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XENON100 hat immer noch keine WIMPs gefunden

22. Juli 2012

Der Dunkel-Materie-Detektor im Gran Sasso, der immer wieder mit dem Nicht-Nachweis irgendeines Signals („Direkte Detektionsversuche der Dunklen Materie …“) für Unmut sorgt, hat schon wieder eine Negativ-Meldung heraus gegeben: 225 Tage Messungen in der neuesten Konfiguration zeigen wieder nichts. Zwar wurden zwei ‚Ereignisse‘ registriert, aber die sind statitisch konsistent mit dem einen Ereignis, das der Strahlungshintergrund in dem italienischen Tunnel liefern sollte. Gegenüber einem Paper von 2011, das auf 100 Tagen Messungen basierte, ist die Empfindlichkeit des Detektors abermals um einen Faktor 3.5 gesteigert worden, und der noch erlaubte Parameter-Bereich für Weakly Interacting Massive Particles ist weiter geschrumpft. Die XENON-Forscher sind aber weiter guten Mutes und halten WIMPs immer noch gleichzeitig für die beste Erklärung der Dunklen Materie aus der Kosmologie (an deren Realität sie nicht zweifeln) und naheliegendste Erweiterung des Standardmodells der Teilchenphysik. Der einfachsten Supersymmetrie – die auch schon unter Nullresultaten des LHC leidet – geht es nun allerdings immer schlechter. Mit einem noch viel größeren Detektor, XENON1T mit Baubeginn dieses Jahr, soll die Jagd nun fortgesetzt werden: Er wird gleich eine ganze Tonne flüssiges Xenon – statt der 62 kg von XENON100 – verwenden. Und der große amerikanische Xenon-Detektor LUX soll ebenfalls dieses Jahr mit Messungen beginnen. Aprile & a., Preprint 14., INFN Press Release, PM des MPI für Kernphysik 18., New Scientist Blog 19., Cosmic Variance, Symmetry Breaking 20.7.2012. NACHTRAG: neuer Preprint mit der Auswertung der 225 Tage

Ein kurioses Konzept für einen biotechnologischen Dunkel-Materie-Detektor sorgt für Aufsehen oder wenigstens Amüsement: In dem würden unzählige quasi nummerierte DNS-Stränge an Goldplättchen aufgehängt, die von DM-Teilchen losgeschlagene Goldatome durchtrennen sollen. Anschließend würden die abgehackten DNS-Segmente mit etablierten Genanalyse-Techniken (Stichwort PMC) herausgefiltert, und die genaue Flugbahn der Atome wäre zu rekonstruieren. Und zwar in zwei Dimensionen Mikro- und in der dritten (entlang der DNS-Stränge) sogar Nanometer-genau. Zu wissen, aus welcher Richtung ein DM-Teilchen angeflogen kam, wäre eine wesentliche Erkenntnis, zumal die Methode schon eine niedrige Energieschwelle hätte. Sie würde bereits bei Zimmertemperatur funktionieren und die Appartur auch nur ein kleines Zimmer füllen – nur die konkrete Umsetzung ist noch mit einigen Hürden verbunden. (Drukier & al., Preprint 28.6., ArXiv Blog 2., astrobites 19.7.2012. Und Weniger, Preprint 12., Resonaances 17., Scientific American Blog 23., Physics World 24.4., Su & Finkbeiner, Preprint 14., astrobites 19.6.2012 zu möglichem Dunkel-Materie-Nachweis mit dem Fermi-Satelliten)

„Post-Higgs-Kater“: Physik vor ungewisser Zukunft

Between the infamous magnet quench of 2008 to the sobering exclusion plots of the last couple of years, an entire generation of graduate students and young postdocs is internalizing the idea that finding new physics will not be as simple as turning on the LHC as some of us had believed as undergrads. Despite our youthful naivete, the LHC is also still in its infancy with a 14 TeV run coming after its year-long shutdown. The above results are sobering, but they just mean that there wasn’t any low-hanging fruit for us to gobble up right away.“ (Flip Tanedo, Quantum Diaries 19.7.2012)

Bloss den LHC einschalten, und schon fällt einem spektakuläre „Neue Physik“ in den Schoss: Das mag in den letzten Jahren mancher Physiker gehofft haben, aber so ist es eben nicht gekommen. Der Super-Beschleuniger hat bisher letztlich nur bestätigt, was eh die meisten glaubten, und nach der Feierlaune Anfang des Monats bricht sich nun wieder die Besorgnis Bahn, dass nach dem Fang mutmaßlichen Higgs-Teilchens nicht mehr viel heraus kommen könnte. Supersymmetrie? Schwer eingeschränkt (auch durch Versuche des direkten Nachweises; s.o.). Hinweise auf zusätzliche Raumdimensionen? Keine Spur. Schwarze Minilöcher? Spricht schon keiner mehr drüber. Natürlich sind noch nicht einmal die bisherigen Kollisionsdaten komplett ausgewertet, bis Jahresende geht der 8-TeV-Run noch weiter, und dann kommt ja noch die 14-TeV-Ära: Die schiere Datenmenge der nahen Zukunft wird sicher der Physik einen viel klareren Weg als bisher weisen und z.B. die Eigenschaften des Higgs-Feldes – des einzigen fundamentalen Skalarfeldes in der heutigen Natur – genauer beschreiben. Aber eine Menge clevere Hypothesen über das Standardmodell hinaus, auch das ist nun unausweichlich, werden in den kommenden Jahren auf der Strecke bleiben – und in welcher Richtung die großen Antworten liegen, ist nun weniger klar als viele glaubten. (Science News, Quantum Diaries 20., Economist 19., NPR, Strassler, Nature, Telegraph 18., Strassler, Woit 16., Boston Globe 15., USA Today 14.7.2012)

Even though it wasn’t discovered until 2012, the Higgs boson was proposed back in 1964. It is very much a child of the 20th century. In particle physics and cosmology, the 21st century promises discoveries that will help illuminate the dark universe around us. That’s the great thing about history being made: you know things are different now, but you can’t be sure where you’re going to go next.“ (Sean Carroll, CNN 20.7.2012 [NACHTRAG: hier kommentiert])

Trotz des neuen Bosons: warum die eigentlichen Entdeckungen – hoffentlich – erst noch kommen

13. Juli 2012

If it is the simplest type of Higgs, then the Standard Model […] may be the complete story of physics at the […] LHC […]. But if there is even the slightest thing about nature’s Higgs particle that is not exactly as predicted for a simplest Higgs, than this just by itself would imply that there are new particles and/or forces not included in the Standard Model. This would be a revolutionary discovery, as the Standard Model (with gravity, dark matter and neutrino masses added on) has been our best bet for four decades. […] Roughly, all we can say right now […] is that the data roughly resembles what would be expected of a Standard Model Higgs, it is therefore not possible to say the new particle is not a Standard Model Higgs, many possible alternatives to the simplest Higgs have now been ruled out by the data, though many others still remain. […] [W]e do see some deviations from the Standard Model Higgs hypothesis, but they aren’t even that statistically significant yet even if they were, there are reasons to be concerned about uncertainties from other sources than just statistics.“ (Matt Strassler, Rutgers Univ., NJ, USA)

Viel mehr kann man zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht sagen über das mit dem LHC entdeckte neue Boson: Es entspricht im Rahmen der bisherigen Mess-Statistik den Erwartungen an das Higgs-Boson des Standardmodells, und alle verdächtigen Abweichungen seiner Zerfalls-„Kanäle“ von der Theorie sind derzeit bei weitem nicht signifikant, einfach weil die Zahl der beobachteten mutmaßlichen Higgse – rund 200! – und ihrer Zerfälle noch gering ist. Dass das Teilchen an sich überhaupt mit haarscharf 5 Sigma bis Ende Juni nachgewiesen werden konnte, hat die meisten Physiker überrascht, aber die drei Monate LHC-Betrieb mit 8 TeV 2012 haben die gesamte Ausbeute mehr als verdoppeln können, und ‚die Natur‘ kam dem LHC mit einer Teilchen-Masse von 125-126 GeV entgegen. (Der Tevatron hätte übrigens noch Jahre laufen müssen, um das Teilchen mit 5 Sigma fest zu nageln, und der LHC-Vorgänger LEP hätte es nie geschafft. Der nicht zu ende gebaute SSC der USA allerdings um so schneller.) Der klarste Nachweis des neuen Teilchens basiert für die LHC-Detektoren ATLAS wie CMS auf seinem Zerfall in ein Photonenpaar – was zugleich beweist, dass es sich um ein Boson handelt, das schwerste je gefundene – und in zwei Z-Bosonen, die jeweils gleich wieder in zwei Leptonen zerfallen.

Zu weiteren Zerfallskanälen hat sich ATLAS am 4. Juli nicht geäußert, CMS schon – was am Ende die Gesamtsignifikanz des Teilchennachweises wieder knapp unter 5 Sigma drückte, denn auf den zusätzlichen Kanälen tut sich zu wenig. Insbesondere fehlen Paare aus W-Bosonen – während gleichzeitig CMS wie ATLAS ‚zu viele‘ Photonenpaare meldeten. Aus diesen Abweichungen haben manche externen Physiker schon keck auf eine Reihe alternativer Interpretationen des Teilchen – etwas als Superpartner des Top-Quarks – geschlossen, die allerdings alle keinen nennenswert besseren Fit der LHC-Daten als das Standardmodell-Higgs liefern. Da hilft nur: weiter messen, und da das CERN-Management dem LHC noch 2 bis 3 zusätzliche Monaten Kollisionen vor der zweijährigen Abschaltung 2013/14 geschenkt hat, sollte bis Jahresende die Zahl der beobachteten Kollisionen abermals verdoppelt worden und schon etwas mehr über das neue Teilchen zu sagen sein. Insbesondere werden die Winkel, in denen die Photonenpaare davon schießen, eindeutig entscheiden lassen, ob man es wirklich mit dem Higgs-Boson (mit dem Spin 0) oder aber einem anderen Boson mit Spin 2 zu tun hat; letzteres machen Beobachtungen am Tevatron allerdings unwahrscheinlich.

Während die physikalische Welt einerseits die offensichtliche Bestätigung der fast 50 Jahren alten Idee des Higgs-Mechanismus feiert (der die Symmetrie der elektroschwachen Wechselwirkung bricht und das Standardmodell überhaupt erst mathematisch möglich macht), schwebt zugleich das „Alptraum-Szenario“ im Raum: In dem findet der LHC exakt das Higgs-Teilchen des Standardmodells – und sonst gar nichts. Da muss aber etwas sein, denn das Standardmodell – so perfekt es die bekannten Teilchen und Kräfte beschreibt – ist eindeutig nicht der Weisheit letzter Schluss und auch nur ein Zwischenschritt auf dem Weg zur ultimativen Theorie von Allem. Also ruhen die Hoffnungen der meisten auf den nächsten Jahren LHC-Betrieb, ab 2015 dann auch mit 14 TeV, auf dass klare Differenzen zwischen dem neuen Boson und dem hypothetischen Standard-Higgs oder auch weitere Teilchen jenseits des Standardmodells entdeckt werden mögen. Die Grundidee des Higgs-Mechanismus – ein universales skalares Higgs-Feld, das anderen Teilchen Masse verleihen kann (durch einen Prozess der entfernt an Lichtbrechung erinnert: das von Peter Higgs selbst favorisierte Analogon) – mag dabei neu interpretiert werden müssen.

Die einfachste Variante der popularen Standardmodell-Erweiterung Supersymmetrie ist zwar durch den ausbleibenden Nachweis irgendwelcher ihrer Teilchen durch den LHC inzwischen arg in Bedrängnis geraten, aber viele andere Versionen bleiben im Spiel: Schließlich hat man im Prinzip hunderte von freien Parametern, an denen gedreht werden kann. In exotischen Szenarien könnte es dann bis zu 5 verschiedene Higgs-Teilchen geben (von denen jetzt gerade das erste entdeckt worden wäre), oder das Higgs-Boson bestände aus mehreren Unterteilchen. Die Frage ist nur, wie weit der LHC bei der Aufklärungsarbeit kommen wird: Da bei seinen Proton-Proton-Kollisionen jeweils 6 Quarks plus Gluonen im Spiel sind, überlagert die Signale von Higgs wie ggf. neuer Physik eine Unmenge komplizierter Hintergrund. Besser wäre ein linearer Elektronen-Collider für klarere Signale, aber der würde mit der nötigen Energie 10 bis 20 Mrd. Euro kosten. Eine potenzielle Alternative wäre ein kompakter Myonen-Collider, der speziell auf das neue Boson zu geschnitten werden könnte (so es denn überhaupt gelingt, die quirligen Myonen auf Kurs zu bringen).

Solch eine „Higgs-Fabrik“ würde aber wieder gegenüber einem Universalinstrument das Risiko bergen, andere Effekte zu übersehen, die nicht mit dem 125-GeV-Boson zusammen hängen: Über den besten Weg nach vorn wurde bereits am Tag der Enthüllung des LHC-Bosons emsig debattiert. Die LHC-Forscher selbst sind jedenfalls optimistisch, ihr kompliziertes Gerät so gut im Griff zu haben, dass sie auch mit dem existierenden Beschleuniger die Physik noch entscheidend voran und in die neue Welt jenseits des Standardmodells tragen können: Das neue Boson ist dabei ein gewichtiger Meilenstein, aber vielleicht bzw. hoffentlich nur der erste von vielen. „The cold water of experiment may now wash away many of our wrong ideas and, perhaps more importantly, could point us in the right direction,hofft der bekannte US-Physiker Lawrence Krauss: „In the process I expect what we will discover about the universe may currently be beyond our wildest dreams. More than this, however, the Higgs field implies that otherwise seemingly empty space is much richer and weirder than we could have imagined even a century ago, and in fact that we cannot understand our own existence without understanding ‚emptiness‘ better.

Ein Essay, ein Artikel und Spektrum-Allerlei 13., Swansea TV, ein Entscheidungs-Schema, ein Chat-Transkript und Artikel hier, hier, hier 12., ein Veranstaltungsbericht und Artikel hier, hier, hier, hier, hier, hier 11., Artikel hier, hier, hier, hier, hier, hier 10., eine komplette Higgs-PK in Edinburgh, eine PM des KIT, ein ICHEP-Bericht (Screenshots hier & hier & hier) und Artikel hier, hier, hier, hier, hier, hier 9., ein Paper von Akula & al., ein Radio-Skript und Artikel hier, hier, hier, hier 8., Artikel hier, hier und hier 7., Videoclips von CERN, Edinburgh und FermiLab, Artikel hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier und ein Videoclip 6., ein Paper von Buckley & Hooper, STFC, Brown und Univ. of Buffalo Releases, Artikel hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier und ein Videoclip 5., ein Paper von Low & al., ATLAS Blog, Weizmann Inst., KIT und Kansas State Univ. Releases, Artikel hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, ein Videoclip und eine bizarre Statistik 4.7.2012

Live-Blog zu den Higgs-igen Enthüllungen im Juli

2. Juli 2012

Der Zustand der Teilchenphysik jetzt, in wenigen Worten

zusammengefasst von einem CERN-Theoretiker: Wenn das gefundene Boson das Higgs ist, dann wirft das einige Fragen auf. Und „such a Higgs boson would allow us to rule out theories known as ‚Technicolor‘ and some of the theoretical models used in Supersymmetry. However, other supersymmetric or not scenarios could still apply, as well as extra-dimensional theories.“ Auch ein DPG-Flyer, Bilder vom Seminar, ein Statement aus Number 10 und Artikel hier, hier, hier, hier, hier, hier und hier. [13:13 MESZ] Ein STFC Press Release („It’s a boson!“) und Artikel hier, hier, hier, hier und hier. [14:01 MESZ] Pressemitteilungen aus Bonn, Aachen, Durham und Gießen sowie von der MPG, eine Live-Diskussion, ein schriftliches und ein TV-Interview mit Physikern und Artikel hier, hier und hier. [14:29 MESZ] Fermilab und IoP Releases und Artikel hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier und hier sowie ein Beitrag aus dem Mittagsmagazin mit bizarrem Intro. Und um 17:00 MESZ gibt’s einen Chat. [16:45 MESZ] Aufzeichnungen des CERN-Seminars und der anschließenden Pressekonferenz, eine deutsche Zusammenfassung, ein Caltech Press Release, wie lange es dauerte, bis diverse Teilchen gefunden wurden, das Higgs schon im Museum und mehr Artikel hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier und hier – und morgen gibt’s noch einen Chat. [21:55 MESZ am 4. Juli – ENDE]

Wenn es nicht das SM-Higgs sein sollte, wär’s toll

So der CMS-Sprecher auf der PK: Denn das würde „ein Portal“ zu neuer Physik öffnen. Und die ATLAS-Sprecherin findet zumindest die Masse für ein Standard-Modell-Higgs ein bisschen wenig, was ein Hinweis auf Physik jenseits des SM sein könnte. „We are moving in a new part of particle physics,“ betont Heuer: Egal, ob’s das SM-Higgs ist oder nicht, es ist eine neue Art von Teilchen! Man ergeht sich auf dem Panel in geheimnisvollen Andeutungen … [12:00 MESZ] Bisher kann man eigentlich nur die Masse des Teilchens verlässlich angeben; ob man bis Jahresende mehr zu seiner Natur sagen kann, da sind sich die ATLAS- und CMS-Sprecher nicht sicher. Ein weiterer Artikel und ein übersehenes Live-Blog, inzwischen beendet. [12:03 MESZ] Und in diesem Blog gibt’s eine inoffizielle CMS/ATLAS-Kombination (vor der Heuer warnte): Danach ist das Teilchen mit 6 Sigma da – und weicht mit 2.4 Sigma vom SM ab. [12:08 MESZ]

Die erste Post-Higgs-Entdeckungs-Pressekonferenz läuft

jetzt und kann hier verfolgt werden. „There could be worse days in the life of a Director General,“ sagt Heuer. [11:19 MESZ] Wir haben ein neues Teilchen entdeckt, ein Boson – aber jetzt liegt ein langer Weg zur Erforschung des Teilchens vor uns. Ein fundamentaler Skalar wäre noch nie beobachtet worden. Und schon Q&A. [11:21 MESZ] Der CMS-Sprecher: Vielleicht finden wir bis Jahresende (wenn der LHC länger abgeschaltet wird) schon heraus, ob es ein Skalar oder ein Pseudoskalar ist. [11:23 MESZ] Auch das BMBF feiert und der Regierungssprecher frohlockt. Oh, und das gestern versehentlich freigeschaltete CERN-Jubel-Video ist wieder online … [11:28 MESZ] Der CMS-Sprecher: Die Suche nach Supersymmetrie wird jetzt verstärkt, da sie gut zu einem Skalar passen würde. Weitere frühe Artikel hier und hier. [11:33 MESZ] Heuer: Die CMS- und ATLAS-Ergebnisse konnten noch nicht (ordentlich) kombiniert werden – das braucht einige Zeit. Und noch ein Artikel. [11:45 MESZ]

10:35 MESZ: tosender Beifall für 5.0 Sigma von ATLAS

Bevor die ATLAS-Sprecherin es überhaupt ausgesprochen hat, gewaltiger Jubel im Auditorium, als eine „5.0“ auf einem ihrer Ergebnis-Slide auftaucht. [10:37 MESZ] CMS und ATLAS werden gemeinsam ihre Entdeckungspapers ans selbe Journal schicken, Ende Juli. [10:40 MESZ] „An excess of events at 126.5 GeV with a local significance of 5.0“ ist das aktuelle Ergebnis von ATLAS. [10:43 MESZ] Der CERN-Chef: „As a layman I would say: I think we have it! Do you agree?“ Tosender Beifall im Auditorium. „We have a discovery!“ Aber ob es das Higgs-Teilchen ist, weiß man noch nicht. Ein Meilenstein, aber es ist erst der Anfang. [10:46 MESZ] Jetzt auch Standing Ovations … [10:48 MESZ] … und CERN-Chef Heuer lässt es auch auf der zugeschalteten Konferenz in Melbourne jubeln. [10:50 MESZ] Und Higgs freut sich, dass die Entdeckung noch zu seinen Lebzeiten gelang. [10:58 MESZ. NACHTRAG: ein Bild des Moments] Und hier die ATLAS-Details und ein weiterer Artikel. [11:05 MESZ]

Auch ATLAS hat das Teilchen mit 5 Sigma Signifikanz

Das erfährt man (noch) nicht aus dem laufenden Vortrag, sondern diesem CERN Press Release: „We observe in our data clear signs of a new particle, at the level of 5 sigma, in the mass region around 126 GeV,“ wird die Sprecherin darin zitiert. CMS & ATLAS sehen also im Wesentlichen dasselbe, aber alles was heute berichtet wird, ist noch vorläufig – genauere Auswertungen gibt’s bis Monatsende. Und der nächste Schritt „will be to determine the precise nature of the particle and its significance for our understanding of the universe. Are its properties as expected for the long-sought Higgs boson, the final missing ingredient in the Standard Model of particle physics? Or is it something more exotic?“ [10:13 MESZ] Und das deutsche DESY hat auch was zu sagen: „Es könnte sich um das seit langem gesuchte Higgs-Teilchen handeln“. [10:21 MESZ] Und hier sind die Details der CMS-Auswertung sowie frühe Artikel hier und hier. [10:24 MESZ]

9:37 MESZ: Wir – mit CMS – haben 5 Standard Deviations!

ER HAT ES GESAGT! Nach einer ellenlangen Vorgeschichte hat der CMS-Sprecher tatsächlich verkündet, dass die Kombination mehrerer Zerfallskanäle die Signifikanz des 125-GeV-„Bumps“ tatsächlich auf Sigma 5.0 getrieben hat, und das auch erst mit den Kollisionsdaten des letzten Monats. Tosender Beifall im CERN-Hörsaal. [9:38 MESZ] Die Masse des gefundenen Teilchens liegt bei 125.3±0.6 GeV – allerdings ist die Signifikanz am Ende doch „nur“ 4.9 Sigma, weil weitere Zerfallskanäle nicht ganz so gut aussehen – aber das kann ja noch werden. Manche gezeigten Auswertungen – die Schlüsselplots sind hier zu sehen – waren erst letzte Nacht erfolgt. Jetzt kommt ATLAS. [9:51 MESZ] Und wie schon letzten Dezember gibt’s den Vortrag wieder mit grauenhaften Slides – die Fans fassen es nicht … [9:58 MESZ. NACHTRAG: ein Beweisfoto]

Das CERN-Seminar hat begonnen! Higgs is inda house

Also Higgs, der Mann – ob’s auch das Teilchen ist, hören wir gleich. Der Webcast läuft stabil; Live-Blogs laufen z.B. hier, hier, hier, hier und hier. Nach einer kurzen Begrüssung durch den CERN-Chef spricht als erster der CMS-Sprecher. Fragen dürfen erst nach dem 2. Talk gestellt werden. Letzte Vorberichte hier, hier, hier, hier, hier und hier. [9:05 MESZ]

„Higgs excitement at fever pitch“, und immer noch 10 h

bis man offiziell erfahren wird (im CERN-Webcast ab 9 Uhr MESZ, bei den üblichen Verdächtigen unter den Physik-Blogs oder einem weiteren und noch einem Live-Blog), mit wieviel Sigma der LHC das Higgs-Teilchen – das kein Physiker als „god particle“ bezeichnet – denn nun schon im Kasten hat. Ein kurioses Triumph-Video vom CMS-Team ist jedenfalls versehentlich vom CERN veröffentlicht und seither wieder versteckt worden – in dem allerdings nicht von einer Entdeckung die Rede ist, also einem 5-Sigma-Effekt. Und angeblich wurden mehrere Versionen für alle Eventualitäten produziert … Weitere mehr oder weniger atemlose Artikel hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier und hier – und es wird schon spekuliert, wo denn der Nobelpreis hin gehen wird, an Herrn Higgs oder (auch) andere Theoretiker. [23:15 MESZ am 3. Juli] Eine einstündige Einführung in die Higgsologie, noch mehr Einführungen – und angeblich weiß auch der CERN-Chef noch nicht, was gleich erzählt werden wird. [0:35 MESZ am 4. Juli] Schon seit Mitternacht stehen sie Schlange vor dem – verschlossenen – Seminarraum im CERN, wo’s passieren wird … [1:55 MESZ]

ATLAS, CMS: knapp 5 Sigma für etwas bei 125 GeV

Heute sind die LHC-Leaks konkret genug geworden, um sie näher an zu schauen: Danach sehen die beiden Hauptdetektoren jeweils mit einer Signifikanz von 4.5 bis 5 Sigma ein neues Teilchen mit 125 GeV Masse, was in Kombination die 5-Sigma-Marke knackt. Aber bis zum Beweis, dass dies das Higgs-Teilchen ist, wird es noch länger dauern; nun werden bereits emsig die Zerfallskanäle des Partikels unter die Lupe genommen. Ein Teilchen in diesem Massenbereich hat übrigens der inzwischen abgeschaltete LHC-Konkurrent Tevatron ebenfalls aber viel weniger signifikant gesehen: zu wenig für einen Triumph über den europäischen Rivalen. Aber bestimmte Tevatron-Messungen werden nun zur weiteren Erforschung der LHC-Entdeckung beitragen können. Weitere Artikel zu den LHC-Gerüchten (an den präzisen Formulierungen für das Seminar übermorgen wird immer noch gefeilt), Tevatron-Fakten und was als Nächstes passiert hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier und hier – und Higgs (der Mann) ist schon unterwegs nach Genf. [22:15 MESZ am 2. Juli]

Nächste große Higgs-Enthüllung in fünf Tagen

29. Juni 2012

Am 4. Juli beginnt im australischen Melbourne mit der International Conference on High Energy Physics die erste große Hochenergie-Physik-Tagung des Sommers – und wenige Stunden vorher hält das CERN ein Seminar über den Stand der Suche nach dem Higgs-Teilchen mit dem LHC ab: Völlig widersprüchliche Gerüchte schwirren schon seit mehreren Wochen und reichen von einer Bestätigung der Anzeichen für ein Higgs um 125 GeV – siehe Artikel vom Dezember 2011 und März und April 2012 – bis zum Ausbleiben eines nennenswerten Fortschritts. Die Messungen von 2012 mit der höheren Kollisionsenergie von 8 statt 7 TeV haben bereits mehr Daten eingefahren als das ganze Jahr 2011, aber sie sind überhaupt erst Mitte Juni „entblindet“ worden, so dass nur eine Handvoll Physiker überhaupt wissen dürften, was Sache ist. Und in Physik-Blogs wird gestritten, ob das Verbreiten vermeintlicher Enthüllungen aus den ATLAS- und CMS-Detektor-Teams der Wissenschaft insgesamt und speziell der öffentlichen Wahrnehmung der – teuren und daher auf Zuspruch angewiesenen – Teilchenphysik eher schadet oder nützt.

Zum einen sollen natürlich die Auswerter der LHC-Datenfluten nicht irritiert werden, zum anderen ist die Öffentlichkeit seit Jahren „heiß“ auf das Higgs gemacht worden – da sollte man ihr den Spaß gönnen, in der Endphase der Jagd ‚live‘ dabei zu sein. Oder besser: dem Ende der ersten Phase der Higgs-Forschung. Denn entweder am 4. Juli (und eher weniger zwei Tage vorher, wenn das Fermilab ebenfalls Higgs-relevante Ergebnisse des Tevatron verkünden wird) oder im weiteren Verlauf des Jahres wird der LHC lediglich etwas Definitives über das einfachste oder Standard-Higgs-Teilchen aussagen können: Wenn der klare Nachweis ausbleibt, dann blieben immer noch jede Menge andersartige Higgs- und ähnliche Teilchen im Rennen, die bis Ende 2012 noch gar nicht in seinen Kollisionsdaten aufgetaucht sein können. Und umgekehrt wäre der Nachweis des Standard-Higgs zwar eine brilliante Bestätigung einer 48 Jahre alten Prognose und der theoretischen Physik insgesamt, dürfte aber gleich wieder neue Probleme aufwerfen. So entsprechen etwa die relativen Zerfallswege des mutmaßlichen 125-GeV-Higgs nicht den Erwartungen des Standardmodells der Teilchenphysik.

So oder so werden die Daten des LHC die Theoretiker vor sich her treiben, die nach mancher Auffassung in den letzten Jahr(zehnt)en etwas träge geworden sind: ein guter Zustand für die Physik! Guardian, Symmetry Breaking, Scientific American, Telegraph 29., LBL Release, Physics World, Quantum Diaries, PBS, Not Even Wrong, Muon 28., Brown Univ. Release, Quantum Diaries, IdeaLab 27., CERN TV 26., Uni Bonn PM, Strassler 25., Ballon Juice = Inverse Square 24., Guardian 23., CERN Release, Not even Wrong, Cosmic Variance, Quantum Diaries, Physics World, FAZ 22., Science News, Evolution True, BBC, Principles, Cosmic Log 21., Strassler, Quantum Diaries, Discovery 20., New York Times, New Scientist 19., Strassler 18., Guardian, Not even Wrong 17., Ars Technica 15., Reuters 12., Cosmic Variance 11., Quantum Diaries 9., 1. 6., Paper der BaBar Collab. 24., Physics World 23., Ars Technica 17., Quantum Diaries 9., Nature 4., Strassler, Nat’l Geographic, KosmoLogs 1.5., LiveScience 30., Telescoper 29., Quantum Diaries 28., Strassler, Spiegel 27., Paper der CMS Collab. 26., Strassler 24., Ars Technica, Scientific American Blog 20., CMS Press Release 17., Nature 12., ATLAS Blog 11.4.2012. NACHTRAG: der Gerüchte-Brei noch mal umgerührt.

Die irre Saga der rasenden Neutrinos ist … vorbei!

8. April 2012

Bis auf einen formellen Widerruf der angeblich leicht überlichtschnellen Neutrinos des OPERA-Experiments ist in März alles zusammen gekommen: Ein anderes Experiment hat eindeutig gezeigt, dass Neutrinos exakt lichtschnell sind, bei OPERA hat man die Fehlerquelle eindeutig identifiziert, die die Überlichtgeschwindigkeit vortäuschte, und damit zugleich ebenfalls die exakte Lichtgeschwindigkeit von Neutrinos bestätigt – und zwei Sprachrohre des vermeintlichen OPERA-Mysteriums sind von ihren Positionen zurück getreten, nachdem sie im Team erheblicher Kritik ausgesetzt waren und nach eigener Erkenntnis das Vertrauen vieler Kollegen verloren hatten. Offen sind jetzt nur noch Fragen, wie der Fehler jahrelang(!) übersehen werden konnte, ob die Veröffentlichung des Pseudo-Mysteriums letzten September gerechtfertigt war oder nicht – und ob die Aufklärung, die OPERA-intern schon letzten Dezember gelang, zu Unrecht noch mehrere Monate lang geheim gehalten wurde, während unabhängige Praktiker wie Theoretiker weiter Zeit mit der Suche nach vermeintlichen Erklärungen verschwendeten; noch jetzt tauchen entsprechende Papers auf.

Seit irgendwann 2008 – 2007 war das Timing nachweislich noch einwandfrei – ist ein Glasfaserkabel zur Übertragung von Laserpulsen für die Zeitmessung nicht mehr komplett eingeschraubt gewesen: Es leitet Zeitsignale eines GPS-Empfängers außerhalb des Gran-Sasso-Tunnels 8.3 km weit bis zur Master-Clock von OPERA. Durch den schlechteren Anschluss baute sich eine elektrische Spannung in einem Konverter langsamer auf als vorher und eine Verzögerung des Zeitsignals von rund 75 Nanosekunden entstand – wodurch die Neutrinos vom CERN entsprechend zu früh anzukommen schienen. Ein zweites Problem mit einem Oszillator der Master-Clock spielte gegenüber der Kabel-Panne nur eine untergeordnete Rolle. Durch eine Verkettung unglücklicher Umstände trat bei den Spezialexperimenten mit Neutrinopulsen genau derselbe Zeitfehler auf, so dass die Überlichtgeschwindigkeit scheinbar perfekt bestätigt wurde. Vielleicht was es das, was das OPERA-Management derart in die Irre führte, dass man die Suche nach simplen Fehlerquellen im Experiment zunächst hintanstellte. Auch hatte man viel damit zu tun, auf komplexe Fehlerszenarien einzugehen, die von Aussenstehenden postuliert und in einer Flut teilweise agressiver Papers vorgetragen wurden.

Erst Tests an der Hardware letzten Dezember und der Vergleich mit einem weiteren Teilchenexperiment im Gran-Sasso-Tunnel (dem Myonen-Detektor LVD) brachten die Physiker schließlich auf die rechte Spur: Das Kabel wurde neu eingesteckt und der Zeitfehler verschwand mit einem Schlag. Praktisch zeitgleich mit einem anderen Neutrinodetektor, ICARUS mit 7 exakten Neutrino-Flugzeiten, waren sie nun sicher, dass allein das Glasfaserkabel an allem schuld war; die ICARUS-Forscher publizierten aber schneller, am 16. März, während OPERA bisher nur auf einem internen Workshop am 28. März berichtete. Am Ende der Affäre bleibt die Aufklärung des vermeintlichen Mysteriums durch die Experimentatoren selbst und zugleich die Frage, warum man nicht vor seiner Bekanntgabe viel gründlicher alle technischen Aspekte von OPERA überprüft hatte – dass die Steckverbindung schwer zugänglich und leicht zu ‚übersehen‘ war, entschuldigt da wenig … Strassler, Artikel „What went wrong“ 2.4., Ereditato, Le Scienze 30., Antonello et al., Preprint 29.3.2012; Discovery, Strassler Blog 5., Science 2.0 4., New Scientist 3., Strassler Blog, Nature, Kirilliov & Savelova, Preprint (ernstgemeint?) 2.4., Strassler Blog, Physics World, Nature Blog, New Scientist, BBC, AFP, Rtr., Spiegel 30., CERN Release, Nature, Science 2.0, Ars Technica, Cosmic Variance, Scientific American, BBC, Starts with a Bang, New Scientist Blog, Spiegel 16., Nature, Quantum Diaries 7.3., SkepticBlog 27., New Scientist, FAZ 24., KosmoLogs, ScienceBlogs 23.2.2012

Zweites Experiment bestätigt großen dritten Neutrino-Mischungswinkel

Knapp nach den Chinesen haben koreanische Physiker mit dem Reactor Experiment for Neutrino Oscillations (RENO) anhand zweier Detektoren in 290 und 1400 m Abstand von einem Komplex aus sechs Kernkraftwerken praktisch dasselbe Theta-1-3 gemessen: abermals also frohe Kunde für die Neutrinophysik, die damit interessanten künftigen Experimenten entgegen blicken kann. (Interactions, Symmetry Breaking 4.4.2012. Und Science 30.3.2012 S. 1553 und Nature 26.3., Science 2.0 4.4.2012 zur fehlenden Finanzierung des amerikanischen Long-Baseline Neutrino Experiments. Plus NSF Release 2.4. zur Bestimmung der Masse der Neutrinos aus der großräumigen Verteilung von Galaxienhaufen, die sich wiederum negativ in der CMBR bemerkbar machen)

Die erste Übertragung einer „Nachricht“ mittels Neutrinos ist in den USA gelungen – durch 240 Meter Fels, mit 0.1 Bit pro Sekunde und einer Fehlerquote von unter 1%. Das Wort „Neutrino“ kam nach zwei Durchgängen von zusammen140 Minuten tatsächlich zuverlässig an – aber für einen operationellen Einsatz (etwa zur Kommunikation mit Ubooten) fehlen ebenso leistungsfähige „Sender“ wie ausreichend empfindliche „Empfänger“. Und die prinzipiellen physikalischen Hürden sind viel höher als beim normalen Funk, wo den ersten Laborerfolgen rasch der praktische Nutzen folgte. (Stancil & al., Preprint 13.3.2012; Symmetry Breaking, Nature, Ars Technica, ArXiv Blog)

Im LHC wird wieder kollidiert – jetzt mit 8 TeV Energie

Seit dem Morgen 5. April läuft der Large Hadron Collider nach der langen Winterpause wieder, mit zwei gegenläufigen Protonenstrahlen – und Kollisionen in den vier großen Detektoren. Aber diesmal beträgt die Energie pro Strahl 4 statt bisher 3.5 TeV: Erst im März hatte man sich endgültig zu diesem kleinen aber für die Statistik wichtigen Schritt durchgerungen, der die komplexe Technik des Beschleunigers mehr fordert. Bis Jahresende sollen 15 inverse Femtobarn eingefahren sein, gegenüber den 5 bisher: Je nach Optimismus wird bereits im Sommer oder spätenstens Winter endgültig klar sein, ob es denn nun ein – klassisches – Higgs-Teilchen bei rund 125 GeV Masse gibt oder nicht (beide Positionen werden aus der bisherigen Datenlage abgeleitet). Unbestritten ist bisher nur, dass der LHC bis Ende 2011 keinerlei nennenswerte „neue Physik“ gefunden hat, und der Ruf ist bereits laut geworden, mehr Kollisionsdaten als bisher zu speichern, um auch noch exotischeren Prozessen suchen zu können: Das allerdings gibt die Datentechnik gar nicht her. (CERN Release 5.4.2012; IBTimes 6., Resonaances, Quantum Diaries [mehr], BBC, Cosmic Variance 5., Telegraph, Starts with a Bang 3., Washington Post, Cosmic Variance 2.4., Quantum Diaries 27., Nature 21., Giardino & al., Preprint 19., New Scientist, Quantum Diaries, BdW 16., Vasquez & al., Preprint, Physics World, Science Journalism Tracker 15., Resonaances, Hephy 14., Physics 13.3.2012)

Das AMS auf der ISS hat schon 14 Mrd. Teilchen Kosmische Strahlung gemessen, aber frühestens in einem Jahr wird man Details erfahren: Vorläufige Ergebnisse gibt’s keine, Punkt. Muss man sich eben mit dem Ballon-Experiment BESS begnügen, das neue Obergrenzen für die Existenz von Antihelium im Weltraum geliefert hat. (Nature 31., Physics 29.3.2012. Auch NASA Release 2.4.2012 zu neuen Einschränkungen der Natur der Dunklen Materie über die Nichtdetektion von Zwerggalaxien durch Fermi und Nature 3.4.2012 zu „billigen“ Experimenten für die Jagd nach ‚dunklen Photonen‘ …)

Dritter Mischungswinkel der Neutrinos bestimmt

12. März 2012

Es ist das erste bedeutende physikalische Experiment in der VR China, und es hat vier Konkurrenten abgehängt: Mit dem internationalen Daya Bay Reactor Anti-neutrino Experiment („Chinesisches Neutrino-Experiment …“) in der Nähe von Hongkong ist binnen weniger Monate der dritte bisher nur vage bekannte Mischungswinkel Theta-1-3 („‚Double Chooz‘ auf dem Weg …“) bestimmt worden, und er ist mit 9° überraschend groß. Bei dem Experiment werden Elektron-Antineutrinos sowohl direkt neben großen Kernkraftwerken als auch in 1.7 km Abstand gezählt: 80’376 bzw. 10’416 Exemplare wurden für die Analyse registiert. Letztere Zahl ist um 6% ‚zu klein‘, d.h. ein Teil der Antineutrinos ist in einen anderen Flavor oszilliert: Daraus lässt sich der Mischungswinkel berechnen, der im Prinzip auch Null hätte sein können. Ist er aber nicht, im Gegenteil: Die Natur ist mindestens so interessant wie erhofft. Was auch eine sehr gute Nachricht für künftige Neutrino-Experimente ist, die nun eine Chance zum Nachweis einer CP-Verletzung haben und damit sehr tiefen Einsichten in die Physik des ganzen Universums, die Existenz der Materie inklusive. The Daya Bay Collaboration, Preprint; BNL, VT, Caltech, IHEP, LBL Releases; Physics World, Symmetry Breaking, Nature Blog, Quantum Diaries, New Scientist, Scientific American, Science Now, Science Journalism Tracker. Und Wired mit noch mehr Neutrino-Experimenten und Tavecchio & al., Preprint, S&T, Physics World mit zwei Spekulationen über Axions

Das erste Spektrum eines Anti-Wasserstoff-Atoms ist beim CERN-Experiment ALPHA („309 Anti-Wasserstoff …“) gewonnen worden: Viel kann man daraus noch nicht lernen, aber mit dieser Technik sollte es später möglich sein („Zum ersten Mal …“), heraus zu finden, ob Materie und Antimaterie identisch sind oder aber eine CPT-Verletzung vorliegt. Was dann auch wieder ungemein fundamental wäre. (LBL, CERN Releases. Und New Scientist, BBC, IO9 mit weiterer Antimaterie-Forschung und Scientific American, Science Journalism Tracker zu kuriosen Gedanken über „Zeit-Kristalle“ …)

„Higgsterie“ – oder 125-GeV-Higgs de facto bewiesen?

„Das Higgs-Boson ist noch nicht entdeckt, aber seine Masse beträgt 125 Mrd. Elektronenvolt“, geht derzeit ein Physiker-Witz: Nicht nur die ATLAS- und CMS-Experimente des LHC sondern auch die CDF- und D0-Detektoren des Tevatron sehen ein vages Signal in diesem Energiebereich, allerdings mit immer nur wenigen Sigma. Der Tevatron in den USA liegt seit letztem September still, aber die Gesamtheit seiner Kollisionsdaten ist nun ausgewertet (wobei u.a. die bisher beste Massenbestimmung des W-Bosons heraus gekommen ist). Und da scheint zwischen 115 und 135 GeV etwas zu sein, mit 2.2 Sigma: ein viel breiterer „Bump“ als beim LHC, weil die Energieauflösung geringer ist, aber die Mitte fällt mit den 124 bw. 125 GeV der ähnlich (in)signifikanten LHC-Exzesse zusammen. Wenn man alle Daten in einen Topf wirft und gut umrührt, kann man eine Gesamt-Signifikanz von beinahe 5 Sigma, also eine Entdeckung, „erzeugen“, aber davor warnen Sachkenner energisch: Die Einzelergebnisse basieren auf einer Vielzahl von Zerfallsszenarien des Higgs, die nicht unabhängig sind – und manche davon zeigen auch gar keinen Exzess, weshalb die Signifikanz des ATLAS-Bumps sogar wieder etwas gesunken ist (aber nicht dramatisch). Gewarnt wird daher vor einer regelrechten „Higgsterie“ schon jetzt und noch etwas Geduld angemahnt: Übermorgen wird der LHC schließlich nach der Winterwartung wieder hoch gefahren, ab dem 7. April gibt’s wieder Proton-Proton-Kollisionen – und schon die International Conference for High Energy Physics im Juli in Melbourne könnte den Durchbruch bringen. (Science 9.3.2012 S. 1159; Symmetry Breaking 9., ATLAS Blog, Spiegel 8., STFC Release, New York Times, AFP, New Scientist, Physics World, Ars Technica, Nature, Resonaances, Quantum Diaries, Symmetry Breaking, BBC, Guardian 7., CERN Release 5., Not even Wrong 4., ATLAS Blog 3., FNAL Release, Guardian, Quantum Diaries, BdW [umfassende Lagebeschreibung] 2., DLF 1.3., Symmetry Magazine März, Edinbg. Video 24., Vixra 23., CERN Courier, Nature 22., Resonaances 21., Discovery, Quantum Diaries 18., Scientific American Blog 17.2.2012)

Statt 7 nun 8 TeV Kollisionsenergie beim LHC

18. Februar 2012

wird es 2012 geben, also 4 statt 3.5 TeV pro Protonenstrahl, wenn sie Mitte März wieder eingeschaltet werden und ab Anfang April auch wieder kollidiert wird: Dieses Jahr sollen dabei ca. 15 inverse Femtobarn eingefahren werden, dreimal so viele Kollisionsereignisse also wie 2011. Und die Anzahl der Higgs-Teilchen, die dabei erzeugt werden sollten, vervierfacht sich sogar: Spätenstens bis Ende des Jahres wird – wenn der Beschleuniger weiter so gut funktioniert – eindeutig klar sein, ob das vage Signal bei 125 GeV vom letzten Jahr real oder doch nur eine Fluktuation gewesen ist. Inzwischen gibt es auch detaillierte Papers zu den gesamten 2011-er Daten: Bei ATLAS hat sich nichts geändert, bei CMS ist der Nachweis geringfügig signifikanter geworden, denn eine neue Kategorie von Ereignissen ist hinzu gekommen.

Ein Kombination aller Messungen beider Detektoren wird es vielleicht nächsten Monat auf einer Konferenz geben: Weil die Energien der möglichen Higgse weiter etwas auseinander fallen (126 bzw. 124 GeV), wird die gemeinsame Signifikanz vermutlich nicht dramatisch über den individuellen (2.5 und 2.1 Sigma) liegen, vielleicht bei 3 Sigma (und vom schon gar nicht mehr arbeitenden Tevatron soll auch was zu hören sein in Sachen pro oder contra Higgs). Wenn das LHC-Signal vielleicht im Sommer mit den neuen Kollisionen zu einer Entdeckung wachsen sollte, hätte ein 125-GeV-Higgs übrigens erstaunliche Konsequenzen für die Stabilität des ganzen Universums: Das könnte nämlich jederzeit in einen noch niedrigeren Energiezustand rutschen – außer zusätzliche Teilchen außerhalb des Standardmodells verhindern dies.

Da der Kosmos bislang recht stabil war, sieht es eigentlich ganz nach der Existenz der letzteren (oder einem anderen Mechanismus gegen den Phasenübergang) aus. In den Kollisionsdaten bis Ende 2011 sind freilich auch nach der neuesten Analyse vom Januar 2012 keinerlei exotische Teilchen jedweder Art aufgespürt worden, insbesondere keine Vertreter der ersehnten Supersymmetrie, die so viele Probleme gleichzeitig lösen würden – genau so wenig wie Anzeichen zusätzlicher Raumdimensionen oder Schwarze Mini-Löcher, beides besonders schwierige Suchen. Hier wird es 2012 entweder die ersten Indizien oder aber aussagekräftige Grenzwerte geben. Und dann kommt der große Umbau: Erst 2015 wird wieder kollidiert, dann aber mit einer Gesamtenergie von 14 TeV, die wieder einen neuen Erkenntnisschub verspricht.

Ellis, Nature 481 [5.1.2012] 24; Quantum Diaries 16., BBC, Physics World, Discovery, Quantum Diaries 14., CERN Release & Video News, Nature Blog, New Scientist, Strassler, Ars Technica, Symmetry Breaking 13., Symmetry Magazine 12., Vixra, New Scientist, Physik Blog 9., Resonaances 8., CMS Collab., ATLAS Collab. Preprints, CERN, ATLAS Releases, Nature Blog, Science 2.0, Strassler, Woit 7., CMS Release 4.2., New Scientist, Resonaances 31., Quantum Diaries 20., McGill, FAZ Blogs 11., Woit 10., TeenSkepChick 8., Uni Mainz PR, New Scientist 6.1.2012, New Scientist 29.12.2011. Und PM der TU Wien 17.1.2012 zu noch flüssigerem Quark-Gluonen-Plasma bei den LHC-Blei-Kollisionen

Borexino gelingt Nachweis der pep-Reaktion in der Sonne

Schon letzten Sommer wurde der Nachweis von Neutrinos dieser Reaktion vom Untergrunddetektor („Erste Neutrinos aus seltener Fusionsreaktion …“) berichtet, jetzt ist die entsprechende Veröffentlichung erschienen: Etwa der der entscheidenden Signale sieht Borexino jeden Tag, nachdem mit erheblicher Mühe der Untergrund reduziert werden konnte. (Science News 8., Physics World 9.2.2012. Auch Pan European Networks 24.2.2012 zu grünem Licht für das Neutrinoteleskop KM3NeT, Nature Blog 26.1.2012 mit einem US-Ruf nach einem ordentlichen Untergrundlabor für Neutrinoforschung und de Putter & al., Preprint 9.1.2012 mit neuen Neutrino-Massengrenzen aus der SDSS. Und Kanekar & al., Preprint 16., New Scientist, Science Journalism Tracker 26.1.2012 zu Problemen beim astronomischen Test der Konstanz von Naturkonstanten, astrobites 31.1.2012 mit kosmischer Messung des p/e-Massenverhältnisses und Nature 31.1.2012 mit Problemen bei der Messung der Ladung des Neutrons im Labor)

Die Datenlage in Sachen direkten Nachweises Dunkler Materie bleibt konfus, nachdem 3 Detektoren irgendwas sehen, 2 aber nicht: Mit viiiel gutem Willen könnte man das mit einem WIMP von etwa 10 GeV erklären, das sich den beiden Negativ-Experimenten irgendwie entzieht. (Hooper, Preprint 5., New Scientist 9.1.2012. Und astrobites 17.1.2012, Physics World 8.12.2011 mit Nullresultaten von Fermi bzgl. DM-Vernichtungs-Strahlung aus nahen Zwerggalaxien. Sowie Fang & al., Preprint 25.1., New Scientist 1.2.2012 zu jungen Pulsaren als möglicher Quelle von UHECRs und arxiv Blog 13.5.2011 zur möglichen Beobachtung derselben per Satellit)

Schrödingers Heiner? Quantenkrimi „Reality XL“

23. Januar 2012

Hat dieser Blogger etwa ein neues Naturgesetz entdeckt? Je geringer das Budget eines Science-Fictions-Films, desto origineller die Umsetzung der Idee – und desto mehr wird der Zuschauer zu echtem Nachdenken angeregt. So war es zuletzt bei „Another Earth“ (USD 200’000) – und so ist es erst recht beim deutschen Indie-Mystery-Thriller „Reality XL“ (EUR 90’000), der seit dem 12. Januar mit nur rund 20 Kopien vergeblich nach Kino-Zuschauern sucht. Was ausgesprochen schade ist, denn auf diesem Niveau und mit einem so originellen Ansatz wurden in einem Spielfilm wohl noch nie grundlegende Fragen der Realität im Spiegel (nicht nur) der modernen Physik erörtert. Die Ausgangssituation sei gerade noch allen verraten: Ein Physiker des LHC wird verhört, weil er als einziger dessen Kontrollraum wieder verließ, den er doch zusammen mit 23 Kollegen betreten hatte. Wer den Film – der bald auf DVD erscheint – doch noch sehen will, sollte gar nicht mehr wissen (und keinesfalls das detaillierte Plot-Summary auf der Wikipedia-Seite lesen, was auch dieser Blogger zum Glück vermied), denn die kafkaeske Handlung – nur vier Personen und ein Schauplatz im Wesentlichen, kurioserweise der Fuß einer der Antennen der ehemaligen Erdfunkstelle Raisting – nimmt immer wieder neue Wendungen.

SPOILER AB HIER! So ist der – von Heiner Lauterbach ebenso brilliant wie unter Rückstellung seiner Gage gespielte – Physiker aufgrund von (leider nicht näher ausgeführten) Messungen bei LHC-Kollisionen zu dem Schluss gekommen, dass es eigentlich gar keine Materie gäbe und alles nur existiere, weil es sich jemand vorstelle und darob die Wellenfunktion kollabiere. In diesem Falle sorge halt er für die Entstehung der Realität – und weil seine Kollegen ihm da nicht folgen wollten, habe er sie kurzerhand ’nichtexistent‘ gemacht. Und als nächster ist dann wohl der nervende Staatsanwalt dran … oder ist etwa alles ganz anders? ENDE DER SPOILER! Wenn Sie nun glauben, das sei Lauterbachs erster Ausflug in die Science-Fiction gewesen, dann liegen Sie falsch: Der bekennende Weltraumfan spielte 1985 in der Fernsehproduktion „Das Gespinst“ einen Astronomen, und gedreht wurde damals u.a. im Radioteleskop Effelsberg. Den LHC selbst gibt es diesmal hingegen nie im Bild zu sehen, und bis auf einen einsamen Tweet scheint sich CERN auch nicht um den Film geschert zu haben; bei „Angels & Demons“ war das noch ganz anders gewesen. Wenn Sie den Beschleuniger auf der Leinwand sehen wollen, müssen Sie wohl in einen anderen aktuellen Film gehen, The Muppets nämlich – siehe 0:18-0:26 mit dem ATLAS-Detektor als Backdrop …

Wo die Jagd auf das Higgs Ende 2011 steht

27. Dezember 2011

Genau wie die ziemlich präzisen Gerüchte („Die nächste Beinahe-Entdeckung des Higgs (bei 125 GeV)“) besagt hatten, wurde am 13. Dezember keine Entdeckung des Higgs-Teilchens verkündet – aber mit leeren Händen stehen die LHC-Physiker nach zwei Jahren Kollisionen auch nicht da. Bei den Proton-Proton-Crashs, so die Erwartung gemäß des Standardmodells (SM) der Teilchenphysik, bildet sich zuweilen auf mindestens zwei Arten („Kanälen“ im Teilchen-Jargon) ein kurzlebiges neutrales Higgs-Teilchen, das sofort wieder auf ähnliche Weise zerfällt wie es entstand: Gesucht wird nach primären und sekundären Zerfallsprodukten mehrerer Kanäle.

  • Durch die bisherigen Messungen ausgeschlossen werden kann inzwischen ein großer Massenbereich für nämliches Higgs-Teilchen: Erlaubt ist jetzt nur noch 115.5 bis 131 GeV/c^2 (nach den Daten des ATLAS-Detektors) bzw. 115-127 GeV (gemäß Erkenntnissen des CMS-Detektors).
  • In diesem noch erlaubten Energiebereich sehen beide Detektoren vage Hinweise auf ein neues Elementarteilchen, wobei ATLAS eins bei 126 GeV mit einer Signifikanz von 2.3 Sigma und CMS eins bei 124 GeV mit 1.9 Sigma und ggf. auch etwas bei 119.5 GeV sieht. Beide Ergebnisse als solche – genannt sind hier jeweils die konservativsten Signifikanzen; mit viel gutem Willen darf’s auch etwas mehr sein – sind nicht nur keine Entdeckungen sondern nicht mal Hinweise auf etwas Verdächtiges.
  • Allerdings liegen der ATLAS- und der bessere CMS-Peak fast aufeinander, beide Detektoren und ihre Analyse-Methoden sind unabhängig, und es sind jeweils mehrere Kanäle, die auf dasselbe schwache Signal nahe 125 GeV hinweisen. Manche Beobachter halten die Übereinstimmungen für das Entscheidende, fassen beide Messungen schon mal vage zu einer gemeinsamen mit einem Sigma von immerhin 3-4 zusammen, und feiern damit eine Fast-Entdeckung, andere verweisen auf die Widersprüche zwischen ATLAS und CMS und sehen überhaupt nichts Bemerkenswertes.
Ein SM-Higgs-Teilchen mit ~125 GeV wäre zumindest das, was viele ohnehin erwartet (und mitunter sogar – mit allerlei Annahmen – konkret vorausgesagt) hätten. Und es wäre insofern reizvoll, als es aus quantenmechanischen Gründen einen schwereren Partner haben müsste – der dann erstmals über das SM hinaus weisen würde (dessen Schlussstein sozusagen das SM-Higgs wäre). Sofern der LHC nach der Winterpause weiter so gut läuft wie 2011, wird er auf jeden Fall im Laufe des kommenden Jahres entweder das 125-GeV-Signal wieder zum Verschwinden bringen (wie es einem vermeintlichen bei 140 GeV von diesem Sommer schon bald widerfuhr) – oder aber seine Signifikanz über die gewünschten 5 Sigma treiben und es zur „Entdeckung“ machen.

In beiden Fällen liegt die eigentliche Arbeit aber noch vor dem LHC: Bei noch viel mehr (und später auch energiereicheren) Kollisionen muss in den nächsten vielleicht 10 Jahren den detaillierten Eigenschaften des Higgs-Teilchens nachgestellt werden, das durchaus nicht von der einfachsten SM-Art zu sein braucht – oder aber die Suche nach einer Alternative beginnt, denn ein SM aber ohne Higgs oder etwas Ähnliches geht mathematisch gar nicht. Und irgendwo hier oder woanders warten sicher auch noch Entdeckungen, die über das SM hinaus gehen (ein 125-GeV-Higgs wäre z.B. auch ein indirekter Hinweis auf Supersymmetrie): Die Teilchenphysik begeht diesen Jahreswechsel jedenfalls in einem durchaus angeregten Zustand …

CERN Press Release 13.12.2011, die ATLAS-Analyse (das letzte Slide der Präsentation), die CMS-Analyse, ein Live-Blog der Präsentation und die vermutete Higgs-Masse als Zeitfunktion; Nature 15.12.2011 S. 301, Science 16.12.2011 S. 1482-3; Quantum Diaries 23., Schlatter & Zerwas, Preprint, New Scientist 21., Agostini, Preprint, astrobites, New Scientist Blog, Astronomy, Science Journalism Tracker 19., Nature 16., Kadastik & al., Preprint, BdW, Freitag 15., Physics World, University Post 14., BNL, STFC Releases, Physics World, Cosmic Variance, Nature, New York Times, New Scientist, Symmetry Breaking, LiveScience, Science Blogs, Weltmaschine, Spiegel, Baer & al., Preprint, BBC, Vixra 13., Quantum Diaries, Resonaances, Not even Wrong, New York Times 12., Guardian 9., BBC 7., Guardian, Cosmic Variance, Houston Chronicle Blog 6., Physics World Blog, Strassler, Quantum Diaries 5.12.2011. Auch ATLAS Collab., Preprint 21., BBC, Strassler Blog, Spiegel 22.12.2011 zu einer kleinen anderen LHC-Entdeckung an Bottomonium …

Rasende Neutrinos schaffen neuen OPERA-Test

5. Dezember 2011

Nur 20 eindeutige Neutrinos aus dem CERN hat der OPERA-Detektor im Gran-Sasso-Tunnel während der Sondermessungen mit den scharfen Pulsen vom 22. Oktober bis 6. November einfangen können, aber diesmal war von jedem die Abflugszeit auf 3 Nanosekunden genau bekannt: Und wieder kamen sie 62±4 Nanosekunden ‚zu früh‘ an, konsistent mit dem 58±8 ns Verfrühung der 10 ms langen Neutrinopulse im regulären Experiment mit 15’233 detektierten Neutrinos. An falscher statistischer Analyse von deren Pulsform liegt die vermeintliche leichte Überlichtgeschwindigkeit der OPERA-Neutrinos also nicht. Der restliche Versuchsaufbau und der Gang der Auswertung waren bei dem Sondertest natürlich unverändert: Wenn z.B. – das bleibt der häufigste Verdacht – etwas mit der Synchronisation der Uhren bei CERN und OPERA nicht stimmt oder bei der Berücksichtigung von Signallaufzeiten in langen Kabeln, hätte dies wieder zum selben Phantom-Effekt geführt. Anhand der detaillierten Versuchsbeschreibung im jetzt zur Veröffentlichung eingereichten Paper hat bislang niemand Außenstehender einen offensichtlichen Fehler gefunden, während sich im OPERA-Team inzwischen die meisten mit dem kuriosen Ergebnis abgefunden und das Paper unterzeichnet haben. Ihnen ist aber genauso wie dem Rest der physikalischen Gemeinde klar, dass erst eine unabhängige Messung des Effekts mit einem ganz anderen Experiment aus der (immerhin 6.2 Sigma großen) Anomalie eine Entdeckung – dann freilich epochalen Ausmaßes – machen würde.

Beim vergleichbaren US-Experiment MINOS werden entsprechende Präzisionsmessungen der Neutrino-Flugzeiten bereits emsig vorbereitet, und es könnte schon in ein paar Monaten (nach anderen Quellen: im Sommer 2012) Ergebnisse geben, während möglicherweise auch das japanische Experiment T2K – mit leiderer kürzerer Flugstrecke seiner Neutrinos – ausreichend genau messen können wird. Und was, wenn MINOS et al. OPERA am Ende klar widerlegen? Dann wird es vielleicht für immer unklar bleiben, was dessen Anomalie zu verantworten hat, wie schon bei so manchem von der Geschichte überrollten physikalischen Sensationsexperiment. Es kann etwas furchtbar simples und zutiefst Menschliches sein, was da schief gelaufen ist, vielleicht nicht mehr als ein Zahlendreher beim Aufsummierungen all der technischen Signalverzögerungen … Science 2.12.2011 S. 1200-1; Symmetry Breaking 1.12., DLF 28., Physics World 22., AstroBites, New Scientist Blog, Telegraph 21., Reuters 20., Telegraph 19., STFC Release, Interactions, Physics World, NYT, Nature Blog, BBC, Guardian, Starts with a Bang, Universe Today, Principles, Wired (mehr), AFP, New Scientist, Science Journalism Tracker 18., revidiertes OPERA-Paper, Symmetry Breaking, Science Insider, Quantum Diaries, Cosmic Log 17.11.2011. Und ein Experiment-Vorschlag zum Nachweis steriler Neutrinos

Die nächste Beinahe-Entdeckung des Higgs (bei 125 GeV)

wird womöglich am 13. Dezember in Genf verkündet: Da werden die Teams der beiden LHC-Hauptdetektoren ATLAS und CMS ihre Ergebnisse des kollisionsreichen Jahres 2011 präsentieren – und mehrere einschlägige Physikblogs haben bereits erfahren, dass beide ein mutmaßliches Signal des Higgs-Teilchens bei 126 GeV (ATLAS, mit 3.5 Sigma) bzw. 124 GeV (CMS, mit 2.5 Sigma) sehen. Das wäre im physikalischen Sprachgebrauch eine „Beobachtung“ aber noch lange keine „Entdeckung“, die 5 Sigma Signifikanz erfordert. Zu diesen Gerüchten passt auch ein geleaktes Rundschreiben des CERN-Chefs, wonach man am 13. zwar von „signifikantem Fortschritt auf der Suche nach dem Higgs“ hören werde aber kein eindeutiges Statement über seine Existenz oder Nichtexistenz. Immerhin hätten die ATLAS- und CMS-Detektionen zusammen eine Signifikanz von etwa 4.3 Sigma, doch von einer präzisen Zusammenführung beider Messungen von insgesamt 10 inversen Femtobarn Kollisionen („Die Proton-Proton-…“) ist man noch weit entfernt.

Im November war eine solche gemeinsame Analyse immerhin für die Kollisionen bis zum Sommer präsentiert worden: Der Energiebereich 141 bis 476 GeV ist demnach mit mindestens 95% Sicherheit ausgeschlossen und der Großteil von 146 bis 443 GeV zu 99%, während Energien bis 132 GeV hinab noch zu 90% ausgeschlossen waren. Damit war eigentlich nur noch der Bereich 114 bis 132 GeV als ‚Rückzugsgebiet‘ für das Higgs übrig geblieben: Sollte es dort tatsächlich residieren, würde dies auch den meisten Erwartungen entsprechen – und würde den Freunden der Supersymmetrie (für die der LHC noch gar keine Hinweise fand) einigen Spielraum lassen. (Nature, Strassler Blogs 4., Strassler Blog 3., Vixra, Woit, MOTLS Blogs, Wired, Quantum Diaries [mehr] 2., BBC, Guardian, Telegraph, Physics World 1.12., Woit Blog 30., Space.com, NYT 28., CERN Courier, Quantum Diaries, Reuters 23., Physics World Blog, BdW, MPG-Interview 22., ATLAS = CMS Joint Analysis, Nature, Woit Blog, Quantum Diaries 18., Telegraph, LiveScience 17., Giudice, Preprint 15.11.2011. Und eine PM des PSI zur Nichtbeobachtung sehr seltener Zerfälle, was zum Standardmodell passt)

Die astronomische Beobachtung zerfallender Teilchen der Dunklen Materie bleibt widersprüchlich, zeigen gleich drei Ergebnisse zu diesem Labor-Nachweis-Versuchen komplementären Weg: So hat der Satellit Fermi zwar den Positronen-Überschuss PAMELAs bestätigt („Der Satellit …“) – aber diese vermeintlichen Produkte der gegenseitigen Vernichtung von DM-Teilchen sieht er auch bei viel größeren Energien, was für enorme Massen und damit eher eine andere Erklärung spricht. Mit Fermi wurden auch etliche Zwerggalaxien betrachtet und dort nur geringe Gamma-Strahlung festgestellt: Wenn diese bei der gegenseitigen Vernichtung von DM-Teilchen untereinander entsteht, müssten diese rar und mithin (nach einer Analyse-Methode jedenfalls) mindestens 40 GeV schwer sein, um zusammen den in den Galaxien beobachteten Gravitationseffekt auf zu bringen – im Widerspruch zu den angeblichen 3 Labornachweisen von DM-Teilchen mit deutlich geringeren Massen. Und das Ballon-Experiment ARCADE hat wiederum angebliche Radiostrahlung von DM-Vernichtungsprodukten in den Magnetfeldern von Galaxienhalos gesehen, die immerhin zu den Teilchenmassen der 3 Laborexperimente passen würde. (Kavli Release [mehr] 28., Brown Univ. Release 23.11.2011; Nature Blog, LA Times 2., Physics World 1.12., Space.com 30., New Scientist 29., Science Now 22.11.2011. Und ein ASPERA Release zu Forderungen der Astro-Teilchenphysik)