Posts Tagged ‘ICARUS’

OPERAs Neutrino-Raserei schon durch Daten von anderem Experiment ICARUS widerlegt?

19. Oktober 2011

Rund 100 Papers machen bereits die Runde, die die wunderlichen Messungen der überlichtschnellen Neutrinos des OPERA-Experiments entweder per se in Zweifel ziehen (so wird mal wieder die Synchronisation der Atomuhren an beiden Enden der Neutrinostrecke in Zweifel gezogen; die OPERA-Autoren giften zurück), oder sie ernst nehmen und in fantasievolle Erweiterungen der Physik einbauen – oder aber andere Messungen heran ziehen, um eine Überlichtgeschwindigkeit von Neutrinos prinzipiell zu verbieten. Eine dieser Arbeiten erregt jetzt besonderes Aufsehen, denn sie stellt bereits einen konkreten experimentellen Test der schon im letzten Neutrino-Update erwähnten Hypothese dar, dass Neutrinos mit v>c durch einen der Cherenkov-Strahlung ähnlichen Effekt rasant Energie verlieren und Elektron-Positron-Paare sowie Gammastrahlung produzieren müssten. Anhand bereits vorhandener Messungen des Neutrino-Experiments ICARUS kann nun – trotz schlechterer Statistik als bei OPERA – klar gezeigt werden, dass all diese Effekte nicht auftreten: Die Neutrinos kommen genau so an, wie sie auf die Reise geschickt wurden.

Um dies als fatale Widerlegung des OPERA-Resultats zu akzeptieren, muss man natürlich zuerst das theoretische Quasi-Cherenkov-Paper ernst nehmen, das sich in der Fachwelt immerhin großer Popularität erfreut. Und der Fehler, den OPERA dann gemacht haben müsste, ist scheint’s immer noch in keiner Weise dingfest gemacht – inzwischen sind sogar schon die Autoren mancher Anti-OPERA-Papers in die Kritik geraten, weil sie ohne nähere Sachkenntnis die Scharen von Experimentalphysikern hinter OPERA als Idioten erscheinen ließen … ICARUS Collob., Preprint 17.10.2011; Physics World, LiveScience, Science Journalism Tracker 19., Science 2.0, Starts with a Bang, Science News 18., Science Journalism Tracker 17., Principles 16., Neues Deutschland 15., ArXiv Blog, Science Journalism Tracker 14., Scientific American 13., Discovery, New Scientist Blog 12.10.2011 – und Berg & Höflich, Preprint 13.10.2011 mit den ersten Übungsaufgaben zu den flitzenden Neutrinos sowie USA Today 9.10.2011 zu Unphysikern, die auch was glauben sagen zu müssen … Auch ASPERA Press Release 18.10.2011 zu Plänen für ein neues europäisches Neutrino-Observatorium, LAGUNA, und University of Arizona Press Release 12.10.2011 zum Quadrupolmoment des Deuterons und Zeitumkehr

Der Large Hadron Collider hat 5 inverse Femtobarn geschafft

bzw. sollte diesen Meilenstein – der 350 Billionen beobachteten Proton-Proton-Kollisionen entspricht – in diesem Tagen gleichzeitig in den beiden Hauptdetektoren ATLAS und CMS erreichen. Damit hat der LHC, der seine Leuchtkraft stetig gesteigert hat, allein zwischen diesem März und Oktober 99.3% all seiner Daten produziert, 2010 hat man quasi nur geübt. Jetzt aber nähert man sich bedenklich einem Datenstand, der klare Aussagen über die Existenz oder Nichtexistenz des Higgs-Teilchens erlauben sollte, und die Nervosität bei ATLAS wie CMS und Lauststärke der Gespräche in der CERN-Cafeteria sollen schon deutlich zugenommen haben. Bis auf wenige Nischen im Parameterraum kann das Higgs bereits ausgeschlossen werden (ein schöner Vergleich: ein Teich, bei dem immer mehr Wasser abgepumpt wird, bis bloss noch ein paar Pfützen bleiben), aber immerhin sind auch solche Energiebereiche dabei, wo es die Theoretiker eh‘ vermuten: Nichts genaues weiß man also nicht … (Quantum Diaries 14., Univ. of TX Release, Tagesschau 13., Der Westen 12., Guardian [NZ Herald], Quantum Diaries 9.10., Welt der Physik 27.9.2011. Auch Quantum Diaries 11.10.2011 zu einem wichtigen Versuch auf dem Weg zu einem Myonen-Collider und Nature News 10.11.2011 zum – umstrittenen – Bau von SuperB für die B-Mesonen-Produktion in Italien)

Kommt ein dritter Detektor von LIGO nach Indien? Nachdem sich Australien finanziell außer Stande sieht, ein drittes Rieseninterferometer für die Detektion von Gravitationswellen zu unterstützen, das die beiden in den USA (und weitere kleinere auf der Welt) ideal ergänzen würde, setzen sich jetzt indische Physiker massiv für das Projekt ein. Dort gibt es bereits ein Konsortium namens IndIGO von 11 Institutionen, die sich der G-Wellen-Forschung verschrieben haben, und man ist zuversichtlich, der Regierung das nötige Geld für den LIGO-Einstieg abhandeln zu können. Die Zeit drängt allerdings: LIGO will eine Entscheidung bis zum 31. März 2012. (Nature Blog 18.10.2011)

Nachrichten aus der Teilchenphysik kompakt

12. Juni 2010

Die erste Oszillation eines Neutrinos in ein anderes beobachtet

Neutrino-Oszillationen, die Umwandlung eines Typs in einen anderen, sind schon von etlichen Experimenten nachgewiesen worden: indem weniger Neutrinos eines bestimmten Typs gemessen wurden, als man erwarten sollte. Offenbar hatten sich welche in den nicht nachweisbaren Typ verwandelt, was auch die Erklärung des berühmten Sonnenneutrinoproblems ist. Dies sind als „disappearance“-Experimente, aber nun meldet das erste „appearance“-Experiment einen Erfolg: In einem gewaltigen Strom von Muon-Neutrinos, die ein Beschleuniger des CERN in Richtung des 723 km entfernten OPERA-Detektors im Gran-Sasso-Tunnel schickte, war am 22. August 2009 genau ein Tau-Neutrino aufgetaucht. Das hatte sich in OPERA (aus 150’000 Platten Fotoemulsion zwischen Bleiplatten) in ein Tau-Lepton verwandelt, das wiederum in Muonen zerfiel, die nachgewiesen wurden – allerdings beträgt die Wahrscheinlichkeit noch 2%, dass dies ein Irrtum ist. Das Experiment läuft bereits seit 2006 und wird noch mehrere Jahre fortgesetzt – aber mit mehr als 10 Tau-Neutrinos wird auch am Ende nicht gerechnet. Unterdessen hat, ebenfalls im Gran-Sasso-Tunnel, mit ICARUS ein anderes Experiment den Betrieb aufgenommen, das ebenfalls – mit ganz anderer Technik – Neutrinooszillationen aber auch andere exotische Partikel und sogar ggf. den Protonenzerfall nachweisen können soll. (CERN [Video], INFN Releases 31.5., Berkeley Release 3.6.2010; Scientific Blogging 27.5., Nature Blog, Science News, New Scientist, Welt der Physik, DLF 1., Physics World, Tracker 2., Discovery 10.6.2010)

Immer neue Ergebnisse des Large Hadron Colliders aber – natürlich – noch keine neuartigen Entdeckungen des neuen Beschleunigers („Immer höhere Kollisionsraten …“) werden inzwischen berichtet: Innerhalb von 2 Monaten hat der LHC gewissermassen fast die gesamte Teilchenphysik des Standardmodells quasi wiederentdeckt. Im kommenden Jahr könnte dann die ersehnte neue Physik beginnen, wenn der LHC so robust weiter läuft wie bisher – auch wenn immer wieder mal der Strom ausfällt, so ist er doch 90% der Zeit in Betrieb. (BBC 31.5., Symmetry Breaking 8., DLF, Welt der Physik Video 9.6.2010. Und Physics World über Teilchenbeschleuniger als Messgeräte für Erdbewegungen)

IceCube misst Anisotropie der Kosmischen Strahlung – steckt der Vela-Supernova-Rest dahinter?

Teilchen der Kosmischen Strahlung, die die Atmosphäre treffen, lösen dort Muonen-Schauer aus, und die lassen es wiederum im Neutrinoteleskop IceCube („Eis-Teleskop IceCube …“) blitzen: Die Analyse von 4.3 Milliarden solcher Blitze, deren Herkunftsrichtung auf 3° genau angegeben werden kann, hat jetzt eine anisotrope Verteilung am Himmel gezeigt. Eine Erklärung wird nicht mitgeliefert, aber es könnte einen Zusammenhang mit dem Vela-SNR geben: Die ausgedehnten Überreste explodierter Sterne werden schon lange als wichtige Quellen der Kosmischen Strahlung in der Milchstraße vermutet. (Preprint 17., New Scientist 31.5.2010. Und der Wichita Eagle zum Wunsch, ein nördliches Auger-Teleskop in Kansas und Colorado zu bauen) NACHTRAG: ein sehr später Press Release.

Neue CP-Verletzung 1. fraglich und 2. irrelevant: Die vermeintlich bedeutsame Anomalie beim B-Mesonen-Zerfall, die letzten Monat erhebliches Aufsehen erregte, wird erstens von einem anderen Tevatron-Experiment gar nicht bestätigt – und selbst wenn sie wahr wäre, ist es überhaupt nicht ausgemacht, dass sie irgendetwas mit dem leichten Materie-Überschuss nach dem Urknall zu tun hätte … (Carroll, Cosmic Variance 4.6.2010) NACHTRAG: Manche haben von den Zweifeln an der DO-Anomalie noch immer nichts gehört und spekulieren munter über exotische Erklärungen.

Ein Kilogramm – für (quasi) jedermann zum Selberbauen?

Die fundamentale Einheit Kilogramm ist ein Ärgernis für die Metrologie: Bislang gibt es – im Gegensatz etwa zum Meter, das über die Lichtgeschwindigkeit definiert ist – keine Möglichkeit, unabhängig in einem Labor eins herzustellen. Immer noch ist das eine Ur-kg in Frankreich das einzig wahre, kaum einer kommt direkt dran, und man weiß auch nicht wirklich, ob es nicht im Laufe der Zeit an Masse verloren oder dazu gewonnen hat. Vorschläge für eine neue, clevere Definition des Kilogramms werden seit vielen Jahren gemacht – hier ist ein, vielleicht, besonders einfacher: Das kg möge die Masse von 2250× 28148963^3 Kohlenstoff-12-Atomen sein. Ein Kilogramm wäre dann ein 8.11 cm großer Würfel, bei dem eine Seite der Länge von 368’855’762 Atomen entspricht. (Fox & al., Preprint 27., arXiv Blog 31.5., ORF 1.6.2010)