Am 24. Februar 1616 begann eine lange Talfahrt des gerade aufkommenden heliozentrischen Weltbildes in Europa: Eine von der Inquisition eingesetzte Theologen-Komission lieferte eine Beurteilung der kopernikanischen Weltsicht ab, die keine Fragen offen ließ. „Omnes dixerunt dictam propositionem esse stultam et absurdam in Philosophia; et formaliter haereticam, quatenus contradicit expresse sententiis sacrae scripturae in multis locis,“ steht auf dem unscheinbaren Zettel (im vatikanischen Geheim-Archiv und oben) über die Sonne als ruhendes Zentrum des Kosmos zu lesen, also „alle sagen, dass diese Behauptung wissenschaftlich töricht und absurd ist, und formell ketzerisch, da sie den Worten der heiligen Schrift an vielen Stellen eindeutig widerspricht“, und das gleiche gelte für die sich bewegende und drehende Erde. Kurioserweise ist dieser Schlüsselsatz aber in den vergangenen vier Jahrhunderten häufig mit falscher Interpunktion wiedergegeben worden – die die Begründung der angeblichen Dummheit des Heliozentrismus auf bedeutsame Weise verzerrt.
Zwar waren die Regeln für die Zeichensetzung damals nicht wirklich festgeschrieben, aber ein Semikolon zwischen zwei Satzteilen meinte unzweifelhaft eine klare logische Trennung. Und just das im Original klar erkennbare Semikolon nach ‚Philosophia‘ – was damals für die weltliche Wissenschaft generell stand – ist erstaunlich oft „vergessen“ worden. Dann liest sich der Satz aber so, als beginne die Begründung für die Verdammung des kopernikanischen Weltbildes (die am 5. März prompt dazu führte, dass De Revolutionibus in der originalen Fassung, 73 Jahre lang unbehelligt, auf dem Index landete, und schließlich in den Galilei-Prozess von 1633 mündete) erst mit ‚quatenus‘ und sei mithin allein im Widerspruch zu Sätzen in der Bibel zu verorten. Doch in der korrekten Version wird klar, dass es primär wissenschaftliche Probleme waren, die zu der Ablehnung führten, und zusätzlich noch theologische. Und genau jene damals weithin gesehenen wissenschaftlichen Probleme hatte dem Heliozentrismus ausgerechnet die Einführung des Fernrohres in die Astronomie beschert! Dieses hatte zwar mit dem Nachweis der Venus-Phasen das ptolemäische System, bei dem sich alles um die Erde drehte, sehr eindeutig erledigt und u.a. mit dem unebenen Erdmond und den Jupitermonden als einer Art ‚zweitem Sonnensystem‘ das wohlgeordnete aristotelische Weltbild zumindest kräftig erschüttert.
Doch alle teleskopischen Beobachtungsdaten der ersten Jahre (und genau besehen sogar des ganzen ersten Jahrhunderts) ab 1609 waren mit hybriden Weltmodellen – mit der Erde im Zentrum aber den meisten Planeten im Orbit um die Sonne – genau so gut verträglich wie mit einem reinen heliozentrischen. Und ein hybrides Modell wie das bekannteste von Tycho erklärte einiges sogar besser: insbesondere die vermeintlich im Fernrohr sichtbaren Sterndurchmesser! Die waren in Wirklichkeit nichts weiter als Beugungsscheibchen, aber das konnte damals keiner wissen. Korrekt war dagegen die Beobachtung, dass kein einziger Stern für die verfügbaren Teleskope eine jährliche Parallaxe zeigte: Zusammen mit den vermeintlichen Durchmesser bedeutete das, dass die Sterne im kopernikanischen System extrem weit entfernt und verglichen mit der Sonne dramatisch groß sein mussten – im tychonischen Bild dagegen saßen sie in harmloser Größe auf einer nicht weit entfernten Sphäre. Ausgerechnet die Kopernikaner mussten sich auf göttliche Allmacht berufen, um die fernen Riesensterne zu begründen, währed letztere aus rein wissenschaftlicher Sicht – wie sie etwa Simon Marius vertrat – klar für einen tychonischen Kosmos sprachen. Es ist schwer zu sagen, ob die Gutachter der Inquisition so konkret physikalisch gedacht haben – aber das nun wieder sicher an seinen Platz gerückte Semikolon hinter ‚Philosophia‘ deutet in diese Richtung.
Der Mondkrater, der übertrieben groß Galileis Siderius Nuncius dominieren dürfte, ist gestern überraschend durch diesen Blogger „wieder entdeckt“ worden – passenderweise während eines Seminars über Galilei, wo er gerade nämliche Illustration gezeigt hatte. Ein Schnappschuss in der Abenddämmerung, wenige Stunden nach dem 1. Viertel, zeigte bereits auf dem Kameradisplay einen bei dieser harten Beleuchtung verblüffend dominanten Mondkrater direkt am Terminator etwas südlich der Mitte, der sogleich an Nuncius-Illustrationen wie diese erinnerte. Es handelt sich um den 129 km großen Albategnius – der tatsächlich meist für Galileis Vorbild gehalten wird und auf den dieser wohl besonderen Wert gelegt hatte (Fig. 15-18) und ihn daher übertrieben groß (S. 42-43) darstellen ließ.
Hatte Galilei geheime Kenntnisse von theoretischer Optik?
Da es keinerlei Schriften Galileo Galileis gibt, die auf eine theoretische Durchdringung jener Teleskope schließen lassen, mit denen er ab 1609 eine Reihe bahnbrechender Entdeckungen machte (s.o.), wird allgemein angenommen, dass er in Sachen Optik lediglich ein geschickter Tüftler war. Doch zwei israelische Wissenschaftshistoriker widersprechen neuerdings diesem Eindruck: In Zik & Hon, „Magnification: how to turn a spyglass into an astronomical telescope“, Arch. Hist. Exact. Sci. 66 [2012] 439-64 und „Galileo’s Knowledge of Optics and the Functioning of the Telescope – Revised von vor 5 Tagen können sie zwar auch keine geheimen Tagebücher Galileis vorlegen, spekulieren aber durchaus plausibel über Berechnungen des Physikers bevor er seine astronomischen Teleskope herstellte. Diese seien ihren niederländischen Vorgängern – die tatsächlich durch Kombination existierender Brillengläser plus geschickten Einsatz einer Objektivblende gebaut werden konnten – derartig überlegen, dass Galilei die optischen Parameter der Linsen mit ihren oft ungewohnten Brennweiten geplant haben müsse. Die Theorie dazu könne er durch Kombination der optischen Erkenntnisse della Portas – dessen De refractione optices parte von 1593 er nachweislich besaß – und Einsichten bei der Entwicklung des Sectors zu Eigenschaften von Winkeln entwickelt haben, doch konkrete Spuren gibt es nicht.