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„Nuncius“ mit angeblich von Galilei selbst gemalten Bildern offenbar komplette Fälschung

26. Juni 2012

Vor fünf Jahren war das Buch als „die bedeutendste Entdeckung zu Galilei in mehr als einem Jahrhundert“ gefeiert worden (siehe auch hier, hier und hier): eine aus dem Nichts aufgetauchte Ausgabe des „Siderius Nuncius“, in dem fünf Abbildungen nicht gedruckt sondern gemalt waren. Ein anfänglicher Fälschungsverdacht schien nach eingehender Untersuchung des Werkes vom Tisch, und ein deutscher Kunsthistoriker schrieb ihm gar eine Schlüsselrolle in der Druckgeschichte des „Nuncius“ zu. Doch fundamentale Zweifel waren immer geblieben (Absätze 4-5), zumindest an einer Rolle der Handzeichnungen darin als Grundlage für die späteren Drucke – und nun ist offenbar das gesamte Buch im Rahmen eines großen Buch-Skandals in Italien als moderne Fälschung entlarvt worden! Ein Zusammenhang besteht dabei offenbar auch mit einem massiven Buch-Diebstahl in der Biblioteca dei Girolamini in Neapel, wo nach der Wiedereröffnung diesen April tausende alte Werke gefehlt hatten.

Inzwischen sitzt u.a. der unter dubiosen Umständen berufene Bibliotheks-Direktor Marino Massimo De Caro im Gefängnis, eine schillernde Gestalt. Wie einem Info-Dienst für gestohlene Bücher zu entnehmen ist, hat er inzwischen den von langer Hand geplanten Raubzug gestanden und kooperiert mit der Polizei. Und er steht in einem noch nicht klaren Zusammenhang mit mehreren Galilei-Ausgaben, die sich jetzt als Fälschungen erwiesen haben, darunter auch zwei „Nuncius“-Exemplaren, jenes mit den gemalten Bildern inklusive! Die Details der Untersuchungen von N. Wilding & P. Needham kommen erst langsam ans Licht: Offenbar gibt es entlarvende Übereinstimmungen zwischen nämlichem Mal-Nuncius und einer anderen Ausgabe sowie weiteren vermeintlichen „Galileis“ – darunter bereits 2005 als Fälschungen erkannten. Die neuen falschen Galileis sind mit großem Aufwand hergestellt worden, mit moderner Drucktechnik, aber trickreich auf alt gemacht – da ist noch viel Detektivarbeit vonnöten, die u.a. in Deutschland stattfinden wird.

NACHTRAG: weitere Details der Affäre in einem GSU Press Release und Library Blog und in der NYT. NACHTRAG 2: De Caro hat gestanden, in Argentinien gefälschte Sideriusse bestellt zu haben (letzte Absätze). NACHTRAG 3: weitere internationale Artikel über den Skandal hier, hier und hier. NACHTRAG 4: zu guter Letzt auch aus deutschen Landen Aufklärendes hier, hier, hier, hier (Teil 2 und Teil 3), hier, hier, hier, hier und hier – und eine 66-seitige Meta-Kritik, bei auch dieser Artikel hier mitspielt. NACHTRAG 5: Das Buch über die Fälschung wird als E-Book kostenlos erhältlich sein – wenigstens etwas … NACHTRAG 6: Und hier ist das freie Buch, als Serie von PDFs! NACHTRAG 7: Die BAM erklärt lang & breit, warum sie die Fälschung nicht entlarven konnte: Weil sie keine Proben entnehmen durfte. NACHTRAG 8: Artikel über das Buch hier. NACHTRAG 9: Die große Meta-Geschichte der Affäre ist bereits auf 109 Seiten gewachsen, am Ende mit Details zu den Fälschern selbst. NACHTRAG 10: eine detaillierte Besprechung des Buches – mit einem pikanten Epilog …

Vor genau 400 Jahren: Galilei geht zur Post …

13. März 2010

Es war entweder am Samstag, dem 13. März 1610, oder dem folgenden Sonntag, als ein Mathematikprofessor in Padua ein kleines Paket zur Post brachte oder einem Boten übergab, auf dass es so schnell wie möglich ins 230 km entfernte Florenz gelangen sollte. Über die genauen Details dieser Versandaktion wird noch diskutiert, so ist der Begleitbrief zwar auf den 13.3. datiert, und immer Samstags ging auch die reguläre Post, aber im Brief heißt es, dass es schon Nacht geworden sei: Vielleicht verließ die Sendung Padua erst am 14.3. per Sonderkurier. Ihren Inhalt freilich kennen wir ganz genau: das erste druckfrische – und dem Vernehmen nach tatsächlich noch feuchte – und nicht einmal gebundene Exemplar eines kleinen astronomischen Büchleins auf Latein, dessen endloser Titel mit den Worten „Sidereus Nuncius“, Sternenbote also, beginnt.

Der erste jemals publizierte Bericht über astronomische Beobachtungen mit einem Fernrohr, die jüngsten vom 2. März, also keine zwei Wochen alt: Absender natürlich der Beobachter und Verfasser Galileo Galilei, Empfänger Belisario Vinta, Sekretär von Cosimo II. de‘ Medici, dem Großherzog der Toskana – in die Galilei (der bis 1592 Lektor für Mathematik in Pisa war, dann aber weggemobbt wurde) unbedingt zurückkehren wollte. Der Sidereus Nuncius war – nicht in erster Linie, aber auch – eine Art Bewerbungsschreiben, was zum gut Teil die enorme Hektik erklärt, mit der das Buch (Bild: ein Exemplar der 1. Auflage, wie es 2009 im Köln zu sehen war) entstand: Galilei wusste, dass sich sein ehemaliger Schüler Cosimo für Naturwissenschaft interessierte, und da sollte ihm keiner zuvorkommen.

Insbesondere hoffte Galilei, mit der Bezeichnung der Jupitermonde (die er in dem Buch mal als „irreguläre Sterne“, häufig auch als „Planeten“ anspricht) als „Cosmi[k]anische Sterne“ seinem erhofften Gönner zu schmeicheln – doch das wollte Vinta wegen der Verwechslungsgefahr mit „kosmisch“ nicht, als ihn Galilei im Februar darüber informiert hatte: „Mediceische Sterne“ wurden es stattdessen, und einige Druckplatten mussten nachträglich korrigiert werden. Den Empfang des ersten Exemplars bestätigte Vinta in einem Brief vom 19. März, nicht aus Florenz übrigens, sondern aus Pisa, wohin sich der Hof im Winter wärmeren Wetters wegen zurückgezogen hatte. An genau diesem Tag – Galilei wartete die Antwort nicht ab – ging schon ein weiteres Paket auf die Reise von Padua in die Toskana: diesmal ein ordentlich gebundenes Exemplar des Sidereus Nuncius, zusammen mit jenem Fernrohr, mit dem er die Jupitermonde beobachtet hatte. Die Mühe lohnte sich bekanntlich: Noch im Herbst 1610 machte Cosimo Galilei zum Hofmathematiker und -philosophen und zum Ersten Mathematikprofessor in Pisa – ohne jede Lehrverpflichtung.

Auch 400 Jahre nach seinem Erscheinen ist der Sidereus Nuncius – halb sorgfältiges Beobachtungsprotokoll, halb (populär gehaltener) wissenschaftlicher Artikel – noch Gegenstand energischer Forschung und angeregter Kontroversen, die sich insbesondere auf die faszinierenden Darstellungen des Mondes beziehen. So vermutete ein deutscher Kunsthistoriker 2007, dass ein ungewöhnliches und lange unbekannt gebliebenes Exemplar des Buches („M-L copy“) mit den Monden in Wasserfarbe statt gedruckt, ein allererster Probedruck sei, in den Galilei eigenhändig die späteren Druckvorlagen gemalt habe, wobei das früheste Bild vom 31.12.1609 stammen müsste. Das passt aber nach noch aktuelleren Untersuchungen eines amerikanischen Astronomiehistorikers und eines Amateurastronomen einfach nicht zur komplizierten Druckgeschichte des Buches. Vor allem auch deswegen, weil sich die einzelnen Mondbilder inzwischen auch astronomisch gut datieren lassen: Sie entstanden zwischen dem 30.11.1609 und 16.1.1610.

So dürfte es sich bei dem kuriosen Wasserfarb-Nuncius erst um eine spätere Fassung jenes kleinen aber bedeutenden Werkes handeln, das vor 400 Jahren die Astronomiegeschichte in ganz neue Bahnen lenkte. Der viel kritisierte unnatürlich große Mondkrater am Terminator (Abb.) ist übrigens kein Teleskop- oder Beobachtungsfehler: Galilei hat hier quasi ein herausvergrößertes Bildchen genommen und aus didaktischen Gründen an der kritischen Terminator-Stelle belassen statt es separat daneben zu stellen. Auf seinen Original-Zeichnungen ist nämlich alles richtig! Quellen u.a.: Gingerich, Galileana [eine italienische Fachzeitschrift nur zu Galilei] VI [2009] 141-165 und Truffa, HASTRO-Mailingliste 3. und 12.3.2010. Einen Originial-Nuncius online gibt es u.a. hier [NACHTRAG: ein anderer] (die Frankfurter Fassung weicht ab), eine ältere englische Übersetzung mit Original-Umbruch hier, eine kommentierte Übersetzung von A. van Helden hier – und das Buch als Blog, Postings 1, 2, 3, 4 und 5. Plus ein Galilei-Quiz der New York Times.