Alles war schon in den 1840er Jahren da gewesen: die Massen der Jupitermonde, die Laplace auf 10 bis 25 Prozent genau aus ihren gegenseitigen Bahnstörungen berechnet und 1803 veröffentlicht hatte, und ihre Volumina, bestimmt aus den Durchmessern, die wiederum durch wiederholte Beobachtungen gegenseitiger Bedeckungen bis zu diesem Zeitpunkt ermittelt worden waren. Jetzt hätte bloß noch einer hin zu gehen brauchen, die ersten Zahlen durch die zweiten zu dividieren, was zu der Erkenntnis geführt hätte, dass die Dichte viel näher an der von Wassereis als der von Gestein liegt – und zusammen mit den hohen Albedos der Monde wäre der Schluss ein leichter gewesen, dass sie überwiegend aus Eis bestehen.
Aber genau das ist bis 1923 nicht passiert: Von 32:45 (bzw. 30:10) bis 42:40 (bzw. 46:40) erzählt in dieser Aufzeichnung eines Vortrags von vor drei Stunden der Vatikan-Astronom Guy Consolmagno von seinen Recherchen über die aus heutiger Perspektive unfassbaren Irrwege der Forschung. Entweder wurde gar nicht dividiert oder falsch (so in einem populärwissenschaftlichen Buch), und als man endlich die Dichten richtig auflistete, wurden sie völlig falsch interpretiert. Denn die Jupitermond-Beobachter des 19. Jh. hatten sich irrtümlich überzeugt, dass die Helligkeiten der Mond dramatischen Schwankungen unterlagen, was man sich wiederum durch extrem abgeflachte und taumelnde Objekte erklärte – deren geringe Dichte dann auf Gebilde aus Staub hinzuweisen schien.
Die Fehlbeobachtung der Helligkeitsschwankungen erklärt Consolmagno mit falsch angewandter visueller Photometrie, bei der die Mondhelligkeiten mit Jupiter im Gesichtsfeld – und kleinerer Pupille – mit weiter entfernten Sternen vor dunklem Hintergrund verglichen worden seien. Und auch der Astronom, der als erster klar die Eisnatur der Jupitermonde erkannte, beging gleich wieder einen schweren Fauxpas, indem er kurzerhand die Planeten Jupiter und Saturn auch gleich zu Eiskugeln machte. Für Consolmagno steckt in dieser wenig ruhmhaften länglichen Episode der Astronomiegeschichte eine tiefe Lehre für uns alle: Wir sehen meist nur, was wir sehen wollen, und werden dadurch an fundamentalen Einsichten gehindert. So wie ein hypothetischer intelligenter Thunfisch im Ozean des Jupitermonds Europas, der erst die Größe des Kosmos erkennt, wenn das Eis zerbricht …
Die z.B. auf deutschen, englischen und spanischen Webseiten angepriesene Konstellation heute Abend war am Standort dieses Bloggers bei stundenlang klarem Himmel – NRW-Prognose des DWD noch von 12 Uhr: „In der Nacht zum 2. Weihnachtstag gibt es bei vielen Wolken weitere schauerartige Niederschläge“ … – bestens zu verfolgen: erst Jupiter und Mond noch durch dünne Wolken (unten), dann Mond, Jupiter, Aldebaran (auch hier und hier) und auch noch die ISS (Mitte) und schließlich die Konjunktion im „Goldenen Tor“ (oben), bei höherer Vergrößerung sogar mit ein paar Jupitermonden.
Gestern um 11:35:30 UTC ist es wieder passiert: Amateurastronomen – diesmal Zeitzonen-bedingt in den USA – beobachteten und filmten den offensichtlichen Impakt eines Kleinkörpers auf den Gasplaneten Jupiter. Derartiges war bereits am 3. Juni und 20. August 2010 gelungen, wobei jedes Mal keine später erkennbaren Hinterlassenschaften des Impaktors in den Wolken zu erkennen waren – im Gegensatz zum Impakt vom 19. Juli 2009, bei dem zwar der eigentliche Einschlag nicht gesehen wurde, dafür aber eine markante Wolke (wie auch weitere 15 Jahre früher bei den Einschlägen der Fragmente von des Kometen Shoemaker-Levy 9). Von dem Ereignis des 10. September 2012 gab es zunächst einen visuellen Beobachtungsbericht aus Wisconsin („a bright white two second long explosion just inside Jupiter’s eastern limb“), gefolgt vom obigen zeitgleichen Video-Einzelbild aus Texas: erste Artikel auch hier, hier, hier, hier, hier, hier und hier, teilweise mit Angaben zu Transit-Zeitpunkten der Impaktstelle. NACHTRAG: Im texanischen Video dauert der Blitz mehrere Frames lang. NACHTRAG 2: Etliche Beobachter melden nichts Verdächtiges an der Impakt-Stelle, wie 2010; weitere Artikel hier, hier (auch wider den „Jupiter schützt die Erde“-Mythos), hier und hier (glaubt den Mythos). NACHTRAG 3: Nach einem Tag schon die erste Wissenschaft: Der Impaktor war keine 10 Meter groß und verursachte lediglich einen Boliden, vergleichbar mit dem Fall vom Juni 2010. NACHTRAG 4: Auch die besten Amateurbilder zeigen – erwartungsgemäß – nichts. NACHTRAG 5: Im Original-Thread zweifelt der visuelle Beobachter neuerdings, dass das Video ’seinen‘ Blitz zeigt – oops!? Ansonsten geht aber jeder davon aus, dass es so war – und auch die Zeitpunkte passen (nach neuerlicher Analyse) gut zusammen.
Die Jupiterbedeckung durch den Mond heute Morgen war zwar vielerorts clouded out, aber die Gemeinschaft der Sternfreunde Europas hat sie gewissermaßen als vieläugiges Wesen mehr als ausreichend im Blick gehabt: Schon in der ersten Stunde waren erste Videos und Bilder auf diversen Kanälen zu sehen – und in den folgenden neun Stunden sind es noch erheblich mehr geworden! Neben den sieben tollen Videos von Eis- und Austritt oben (in dieser Playlist gibt’s noch mehr) sind besonders die Bildseiten hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier und hier sowie Photos aus Rhodos (ich wusste es, wir hätten da bleiben sollen …) hier, hier und hier und aus Deutschland hier, hier, hier, hier und hier zu erwähnen. Zumindest in der Nähe des Jupiter wurde der Mond in Paris, Bonn, Stuttgart, Cumbria (UK) und Namur (Belgien) erwischt sowie zuvor über dem Dandi March Memorial (Gyarah Murti, Delhi) – und inzwischen ist er schon auf halbem Weg zwischen Jupiter & Venus angekommen.
Noch handelt es sich bei dem ‚geleakten‘ Papier nur um die Empfehlung der Exekutive des Science & Robotic Exploration Directorate (SRE) der ESA an deren Science Programme Committee (SPC), das erst am 2. Mai endgültig entscheiden wird, aber die Richtungsvorgabe ist klar: Als erste ganz große Mission L1 des wissenschaftlichen Langzeitplans „Cosmic Vision“ sollt Ihr zum Jupiter fliegen und mit JUICE (JUpiter ICy moons Explorer) insbesondere den Mond Ganymed erforschen – während sich der Röntgensatellit ATHENA (vormals IXO) und der Gravitationswellen-Detektor NGO (vormals LISA) wegen höherer Kosten und größerer technischer Hürden doch bitte bei der nächsten Runde erneut bewerben mögen. Da der SRE-Direktor u.a. auf Empfehlungen des Space Science Advisory Committee (SSAC) der ESA baute und das SPC fast immer tut, was das SSAC sagt, gilt die Auswahl von JUICE als praktisch sicher – auch wenn binnen Stunden schon eine Petition pro ATHENA ins Leben gerufen wurde.
Der ganze Auswahlprozess für L1 war schwer durcheinander geraten, nachdem vorgesehene internationale Partner aus allen drei in die Endrunde gelangten Projekten ausgestiegen waren, insbesondere die bei allen drei wesentliche NASA: Artikel vom letzten Februar („Erste Riesenforschungsmission …“), März („NASA zu verwirrt …“) und April hatten das schon geschildert. Im Laufe des Jahres 2011 waren dann alle drei Vorschläge in kurzer Zeit und mit großem Einsatz den neuen Umständen einer alleinigen ESA-Mission angepasst und technisch deutlich vereinfacht worden, während sie trotzdem gleichzeitig wissenschaftlich relevant blieben. Damit die Arbeit für die ‚Verlierer‘ nicht umsonst war, wird ihnen von SSAC wie SRE wärmstens nahe gelegt, sich beim Call für L2 im kommenden Jahr wieder zu bewerben – wieviel Geld für diese Mission allerdings zur Verfügung stehen wird, entscheidet erst der ESA-Ministerrat Ende dieses Jahres.
Wie auch immer das SPC in zwei Wochen befindet: Gestartet werden soll L1 in zehn Jahren. Und wenn es wirklich JUICE wird, dann würde der solarbetriebene Orbiter im Januar 2030(!) in eine Jupiter-Umlaufbahn einschwenken und schließlich 2033 in einem Orbit um Ganymed enden. Ganymed? Eigentlich sollte die Mission als ESJM-Laplace gemeinsam mit der NASA durchgeführt werden, die sich dabei um den für die meisten wohl interessanteren Mond Europa gekümmert hätte, aber auch dieses Projekt war durch den Ausstieg der USA an die Wand gefahren worden. Das seither modifizierte JUICE-Konzept umfasst immerhin nun auch ein paar der Aufgaben des NASA-Teils, die allerdings überwiegend während lediglich zweier Europa-Flybys erledigt werden müssten. Nach gegenwärtiger Planung würde die ESA 830 Millionen Euro in den Orbiter investieren, während die einzelnen Mitgliedsstaaten zusätzlich etwa 241 Millionen in die Nutzlast stecken sollen – und die NASA eingeladen ist, für bis zu 68 Millionen weitere Instrumente zu liefern. Mehr zur jetzigen Vorentscheidung auch hier, hier, hier, hier und hier.
Die Venus-Jupiter-Konjunktion ist jetzt am engsten (Kanaren-Video oben, darunter ein aus Zeichnungen animierter Jupiter), die Natur des SWAN-Kometen im Sonnenanflug bleibt mysteriös und die Fleckengruppe 1429 (Entwicklung unten) sorgt immer noch für Unruhe: Zu diesen und noch einigen Themen mehr jede Menge Links im neuen Cosmos 4 U!
Juno hat die Erde verlassen: Nach dem verspäteten, dann aber Bilderbuchstart der Atlas-Centaur-Juno-Kombination – wüst weitwinklige Amateurvideos hier, hier und hier, Fotos hier, hier, hier, hier, hier und hier und Fotostrecken [NACHTRAG: hier!], hier, hier, hier und hier – hat die Centaur auch ihren zweiten Burn absolviert und Juno auf seine (oder ihre? Schließlich handelt es sich um das römische Äquivalent der Jupiter-Gattin Hera …) interplanetare Reise geschickt. Die Startmannschaft „gave us a great ride“, freute sich eine Juno-Managerin später auf einer Pressekonferenz. Auch das kritische Entfalten der Solarzellen ist exakt „nominal“ verlaufen: „We are stable, we are spinning, we are power-positive!“ Der Weg führt zunächst bis zur Marsbahn, dann am 9. Oktober 2013 zurück zur Erde, mit deren Schwerkraft noch einmal Schwung geholt (und die für ein paar Testbeobachtungen benutzt) wird, bis der Jupiter am 4. Juli 2016 erreicht ist. Dieser wird – ein knappes Erdjahr lang, genau zwischen zwei Sonnenkonjunktionen – auf 33 elliptischen polaren Orbits à 11 Tage umrundet, die bis auf 5000 km an die Wolken heranführen, ein Rekord.
Die acht Instrumente mit ihren 29 Sensoren werden sich um viele Aspekte des Innenlebens Jupiters kümmern, die allen anderen Jupiter-Besuchern weitgehend entgangen sind: die innere Struktur (gibt es einen ausgeprägten Kern), die Strömungen unter den sichtbaren Wolken, die grundlegende Chemie der Atmosphäre, die Funktion des starken Magnetfelds und der Polarlichter. Für die entsprechenden Instrumente ideal – und auch leichter als 3-Achs-Stabilisierung zu realisieren – wird Juno dreimal pro Minute rotieren, so dass sie permanent durch den Raum geschwenkt werden. Nur „zum Spaß“ ist auch eine simple optische Kamera – geborgt aus dem Marsprogramm – dabei, deren Daten roh und sofort der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt werden: mit dem expliziten Auftrag, sich um die Bildverarbeitung zu kümmern! Direkte Beiträge zum Forschungsprogramm Junos, das tiefschürfenden Fragen über den Ursprung des Planetensystems (von dem der Jupiter massenmäßig nach der Sonne das meiste abbekommen hat) nachgeht, leisten diese Bilder nicht, und die Kamera ist auch nur für die Strahlenbelastung von 7 Orbits ausgelegt.
Aber von der JunoCam werden die ersten unverzerrten Bilder der Pole Jupiters erwartet, was Planeten-Meteorologen durchaus interessieren wird: Beim Saturn gab es da eine Menge zu sehen. Die andere Besonderheit Junos ist die Stromversorgung: Zum ersten Mal ist eine Raumsonde im äußeren Sonnensystem ohne Nuklearbatterien unterwegs und wird alleine von 3 Solarzellen à 2 x 9 Metern – Spannweite: 20 Meter! – versorgt. Dank technischen Fortschritten können sie selbst am Jupiter mit nur 1/25 der Sonnenstrahlung der Erde noch 400 Watt zur Verfügung stellen. Nicht neu ist dagegen das Ende Junos: Eine Verlängerung der 1.107-Mrd.$-Mission (das Budget wurde eingehalten!) ist nicht vorgesehen, stattdessen wird der Orbiter am Schluss – so lange er noch sicher unter Kontrolle ist – am 16. Oktober 2017 in den Jupiter gelenkt, damit er nicht irgendwann auf Europa prallt. Auch sein Vorgänger Galileo wurde entsprechend entsorgt. JPL, NASA Releases, Bolden Statement, NASA Spaceflight, Planetary Society Blog, Physics World, Wired, Space.com, Scientific American und Spiegel – mehr Links beim Artikel im Cosmic Mirror #343!