Posts Tagged ‘Tevatron’

Live-Blog zu den Higgs-igen Enthüllungen im Juli

2. Juli 2012

Der Zustand der Teilchenphysik jetzt, in wenigen Worten

zusammengefasst von einem CERN-Theoretiker: Wenn das gefundene Boson das Higgs ist, dann wirft das einige Fragen auf. Und „such a Higgs boson would allow us to rule out theories known as ‚Technicolor‘ and some of the theoretical models used in Supersymmetry. However, other supersymmetric or not scenarios could still apply, as well as extra-dimensional theories.“ Auch ein DPG-Flyer, Bilder vom Seminar, ein Statement aus Number 10 und Artikel hier, hier, hier, hier, hier, hier und hier. [13:13 MESZ] Ein STFC Press Release („It’s a boson!“) und Artikel hier, hier, hier, hier und hier. [14:01 MESZ] Pressemitteilungen aus Bonn, Aachen, Durham und Gießen sowie von der MPG, eine Live-Diskussion, ein schriftliches und ein TV-Interview mit Physikern und Artikel hier, hier und hier. [14:29 MESZ] Fermilab und IoP Releases und Artikel hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier und hier sowie ein Beitrag aus dem Mittagsmagazin mit bizarrem Intro. Und um 17:00 MESZ gibt’s einen Chat. [16:45 MESZ] Aufzeichnungen des CERN-Seminars und der anschließenden Pressekonferenz, eine deutsche Zusammenfassung, ein Caltech Press Release, wie lange es dauerte, bis diverse Teilchen gefunden wurden, das Higgs schon im Museum und mehr Artikel hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier und hier – und morgen gibt’s noch einen Chat. [21:55 MESZ am 4. Juli – ENDE]

Wenn es nicht das SM-Higgs sein sollte, wär’s toll

So der CMS-Sprecher auf der PK: Denn das würde „ein Portal“ zu neuer Physik öffnen. Und die ATLAS-Sprecherin findet zumindest die Masse für ein Standard-Modell-Higgs ein bisschen wenig, was ein Hinweis auf Physik jenseits des SM sein könnte. „We are moving in a new part of particle physics,“ betont Heuer: Egal, ob’s das SM-Higgs ist oder nicht, es ist eine neue Art von Teilchen! Man ergeht sich auf dem Panel in geheimnisvollen Andeutungen … [12:00 MESZ] Bisher kann man eigentlich nur die Masse des Teilchens verlässlich angeben; ob man bis Jahresende mehr zu seiner Natur sagen kann, da sind sich die ATLAS- und CMS-Sprecher nicht sicher. Ein weiterer Artikel und ein übersehenes Live-Blog, inzwischen beendet. [12:03 MESZ] Und in diesem Blog gibt’s eine inoffizielle CMS/ATLAS-Kombination (vor der Heuer warnte): Danach ist das Teilchen mit 6 Sigma da – und weicht mit 2.4 Sigma vom SM ab. [12:08 MESZ]

Die erste Post-Higgs-Entdeckungs-Pressekonferenz läuft

jetzt und kann hier verfolgt werden. „There could be worse days in the life of a Director General,“ sagt Heuer. [11:19 MESZ] Wir haben ein neues Teilchen entdeckt, ein Boson – aber jetzt liegt ein langer Weg zur Erforschung des Teilchens vor uns. Ein fundamentaler Skalar wäre noch nie beobachtet worden. Und schon Q&A. [11:21 MESZ] Der CMS-Sprecher: Vielleicht finden wir bis Jahresende (wenn der LHC länger abgeschaltet wird) schon heraus, ob es ein Skalar oder ein Pseudoskalar ist. [11:23 MESZ] Auch das BMBF feiert und der Regierungssprecher frohlockt. Oh, und das gestern versehentlich freigeschaltete CERN-Jubel-Video ist wieder online … [11:28 MESZ] Der CMS-Sprecher: Die Suche nach Supersymmetrie wird jetzt verstärkt, da sie gut zu einem Skalar passen würde. Weitere frühe Artikel hier und hier. [11:33 MESZ] Heuer: Die CMS- und ATLAS-Ergebnisse konnten noch nicht (ordentlich) kombiniert werden – das braucht einige Zeit. Und noch ein Artikel. [11:45 MESZ]

10:35 MESZ: tosender Beifall für 5.0 Sigma von ATLAS

Bevor die ATLAS-Sprecherin es überhaupt ausgesprochen hat, gewaltiger Jubel im Auditorium, als eine „5.0“ auf einem ihrer Ergebnis-Slide auftaucht. [10:37 MESZ] CMS und ATLAS werden gemeinsam ihre Entdeckungspapers ans selbe Journal schicken, Ende Juli. [10:40 MESZ] „An excess of events at 126.5 GeV with a local significance of 5.0“ ist das aktuelle Ergebnis von ATLAS. [10:43 MESZ] Der CERN-Chef: „As a layman I would say: I think we have it! Do you agree?“ Tosender Beifall im Auditorium. „We have a discovery!“ Aber ob es das Higgs-Teilchen ist, weiß man noch nicht. Ein Meilenstein, aber es ist erst der Anfang. [10:46 MESZ] Jetzt auch Standing Ovations … [10:48 MESZ] … und CERN-Chef Heuer lässt es auch auf der zugeschalteten Konferenz in Melbourne jubeln. [10:50 MESZ] Und Higgs freut sich, dass die Entdeckung noch zu seinen Lebzeiten gelang. [10:58 MESZ. NACHTRAG: ein Bild des Moments] Und hier die ATLAS-Details und ein weiterer Artikel. [11:05 MESZ]

Auch ATLAS hat das Teilchen mit 5 Sigma Signifikanz

Das erfährt man (noch) nicht aus dem laufenden Vortrag, sondern diesem CERN Press Release: „We observe in our data clear signs of a new particle, at the level of 5 sigma, in the mass region around 126 GeV,“ wird die Sprecherin darin zitiert. CMS & ATLAS sehen also im Wesentlichen dasselbe, aber alles was heute berichtet wird, ist noch vorläufig – genauere Auswertungen gibt’s bis Monatsende. Und der nächste Schritt „will be to determine the precise nature of the particle and its significance for our understanding of the universe. Are its properties as expected for the long-sought Higgs boson, the final missing ingredient in the Standard Model of particle physics? Or is it something more exotic?“ [10:13 MESZ] Und das deutsche DESY hat auch was zu sagen: „Es könnte sich um das seit langem gesuchte Higgs-Teilchen handeln“. [10:21 MESZ] Und hier sind die Details der CMS-Auswertung sowie frühe Artikel hier und hier. [10:24 MESZ]

9:37 MESZ: Wir – mit CMS – haben 5 Standard Deviations!

ER HAT ES GESAGT! Nach einer ellenlangen Vorgeschichte hat der CMS-Sprecher tatsächlich verkündet, dass die Kombination mehrerer Zerfallskanäle die Signifikanz des 125-GeV-„Bumps“ tatsächlich auf Sigma 5.0 getrieben hat, und das auch erst mit den Kollisionsdaten des letzten Monats. Tosender Beifall im CERN-Hörsaal. [9:38 MESZ] Die Masse des gefundenen Teilchens liegt bei 125.3±0.6 GeV – allerdings ist die Signifikanz am Ende doch „nur“ 4.9 Sigma, weil weitere Zerfallskanäle nicht ganz so gut aussehen – aber das kann ja noch werden. Manche gezeigten Auswertungen – die Schlüsselplots sind hier zu sehen – waren erst letzte Nacht erfolgt. Jetzt kommt ATLAS. [9:51 MESZ] Und wie schon letzten Dezember gibt’s den Vortrag wieder mit grauenhaften Slides – die Fans fassen es nicht … [9:58 MESZ. NACHTRAG: ein Beweisfoto]

Das CERN-Seminar hat begonnen! Higgs is inda house

Also Higgs, der Mann – ob’s auch das Teilchen ist, hören wir gleich. Der Webcast läuft stabil; Live-Blogs laufen z.B. hier, hier, hier, hier und hier. Nach einer kurzen Begrüssung durch den CERN-Chef spricht als erster der CMS-Sprecher. Fragen dürfen erst nach dem 2. Talk gestellt werden. Letzte Vorberichte hier, hier, hier, hier, hier und hier. [9:05 MESZ]

„Higgs excitement at fever pitch“, und immer noch 10 h

bis man offiziell erfahren wird (im CERN-Webcast ab 9 Uhr MESZ, bei den üblichen Verdächtigen unter den Physik-Blogs oder einem weiteren und noch einem Live-Blog), mit wieviel Sigma der LHC das Higgs-Teilchen – das kein Physiker als „god particle“ bezeichnet – denn nun schon im Kasten hat. Ein kurioses Triumph-Video vom CMS-Team ist jedenfalls versehentlich vom CERN veröffentlicht und seither wieder versteckt worden – in dem allerdings nicht von einer Entdeckung die Rede ist, also einem 5-Sigma-Effekt. Und angeblich wurden mehrere Versionen für alle Eventualitäten produziert … Weitere mehr oder weniger atemlose Artikel hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier und hier – und es wird schon spekuliert, wo denn der Nobelpreis hin gehen wird, an Herrn Higgs oder (auch) andere Theoretiker. [23:15 MESZ am 3. Juli] Eine einstündige Einführung in die Higgsologie, noch mehr Einführungen – und angeblich weiß auch der CERN-Chef noch nicht, was gleich erzählt werden wird. [0:35 MESZ am 4. Juli] Schon seit Mitternacht stehen sie Schlange vor dem – verschlossenen – Seminarraum im CERN, wo’s passieren wird … [1:55 MESZ]

ATLAS, CMS: knapp 5 Sigma für etwas bei 125 GeV

Heute sind die LHC-Leaks konkret genug geworden, um sie näher an zu schauen: Danach sehen die beiden Hauptdetektoren jeweils mit einer Signifikanz von 4.5 bis 5 Sigma ein neues Teilchen mit 125 GeV Masse, was in Kombination die 5-Sigma-Marke knackt. Aber bis zum Beweis, dass dies das Higgs-Teilchen ist, wird es noch länger dauern; nun werden bereits emsig die Zerfallskanäle des Partikels unter die Lupe genommen. Ein Teilchen in diesem Massenbereich hat übrigens der inzwischen abgeschaltete LHC-Konkurrent Tevatron ebenfalls aber viel weniger signifikant gesehen: zu wenig für einen Triumph über den europäischen Rivalen. Aber bestimmte Tevatron-Messungen werden nun zur weiteren Erforschung der LHC-Entdeckung beitragen können. Weitere Artikel zu den LHC-Gerüchten (an den präzisen Formulierungen für das Seminar übermorgen wird immer noch gefeilt), Tevatron-Fakten und was als Nächstes passiert hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier und hier – und Higgs (der Mann) ist schon unterwegs nach Genf. [22:15 MESZ am 2. Juli]

Dritter Mischungswinkel der Neutrinos bestimmt

12. März 2012

Es ist das erste bedeutende physikalische Experiment in der VR China, und es hat vier Konkurrenten abgehängt: Mit dem internationalen Daya Bay Reactor Anti-neutrino Experiment („Chinesisches Neutrino-Experiment …“) in der Nähe von Hongkong ist binnen weniger Monate der dritte bisher nur vage bekannte Mischungswinkel Theta-1-3 („‚Double Chooz‘ auf dem Weg …“) bestimmt worden, und er ist mit 9° überraschend groß. Bei dem Experiment werden Elektron-Antineutrinos sowohl direkt neben großen Kernkraftwerken als auch in 1.7 km Abstand gezählt: 80’376 bzw. 10’416 Exemplare wurden für die Analyse registiert. Letztere Zahl ist um 6% ‚zu klein‘, d.h. ein Teil der Antineutrinos ist in einen anderen Flavor oszilliert: Daraus lässt sich der Mischungswinkel berechnen, der im Prinzip auch Null hätte sein können. Ist er aber nicht, im Gegenteil: Die Natur ist mindestens so interessant wie erhofft. Was auch eine sehr gute Nachricht für künftige Neutrino-Experimente ist, die nun eine Chance zum Nachweis einer CP-Verletzung haben und damit sehr tiefen Einsichten in die Physik des ganzen Universums, die Existenz der Materie inklusive. The Daya Bay Collaboration, Preprint; BNL, VT, Caltech, IHEP, LBL Releases; Physics World, Symmetry Breaking, Nature Blog, Quantum Diaries, New Scientist, Scientific American, Science Now, Science Journalism Tracker. Und Wired mit noch mehr Neutrino-Experimenten und Tavecchio & al., Preprint, S&T, Physics World mit zwei Spekulationen über Axions

Das erste Spektrum eines Anti-Wasserstoff-Atoms ist beim CERN-Experiment ALPHA („309 Anti-Wasserstoff …“) gewonnen worden: Viel kann man daraus noch nicht lernen, aber mit dieser Technik sollte es später möglich sein („Zum ersten Mal …“), heraus zu finden, ob Materie und Antimaterie identisch sind oder aber eine CPT-Verletzung vorliegt. Was dann auch wieder ungemein fundamental wäre. (LBL, CERN Releases. Und New Scientist, BBC, IO9 mit weiterer Antimaterie-Forschung und Scientific American, Science Journalism Tracker zu kuriosen Gedanken über „Zeit-Kristalle“ …)

„Higgsterie“ – oder 125-GeV-Higgs de facto bewiesen?

„Das Higgs-Boson ist noch nicht entdeckt, aber seine Masse beträgt 125 Mrd. Elektronenvolt“, geht derzeit ein Physiker-Witz: Nicht nur die ATLAS- und CMS-Experimente des LHC sondern auch die CDF- und D0-Detektoren des Tevatron sehen ein vages Signal in diesem Energiebereich, allerdings mit immer nur wenigen Sigma. Der Tevatron in den USA liegt seit letztem September still, aber die Gesamtheit seiner Kollisionsdaten ist nun ausgewertet (wobei u.a. die bisher beste Massenbestimmung des W-Bosons heraus gekommen ist). Und da scheint zwischen 115 und 135 GeV etwas zu sein, mit 2.2 Sigma: ein viel breiterer „Bump“ als beim LHC, weil die Energieauflösung geringer ist, aber die Mitte fällt mit den 124 bw. 125 GeV der ähnlich (in)signifikanten LHC-Exzesse zusammen. Wenn man alle Daten in einen Topf wirft und gut umrührt, kann man eine Gesamt-Signifikanz von beinahe 5 Sigma, also eine Entdeckung, „erzeugen“, aber davor warnen Sachkenner energisch: Die Einzelergebnisse basieren auf einer Vielzahl von Zerfallsszenarien des Higgs, die nicht unabhängig sind – und manche davon zeigen auch gar keinen Exzess, weshalb die Signifikanz des ATLAS-Bumps sogar wieder etwas gesunken ist (aber nicht dramatisch). Gewarnt wird daher vor einer regelrechten „Higgsterie“ schon jetzt und noch etwas Geduld angemahnt: Übermorgen wird der LHC schließlich nach der Winterwartung wieder hoch gefahren, ab dem 7. April gibt’s wieder Proton-Proton-Kollisionen – und schon die International Conference for High Energy Physics im Juli in Melbourne könnte den Durchbruch bringen. (Science 9.3.2012 S. 1159; Symmetry Breaking 9., ATLAS Blog, Spiegel 8., STFC Release, New York Times, AFP, New Scientist, Physics World, Ars Technica, Nature, Resonaances, Quantum Diaries, Symmetry Breaking, BBC, Guardian 7., CERN Release 5., Not even Wrong 4., ATLAS Blog 3., FNAL Release, Guardian, Quantum Diaries, BdW [umfassende Lagebeschreibung] 2., DLF 1.3., Symmetry Magazine März, Edinbg. Video 24., Vixra 23., CERN Courier, Nature 22., Resonaances 21., Discovery, Quantum Diaries 18., Scientific American Blog 17.2.2012)

Neutrino-Raserei weiter rätselhaft: Fehler subtil?

8. Oktober 2011

Auch zwei Wochen nach der Veröffentlichung der vermeintlich überlichtschnellen Neutrinos gibt es keine heiße Spur, was da wohl – wie das Gros der Physiker weiterhin vermutet – schief gegangen ist. Einerseits hat sich die – in der Kollaboration ziemlich umstrittene! – Vorgehensweise von OPERA bewährt, mit dem Rätsel an die wissenschaftliche Öffentlichkeit zu gehen: Drei Dutzend Papers hat sie schon provoziert, darunter viele wilde theoretische Spekulationen, wie man Neutrinos, die etwas schneller als Photonen sind, in die Physik einbauen könnte, ein paar Arbeiten mit fundamentalen Einwänden (etwa dass superluminale Neutrinos eine Art Cherenkov-Strahlung aussenden und reichlich Energie verlieren sollten) und auch die ersten, die konkrete Zweifel am Experiment und seiner Interpretation anmelden. Zum Beispiel was Details der Neutrinopulse betrifft, die viel länger sind als die behaupteten 60 ns Zeitdifferenz, oder die Synchronisation der Uhren auf beiden Seiten. Gerade letzteres viel beachtetes Paper zeigt aber auch die Grenzen der externen Diskussion über subtile Details eines physikalischen Experiments: Der Autor nahm an, er habe die Synchronisierungsmethode verstanden, und zog sie dann geradezu genüsslich in Zweifel – aber er hatte sich geirrt.

Das Originalpaper von OPERA soll nun klarer beschreiben, wie’s gemacht wurde, und der Chef der Kollaboration sieht weiterhin keine offensichtliche Erklärung für das Mysterium. Noch ist diese Arbeit nicht bei einer richtigen Zeitschrift eingereicht worden, und wann es so weit ist, darüber wird bei OPERA noch heftiger gestritten als über den ersten informellen Gang in die Öffentlichkeit: Schon dem hatte sich eine Minderheit verweigert, gegen die formelle Publikation wendet sich schon rund die Hälfte der etwa 160 Physiker. Und man streitet sich auch, ob man die Neutrino-Zeitmessung jetzt mit Macht voran treiben oder sich lieber wieder auf die eigentliche Zielsetzung des Projekts – die Beobachtung von Neutrino-Oszillationen – konzentrieren soll. Die Konkurrenz schläft jedenfalls nicht: MINOS sollte mit neuer Analyse und neuen Daten in 4 bis 6 Monaten prinzipiell in der Lage sein, das OPERA-Resultat signifikant auszuschließen – sollte es allerdings wahr sein, wären die MINOS-Daten zu schlecht, um es klar zu bestätigen. Physics World, Cosmic Log 7., Of Particular Significance, ABC News 6., Nature News, New Scientist 5., Forbes 4., Galileo’s Pendulum, WissensLogs 3., Degrees of Freedom 2.10., Live Unbounded, LiveScience 30., FAZ 29., Discover, New Scientist, Guardian, Sixty Symbols, DLF 28.9.2011

Gravitations-Rotverschiebung in Galaxienhaufen passt zur Allgemeinen Relativitätstheorie – sowie zu einer Alternative namens f(R)-Gravitation, die ohne Dunkle Energie funktioniert – aber nicht zu den bei Dunkel-Materie-Zweiflern populären Alternativen MOND bzw. TeVeS: Das ist die vorläufige Schlussfolgerung aus der Beobachtung von Galaxien in 8000 Haufen. Das Licht derjenigen näher an den Haufenzentren hat mehr „Mühe“ gegen das Schwerkraft-Potential anzukämpfen und hinaus zu kommen als das von randständigen Galaxien – dieser Effekt erlaubt zusammen mit den anderweitig bestimmten Massen der Haufen einen Test der Gravitationstheorien. Wie klar ‚Einstein‘ vorne liegt, darüber gehen angesichts der doch eher schwachen Gravitations-Rotverschiebung die Meinungen allerdings auseinander. (Physics World, Science 2.0 28., Wojtak & al., Preprint 29.9.2011)

Tevatron aus, Planung für den LHC – und die ferne Zukunft

der Teilchenbeschleuniger: Nach 28 Jahren ist der große amerikanische am Fermilab am 30. September planmäßig still gelegt worden (dürfte aber dank der bis zu letzt gewonnenen Kollisionsdaten noch rund 100 Papers produzieren), während beim LHC bereits die nächsten Phasen vorbereitet werden. Dreimal wird der Large Hadron Collider in den kommenden 10 Jahren länger abgeschaltet: 2013/14, um ihn für 7 TeV pro Beam fit zu machen, 2017 oder 18 für weitere Verbesserungen und 2021. Dann wird der Beschleuniger in den sog. High Luminosity LHC (HL-LHC) umgebaut, mit viel mehr Teilchen in einem besser kollimierten Strahl ab 2022. Und es gibt sogar die Vision für einen High Energy LHC (HE-LHC) in den 2030-er Jahren mit 16.5 TeV/Strahl: Wann der allerdings kommen wird, hängt stark von den künftigen Entdeckungen von LHC und HL-LHC (und natürlich der Finanzierung) ab.

Zugleich wird – weltweit – auch über den nächsten großen Linearbeschleuniger für Elektronen und Positronen nachgedacht, dessen Machbarkeit angesichts knapper Kassen aber wieder in weitere Ferne gerückt. Doch Kollisionen von fundamentalen Partikeln (nicht den komplizierten Protonen des LHC) wünschen sich die Physiker langfristig schon: Das ist viel effizienter zum Produzieren neuer Teilchen. Manche – am Fermilab z.B. – träumen daher von einem Beschleuniger für Myonen, die halt so schnell werden müssen, dass ihre in Ruhe kurze Lebensdauer kein Hinderungsgrund mehr ist. Mit der 200-fachen Elektronenmasse (und 1/10 der Protonenmasse) sollten sie sich im Ring eher wie Protonen verhalten. (Reuters 6., Daily Mash 4., News24, Quantum Diaries 3., Discovery 1.10., Physics World, Chicago Tribune, Nature Blog, Reuters 30., Symmetry Breaking, Physics World, Observations 29., Ars Technica 28., BR 26.9.2011. Und CERN Bulletin 26.9.2011 zum TOTEM-Experiment mit dem LHC, bei dem das Wachstum des Protons bei hoher Energie bestätigt wurde)

Nachrichten aus der Teilchenphysik kompakt

18. Juni 2011

T2K-Experiment beobachtet erste Neutrino-Oszillationen

Bei „Tokai to Kamioka“ („Großes japanisches Neutrino-Experiment …“) schickt der Japan Proton Accelerator Research Complex (J-PARC) über 295 km hinweg Myon-Neutrinos zum großen Detektor Super-Kamiokande – und sechs davon sind offenbar als Elektron-Neutrinos angekommen: Diese „Appearance“ anderer Neutrinos als abgeschickt wurden ist ein wichtiger Beleg dafür, dass die ‚Flavors‘ von Neutrinos tatsächlich oszillieren und war letztes Jahr bereits beim OPERA-Experiment gesehen worden, allerdings weniger signifikant und mit einem Tau-Neutrino. Von Januar 2010 bis zum Erdbeben im März 2011, der das Experiment zum Erliegen brachte, registrierte Super-K 88 der J-PARC-Neutrinos, davon 6 mit Elektronen-Flavor: Noch sind das zu wenige, um von einem klaren Beweis für Oszillationen zu sprechen (konkret: der letzte noch unbekannte Neutrino-Mischungswinkel theta-13 ist nur mit 2.5 Sigma nicht Null, da man 1.5 Elektron-Neutrinos aus dem Hintergrund erwarten würde), aber Ende des Jahres soll der Versuch weiter gehen und mehr Daten sammeln. Im Sommer 2013 sollte theta-13 genau bekannt sein: Ein Wert ungleich Null könnte den Neutrinos auch eine wichtige Rolle bei der Materie-Antimaterie-Asymmetrie geben. Und der japanische Fast-Nachweis wird schon jetzt v.a. in den USA gefeiert: Dort – aber auch anderswo – vorbereitete Neutrino-Experimente bekommen dadurch eine größere Erfolgs-Wahrscheinlichkeit. (J-PARC, STFC Releases 15., RWTH Aachen PM 16.6.2011; Symmetry Breaking, Nature Blog, Physics World, New Scientist 15., LA Times, Ars Technica, Science Journalism Tracker 16., Quantum Diaries 17.6.2011)

Auch zwei Sonnenneutrino-Experimente bestätigen Neutrino-Oszillationen, per MSW-Effekt durch Wechselwirkung mit Materie verstärkt: KamLAND und Borexino. (Abe & al., Preprint 4. und Borexino collaboration, Preprint 15.6.2011. Und Symmetry Breaking 16.6.2011 zum TAUWER-Proposal, das Tau-Neutrinos als Verursacher von UHECRs jagen würde sowie ein PAO-Paper 15.6.2011 über Komplikationen mit der Anisotropie der letzteren. Plus Quantum Diaries 9.6.2011 über das Problem der Falsifizierbarkeit in der Teilchenphysik, am Beispiel des aufgrund bestimmter Experimente postulierten sterilen Neutrinos – und der … Theologie)

LHC bricht neue Marke – Tevatron-Bump schon wieder weg

Gestern Vormittag hat der Large Hadron Collider nach durch drei Monaten Laufzeit 2011 einen wichtigen Meilenstein erreicht: Die großen Detektoren ATLAS und CMS haben ein inverses Femtobarn integrierte Leuchtkraft eingefahren! Ein fb^-1 entspricht etwa 70 Billionen Kollisionen – und die Marke war für das gesamte Jahr 2011 gesetzt worden (zumindest offiziell; angestrebt werden 2-3 inverse Femtobarn). Im ganzen Jahr 2011 waren nur 45 inverse Picobarn erreicht worden, was bereits für eine Menge – allerdings bekannte – Physik reichte. Derweil schien der „Tevatron-Bump“ der amerikanischen Konkurrenz (die es übrigens gerade in 10 Jahren auf 10 fb^-1 gebracht hat) zunächst stärker geworden zu sein („LHC mit …“, 2. Absatz) – aber jetzt sieht ein anderes Tevatron-Experiment diese Jet-Jet-Resonanz explizit nicht! „The DZero collaboration found its data for the production of a W boson and two jets to be in agreement with the predictions by the Standard Model,“ heißt es trocken (oder auch nicht ganz so trocken – die Kunde wurde bei einem Wine & Cheese Seminar am Fermilab überbracht).

Schon ist eine interne Untersuchung eingeleitet worden, wenige Monate vor der endgültigen Abschaltung des amerikanischen Beschleunigers, um den Widerspruch zu beleuchten: Zweifler tippten schon immer auf einen ungenügend modellierten Hintergrund, der den viel diskutierten Daten-Hügel nur vortäuschte. Auch ein statistisch scheinbar signifikanter Effekt muss also keine Entdeckung sein. Ende Juni müsste auch der LHC genug Daten haben, und was er zu dem angeblichen Bump zu sagen hat, wird Ende Juli bekannt gegeben. Dann ist überhaupt die Zeit der großen Teilchen-Tagungen, wo von LHC wie Tevatron Interessantes erhofft wird. (CERN Release 17., Fermilab Release 10., Austral. Gov’t Release 9.6.2011; Cosmic Variance 18., BBC 17., Quantum Diaries, Not even Wrong 15., CERN Bulletin 13., Discovery 11., Resonaances, Nature News, Physics World Blog, New Scientist, Ars Technica, BBC 10., Not even Wrong 8., Resonaances 6.6., Science 2.0 31.5.2011. Auch Cosmic Variance 14.6.2011 über die Notwendigkeit des Higgs und Back Reaction 11.6.2011 über die bisherige LHC-Suche nach Extra-Dimensionen des Raumes)

CoGeNT-Daten zur Dunklen Materie: Aufregung und Zweifel

gleichermaßen hat die Entdeckung zeitlicher Variationen beim DM-Detektor CoGeNT („Direkte Detektionsversuche …“) ausgelöst: Während unabhängige Analysen durchaus einen – nicht besonders signifikanten – jahreszeitlichen Effekt sehen, der mit der Bahn der Sonne durch die DM der Galaxie erklärt werden könnte, meldet das Detektionsexperiment SIMPLE ein negatives Ergebnis, das die von CoGeNT vermeintlich entdeckten DM-Teilchen auszuschließen scheint. Nach dem Feuer in der Soudan-Mine konnte das Experiment immer noch nicht inspiziert, geschweigedenn wieder in Betrieb genommen werden (nach iner anderen Quelle läuft er aber seit dem 6. Juni wieder): Bislang muss man erst einmal mit den 15 Monaten schon gewonnenen Daten auskommen. Dass die einen klaren Nachweis von WIMPs der DM enthalten, behaupten die CoGeNT-Forscher ganz und gar nicht: „We wouldn’t touch that word with a ten-foot pole.“ Aber weil die periodischen Variationen sowohl zu den alten DAMA-Daten wie auch noch unveröffentlichten des Experiments CRESST zu passen scheinen, ist man schon etwas erregt … (Felizardo & al., Preprint 15., Aalseth & al., Preprint 10., Hooper & Kelso, Preprint, Univ. of Chicago Press Release, Kavli Foundation Feature 6.6.2011; arXiv blog 8., Nature Blog 9., e-Astronomer 13., Physics World 15.6.2011. Auch ein neues Negativ-Resultat von EDELWEISS-II und das Verhältnis von LHC & direkten DM-Detektoren auf der WIMP-Jagd) NACHTRAG: mehr CoGeNT-Zoff

Ist die Parität des Universums verletzt, also keine Spiegel-Symmetrie vorhanden? Die wäre eigentlich zu erwarten, aber eine Analyse von 15’158 Galaxien-Bilder der Sloan Digital Sky Survey bei z~0.04 zeigt eine 7%ige Überhäufigheit von linkshändigen Spiralen, wie auch die Milchstraße eine ist. Das scheint zwar ein kleiner Effekt zu sein, aber die Wahrscheinlichkeit für Zufall liegt nur bei 1:1 Mio. Dummerweise stammen die SSDS-Daten überwiegend von der Nordhalbkugel, da das Durchmusterungs-Teleskop nun einmal in New Mexico steht: Um den kuriosen Effekt zu testen, werden eben so viele Galaxien der Südhalbkugel benötigt, wo einer in einem kleineren Katalog immerhin angedeutet scheint. Sollte sich der Kosmos als nicht isotrop erweisen sondern eine Art Achse besitzen, hätte das profunde Konsequenzen. (Longo, Preprint 14.4., Atra Materia 16.6.2011. Aber siehe auch Land & al., Preprint 28.5. = Universe Today 28.3.2008 vs. Longo, Preprint 25.7.2007 – was ist jetzt anders?) NACHTRAG: ganz spät noch ein Press Release zum neuen Paper – mit Folgen. NACHTRAG 2: Gaaanz langsam kommt eine Diskussion in Gang.

Nachrichten aus der extremen Physik kompakt

10. April 2011

Lauter Null-Resultate von IceCube und Super-Kamiokande

Da sage keiner, negative Resultate würden in der Wissenschaft nur ungern publiziert – zumindest wenn sie bei Einschränken theoretischer Möglichkeiten helfen, hagelt es Papers, wie jetzt gleich drei von zwei verschiedenen Detektoren für energiereiche Teilchen, die es in Eis bzw. Wasser blitzen lassen:

  • Das Neutrinoteleskop IceCube am Südpol sieht keine Neutrinoschauer bei Gamma Ray Bursts. In halbfertigem Zustand (40 Strings) wurde in der jeweils der halben Stunde nach 117 GRBs nichts gesehen: Das schließt bestimmte GRB-Modelle aus und macht es unwahrscheinlich, daß Gammabursts eine Quelle ultrahochenergetischer Kosmischer Strahlung sind. (APS Synopsis 7.4.2011) [NACHTRAG: Ist noch wem aufgefallen … NACHTRAG 2: … und noch jemand.]

  • Der japanische Super-Kamiokande sieht deutlich weniger aufwärts fliegende Myonen als zu erwarten wären, wenn die Dunkel-Materie-Detektoren DAMA und CoGeNT tatsächlich WIMPs sehen würden. Die sich dann in der Sonne ansammeln und vernichten müssten, wovon Super-Kamiokande etwas mitbekommen müsste. (Kappl & Winkler, Preprint 4.4.2011)

  • IceCube wiederum sieht keine Hinweise auf sterile Neutrinos, wie sie die Daten von LSND und MiniBooNE („Vage Hinweise …“) erklären könnten: Die würden den Fluss atmosphärischer Neutrinos – die der Eis-Detektor reichlich sieht – markant beeinflussen, weshalb das sterile Neutrino auf diesem Weg mit 3 Sigma Signifikanz ausgeschlossen werden kann. (Razzaque & Smirnov, Preprint 7.4.2011)

Zur Konfusion in Sachen Neutrinos, Antineutrinos und ggf. steriler Neutrinos tragen auch neue Berechnungen der Antineutrino-Produktion in Kernreaktoren bei, nach denen mehrere Generationen von Detektorexperimenten jeweils ca. 3% der flüchtigen Teilchen übersehen haben. (Mueller & al., Preprit 11., Mention & al., Preprint 23.3., Nature News 1.4.2011. Und das Nature Blog zu möglichen Detektorstörungen weltweit durch Fukushima-Teilchen)

Ein weltbewegendes schweres Elementarteilchen im Tevatron?

Wie schon kurz gemeldet („Hat das Tevatron …?“ Nachträge 3-5), hat sich bei Kollisionsexperimenten im amerikanischen Ringbeschleuniger möglicherweise ein schweres Elementarteilchen mit etwa 140-150 GeV Masse bemerkbar gemacht, das weder das lang gesuchte Higgs-Teilchen ist (dafür zerfällt es ganz anders) noch vom Standardmodell der Teilchenphysik vorhergesagt wird: Es könnte sogar der Träger einer fünften Grundkraft der Natur – ähnlich der starken Kernkraft – sein und wäre dann tatsächlich eine bahnbrechende Entdeckung. Wäre, denn der Effekt ist nur 3.2 Sigma groß und damit definitiv keine Entdeckung sondern nur eine interessante Schwankung, die man im Auge behalten sollte: Viele 3-Sigma-Effekte der Teilchenphysik sind mit mehr Daten wieder verschwunden, erst ab 5 Sigma spricht man von einer Entdeckung. Hier könnte der Effekt (bei Kollisionen, die ein W-Boson und zwei hadronische Jets erzeugen) sogar durch subtile systematische Fehler vorgetäuscht sein, und frühere Experimente sprechen tatsächlich in der Tendenz gegen das Teilchen.

Bis auf ein paar Schlagzeilen-Autoren sind sich daher alle einig: Geduld ist angesagt! Denn sowohl das Tevatron selbst hat bereits eine Menge Daten eingefahren, die nach Auswertung den Effekt deutlich stärker machen oder aber zum Verschwinden bringen werden, und auch der Large Hadron Collider würde noch dieses Jahr etwas sehen müssen. Das hindert die Theoretiker natürlich nicht, das mutmaßliche Teilchen schon mal ausgiebig in Modelle einzubauen – und eine vorgeschlagene Erweiterung des Standardmodells, die „Technicolour“-Hypothese, hat sogar etwas Ähnliches vorausgesagt. Spötter haben das Teilchen dagegen schon „Budgeton“ getauft: Schließlich ist die Abschaltung des Tevatron („Das Tevatron wird …“) noch dieses Jahr beschlossene Sache, und wer weiß, was eine potenziell große Entdeckung … (CDF Collaboration, Preprint 4., Fermilab Today 7.4.2011; zahlreiche weitere Artikel mit unterschiedlichem Tiefgang hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier und hier) NACHTRAG: das Medienecho im Überblick.

Bis zu 430 Atome, trotzdem Quantenverhalten: die schwersten „Schrödinger-Katzen“

Die Rechnungen der Quantenmechanik funktionieren, daran gibt es nach bald einem Jahrhundert nichts zu mäkeln – aber was sie bedeutet, darüber wird immer noch nachgedacht. Und konkret experimentiert: Gesucht wird das größte physische Objekt, das sich im Versuch wie eine Welle benimmt, mit messbaren Interferenzeffekten. Heute wird weithin angenommen, dass ein Quantenobjekt durch Wechselwirkung mit der Umwelt „dekohärent“ wird und seine Wellenfunktion zu einem eindeutigen Gebilde kollabiert; je größer ein Ding, desto leichter wirkt es wechsel und desto labiler ist die Wellenfunktion. Bisher waren die größten Objekte, an denen als Wellen experimentiert wurde, C60-„Fußball“-Moleküle, aber nun ist es gelungen, organische Moleküle oktopusartiger Gestalt mit bis zu 430 Atomen, 6 nm Größe und Atomgewicht 6910 in einem Interferometer als Wellen mit sich selbst interferieren zu lassen.

Eine grundlegende physikalische Entdeckung ist das zwar nicht aber insofern verblüffend, als diese Moleküle bereits die Komplexität von Insulin haben und mancher – quasi-lebende – Virus auch nicht größer ist. Schrödingers berühmte Katze ist in dem legendären Gedankenexperiment von 1935 ja nur deshalb gleichzeitig lebendig & tot, weil sie sich ‚unbeobachtet‘ zusammen mit einem einzelnen Atom unbekannten Zerfallszustands in einer Kiste befindet. Jetzt scheint es nicht mehr ausgeschlossen, direkt mit lebenden Organismen Quantenexperimente zu machen – das gibt zumindest zu denken … (Gerlich & al., Nature Communications, Nature News 5., PM der Uni Wien 6.4.2011. Auch eine PM der Uni Innsbruck zum ersten Quantengas zwischen zwei fermionischen Elementen, Ars Technica zu einer kuriosen Gravitations-Theorie und die FAZ zu Problemen mit der Großen Vereinheitlichung)

Jagd auf Dunkle-Materie-Teilchen: die nächste Beinahe-Entdeckung, jetzt von EDELWEISS-II

25. März 2011

Man konnte es schon hier, hier und eben noch hier („Nachweis …“) lesen: Die Detektoren, die im Untergrund Teilchen der Dunklen Materie direkt nachzuweisen trachten, nähern sich einer Empfindlichkeit, bei der es passieren sollte. In den vergangenen 20 Jahren sind sie um einen Faktor 1000 besser geworden, und in den nächsten 10 dürfte es ein weiterer Faktor 100 sein: In 1, 5, 10 Jahren höchstens sollte sich ein eindeutiges Signal zeigen. Dem 2009-er Beinahe-Erfolg von CDMS hat sich gerade eine ebenfalls nicht signifikante Detektion von ein Handvoll Weakly Interacting Massive Particles durch EDELWEISS-II hinzu gesellt: „Five nuclear recoil candidates are observed above 20 keV, while the estimated background is less than 3.0 events.“ Beide Experimente arbeiten nun an einer gemeinsamen Auswertung ihrer Messungen, von der man allerdings nicht zu viel erwarten sollte: Die beiden WIMP-Kandidaten von CDMS hätten Energien von 12 und 15 keV und wären wohl nicht dasselbe wie die EDELWEISS-Kandidaten. Ein weiteres wichtiges Experiment ist XENON100, das bisher rein gar nichts sieht und damit zwei anderen Experimenten – DAMA und CoGeNT – widerspricht, die etwas zu sehen glauben.

Inzwischen hat sich dessen Datenmenge mindestens verzehnfacht, auch wenn es noch Ärger mit der Auswertung („Radioaktivitätsproblem …“) gibt. In den nächsten paar Jahren sollten sich die Widersprüche zwischen den Experimenten durch deren weitere Verbesserungen eigentlich auflösen (und endlich mal zwei mit unterschiedlicher Technik dieselbe Art Teilchen messen, das im Idealfall auch noch direkt mit dem LHC ‚hergestellt‘ werden kann) – aber es ist keineswegs ausgemacht, dass am Ende genau ein WIMP dingfest gemacht ist, das für alle astronomischen Effekte der Dunklen Materie verantwortlich zeichnet. Die ’normale‘ Materie ist schließlich kompliziert genug: Da kann es gut sein, dass das Dunkle Universum auch über verschiedene Teilchen verfügt. Wie auch immer: Wenn das oder die Teilchen erst einmal entdeckt sind, wird die nächste Generation von Detektoren ganz direkt ihren Eigenschaften nachspüren. Armengaud & al., Preprint 21., Nature News (in diesem 3-Seiten-Review wurde EDELWEISS glatt vergessen), Nature Blog 24.3.2011 sowie Aspera zu EDELWEISS und dem generellen Stand der Forschung. NACHTRAG: noch ’n dicker Review!

Feuer in der Soudan-Mine – Untergrund-Detektoren wohl nicht gefährdet: Ein Brand im Schacht zum Soudan Underground Laboratory in Minnesota am 17. März konnte rasch gelöscht werden, und wahrscheinlich ist den Experimenten in 700 m Tiefe zur DM-Jagd (CDMS sitzt hier) und anderer Fundamentalphysik nichts passiert. Das Labor – das zu dem Zeitpunkt menschenleer war – ist vom Rest des Ex-Bergwerks gut abgeschottet; allerdings musste die Kühlung von CMDS herunter gefahren werden, und es kann dauern, bis das Experiment wieder läuft. (Physics World 22., Nature Blog 21., Timberjay 17.3.2011) NACHTRAG: Nach einer ersten Besichtigung sind die Experimente im Labor unbeschädigt, aber es muss viel geputzt werden. Und CoGeNTs schöne Messreihe ist unterbrochen … NACHTRAG 2: … während man sich auch bei CDMS Sorgen macht. NACHTRAG 3: noch’n Nachzügler. NACHRTRAG 4: Den Experimenten ist nichts passiert, aber die Wiederinbetriebnahme dauert.

Hat das Tevatron Anzeichen „neuer Physik“ entdeckt?

Nur noch ein halbes Jahr darf der amerikanische Teilchenbeschleuniger laufen, bevor er im September abgeschaltet wird („Das Tevatron …“) – aber auf der Zielgeraden könnte noch einmal eine bedeutende Entdeckung gelungen sein: Kuriose Effekte im Zusammenhang mit dem Top-Quark, die mit steigender Energie ausgeprägter werden (aber nicht so signifikant sind, dass es nicht doch eine Zufallsfluktuation sein könnte), scheinen auf ein unerwartetes neues Elementarteilchen hin zu deuten. Das Higgs-Teilchen ist es sicher nicht, eher ein Axigluon, Diquark oder unbekanntes Boson – oder aber ein Hinweis auf zusätzliche Raumdimensionen. Sollte es da tatsächlich ein exotisches Teilchen geben, das sich dem Tevatron indirekt zu erkennen gegeben hat, dann liegt es u.U. in der Reichweite des – inzwischen wieder kräftig Protonen kollidieren lassenden – LHC, es direkt zu erzeugen.

Derweil hat das Tevatron geholfen, den möglichen Massenbereich für das Higgs noch weiter einzugrenzen, auf 114 bis 156 oder 183 bis 185 GeV/c^2: Damit ist es wahrscheinlicher geworden, dass es „leicht“ ist, was wiederum den Nachweis durch den LHC erschweren würde. Dem Endlauf des Tevatron – wo man sich immer noch vage Hoffnungen macht, dem CERN die Entdeckung wegschnappen zu können – ist übrigens ein Blitzschlag dazwischen gekommen: Mindestens 2 Wochen liegt der Beschleuniger lahm, während ein Magnet ausgetauscht wird. (Ars Technica, Nature Blog 23., US/LHC Blog 22., Symmetry Breaking 18., Physics World 15.3.2011. Und Nature 17.3.2011 zur erhofften Rolle des LHC bei der nächsten Großen Vereinheitlichung, 150 Jahre nach Maxwell) NACHTRAG: CERN Bulletin (mehr) zum neuen Run des LHC. NACHTRAG 2: Beim CERN gibt man sich siegessicher, dass das Tevatron Higgs-mäßig verloren hat. NACHTRAG 3 zum Tevatron-Effekt. NACHTRAG 4: dito. NACHTRAG 5: dito, oder auch nicht, oder was.

Neutrino-Teleskop mit optischen Teleskopen verkoppelt

Der Neutrino-Detektor ANTARES im Mittelmeer vor der französischen Küste ist inzwischen mit mehreren automatischen optischen Teleskopen „verkoppelt“ worden, die sonst rasch auf dasjenige Himmelsfeld schwenken, in dem Satelliten einen Gamma-ray Burst gesehen haben. Dieselbe Reaktion wird auch bei – vermeintlichen – Neutrinobursts (das sind zwei oder mehr Neutrinos dicht beieinander oder ein einzelnes mit besonders hoher Energie) getriggert, die ANTARES registriert, könnten sie doch auf dieselben gewalttätigen kosmischen Prozesse zurück gehen, die es am Himmel im sichtbaren Licht blitzen lassen. Einen konkreten Erfolg gab es zwar bei den zwei Dutzend Triggern seit 2009 noch nicht aber ein Akronym für das intergrierte System: „TAToO“ = Telescopes and ANTARES Target of Opportunity. (Ageron & al., Preprint 23.3.2011)

Das schwerste und komplexeste „Anti-Ding“, einen Anti-Helium-Kern aus zwei Antiprotonen und zwei Antineutronen, hat der Relativistic Heavy Ion Collider erzeugen können, eine weitere Steigerung gegenüber dem Anti-Hyper-Triton („Schwerste Antimaterie …“) vom letzten Jahr. Das Antihelium entsteht allerdings so selten, dass es das AMS-Experiment – das nächsten Monat endlich auf die ISS geschafft werden soll – wohl nicht sehen wird. Und das nächstschwerere Antielement, Anti-Lithium, ist auch künstlich noch lange nicht in Reichweite – bei Raumtemperatur könnte es theoretisch einen Festkörper bilden. (STAR Collaboration, Preprint, New Scientist 22., Physics World 25.3.2011) NACHTRAG: einen Monat später LBL und BNL Releases, CERN Bulletin; Nature Blog, Spiegel.

Nachrichten aus der Weltraumforschung kompakt

22. Januar 2011

Der massereiche Stern Zeta Ophiuchi rast durch das ISM auf einem Bild des WISE-Satelliten (3.4 bis 22 µm), der den Bugschock vor dem Stern sichtbar macht, der mit 24 km/s durch interstellares Gas und Staub pflügt. Dabei komprimiert und heizt er das Medium des Schocks; zugleich sorgt die starke UV-Strahlung des Sterns auch für Staubheizung in seiner weiteren Umgebung, was sich als rötlicher Schimmer bemerkbar macht.

Vollmondaufgang von der ISS aus gesehen am 19. Januar: Die Sequenz – Anklicken liefert noch ein früheres Bild – zeigt wieder einmal die extreme Refraktion, die nur im Orbit gesehen werden kann.

Dem NanoSail D geht der Strom aus: Dieses Diagramm aus dem Dashboard – via DK3WN – zeigt den Abfall der Batteriespannung (in Volt, gegen die Stunden seit dem Aussetzen). Vom 19.-21. Januar hatten Funkamateure den Satelliten empfangen, seit dem Nachmittag MEZ des 21. aber nicht mehr – vermutlich war es das; die Empfangsversuche gehen aber weiter. Nun ist es wohl an den visuellen Beobachtern, das entfaltete Sonnensegel in den nächsten 70 bis 120 Tagen bis zum Verglühen zu verfolgen. NACHTRAG: Bisher sind noch keine Sichtungen eingegangen, vielleicht ist der Orbit zu ungenau. Dass sich das Segel gut entfaltet hat, bestätigen jedenfalls Radarechos: Der Satellit (dessen – planmäßiges – Ableben seiner Batterie inzwischen bestätigt ist) wurde plötzlich viel größer.

Weiter keine Lösung für Wunschteleskop WFIRST in Sicht

Durch die gewaltigen finanziellen Probleme des JWST droht der Start des Wide-Field IR Survey Telescope der NASA, das sich parallel um Dunkle Energie, Exoplaneten und mehr kümmern soll, auf frühestens 2025 zu rutschen – wenn die ESA mit ihrer Euclid-Mission schon Wesentliches zumindest in Sachen Dunkle Energie herausgefunden haben könnte. Eine Fusion der beiden teuren Weltraumteleskope („Euclid vs. WFIRST …“) hat der NASA aber auch ein weiteres Panel nicht empfehlen können, und einen 20%-Einstieg der NASA in Euclid, den die ESA anbietet, sieht man auch nicht, solange die ESA die Mission noch gar nicht endgültig ausgewählt hat. (Space Policy Online 2., New York Times 4.1.2011)

Immer mehr Hardware für das JWST wird fertig, aller unklaren Zukunft ungeachtet: Immerhin sind schon 3 Mrd.$ in den Riesensatelliten gesteckt worden! Nach und nach absolvieren die 18 Segmente des Hauptspiegels ihre Härtetests, und die wissenschaftlichen Instrumente nehmen Form an. Am Satellitenbus selbst wird noch nicht gebaut: Man will erst die schwierigen Dinge erledigen. (Spaceflight Now 17.1.2011)

Einzelnes Stück Hardware hält den LISA Pathfinder auf

Eine Art Klammer-Mechanismus des Test-Satelliten für LISA („Optical …“), der die Testmassen erst beim Start festhalten und dann im Orbit mit nur maximal 2 cm/h(!) Geschwindigkeit freilassen soll, tut’s einfach nicht: Jetzt muss die ESA seine Entwicklung noch einmal von vorne beginnen, wodurch sich der Start des Satelliten auf frühestens 2013 verschiebt, obwohl alle anderen Komponenten im Zeitplan liegen. Schon lamentieren Konkurrenzprojekte, die wegen LISA zurückgestellt wurden, der große Gravitationswellen-Detektor sei wohl noch nicht reif – aber der Pathfinder soll das aufwändige System ja schon vor dem Start validieren, und da ist es allemal besser, wenn es jetzt hakt. (Nature News 19.1.2011) NACHTRAG: Jetzt heißt es schon: Start frühestens 2014 – und nicht nur bei der Caging Mechanism Assembly hapert’s.

Das Tevatron wird Ende des Jahres abgeschaltet

Weil die US-Regierung keinerlei Spielraum für die unverzichtbare Extrafinanzierung sieht, die ein Weiterbetrieb des US-Beschleunigers („Eine weitere …“) erfordert hätte, hat das Energieministerium am 6. Januar sein Ende mitgeteilt: Damit haben die USA direkt keine Chance mehr, den Europäern das Higgs-Teilchen noch weg zu schnappen, was mit einem Betrieb des Tevatron bis 2014 vielleicht gelungen wäre. Die USA überlassen nunmehr die höchsten Energien Europa (wobei aber viele Amerikaner beim LHC mitmachen dürfen, dessen Winterwartung im Zeitplan liegt; im Februar wird er wieder hochgefahren) und konzentrieren sich selbst künftig auf hohe Strahl-Intensität: ein Ansatz, bei dem Phänomene gefunden werden können, die weniger Energie erfordern, dafür aber sehr selten sind. (Nature 19., CERN Bulletin 17., Physics World 18., 13., 11., Nature, Symmetry Breaking, Discovery, Not Even Wrong, New Scientist Blog 11., Symmetry Breaking, Cosmic Variance 10., Nature Blog 6.1.2011, Science 2.0 21.12.2010. Und Nature Blog über das weltweite GRID, das die LHC-Datenflut verarbeitet)

Es war ein gutes Jahr für den LHC, das nächste wird noch besser – und vielleicht werden’s gleich drei am Stück

10. Dezember 2010

Am 6. Dezember ist planmäßig der Betrieb des Large Hadron Collider für dieses Jahr zuende gegangen, nun ist Winterpause mit kleineren Wartungsarbeiten bis Februar 2011. Und dann kann sich – das ist die einhellige Meinung in LHC-Kreisen – die Natur nicht mehr dagegen wehren, etwas grundlegend Neues preis zu geben: In den sieben Monaten Protonen-Kollisionen 2010 sind bereits alle fundamentalen Entdeckungen der Teilchenphysik nachvollzogen worden, aber mit den zusätzlich 2011 zu erwartenden Kollisionsdaten muss es einfach in Richtung „Neue Physik“ gehen. Und weil es 2010 so gut lief, wird wahrscheinlich im Januar beschlossen werden, den LHC dann gleich bis Ende 2012 statt Ende 2011 laufen zu lassen, und das sogar mit 8 TeV statt den seit März möglichen 7 TeV. Die Möglichkeit, dass der einzige Konkurrent des LHC, das amerikanische Tevatron, auch länger als geplant laufen könnte („Eine weitere Empfehlung …“), spielt dabei sicher auch eine Rolle: Zwei zusätzliche Jahre statt nur einem erhöhen die Chance auf den Nachweis des Higgs-Teilchens erheblich, das sonst die Amerikaner u.U. doch noch als erste einfahren könnten.

Die Inbetriebnahme des LHC hat „noch die optimistischsten Erwartungen übertroffen“, sagt die Sprecherin eines der vier Instrumente, ATLAS: Programmatische Meilensteine wurden früher erreicht, die integrierte Gesamtleuchtkraft war am Ende doppelt so hoch wie geplant, und der wissenschaftliche Ertrag kann sich schon jetzt sehen lassen. 48.1 inversen Picobarn hat der LHC abgeliefert, wovon ATLAS 45 pb^-1 oder 94% aufzeichnen konnte. Schon im Sommer war die „Wiederentdeckung“ des Standardmodells der Teilchenphysik komplett, und zum Schluss konnte ATLAS 250’000 W- und 23’000 Z-Bosonen vorweisen (das Tevatron hat zwar 50-mal mehr aber dafür auch 20 Jahre gebraucht) sowie etwa 700 Top-Quarks, die zum ersten Mal überhaupt in Europa nachgewiesen wurden (und von denen das Tevatron nur 8-mal mehr einfuhr). Auch konnte gezeigt werden, dass die „Jets“ von Teilchen, die aus den Kollisionen herausspritzen, perfekt der Quantenelektrodynamik folgen – während zugleich der Detektor anhand der bekannten Physik geeicht werden konnte.

Der zweite Protonen-Run ab kommendem Februar verspricht – v.a. wenn tatsächlich mit 8 TeV Energie gefahren werden darf – eine Steigerung der integrierten Leuchtkraft auf 1 bis 2.5 inverse Femtobarn: Schon „in ein paar Monaten“ könnten sich hypothetische W‘- und Z‘-Bosonen bemerkbar machen, die davon künden würden, dass es mehr als die bekannten vier Naturkräfte Gravitation, Elektromagnetismus und starke und schwache Kernkraft gäbe (wobei die neuen wie die letzeren beiden ebenfalls nur kurze Reichweiten hätten). Ebenfalls 2011 in Reichweite wären erste Teilchen der postulierten Supersymmetrie – aber das viel beschworene Higgs nur, wenn es sich in einem ganz bestimmten Massenbereich befindet. 2011 wird sozusagen ein „Jahr der Komplementarität“ (man könnte auch „Wettlauf“ dazu sagen) mit einer realen Chance für den LHC wie das Tevatron, des Teilchens zuerst ansatzweise habhaft zu werden, die für beide Beschleuniger auf eine nichttriviale – und v.a. unterschiedliche – Weise von seiner Masse abhängt.

Im Laufe des Jahres 2011 kann aber – reine Mathematik hier – weder dem einen noch dem anderen Beschleuniger ein Nachweis des Higgs mit der erforderlichen Signifikant gelingen, allenfalls ein 3-Sigma-Effekt. Auch 2012 könnte das Tevatron die gewünschten 5 Sigma nicht erreichen, der LHC aber schon: ein gewichtiger Grund für die vorgeschlagene Verschiebung des großen Umbaus – der den Beschleuniger für viel höhere Kollisionsenergie fit machen soll – bis 2013, über die Ende Januar auf einer Sitzung von Vertretern der 20 CERN-Nationen abschließend befunden werden soll. Mit der endgültigen Energie von 14 TeV könnte der LHC dann erst ab 2014 arbeiten – und vermutlich würden zusätzliche Reparaturen an den Magneten des Speicherrings nötig, deren präzise Ausrichtung mit der Zeit leidet. Und es müsste zusätzliche Rechenpower für die zu erwartende Datenflut von der erhöhten Zahl von Kollisionen besorgt werden. Insgesamt soll der LHC – dessen erste Planung schon 1984 begonnen hatte, ernsthaft dann vor 20 Jahren – rund 20 Jahre lang arbeiten, gezählt vom März 2010 an, als es erstmals mit 7 TeV krachte.

Unterdessen gibt es keinen Zweifel mehr, dass der LHC bei den Blei-Blei-Kollisionen im November („Erste LHC-Blei-Ergebnisse …“) tatsächlich ein mindestens so überzeugendes Quark-Gluonen-Plasma produziert hat wie der RHIC in den USA: Insbesondere ist das „Jet-Quenching“, das Verschwinden eines von zwei Jets nach einer Kollision (der im Plasma einfach stecken bleibt), extrem ausgeprägt und war schon am allerersten Blei-Tag evident. Daraus kann man zwar nicht direkt etwas über den extrem jungen Kosmos lernen, aber dieser außergewöhnliche Materiezustand kann nun näher untersucht werden – das nächste Mal vermutlich ab November 2011. Aber jetzt dürfen sich erstmal wieder Protonen um die Neue Physik kümmern, die nach allgemeiner Physiker-Meinung im TeV-Bereich schlummern muss … Vortrag von Fabiola Gianotti (CERN) im Physikalischen Kolloquium in Bonn 10., LBNL Release 8.12., ATLAS Release 26.11.2010; Nature News 10., Physics World 7., DLF 6., Reuters 3.12.2010. Auch ein CERN Release, Physics World und Reuters zum Erfolg eines 2. Experiments – ASACUSA – zur „Massenproduktion“ von Antimaterie am CERN. NACHTRAG: der CERN Courier zu den Entdeckungen beim Blei-Ionen-Run des LHC – und ein CMS-Paper und CERN Release, Nature News, Ars Technica und IO9 über keine Schwarzen Löcher nach den Protonen-Kollisionen.

Nachrichten aus der Physik kompakt

29. Oktober 2010

LHC immer „heller“ – und eine erste echte Entdeckung?

Inzwischen kollidieren im Large Hadron Collider bereits 5-6 Mio. Teilchen pro Sekunde, eine gute Marke auf dem Weg zu den 600 Mio./s, für die der Teilchenbeschleuniger ausgelegt ist, die sogar zwei Wochen vor dem Plan erreicht wurde. Immer offener wird inzwischen der Hoffnung Ausdruck verliehen, dass der LHC schon 2011 – bevor er länger abgeschaltet wird – etwas wirklich Fundamentales wie Anzeichen für die Supersymmetrie entdecken könnte, und ein erstes Paper mit einer Überraschung gibt es bereits. Bestimmte Korrelationen von Teilchen, die aus den Kollisionen herausfliegen, könnten auf Strukturen im Inneren des Protons hindeuten oder auch ein Quark-Gluon-Plasma, wie es der RHIC vielleicht schon sah (siehe Artikel 689 und A50a) – allerdings bei Kollisiosen von schweren Ionen, nicht simplen Protonen. (CERN News 14.10., 24., 21., CMS, STFC News 21.9.2010; LiveScience, Reuters, Science Journalism Tracker 20., New Scientist 13.10., Science 2.0 26., Welt der Physik 24., Physics World 23., Ars Technica, BBC, Telegraph, Guardian, ScienceBlogs 22., New Scientist, Ars Technica 21., Ars Technica 20.9., Life & Physics 17.8.2010. Und beim RHIC werden bald Uran-Ionen kollidieren)

Eine weitere Empfehlung, das Tevatron noch bis 2014 weiter zu betreiben anstatt den betagten US-Beschleuniger 2011 abzuschalten, ist jetzt vom High Energy Physics Advisory Panel ausgesprochen worden (dem wichtigsten Beratungsgremium für Teilchenphysik der USA) – aber nur, wenn zusätzliche Mittel gefunden werden können, wonach es zur Zeit nicht aussieht. Und selbst wenn, dann würde vor allem die Neutrino-Forschung am Fermilab leiden, die dort viele für zukunftsweisender halten als die bei der Tevatron-Verlängerung möglicherweise gelingende Sichtung des Higgs-Teilchens knapp vor dem LHC. Was passieren soll, wird man vermutlich erst erfahren, wenn im Februar 2011 der Etatentwurf des Energieministeriums publik wird. (Physics World 27., Nature News, BBC 26.10., Physics World 22., 1.9.2010)

Grünes Licht für großen indischen Neutrinodetektor

Er wird aus dem größten Magneten aller Zeiten – 50 Tonnen Eisen – bestehen und tief in einem Berg in Tamil Nadu an der Grenze zu Kerala vergraben, wozu seitlich ein 2-km-Tunnel in die Bodi West Hills getrieben wird: das Indian Neutrino Observatory (INO), das die Regierung am 18.10. genehmigt hat. Dem ursprünglich geplanten Standort in TN hatten – buchstäblich – Elefanten und Tiger im Weg gestanden, für den neuen muss mehr Infrastruktur geschaffen werden. Neutrinos – aus der Atmosphäre wie aus speziellen „Fabriken“ in anderen Ländern – sollen mit dem Eisen kollidieren und geladene Teilchen produzieren, deren Bahnen dann das Magnetfeld ablenkt: Neutrinos und Antineutrinos können unterschieden und ihre Eigenschaften ergründet werden. Mit Gesamtkosten von rund 12 Mrd. Rp. (200 Mio. EUR) und 26 beteiligten Organisationen wird das INO eines der größten Forschungsprojekte Indiens überhaupt: Baubeginn ist 2012. (The Hindu 18., Physics World, Nature Blog 19., BBC 20., New Scientist 22.10.2010)

Britischer Detektor in japanischem Experiment zur Neutrino-Oszillation: In Tokai wird der Strahl aus den flüchtigen Teilchen für das T2K-Experiment erzeugt (indem ein Protonenstrahl in Kohlenstoff-Target beschleunigt wird) und im 300 km entfernten SuperKamiokande-Detektor gemessen – dann wird man sehen, was ihnen unterwegs widerfahren ist. (BBC 23.9.2010. Auch Welt der Physik zum OPERA-Experiment, eine ThyssenKrupp PM zum Neutrinodetektor ICARUS, ein AIP Release zum fast fertigen IceCube [NACHTRAG: ein Paper zum Status] und die BBC über die fortgesetzten Arbeiten am Neutrinoteleskop im Baikalsee – das der Blogger 1997 besuchte. Und der New Scientist über das ANITA-Experiment, das statt Neutrinos überraschend Kosmische Strahlung höchster Energie detektiert)

Eine Ortsabhängigkeit der Feinstrukturkonstanten ist sehr unwahrscheinlich

Zum einen sieht es so aus, als gehe ein vermeintlicher Effekt auf die Verwendung zweier verschiedener Teleskope zurück, zum anderen würde eine Nichtkonstanz dieser fundamentalen Größe der Physik gravierende Auswirkungen quasi quer durch den Kosmos haben: Ausschließen soll man natürlich nichts, aber hier ist die Beweislast derart hoch, dass sie von den Daten bei weitem nicht erreicht wird. (Cosmic Variance 18.10.2010. [NACHTRAG: Nach über einem Jahr(!) ist das Paper tatsächlich erschienen …] Auch zum kompletten Verständnis aller Physik … des Alltags)

Ein Wert der Avogadro-Konstanten mit 9 gültigen Stellen ist beim jahrelangen Bemühen, die Zahl der Atome in einem definierten Volumen Silizium zu zählen, herausgekommen – und der Fehlerbereich ist nur noch doppelt so hoch wie eine Grenze, ab der die Atomzahl als neue fundamentale Definition des Kilogramms („Ein Kilogramm …“) in Frage kommen könnte. (Andreas & al., Preprint 12., arXiv Blog 14. Nature News 19.10.2010)

Relativistische Effekte bereits im ‚alltäglichem‘ Maßstab demonstriert haben Physiker mit zwei per optischen Kabel verbundenen Atomuhren besonders hoher Ganggenauigkeit: Schon Dezimeter Höhenunterschied verändern ihren Lauf und ebenso langsame Bewegung (des für die Zeitnahme zuständigen eingesperrten Atoms). Eine nette Demonstration und vielleicht auch für Präzisionsmessungen am Erdschwerefeld einsetzbar. (Nature News, Science News, Ars Technica 23., Physics World 24.9.2010)

Large Hadron Collider immer besser – und an der Schwelle zu „neuer Physik“?

11. August 2010

Der Large Hadron Collider hat in den ersten drei Monaten („Immer neue Ergebnisse …“) mit 3.5 TeV/Strahl den gesamten bekannten Teilchenzoo wiederentdeckt, das Top-Quark inklusive, die ‚Leuchtkraft‘ konnte beständig gesteigert werden, und das Management gibt sich optimistisch, dass vor der nächsten längeren Abschaltung Ende 2011 oder Anfang 2012 genügend Kollisionsdaten gesammelt worden sind, um zu ’neuer Physik‘ der einen oder anderen Art vorzustoßen. Und dabei gibt es – zur Zeit jedenfalls noch – weiter einen regelrechten Wettlauf mit dem amerikanischen Konkurrenten Tevatron. Den würde das Fermilab gerne nach 2011 bis 2014 weiter betreiben, was allerdings 100 Mio.$ kosten würde, die bereits für andere neue Teilchenexperimente verplant sind. Doch es würde dann die vage Chance winken, dem LHC dessen populärstes Jagdziel, das Higgs-Boson, weg zu schnappen.

Gerade erst hat das Tevatron wieder ein wichtiges Nullresultat beigesteuert: Zwischen 158 und 175 GeV/c^2 Masse kann das Higgs nicht haben, womit es – andere Nichtnachweise hinzu genommen – in den Massenintervallen 114 bis 158 oder 175 bis 185 GeV liegen muss (wenn es denn existiert). Und die Tevatroniker glauben, dass sie mit den 65% mehr Daten, die sie bei einem Betrieb bis 2014 statt 2011 einfahren würden, das Higgs nachweisen könnten – und das knapp vor dem LHC. Dessen Leuchtkraft (und entsprechend Kollisionsrate) wird zwar laufend gesteigert, seit Ende März bereits um einen Faktor 1000, und seine Kollisionsenergie ist schon jetzt höher, aber das Tevatron – schon länger in voller Fahrt – hat einen Vorsprung. Auch aus LHC-Sicht gelten beide Beschleuniger die nächsten 2-3 Jahre als „komplementär“. Aber wann wird einer der beiden den ersten klaren Hinweis auf „neue“ Physik jenseits des Standardmodells finden?

Der Nachweis des Higgs wäre kurioserweise einfacher, wenn es im höheren Massenbereich läge: Oberhalb von 140 GeV würde es bereitwillig in Paare von Z- oder W-Bosonen zerfallen, die ein relativ klares Signal versprechen, ein leichteres Higgs zerfiele dagegen in b-Quarks, die sich kaum vom Hintergrund anderer Ereignisse abheben. Im ersteren Fall könnte dem LHC der Nachweis schon nach einem Jahr gelingen, im anderen kann es auch 5 Jahre dauern. Auch Hinweise auf Supersymmetrie oder zusätzliche Raumdimensionen werden vermutlich mehrere Jahre auf sich warten lassen, aber es gibt noch andere Kandidaten, die schon viel früher auftreten könnten. Besonders exotisch dabei die spekulative Möglichkeit, dass bei hohen Energie die Anzahl der Raumdimensionen abnimmt, was sich ziemlich klar in dem Muster verraten würde, in dem Kollisionsprodukte auseinander fliegen.

Wann die große Abschaltung des LHC für umfangreiche Nachbesserungen beginnt, die dann einen Betrieb mit den vollen 7 TeV pro Strahl ermöglichen soll, steht noch nicht fest: irgendwann nach 18 bis 24 Monaten Betrieb bei 3.5 TeV, wenn „ein inverses Femtobarn“ Kollisionsdaten im Kasten sind. Aber es ist inzwischen klar, dass sie dann wohl 15 Monate dauern wird, weil nicht nur unzählige Schweißnähte erneuert werden müssen sondern auch noch andere Arbeiten nötig sind. Nicht nur der LHC, auch andere große CERN-Experimente werden in dieser Zeit ruhen: Sämtliche Arbeitskraft wird für den LHC gebraucht. Ende 2015 wird der LHC ein zweites Mal abgeschaltet, um ihn noch leistungsfähiger zu machen, für einen Betrieb des „Super-LHC“ bis 2030.

Tevatron Collabs., Preprint 26.7.2010; CERN Tweet 9., CERN Bulletin 2.8., CERN, STFC Releases 26., CERN Bulletin 5.7., CERN Tweet 28.6.2010; Science 30.7.2010 S. 498-9; Ars Technica 11., Cosmic Variance, Spektrum Direkt, Discovery 10., Nature 4., BBC, Ars Technica 2., Science 2.0 1.8., Science Blogs 30., Ars Technica, Science Blogs, Reuters, Spiegel 28., Astronomy Now 27., Physics World, Science 2.0, Science Journalism Tracker, Spiegel 26., Science 2.0 21., Nature 20., Science 2.0 17., BBC 14., New Scientist Blog 13., Discovery, Telegraph 12., Science 2.0 8., New Scientist 7.7., Discovery 29., BBC 28.6.2010. Und: wie der LHC-Strahl klingt (wenn er die Wand trifft) sowie die Sonfikation der Kollisionsdaten, auch hier, hier und hier beschrieben

Was nach dem LHC kommt, wird schon eine Weile vorbereitet, aber über den Weg wird keinesfalls entschieden, bevor der LHC klar gemacht hat, was es in seinem Energiebereich Neues zu entdecken gilt. Auf jeden Fall soll es ein Leptonen-Collider sein, der klarere Ergebnisse als ein Hadronen-Collider verspricht, weil dort Partikel kollidieren, die aus jeweils mehreren Quarks bestehen. Die Wahl muss zwischen dem International Linear Collider (ILC), der technologisch weniger anspruchsvoll aber auch leistungsschwächer wäre, und der Alternative Compact Linear Collider (CLIC) getroffen werden: Lange ‚bekämpften‘ sich beider Arbeitsgruppen, allmählich kommt man sich aber näher – und der LHC-Nachfolger dürfte das erste echte globale Collider-Projekt werden. Mit einer Fülle von administrativen Problemen, die neben den technischen auch noch gelöst werden müssen. (Physics Today Juli 2010 S. 22-4, auch Symmetry, Science Blogs, New Scientist)

Neuer Dunkle-Materie-Detektor wird in Sudbury installiert

Diesen Monat wird eine 4-kg-Blasenkammer, später im Jahr dann eine mit 60 kg, im Sudbury Neutrino Observatory in Untergrund Kanadas aufgestellt: Dies gilt als bisher anspruchsvollster Versuch, die mutmaßlichen Weakly Interacting Massive Particles, die für die DM des Kosmos verantwortlich sein dürften, direkt nachzuweisen. Und zwar mit einer Variante der klassischen Blasenkammer – und dem Hinweis, dass es bis zu einem zweifelsfreien WIMP-Nachweis ein Jahrzehnt dauern kann. (Univ. of Chicago Press Release 11.8.2010. Auch BBC zu Überlegungen, den CDMS-II-Detektor ebenfalls ins SNOLab zu schaffen, und Physics World zu positiven WIMP-Detektionen [„Auf der Jagd …“], die einfach nicht verschwinden wollen) NACHTRAG: ein Review der DM-Jagd im Untergrund. NACHTRAG 2: ein langer Artikel zu SNOLAB.

Gibt es Unterschiede zwischen Neutrinos und Antineutrinos? Laut dem Standardmodell der Teilchenphysik nicht, aber gleich zwei Experimente, MINOS und MiniBooNE, haben unlängst soetwas angedeutet, aber mit keiner besonders hohen Signifikanz: Gesehen wurden unerwartete Effekte bei Messungen von Neutrinooszillationen, die als Massendifferenz zwischen Neutrino und Antineutrino interpretiert werden könnten. Auch das hypothetische sterile Neutrino könnte eine Rolle spielen. (STFC Release 14., IU News 24.6.2010; Ars Technica, Nature Blog 14., New Scientist 16., Physics World 18., Physics World Blog 21., Science Journalism Tracker 28.6., Science News 17.7.2010)

Eine Obergrenze der Neutrino-Massen von 0.28 eV aus der Astrophysik ist die beste überhaupt: Sie ergibt sich aus der Kombination eines Katalogs von über 700’000 Galaxien mit photometrischer Rotverschiebung mit diveren anderen kosmologischen Daten. Auch kein Laborverfahren kann es genauer – und nun sieht man auch warum: Weder die gegenwärtige noch die nächste Generation von Experimenten wird genau genug sein, um derart geringe Massen zu sehen. Und zur Dunklen Materie des Kosmos tragen Neutrinos nicht einmal 1% bei. (Thomas et al., Preprint 20.5., UCL News 22.6., APS Release 12.7.2010; BBC 22., Universe Today 23.6.2010)