a Bang 4., Symmetry Breaking, New Scientist Blog, Nature OpEd 2.3., CERN Bulletin, Nature, BBC 28., Symmetry Breaking 25., New Scientist Blog 24., Physics World, Science 2.0 22., Reuters 21., Paper vom Scopel & al., Physics World Blog, Cosmic Log 20., Cosmic Variance 17.2.2011. NACHTRAG: Nun kollidieren sie wieder, die Protonenstrahlen! Und neue Higgs-Limits vom Tevatron – ist das Teilchen eher leicht?

Nachweis der Dunklen Materie nahe – oder gar schon im Kasten?

In den kommenden 5 bis 10 Jahren wird auf einem oder mehreren Wegen ein überzeugender Nachweis von Teilchen der Dunklen Materie gelungen sein, davon gehen heute viele Teilchenphysiker aus – und ein paar sind sich sogar (fast) sicher, schon ein mehr oder weniger überzeugendes positives Signal gefunden zu haben. Allerdings ist das Forschungsgebiet von ungewöhnlicher Aggression der kleinen Forschungsgruppen untereinander gekennzeichnet, und des einen Entdeckung ist meist des anderen Selbsttäuschung. Auch wirft man sich gerne gegenseitig vor, nicht alle Fakten auf den Tisch zu legen, so dass die statistische Bewertung behaupteter Effekte mitunter Geschmackssache bleibt; eine kontroverse Metaanalyse sieht z.B. jetzt bei gleich drei Detektionsexperimenten Verdächtiges. Auch die Schwelle, ab der man von einem klaren Nachweis eines DM-Teilchen sprechen kann, ist kontrovers: Manchen würde es genügen, wenn zwei direkte Detektionsexperimente (also Messgeräte für Exotisches tief im Untergrund) parallel ein Auf und Ab der Rate – im Einklang mit dem Erdorbit um die Sonne – sehen würden, andere verlangen zusätzlich die Erzeugung des Teilchens in einem Beschleuniger. (Science 4.3.2011 S. 1132-3. Auch Cosmic Variance, Physics Today Blog und Starts with a Bang zu der Falschmeldung, die DM sei widerlegt worden, und Astrobites zu ihrer Beobachtung per Microlensing)

Radioaktivitätsproblem beim direkten Detektor XENON100: Eines der wichtigsten Untergrundexperimente zum direkten Nachweis durchzischender DM-Teilchen wird empfindlich von zerfallendem Krypton-85 gestört, das sich in den 161 kg flüssigem Xenon befindet – zwar lassen sich die Zerfallsereignisse aufgrund ihrer Signatur heraus filtern, aber leider nur mit 99.5%iger Sicherheit. Will sagen: Jedes 200. vermeintliche DM-Teilchen ist ein falsches positives, und das ist bei der geringen zu erwartenden Detektionsrate ein Problem, an dem nun emsig gearbeitet wird. (Nature 25.2.2011)

Large Hadron Collider immer besser – und an der Schwelle zu „neuer Physik“?

11. August 2010

Der Large Hadron Collider hat in den ersten drei Monaten („Immer neue Ergebnisse …“) mit 3.5 TeV/Strahl den gesamten bekannten Teilchenzoo wiederentdeckt, das Top-Quark inklusive, die ‚Leuchtkraft‘ konnte beständig gesteigert werden, und das Management gibt sich optimistisch, dass vor der nächsten längeren Abschaltung Ende 2011 oder Anfang 2012 genügend Kollisionsdaten gesammelt worden sind, um zu ’neuer Physik‘ der einen oder anderen Art vorzustoßen. Und dabei gibt es – zur Zeit jedenfalls noch – weiter einen regelrechten Wettlauf mit dem amerikanischen Konkurrenten Tevatron. Den würde das Fermilab gerne nach 2011 bis 2014 weiter betreiben, was allerdings 100 Mio.$ kosten würde, die bereits für andere neue Teilchenexperimente verplant sind. Doch es würde dann die vage Chance winken, dem LHC dessen populärstes Jagdziel, das Higgs-Boson, weg zu schnappen.

Gerade erst hat das Tevatron wieder ein wichtiges Nullresultat beigesteuert: Zwischen 158 und 175 GeV/c^2 Masse kann das Higgs nicht haben, womit es – andere Nichtnachweise hinzu genommen – in den Massenintervallen 114 bis 158 oder 175 bis 185 GeV liegen muss (wenn es denn existiert). Und die Tevatroniker glauben, dass sie mit den 65% mehr Daten, die sie bei einem Betrieb bis 2014 statt 2011 einfahren würden, das Higgs nachweisen könnten – und das knapp vor dem LHC. Dessen Leuchtkraft (und entsprechend Kollisionsrate) wird zwar laufend gesteigert, seit Ende März bereits um einen Faktor 1000, und seine Kollisionsenergie ist schon jetzt höher, aber das Tevatron – schon länger in voller Fahrt – hat einen Vorsprung. Auch aus LHC-Sicht gelten beide Beschleuniger die nächsten 2-3 Jahre als „komplementär“. Aber wann wird einer der beiden den ersten klaren Hinweis auf „neue“ Physik jenseits des Standardmodells finden?

Der Nachweis des Higgs wäre kurioserweise einfacher, wenn es im höheren Massenbereich läge: Oberhalb von 140 GeV würde es bereitwillig in Paare von Z- oder W-Bosonen zerfallen, die ein relativ klares Signal versprechen, ein leichteres Higgs zerfiele dagegen in b-Quarks, die sich kaum vom Hintergrund anderer Ereignisse abheben. Im ersteren Fall könnte dem LHC der Nachweis schon nach einem Jahr gelingen, im anderen kann es auch 5 Jahre dauern. Auch Hinweise auf Supersymmetrie oder zusätzliche Raumdimensionen werden vermutlich mehrere Jahre auf sich warten lassen, aber es gibt noch andere Kandidaten, die schon viel früher auftreten könnten. Besonders exotisch dabei die spekulative Möglichkeit, dass bei hohen Energie die Anzahl der Raumdimensionen abnimmt, was sich ziemlich klar in dem Muster verraten würde, in dem Kollisionsprodukte auseinander fliegen.

Wann die große Abschaltung des LHC für umfangreiche Nachbesserungen beginnt, die dann einen Betrieb mit den vollen 7 TeV pro Strahl ermöglichen soll, steht noch nicht fest: irgendwann nach 18 bis 24 Monaten Betrieb bei 3.5 TeV, wenn „ein inverses Femtobarn“ Kollisionsdaten im Kasten sind. Aber es ist inzwischen klar, dass sie dann wohl 15 Monate dauern wird, weil nicht nur unzählige Schweißnähte erneuert werden müssen sondern auch noch andere Arbeiten nötig sind. Nicht nur der LHC, auch andere große CERN-Experimente werden in dieser Zeit ruhen: Sämtliche Arbeitskraft wird für den LHC gebraucht. Ende 2015 wird der LHC ein zweites Mal abgeschaltet, um ihn noch leistungsfähiger zu machen, für einen Betrieb des „Super-LHC“ bis 2030.

Tevatron Collabs., Preprint 26.7.2010; CERN Tweet 9., CERN Bulletin 2.8., CERN, STFC Releases 26., CERN Bulletin 5.7., CERN Tweet 28.6.2010; Science 30.7.2010 S. 498-9; Ars Technica 11., Cosmic Variance, Spektrum Direkt, Discovery 10., Nature 4., BBC, Ars Technica 2., Science 2.0 1.8., Science Blogs 30., Ars Technica, Science Blogs, Reuters, Spiegel 28., Astronomy Now 27., Physics World, Science 2.0, Science Journalism Tracker, Spiegel 26., Science 2.0 21., Nature 20., Science 2.0 17., BBC 14., New Scientist Blog 13., Discovery, Telegraph 12., Science 2.0 8., New Scientist 7.7., Discovery 29., BBC 28.6.2010. Und: wie der LHC-Strahl klingt (wenn er die Wand trifft) sowie die Sonfikation der Kollisionsdaten, auch hier, hier und hier beschrieben

Was nach dem LHC kommt, wird schon eine Weile vorbereitet, aber über den Weg wird keinesfalls entschieden, bevor der LHC klar gemacht hat, was es in seinem Energiebereich Neues zu entdecken gilt. Auf jeden Fall soll es ein Leptonen-Collider sein, der klarere Ergebnisse als ein Hadronen-Collider verspricht, weil dort Partikel kollidieren, die aus jeweils mehreren Quarks bestehen. Die Wahl muss zwischen dem International Linear Collider (ILC), der technologisch weniger anspruchsvoll aber auch leistungsschwächer wäre, und der Alternative Compact Linear Collider (CLIC) getroffen werden: Lange ‚bekämpften‘ sich beider Arbeitsgruppen, allmählich kommt man sich aber näher – und der LHC-Nachfolger dürfte das erste echte globale Collider-Projekt werden. Mit einer Fülle von administrativen Problemen, die neben den technischen auch noch gelöst werden müssen. (Physics Today Juli 2010 S. 22-4, auch Symmetry, Science Blogs, New Scientist)

Neuer Dunkle-Materie-Detektor wird in Sudbury installiert

Diesen Monat wird eine 4-kg-Blasenkammer, später im Jahr dann eine mit 60 kg, im Sudbury Neutrino Observatory in Untergrund Kanadas aufgestellt: Dies gilt als bisher anspruchsvollster Versuch, die mutmaßlichen Weakly Interacting Massive Particles, die für die DM des Kosmos verantwortlich sein dürften, direkt nachzuweisen. Und zwar mit einer Variante der klassischen Blasenkammer – und dem Hinweis, dass es bis zu einem zweifelsfreien WIMP-Nachweis ein Jahrzehnt dauern kann. (Univ. of Chicago Press Release 11.8.2010. Auch BBC zu Überlegungen, den CDMS-II-Detektor ebenfalls ins SNOLab zu schaffen, und Physics World zu positiven WIMP-Detektionen [„Auf der Jagd …“], die einfach nicht verschwinden wollen) NACHTRAG: ein Review der DM-Jagd im Untergrund. NACHTRAG 2: ein langer Artikel zu SNOLAB.

Gibt es Unterschiede zwischen Neutrinos und Antineutrinos? Laut dem Standardmodell der Teilchenphysik nicht, aber gleich zwei Experimente, MINOS und MiniBooNE, haben unlängst soetwas angedeutet, aber mit keiner besonders hohen Signifikanz: Gesehen wurden unerwartete Effekte bei Messungen von Neutrinooszillationen, die als Massendifferenz zwischen Neutrino und Antineutrino interpretiert werden könnten. Auch das hypothetische sterile Neutrino könnte eine Rolle spielen. (STFC Release 14., IU News 24.6.2010; Ars Technica, Nature Blog 14., New Scientist 16., Physics World 18., Physics World Blog 21., Science Journalism Tracker 28.6., Science News 17.7.2010)

Eine Obergrenze der Neutrino-Massen von 0.28 eV aus der Astrophysik ist die beste überhaupt: Sie ergibt sich aus der Kombination eines Katalogs von über 700’000 Galaxien mit photometrischer Rotverschiebung mit diveren anderen kosmologischen Daten. Auch kein Laborverfahren kann es genauer – und nun sieht man auch warum: Weder die gegenwärtige noch die nächste Generation von Experimenten wird genau genug sein, um derart geringe Massen zu sehen. Und zur Dunklen Materie des Kosmos tragen Neutrinos nicht einmal 1% bei. (Thomas et al., Preprint 20.5., UCL News 22.6., APS Release 12.7.2010; BBC 22., Universe Today 23.6.2010)