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Auf der Suche nach dem ersten Beobachter der Venus-Atmosphäre – nächster Zwischenbericht

10. Juli 2012

Aus den – von russischen Astronomen nicht gern gesehenen – schweren Zweifeln an Lomonossows Beobachtungen der Venusatmosphäre beim Transit von 1761 hat sich inzwischen ein reger internationaler Disput entwickelt, bei dem auch dieser Blogger kräftig mitmischt: Einige der entscheidenden Dokumente sind nämlich auf Deutsch verfasst und amerikanischen wie russischen Astrohistorikern unbekannt. Schlüsselsätze werden daher nach und nach übersetzt, exotische Originale gescannt und eine Timeline und Quellensammlung erstellt. Die neuesten Erkenntnisse:

  • Egal was Lomonossow wirklich sah (und da wird inzwischen um die Bedeutung mancher russischen Vokabel gerungen, namentlich сияние – meinte er damit ein sehr helles oder nur irgendein Licht am Venusrand beim Eintritt?), er war definitiv nicht der erste, der einen Bericht mit mutmaßlichen Beobachtungen der Venusatmosphäre veröffentlichte! Wer ihm zuvor kam, entriss 1967 G. Mühlpfordt in der DDR der Vergessenheit, an den 2012 J. Hamel erinnerte.

  • Den ersten bekannten Bericht publizierte nämlich bereits eine Woche nach dem Transit der Magdeburger Amateurastronom(!) Georg Christoph Silberschlag, am 13. Juni 1761 in einer Zeitungsbeilage namens Historische und Gelehrte Merkwürdigkeiten, und wohl noch im selben Monat brachte Das Neueste aus der anmuthigen Gelehrsamkeit – eine Literaturzeitschrift! – den Bericht erneut. Lomonossows russischer Bericht erschien erst im Juli.

  • Silberschlag schrieb am Schluss seines Berichts, „daß als die Venus im Begriff war, den Rand der Sonne von innen zu berühren, derselbe über seine Circulförmige Rundung in einen solchen Bogen austrat, welcher vollkommen mit dem Rande der Veneris parallel war. Kenner werden dieses Phänomenon einmüthig für eine Würkung der Atmosphär der Veneris halten, in welcher gewiß eine starke Brechung der Licht-Strahlen statt finden muß.“

  • Mehr Details hat Silberschlag leider nicht hinterlassen und auch keine Zeichnungen; insofern ist Lomonossows Bericht erheblich vollständiger (nur eben nicht der erste, und auch nicht der erste, der einen Effekt der Lichtbrechung postuliert). Und Lomonossows Werk wird wiederum von einer Abhandlung Lambert Heinrich Röhls von 1762 übertroffen, der die Lichtbrechung in der Atmosphäre noch viel eingehender diskutiert.

  • Noch 1761, vor allem aber im späteren Zusammenstellungen wie einer von Kordenbusch 1769 tauchen etliche weitere Berichte aus mehreren Ländern auf, die Silberschlags und Lomonossows entscheidende Beobachtung eines Lichtsaumes der Venus außerhalb des Sonnenrand bestätigen, von berühmten Astronomen ebenso wie völlig unbekannten: Als der 1769-er Venustransit kam, waren die meisten Astronomen vom Nachweis der Venusatmosphäre überzeugt.

Indes, was haben sie wirklich gesehen? Wir wissen nicht zuletzt aus den 2012-er Bemühungen, sie zu fotografieren (1. Absatz), wie subtil die Atmosphären-Aureole der Venus wirklich ist. Dass man sie mit einigem Aufwand mit Top-Teleskopen des 18. Jh. sehen kann, haben diesmal gezielte Experimente – beschrieben hier, hier und hier – demonstrieren können, und Lomonossow hatte wohl ein gutes Instrument. Aber die lückenhaften Berichte unserer Kollegen vor 251 Jahren (auch Lomonossow lässt manch wichtiges Detail weg) erschweren es uns ungemein, eventuelle Aureolensichtungen Anno 1761 von Optik- und Seeing-Artefakten zu unterscheiden. Der überzeugende Bericht hat sich bisher nicht eingestellt: Die Detektivgeschichte geht weiter …