Posts Tagged ‘Interstellare Raumfahrt’

Kosmisch Kurioses & Kontroverses kompakt

5. Dezember 2010

Jacob C. Ravn, Aarhus University

Die sterblichen Überreste von Tycho Brahe wurden im November eine knappe Woche lang ans Tageslicht geholt, um sie mit modernen forensischen Methoden zu untersuchen: Es geht um neue Details zum Leben und v.a. Tod dieser ungewöhnlich schillernden Figur der Astronomiegeschichte. Resultate der Untersuchungen – um deren Genehmigung sich dänische Forscher fast ein Jahrzehnt bemüht hatten – soll es im kommenden Jahr geben. Aber schon jetzt hat die Exhumierung Brahe und seinem verrückten Leben – ein betrunkener Elch inklusive – zu enormer Publicity verholfen. (New York Times 29., IO9 22., New York Times, Space.com 19., Physics World 16., BBC, Scientific American, Space.com, Tagesschau, Spiegel 15.11.2010)

Schon wieder eine neue Antikythera-Hypothese: alles babylonisch?

Seit er vor 110 Jahren aus dem Mittelmeer geborgen wurde, bewegt das ebenso komplexe wie verrottete Maschinchen von Antikythera die Gemüter – und auch die Rekonstruktion des Mechanismus von 2006 (ISAN 28-3) ist womöglich nicht der Weisheit letzter Schluss: Jetzt gibt es schon wieder einen neuen Ansatz, der in dem Apparat im Wesentlichen babylonische Ideen umgesetzt sieht. Und zwar so durchgängig, dass womöglich die Antikythera-Maschine nicht das griechische Bild des Kosmos umgesetzt hat sondern umgekehrt die Griechen ihr Weltbild (inklusive der Idee der Epizykel) aus der Maschine ableiteten. Da aber weder bekannt ist, wer sie baute noch warum, darf wohl erst mal weiter spekuliert werden … (Decoding the Heavens, Nature News 24., Decoding the Heavens 28.11.2010)

Australiens Ureinwohner bauten Eta Carinaes Eruption in ihre Astro-Überlieferung ein

Die Boorong in Victoria taten es jedenfalls: Zum ersten Mal ist damit das Himmelsphänomen des 19. Jh. („Die historische Lichtkurve …“) in einer indigenen Tradition nachgewiesen worden – leider eines Clans, der nicht mehr existiert. (Hamacher & Frew, Preprint 22.10.2010. Auch Papers zu Kometen in der Aboriginal-Astronomie und möglichem Astrosymbolismus in ihren Felszeichnungen. Und zu den grundlegenden Problemen der Ethnoastronomie …)

Wie einfach ist die Reise zu den nächsten Exoplaneten?

Ein amüsantes Paper über das Ärgernis, die Bewohner fremder Welten nicht im Detail sehen zu können („Scharfe Bilder …“), selbst wenn wir einen bewohnten Planeten aufspüren sollten, hat ein Jahr danach zu einem nicht minder inspirierten Schlagabtausch geführt: Ein Fan der interstellaren Raumfahrt hält die Schlussfolgerung für zu pessimistisch, dass man nicht in absehbarer Zeit mit hoher Geschwindigkeit zu einem Exoplaneten fliegen könne; insbesondere werde man mit interstellarem Staub schon fertig. Der ursprüngliche Autor bleibt dagegen skeptisch – und hofft eher darauf, dass uns die Aliens per Funk ein Bild von sich schicken … (Crawford, Preprint 8. vs. Schneider, Preprint 21.10.2010)

Debatte über Saurier-und-Co.-Sterben ohne Ende in Sicht

30 Jahre ist die Hypothese vom großen Impakt vor 65 Myr nun alt, und seit 25 Jahren ist weithin akzeptiert, dass er die Ursache des profunden Artensterbens am Ende der Kreidezeit war – so wurde es dieses Jahr auch in einem vermeintlich finalen Reviewpaper konstatiert. Doch die neuerlichen Zweifel an dem Kausalzusammenhang (siehe z.B. Artikel 749, diese Links und Cosmic Mirror #323) sind nicht ausgeräumt, wie bald darauf Gegenartikeln zu entnehmen war. (Schulte & al., Science 327 [5.3.2010] 1214-8 vs. Archibald & al./Courtillot & Fluteau/Keller & al., Science 328 [21.5.2010] 973-5 vs. Schulte & al., ibid. 975-6; NSF, PSI, Cambridge Univ., UCSD Releases, Uni Erlangen PM 4., PMn der Uni Wien, Humboldt-Uni 5., Berkeley Release 9. vs. FU Berlin PM 19.3.2010. Auch Science 3.9.2010 1140-1 zum Untergang der Hypothese eines Impakts [„Dung-Pilz …“] vor 13’000 Jahren [die Un-Entdeckung des Jahres]) NACHTRAG: Die „Chiemgau-Impakt-Hypothese“ (ISAN 6-7) ist auch vom Fenster – ebenfalls nichts Neues. NACHTRAG 2: dasselbe auf Deutsch. NACHTRAG 3: auch eine Stellungnahme aus Berlin dazu. NACHTRAG 4: und ein technisches Paper wider die Spinner.

Kunterbunter Kosmos kompakt

14. Februar 2010

Große Entdeckungen der Astronomie sind meist das Resultat neuartiger Teleskope

Die aber dann nicht das entdecken, wofür sie eigentlich gebaut wurden, sondern zufälligerweise auf etwas völlig anderes stoßen, was dann der Erbauer des Teleskops aber auch als bedeutend realisieren muss: Das ist die Quintessenz zweier Essays über „die Erforschung des Unbekannten“ bzw. „serendipitäre Astronomie“. In der Regel ging es bei dem Bau besagter Instrumente nicht darum, eine bestimmte Hypothese zu bestätigen, sondern eher um kreatives Herumstochern im (noch lange nicht ausgeschöpften) Phasenraum des Kosmos: Auch „Schmetterlingssammeln“ ohne konkretes Ziel sollte fürderhin erlaubt bleiben – und man darf erwarten, dass die größten Entdeckungen mit der nächsten Generation von Teleskopen nicht diejenigen sein werden, die heute in deren wissenschaftlichen Begründungen stehen … (Kellermann & al., Preprint 22.12.2009, Lang, Science 327 [1.1.2010] 39-40, Space.com 1.1.2010)

Ist „Wolfram Alpha“ ein nützliches Werkzeug für die Astronomie? Als die neuartige Mischung aus Such- und Rechenmaschine letzten Mai eingeführt wurde, ließen ihre astronomischen Qualitäten noch zu wünschen übrig, z.B. bei der Vorhersage von Sonnenfinsternissen. Aber das System wird ständig verbessert, und zumindest wenn es um einfache Berechnungen geht, kann man’s schon mal versuchen: Anfragen wie „distance alpha centauri in nautical miles“ werden tatsächlich korrekt verstanden. Da das „Wissen“ von WA ständig erweitert wird, hilft nur: mal ausprobieren. (WA Blog 21.10., 21., Universe Today 29.12.2009. Und der New Scientist 9.12.2009 über den Erfinder des Ganzen …)

Kam das Auger-Teilchen mit der höchsten Energie … von einem fernen Quasar?

Mit 148 EeV hatte das Teilchen mehr Energie als alle anderen, die dem Auger-Observatorium bisher ins Netz gegangen sind, aber in der Richtung, aus der es gekommen war, fand sich keine nahe kosmische Quelle. Doch ein ferner Quasar würde passen, mit ähnlichen Eigenschaften wie einer anderer, aus dessen Richtung das Teilchen mit der höchsten Energie des Fly’s-Eye-Detektors kam. Nicht gerade berauschende Statistik, aber man kann ja mal spekulieren, welche exotischen Partikel das sein könnten. (Albuquerque & Chou, Preprint 6.1.2010. Auch: ein Review der bisherigen Auger-Resultate)

Victor Hess ist nicht der alleinige Entdecker der Kosmischen Strahlung: Praktisch zeitgleich mit seinen Experimenten in einem Ballon machte der Italiener Domenico Pacini ähnliche Untersuchungen unter Wasser – und kam zum selben Ergebnis, dass die harte Strahlung aus dem Weltraum kommen musste. Beide wussten voneinander, aber nur einer wird heute als Entdecker der Kosmischen Strahlung betrachtet – wofür er auch (nach Pacinis Tod) den Nobelpreis bekam. Pacinis Paper ist nun erstmals ins Englische übersetzt worden. (Physics arXiv Blog 12.2.2010) NACHTRAG: De Angelis & al., Preprint 15.2.2010 mit der ganzen Pacini-Story.

LHC erst 2013 mit voller Kraft, nach mehr Umbauten

Bald wird der Large Hadron Collider nach seiner Winterpause („LHC macht kurze Pause …“) wieder eingeschaltet – doch die Energie pro Strahl wird dann nicht auf 5 TeV hochgefahren, wie zunächst geplant war: 18 bis 24 Monate lang werden Kollisionen mit 3.5 TeV/Strahl ‚gesammelt‘, dann rund 18 Monate lang viele weitere Bauteile gegen sicherere ausgetauscht und erst danach, im Jahr 2013, gleich mit voller Kraft und 7 TeV/Strahl bzw. 14 TeV Kollisionsenergie weitergemacht. Wenn das Higgs-Teilchen eine Masse in einem bestimmten kleinen Bereich hat, dann könnte es das Tevatron in den USA dem CERN doch noch wegschappen, aber als wahrscheinlich gilt das nicht. Derweil ist auch das erste Paper des CMS-Detektors über die Kollisionen von Ende 2009 eingereicht worden. (Cosmic Variance 29.1., Nature Blog, Science Blogs 1., ScienceInsider, New Scientist Blog 2., Collider Blog, Physics World, Reuters, Science Journalism Tracker 4., MIT Release 5., Welt der Physik 11.2.2010. Plus ein Essay der New York Times zur ‚Era of the Big Collider‘) NACHTRAG: ein STFC Release zum CMS-Paper.

Exotische Antriebe für Reisen zu anderen Sternen regen immer wieder zu Spekulationen an – und ein Nebenergebnis davon ist, dass der Weg noch sehr lang sein wird, um Hawking-Strahlung oder Dunkle Energie etc. anzuzapfen. Vielleicht ist das die Erklärung, warum uns noch keiner besuchen kam …? (Gizmodo 10.5., New Scientist 25.11., 21.12.2009. Und ein SETI Inst. Feature 3.12.2009 zum Stand von SETI)

Verschenktes Mondgestein – geklaut, verkauft, verlegt?

Hunderte winzige Proben Mondgestein von der ersten und letzten Apollo-Landung hat die US-Regierung an die 50 Bundesstaaten sowie zahlreiche Nationen verschenkt und sich danach nicht weiter darum gekümmert – mehrere Privatinitiativen holen das jetzt nach. Mit dem ernüchternden Ergebnis, dass ein Großteil der Mondgeschenke unauffindbar ist. Das muss aber nicht immer heißen, dass sie in dunklen Kanälen verschwanden: Derartiges hatte man bereits bei einer Hawaii geschenkten Probe vermutet – aber die ist wieder aufgetaucht, sie war nur falsch ‚abgelegt‘ worden … (Universe Today 14.1.2010. Und Space Policy Online 30., Spiegel 31.1.2010 zu Bemühungen, die Apollo-Hinterlassenschaften auf dem Mond zu Welterbe erklären zu lassen)

Russische Chirurgin rettete ESA-Satelliten: Weil es zu lange gedauert hätte, ein spezielles Endoskop zur Überprüfung eines Fremdkörpers tief im Satelliten CryoSat 2 aus Europa einzufliegen, wandte man sich an das Hospital in Baikonur. Dort gab es die erforderlichen Optiken, aber man bestand darauf, dass eine eigene Ärztin sie bediente – und so kam es, dass eine echte Chirurgin den Fremdkörper aus dem Satelliten entfernte … (CryoSat 2 Launch Campaign Blog 27.1.2010) NACHTRAG: Einladung zur Launch Party am 25.2. NACHTRAG 2: ein ESA Special mit zahlreichen Artikeln zum Satelliten.

Gezeiten der festen Erde lösen schwache Erdbeben aus

Es gibt eine „robuste Korrelation“ von extrem kleinem Scherungsstress parallal zur San-Andreas-Verwerfung, der durch Gezeiten der festen Erde ausgelöst wird, und nicht-vulkanischer Tremor-Aktivität, also schwacher Bebenaktivität an einer kalifornischen Messstation: Zum ersten Mal wurde solch ein Zusammenhang fern von Orten gefunden, wo Gezeiten der Ozeane fast eine Zehnerpotenz stärkeren Stress im Boden auslösen. Regionale Erdbeben korrelieren dagegen nicht mit den Gezeiten des Festkörpers Erde. (Thomas & al., Nature 462 [24.12.2009] 1048-51, Berkely Release, Reuters 23., Spiegel 29.12.2009)

Zweifel am Bild der „Ursuppe“ als Quell des Lebens auf der Erde – ein Szenario, das seit 1929 verbreitet ist – sät eine neue Studie: Besser passe demnach die chemische Energie des Erdinneren, freigesetzt durch heiße Quellen auf dem Meeresboden und nutzbar durch chemische Gradienten. (Wiley Press Release 2.2.2010)