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Live-Blog zum NASA Budget Request für’s FY 2013

13. Februar 2012

Die neue 2018-er Marsmission wird sowas wie der LRO

Für den Lunar Reconnaissance Orbiter hatten sich die Wissenschafts- und Human Spaceflight auch zusammen getan und eine „strategische Mission“ entwickelt, die ‚eigentlich‘ neue bemannte Landungen vorbereiten helfen und gleichzeitig Wissenschaft betreiben sollte: Genau so solle man sich auch die jetzt geplante 2018-er Marsmission vorstellen, hieß es weiter auf der NASA-Telecon. Man habe „still a science-driven motivation“, müsse aber einen Schritt zurück gehen, weil eine Sample Return Mission und selbst Vorbereitungen dafür wie das Einsammeln von Steinen einfach zu teuer kämen. Vielleicht in 20 Jahren könne er sich das vorstellen, so der neue Wissenschafts-Administrator John Grunsfeld. Für 2018 aber habe man NASA-seitig gerade mal das Budget einer Mission der Discovery-Klasse zur Verfügung, zusammen mit den Beiträgen von der bemannten Seite vielleicht so viel wie für eine New-Frontier-Mission irgendwo zwischen MAVEN, Odyssey und MRO.

Was man da draus wohl machen könne, darüber werden schon viel diskutiert, und auch auf wissenshcfatlichen Tagungen der nächsten Monate werde man Meinungen aus der Wissenschaft einholen. Zusammen mit dem Wunschkatalog aus dem bemannten Programm sei dann bis zum Sommer ein Plan zu erwarten. Und – hier wurde Grunsfeld dann doch ein wenig zu pathetisch – wenn man in 30 Jahren auf diese Tage zurück schauen werde, dann würden die jetzt so beklagten Entscheidungen des Jahres 2012 als „the pivotal moment“ erscheinen, der der Menschheit den Weg zum Mars „and the rest of the solar system“ geebnet habe. Wieder auf den Boden der Tatsachen zurück geholt, musste Grunsfeld allerdings auch zugeben, dass sich die NASA-Wissenschaft bis auf Weiteres nicht einmal eine weitere Flagship-Mission leisten könne und insbesondere die von der letzten Decadal Survey angemahnten Missionen ins äußere Sonnensystem nicht, wo Juno ohne Nachfolger bleiben dürfte. Wenn allerdings eines Tages das Budget wieder da sein, dann wäre man – dank weiter auf kleiner Flamme laufender Technologieforschung – bereit. [23:10 MEZ – Ende]

Wie das neue „integrierte“ Marsprogramm aussehen mag

Das wurde auch auf den ersten beiden Telecons zur bemannten Raumfahrt und Weltraumforschung nicht wirklich klar, aber es soll offensichtlich eine Serie preiswerter Marsmissionen entwickelt werden, die von der Planetenforschung gewünschten wissenschaftlichen Fragestellungen nachgehen und gleichzeitig Technologien testen können, die irgendwann mal für eine bemannte Mission nötig wären. Diese beiden Anforderungen wären „surprisingly well aligned“, hieß es, und „exploiting commonalities“ sei kein Problem. Bereits das energetisch besonders günstige Startfenster 2018 zu nutzen, ein „sweet spot“, sei dabei „highly desirable“, und 2020 sei auch sehr gut. Ausländische Partner an Bord zu holen, sei dabei wünschenswert, denn das könne die – offenbar mit NASA-Mitteln allein eher simpel gestrickte – Mission „more feature-rich“ machen. Also wieder mal mit der ESA verhandeln, die sich sicher schon riesig freut … [22:45 MEZ]

Der Planetary Society gefällt das alles gar nicht …

… wie einer bösen Presseerklärung dieses Planeten-Fanclubs zu entnehmen ist: „The U.S. Administration is proposing a budget for Fiscal Year 2013 that would force NASA to walk away from planned missions to Mars, delay for decades any flagship missions to the outer planets, and radically slow the pace of scientific discovery, including the search for life on other worlds. NASA’s planetary science program is being singled out for drastic cuts, with its budget dropping by 20 percent, from $1.5 billion this year to $1.2 billion next year. The steep reductions will continue for at least the next five years — if the Administration’s proposal is not changed. This would strike at the heart of one of NASA’s most productive and successful programs over the past decade.“ Weitere erste Einschätzungen der Lage in Artikeln hier und hier. Jetzt beginnen die Telecons zu den diversen Themenfeldern; die Wissenschaft kommt um 22:30 MEZ an die Reihe. [21:35 MEZ]

Der Grund für den NASA-Ausstieg aus dem ExoMars-Projekt

wird endlich klarer: Unter angemessen harter Befragung wartete Bolden auf der PK mit der Erklärung auf, dass insbesondere der 2018-er Rover von den Kosten her eine Flagship-Mission gewesen wäre – ebenso wie MSL und JWST. Und dass man sich in der gegenwärtigen fiskalen Landschaft einfach kein neues Milliardenprojekt mehr leisten könne. So solle nun stattdessen über Missionen der Mittelklasse nachgedacht werden, die trotzdem die Aufgaben von ExoMars übernehmen könnten: Wie das wohl möglich sein sollte, dazu hatte er allerdings nichts zu sagen, doch seit Wochen beobachte er angeregte Diskussionen darüber. Auf eine spätere Nachfrage weigerte sich Bolden strikt, auch nur eine denkbare Mission zu benennen: Man möge bitte ein paar Monate – nicht Jahre – warten, bis sich die Experten (darunter auch europäische) etwas ausgedacht hätten. Auf die andere im Raum stehende Frage, welchen Flurschaden konkret die enormen Kostenüberschreitungen beim JWST hinterlassen hätten, konnte oder wollte Boden gar nicht anworten. [21:00 MEZ]

Die Werbeveranstaltung für den Budget Request läuft noch …

… auf der Pressekonferenz: Erst gab’s ein langes Video, dann eine Ansprache des NASA-Chefs (der das „neue“ Marsprogramm geheimnisvoll als ein „integrales“ beschrieb, bei dem Planetenforscher, bemannte Raumfahrt und Technologen zusammen Großes schaffen sollten, mit der ersten Mission schon ab 2018) und schließlich eine lange Übersicht der Pläne anhand dieser 27 Folien, die eine gahz gute Zusammenfassung bieten (im Gegensatz zum knappen Press Release). Jetzt hat Frage und Antwort begonnen, mit der ersten Frage gleich zur Mars-Krise: Bolden behauptet, da sei eine völlig neue Strategie (nicht nur eine neue Mission) in der Pipeline. [20:45 MEZ]

Der Schlüssel-Paragraph in Sachen NASA & Mars ab 2016

findet sich auf PDF-Seite 141 bzw. Dokument-Seite PS-40 (Hervorhebungen durch den Blogger): „After 2013 MAVEN, the Mars Exploration program is working towards defining future missions that will build upon scientific discoveries from past missions and incorporate the lessons learned from previous mission successes and failures. NASA is terminating further activity on the formulation activity for the NASA/ESA ExoMars Trace Gas Orbiter 2016 (EMTGO) mission and planning for the previous NASA/ESA Mars 2018 mission concept. NASA remains committed to an ongoing Mars Exploration program of robotic exploration missions in support of an integrated strategy of scientific and human exploration, and intends to work with the science community and our international partners in the formulation of a restructured mission.“

Das alte gemeinsame – und bereits mehrfach umgestrickte – ExoMars-Programm mit dem 2016-er Orbiter und 2018-er Rover ist also am Ende, die Marsforschung aber nicht. Das 2016-er Startfenster will man offenbar ungenutzt lassen, aber auf der nächsten Seite heißt es, man „will look to take advantage of the favorable relative location of Mars and Earth in 2018 and 2020, with pathway options for missions later in the 2020s based on science discovery and human destination requirements. NASA will inform Congress as the new program architecture is defined, and will identify the first mission in the FY 2014 budget request.“ [19:45 MEZ]

775 Seiten – zum Glück virtuelles – Papier …

… enthält das Dokument zum NASA-Haushalt 2013. Zur schon länger befürchteten Neuorientierung des Marsprogramms lesen wir dort auf Seite 9: „NASA is taking a fresh look at robotic Mars exploration to develop a more integrated approach that advances scientific and human exploration objectives that are consistent with available budget resources and priorities in the Planetary Science decadal survey.“ Und dann: „NASA remains interested in working with ESA and other international partners to identify opportunities to cooperate in Mars exploration consistent with the budgets available to the agencies. Moreover, Mars exploration remains an important component of NASA’s planetary exploration efforts.“ Also doch kein Ende vom gemeinsamen ExoMars? Pressekonferenzen ab 20:00 MEZ werden vielleicht klarer machen, wie es weiter gehen könnte. [19:20 MEZ]

Die kompletten NASA-Zahlen für 2013 liegen nun vor

Sie sind pünktlich um 19:00 MEZ auf der entsprechenden NASA-Webseite erschienen – hunderte Seiten voller Zahlen. Angesichts der Erfahrungen der letzten Jahre, dass diese Requests vom US-Kongress zum Teil bis zur Unkenntlichkeit umgeschrieben werden, muss man sich allerdings fragen, wie weit sich die Lektüre im Detail überhaupt lohnt. Aber zumindest die Richtung, die sich das Weiße Haus für einzelne Sektoren vorstellt, lässt sich hier gut ablesen. Und es ist bereits aufgefallen, dass man dort die NASA für keine der „key science agencies“ erachtet, die man mit Budgeterhöhungen belohnen sollte … [19:05 MEZ]

Erste offizielle Zahlen: Haushalt bleibt flach bei 17.7 Mrd.$

Die Leaks waren in den letzten Tagen schon ziemlich detailliert geworden: Der Budget-Request des Präsidenten für das US-Finanzjahr 2013 (das am 1. Oktober 2012 beginnt) würde für die NASA praktisch dasselbe wie im laufenden Jahr zum Schluß verabschiedet vorsehen, nämlich 17.7 Mrd.$ – eine Milliarde weniger als im Request für’s FY 2012 gestanden hatte. Ganz schlecht würde es für das Mars-Programm aussehen, das zu Gunsten der Rettung des JWST erheblich zurück gefahren würde, inklusive des Endes des gemeinsamen ExoMars-Programms mit der ESA. Seit 17:20 MEZ gibt es nun auf den Budget-Seiten des OMB, des entscheidenden Office of Management & Budget des Weißen Hauses, die ersten offiziellen drei Seiten zum NASA-Request: Danach ist alles wahr.

Der Haushalt soll demnach flach bei 17.7 Mrd.$ bleiben, mit reduziertem Marsprogramm aber Weltraumforschung der „höchsten Priorität“ inklusive JWST und Asteroiden-Sample Return bei gleichzeitiger Verschiebung „unbezahlbarer“ neuer Projekte (wie dem Astrosatelliten WFIRST und der Mars Sample Return) – insgesamt fällt der Wissenschaftsanteil des Haushalts aber nur(?) von 5.1 auf 4.9 Mrd.$. Weiterhin werden u.a. eine „robuste“ Finanzierung von SLS und Orion angestrebt (fast 3 Mrd.$), 830 Mio.$ Unterstützung für private bemannte Raumfahrt-Programme und Investitionen in neue Weltraum-Technologien. Um 19:00 MEZ wird die NASA selbst viele weitere Details veröffentlichen, ab 20:00 folgen dann eine Serie von Briefings. [18:10 MEZ]

Was der Shuttle konnte – und was kommen soll

22. Juli 2011

Eine Premiere, ausgerechnet beim allerletzten Flug eines Space Shuttle: Astronauten auf der ISS gelang es, den Eintritt der Atlantis in die Erdatmosphäre aufzunehmen (1.6 Sek. Belichtung bei ISO 10’000 [NACHTRAG: noch eine späte Erläuterung dazu]; mehr Bilder hier, dieses auch hier und hier)! Auch vom Erdboden war die Ionsisationsspur des Reentrys spektakulär zu sehen, wie das Video aus Cancun beweist. Dann war’s vorbei (die letzte Besatzung nach der Landung, alle 135 STS-Missionen in einem 8-Minuten-Video und die Atlantis wird abgeschleppt; Aufnahme eines DLR-Besuchers), und es stellen sich viele Fragen …

I. Haben sich die 30 Jahre Shuttle-Programm „gelohnt“?

Das kommt sehr auf die Perspektive an: Die Versprechungen von vor 40 Jahren von einem unglaublich preiswerten Transportsystem, das alles und jedes (und jeden) für wenige Mio.$ in den Orbit befördern könne, wurden dramatisch verfehlt, statt 10 Mio.$ kostete eine Mission etwa 1.5 Mrd.$ und das ganze Programm rund 200 Mrd.$ – wobei die Kostenüberschreitungen bei der Entwicklung sogar im bei Projekten dieser Größenordnung ‚üblichen‘ Rahmen blieben, die anschließenden Betriebskosten der Raumfähren aber alle Dimensionen sprengten. Allseits gelobt werden die Vielfalt der Missionen des Shuttles, die kein anderes Raumfahrzeug erreichte, und insbesondere seine maßgebliche Rolle beim Bau der ISS – (deren Wert freilich selbst wieder eine Frage des Blickwinkels ist): 24 große Bauteile mit zusammen 232 Tonnen Masse haben Shuttles in den Orbit gebracht.

Und 231 Tonnen Satelliten ausgesetzt, 77 große und 44 kleine, sowie 347 Astronauten aus 18 Nationen nach oben gebracht, die insgesamt 818-mal flogen (was man auch anders zählen mag). All das machte den Shuttle – ungeachtet seiner total missratenen Wirtschaftlichkeit – zu einem nicht nur in den USA weithin akzeptierten Symbol schlechthin für amerikanische Hochtechnologie, was sicher das verbreitete Wehklagen bei seinem Abtritt erklärt. Aber man muss auch sehen, dass von 1961 bis 1975 insgesamt 33 bemannte amerikanische Raumflüge starteten (zwei der X-15, die es 1963 über die 100-km-Marke schafften, inklusive), und alle kehrten heil zurück. Bei den 135 Shuttleflügen 1981-2011 war nur 133-mal der Fall … (AW&ST, Daily Mail 22., Guardian, BBC, DLF, Space.com 21., AW&ST 15., KosmoLogs 14., Village Voice 8., Technology Review 6., Space.com 5., New York Times 4., AW&ST, Reuters 1.7.2011)

II. Was wird jetzt aus der bemannten US-Raumfahrt?

Obwohl der neue Plan für die NASA seit 17 Monaten bekannt und in unzähligen Hearings, Ansprachen und Artikeln erklärt worden ist, wird er in der amerikanischen Öffentlichkeit mit zum Teil unfassbarer Ignoranz bedacht: Mit der Landung der Atlantis sei die bemannte Raumfahrt des Landes zuende, glauben viele, und man sei allenfalls noch zahlender Passagier bei den Russen. (Was übrigens ein gutes Geschäft wäre: Hätte man alle US-Astronauten, die in den letzten drei Jahren mit dem Shuttle zur ISS flogen, stattdessen in Soyuzze gesteckt, hätte das trotz der gestiegenen Ticketpreise nur ein Drittel gekostet. Und da künftig viel weniger Amerikaner fliegen werden, sind die Einsparungen gewaltig.) Dabei ist die Situation eigentlich sogar besser als zuvor: Erstmals haben die USA im Prinzip sogar zwei bemannte Raumfahrtprogramme, ein noch etwas vages staatliches mit der Raumkapsel MPCV und der Großrakete SLS für Ausflüge ins Planetensystem ab ca. 2025.

Und dieser Reise an Orte jenseits der Mondbahn – dass die erste zu einem Asteroiden geht, wird inzwischen bei jeder Gelegenheit beschworen – steht ein privates Programm für den Transport zur noch bis mindestens 2020 betriebenen ISS und ggf. auch anderen Zwecken wie Tourismus gegenüber. „I want to send American astronauts where we’ve never been before by focusing our resources on exploration and innovation,“ drückte das der NASA-Chef anlässlich der Atlantis-Landung aus, „while leveraging private sector support to take Americans to the International Space Station in low Earth orbit.“ Letzteres erregt nun doch vermehrt Aufsehen in den Mainstream-Medien, und mitunter ist schon von einem neuen ‚Wettlauf im All‘ die Rede, nun zwischen Space X, Orbital und Co. – der Markt reicht vermutlich nur für ein oder zwei Anbieter in diesem doch eher speziellen Sektor des Raumtransportwesens aus. (Space Politics, China Daily 22., BBC, New Space Journal, CSM, New Scientist Blog, CNN Video 21., Spaceflight Now 19., Universe Today 15., NY Daily News 8., New Scientist 6., Space Politics Online 1.7.2011)

III. Was ist eigentlich „bemannte“ Raumfahrt zu anderen Himmelskörpern?

Na, wir landen auf einem fremden Planeten oder Mond, stellen eine Fahne auf und sammeln Steine ein, würde man im ersten Moment sagen – aber das wäre so was von gestern. Denn am Ende müsste man dann wieder starten und sich aus dem mehr (Mars!) oder weniger (Kleinplanet) tiefen Gravitationspotenzial heraus kämpfen, was mit heutiger Technik einen Riesenaufwand darstellt. Deshalb könnte auf absehbare Zeit ein Kompromiss zwischen bemannter und unbemannter Raumfahrt der beste Weg sein: Astronauten nähern sich zwar dem Ziel, bleiben aber in gebührendem Abstand – und steuern Scharen von Robotern auf der Oberfläche, die keine Lebenserhaltung benötigen und vor allem nicht mehr am Ende ihres Einsatzes wieder zurück wollen.

Die Erfahrung zeigt, dass solche Telepräsenz vom menschlichen Gehirn praktisch als „dort sein“ interpretiert wird, wenn man das Ergebnis einer Handlung binnen einer halben Sekunde sieht: Daher wäre ein Abstand von bis zu 75’000 km leicht zu akzeptieren. Roboter auf der Mondoberfläche könnten also problemlos von Astronauten in einem der nur 40’000 km von ihm entfernten Lagrange-Punkte 1 oder 2 des Erde-Mond-Systems ferngesteuert werden, und viele für bemannte Landungen viel zu gefährliche Himmelskörper im Sonnensystem würden auf ähnliche Weise plötzlich „zugänglich“, in idealer Kombination von Mensch und Maschine. Der Blick in die Runde mit Rover-Augen wäre dabei auch nicht ‚künstlicher‘ als der aus einem sperrigen Raumanzug, und auch der Tastsinn lässt sich simulieren – Avatar lässt grüßen. (Lester, The Space Review 5.7.2011)

Die mit Befremden aufgenommene Vision Obamas vom April 2010 („Vager Zeitplan …“), in den 2030-ern Menschen zum Mars zu schicken, dann aber nicht zu landen, klingt plötzlich gar nicht mehr so seltsam – und wer weiß schon, wie ausgereift die Telepräsenz erst in 20 Jahren sein wird? (Als Bonus kann dann auch jeder auf der Erde mit einigen Minuten Verzögerung die „1. Marslandung“ auf seiner WiiiPlayBox zuhause nacherleben.) Bloss: Wird sich dieses Szenario der (amerikanischen) Öffentlichkeit und Politik schmackhaft machen lassen? Viele naiv-pompöse Kommentare angesichts des Endes des Shuttle-Programms – unzählige Artikel und Meinungen bis zum 21. Juli inklusive sind hier und auf den Folgeseiten verlinkt – mögen befürchten lassen, dass man sich in Zweifel doch nur eine Fahne-hoch-Salutieren-und-weg-Mission im Apollo-11-Stil vorstellen kann …

„Ein Schmetterling, angeschraubt auf einer Gewehrkugel“: Das war der Space Shuttle

14. Juli 2011
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„A butterfly bolted onto a bullet“ war der Space Shuttle, hat es sein 6-facher Passagier Story Musgrave gerade in einem Interview (TIME europ. Ausgabe 178 #3 [„18“.7.2011] 52 [NACHTRAG: jetzt auch online verfügbar]) ausgedrückt: Zwar ein „huge triumph“, aber zurecht am Ende angekommen, denn der Shuttle war „massively difficult to operate […] very unsafe, very fragile“ – und kostete 1.2 Mrd. statt der einst versprochenen 10 Mio.$ pro Flug. Eine Woche vor der nunmehr für den 21. Juli geplanten Rückkehr der Atlantis (oben das beliebte Flip-Manöver, die ISS mit der Atlantis während der letzten EVA mit Shuttle am 12.7., die frisch geborgenen Videos der Booster-Kameras, die Atlantis kurz vor dem Andocken, diverse Startvideos von Fans, eine weitere Perspektive der EVA und ein Video mit Kommentaren der Besatzung), geradezu symbolisch noch im Dunkeln, ein paar Facetten zu dem „Space Transportation System“, das vor genau 40 Jahren geplant und Anfang 1972 genehmigt wurde und seither das Treiben der NASA massiv beeinflusst hat. Die Zitate am Anfang sind eine Auswahl aus einer Sammlung in Skyweek 7 #14 [5.4.1991] zum Zehnjährigen des Erststarts 1981 …

I. Versprechungen eines Jahrzehnts … in Zitaten

„Raumfahrt wird im Zeitalter der ’space shuttle‘ billiger sein als bisher. Rund viereinhalb Millionen Dollar wird jeder Fährenstart dereinst kosten […] berechnet mit einer geschätzten Zahl von 56 Raumfährenstarts pro Jahr. Diese Annahme erscheint realistisch […]“ (Der Spiegel 3/1972)

„Ab 1979 sollte ein neues Konzept im US-Weltraumprogramm die Kosten von Raumoperationen drastisch verringern. In den folgenden 12 Jahren […] werden 725 Starts, im Mittel einer pro Woche, erwartet. […] Der wiederverwertbare Aspekt des Shuttle-Programms ist es, der die Kosten pro Flug auf 10.5 Mio.$ verringert. Die Orbitkosten für 1 kg Nutzlast werden ca. 350$ sein, statt 1000-2000$ mit konventionellen Raketen.“ (Wernher von Braun in Popular Science November 1974)

„Der Kostenvorteil gegenüber herkömmlichen Starts mit Wegwerfraketen ist beträchtlich. Jeder Start eines Nachrichtensatelliten vom Typ Intelsat kostete bisher etwa 25 Mio.$. Künftig werden jeweils zwei Satelliten dieser Größe mit einer Fähre transportiert werden können – für zusammen 21 Mio.$.“ (Der Spiegel 7/1978)

„Vom Beginn einer ‚dritten industriellen Revolution‘ sprechen die NASA-Planer, wenn – ebenfalls Anfang der 80-er Jahre – die Nutzung des Weltraums als Vakuum-Fabrikhalle sowie für die Stationierung von Sonnenkraftwerken beginnt […]. Mitte des kommenden Jahrzehnts sollen regelrechte Raumfabriken installiert werden – zur Massenproduktion leistungsstarker Computer-Komponenten […].“ (Der Spiegel 20/1978)

„Raumfahrtexperten im Kongress und Militärs erklärten, wenn die Möglichkeiten der Raumfähre voll ausgenutzt würden, könnte dies verhindern, dass die Sowjets die Kontrolle über den erdnahen Weltraum gewinnen […]. Die Amerikaner sehen im Shuttle eine Gegenwaffe zu den 19 Killersatelliten der Sowjets […]. Der Shuttle in seiner militärischen Version soll mit Hilfe von Laserstrahlen ähnliche Aufgaben erfüllen.“ (Süddeutsche Zeitung 9.4.1981)

„Der Triumph der Columbia wird voraussichtlich zu Flügen mit unzähligen kommerziellen, wissenschaftlichen und militärischen Anwendungen führen […] Die futuristischsten Vorschläge schreiben dem Shuttle eine Rolle bei der Konstruktion von Weltraumkolonien zu.“ (International Herald Tribune 16.4.1981 nach STS-1)

„[Der Shuttle] hat das Tor zu einer neuen Ära geöffnet, in der die Ausbeutung des Weltraums seine Erforschung in den Schatten stellen dürfte, eine Ära der Fabriken in der Umlaufbahn, riesiger Kommunikationsantennenanlagen und exotischer Weltraumwaffen.“ (Newsweek „27“.4.1981)

II. Wie und warum der Space Shuttle Realität wurde

Noch bevor das Apollo-Programm mit der ersten Landung seinen Höhepunkt erreicht hatte, machte man sich bei der NASA schon berechtigte Sorgen über die Zukunft all der gewaltigen Infrastruktur, die dafür entstanden war, die unzähligen Mitarbeiter und Kontraktoren und die generelle Richtung, die die bemannte Raumfahrt nach diesem Kraftakt einschlagen sollte. Ein großes Gesamtpaket aus Raumstationen(!) im Erd- und Mondorbit, einem preiswerten Transportmittel dorthin (was in damaliger Denkweise mit wiederverwendbar gleich zu setzen war) und einer späteren Reise zum Mars mit permanenter Besiedlung des Sonnensystems als Fernziel war das Ergebnis der – noch im Detail zu erforschenden – Denkprozesse um 1969, die alsbald mit der politischen und v.a. fiskalischen Realität kollidieren sollten. Mit dem Marsflug, der Apollo-Enthusiasten noch als der logische nächste Schritt erschienen sein mochte, und den Raumstationen konnte sich die US-Politik so gar nicht anfreunden, was den neuen Raumtransporter als alleiniges nächstes Großprojekt der bemannten US-Raumfahrt übrig ließ.

Der hatte zwar zunächst kein Ziel, schien aber wenigstens die Möglichkeit zu eröffnen, alle existierenden Wegwerfraketen zu ersetzen und durch größere Flexibilität auch für das US-Militär interessant zu sein; zudem war schon seit Jahrzehnten – und seit Ende 1967 zunehmend konkret – über einen derartigen Täger nachgedacht worden. Doch der Vorschlag scheiterte 1970 am bereits arg weltraummüde gewordenen Weißen Haus: Um die NASA als bedeutenden Technologietreiber zu erhalten, das war dem Anfang 1971 berufenen neuen Chef James Fletcher klar, musste der Shuttle noch im Laufe dieses Jahres durchgesetzt werden. Dazu wurde zum einen mit merkwürdigen Studien die enorme Wirtschaftlichkeit des Raumtransporters gegenüber herkömmlichen Raketen „bewiesen“ (ein junger österreichischer Ökonom spielte dabei eine Schlüsselrolle) und zum anderen das anfangs skeptische Verteidigungsministerium an Bord gelockt, indem die Größe der Ladebucht und die Flugeigenschaften militärischen Anforderungen angepasst wurden.

Im Mai 1971 musste die NASA jedoch erfahren, dass die für die Entwicklung des Wunschshuttles nötigen Etaterhöhungen in den folgenden Jahren ausbleiben würden: In der zweiten Jahreshälfte wurden Dutzende Alternativen zu einem vollständig wiederverwendbaren Shuttle mit einer bemannt zur Erde zurückkehrenden ersten Stufe (ähnlich einer Boeing 747) und dem eigentlichen Raumschiff mit den Wasser- und Sauerstofftanks darin untersucht – mit dem bekannten Kompromiss (Feststoff-Booster, Einweg-Außentank) als Ergebnis, der damals Thrust-Assisted Orbiter Shuttle (TAOS) genannt wurde. Über Alternativen zum Shuttle weigerte sich die NASA schlicht nach zu denken, obwohl dies manche im Weißen Haus immer wieder anmahnten. Die Entscheidung, den Shuttle tatsächlich zu bauen, fällte schließlich am 3. Januar 1972 Präsident Nixon zur Überraschung selbst der NASA-Spitze und gegen den Widerstand des Office of Management und Budget, das im Weißen Haus den Haushaltsplan macht, wie auch seines Wissenschaftsberaters.

Am 5. Januar verkündete Nixon in einer Ansprache „an entirely new type of space transportation system designed to help transform the space frontier“: Das werde „routine access to space by sharply reducing costs in dollars and preparation time“ ermöglichen, auf dass die Früchte der Raumfahrt nunmehr „into the daily lives of Americans and all people“ geliefert werden mögen. Von einem regelrechten Pendlerverkehr zwischen Boden und Orbit, für normale Bürger statt Superastronauten, fabulierte Nixon, und dass die Grenzen zwischen unbemannter und bemannter Raumfahrt schwinden würden, da ja nun der Wissenschaftler sein Instrument mal eben begleiten könne. Dieser Aspekt – der Shuttle als Tor für gewöhnliche Amerikaner ins All – und der Erhalt einer amerikanischen Führungsrolle in der Raumfahrt, die er bei Apollo so genoss, sind offenbar die treibenden Argumente für Nixons Zustimmung zum Shuttle gewesen: Selbst wenn der per se keine gute Investition sein sollte, müsse man ihn trotzdem haben, erklärte er an jenem 5. Januar seinen Gästen von der NASA.

An diesen Aufbruch in eine neue Ära glaubte damals keineswegs jeder: „Eine sinnlose Extravaganz“ schimpfte der demokratische Senator (und 1984 gescheiterte Präsidentschaftskandidat) Walter Mondale, der den Widerstand gegen den Shuttle anführte – dabei waren die damals kursierenden Kostenzahlen winzig. 5.5 Mrd.$ sollte die Entwicklung des Shuttles kosten, 10 Mio.$ jeder Flug, und nach 10 bis 12 Jahren wären die Entwicklungskosten wieder eingespielt. Schon damals allerdings gab es Zweifel an diesen Rechenkünsten: Die NASA ging von 514 Flügen in den 12 Jahren ab 1978 aus, also im Mittel 43 pro Jahr, bei denen der Shuttle im Schnitt 18 metrische Tonnen Nutzlast (60% des möglichen Maximums) mitführen würde. Das wären dann rund 770 Tonnen in den Orbit pro Jahr – viermal so viel, wie selbst im hektischsten Jahr des Apollo-Programms gestartet worden war. Die Hoffnung beruhte hier wieder auf dem vermeintlichen „Routine“-Aspekt des Shuttles, der seine Lasten so sanft in den Orbit bugsieren würde, dass Satelliten deutlich einfacher als bisher gebaut werden könnten.

Heute kann man das alles so viel klarer sehen: Die NASA hatte sich – und ihre Unterstützer in der Politik – in der Illusion verfangen, der Shuttle sei tatsächlich ein ungeheuer Geld sparendes Vehikel. Zugleich fehlte ihm aber die hingebungsvolle Unterstützung in der Politik, die das Apollo-Programm in den 1960-er Jahren ermöglicht hatte: Kaum lief das Shuttle-Programm, begannen schon die ersten Kürzungen, und dann begannen erst die richtigen Probleme mit dem sich als überaus komplex und wartungsintensiv erweisenden Vehikel, mit den beiden Totalverlusten 1986 und 2003 als fast zwangsläufigen Konsequenzen. Die Entscheidungsprozesse für dem Space Shuttle 1969-1972 gelten heute Politologen geradezu als ein Musterbeispiel, wie man es bei solch einer „Super-Technologie“ besser nicht machen sollte … (Gillette, Science 175 [28.1.1972] 392-396, Logsdon, Science 232 [30.5.1986] 1099-1105, Kay, Science, Technology & Human Values 19 [Spring 1994] 131-151. Noch mehr Stoff gibt es – frei zugänglich – bei Heppenheimer, The Space Shuttle Decision, Online-Buch [1999] der NASA History Series, und Logsdon, The Decision to build the Shuttle, 2-Stunden-Vorlesung [Herbst 2005] am MIT)

III. Was der Shuttle für die Wissenschaft gebracht hat

Forschung war nie die zentrale Aufgabe des Space Transportation Systems gewesen, aber zwischen dem Aussetzen und Einfangen von Satelliten, Technik-orientieren Experimenten und später dem Aufbau der ISS war doch in 30 Jahren auch allerhand Platz für z.T. exotische wissenschaftliche Experimente geblieben (Charles, Science 333 [1.7.2011] 28-33): Viele Forscher nahmen das Angebot für den Mitflug von Instrumenten an, sei es in der Kabine oder in der Ladebucht, auch wenn sie – z.T. sogar öffentlich – keinen Hehl daraus machten, dass es ihretwegen den Shuttle nicht gebraucht hätte.

  • Der Start großer Forschungssatelliten ist vermutlich der größte Beitrag des Shuttles zur (überwiegend astronomischen) Wissenschaft – und in zwei Fällen war es von Vorteil, dass Astronauten einen Satelliten in den Orbit begleiteten: Das Hubble Space Telescope haben sie später noch mehrfach besucht, Pannen behoben und die Detektoren erneuert – und beim Aussetzen des Compton Gamma Ray Observatory 1991 befreiten sie bei einer EVA eine klemmende Antenne mit Gewalt. (Zwar hätte man für die Kosten der vielem Missionen zu Hubble mehrere neue Satelliten bauen und auf Einwegraketen starten können, aber hätte man das auch getan?)

  • Verschiedene ‚Dienstleistungen‘ für die Astronomie haben die Shuttles über die Jahre erbracht: Mit dem Solar Max wurde 1984 ein unbemannt gestarteter Astrosatellit eingefangen und repariert wieder ausgesetzt – 5 Jahre hat er dann noch gearbeitet. Der Satellit SPARTAN wurde mit verschiedenen Nutzlasten mehrfach ausgesetzt und jeweils bei derselben Mission wieder eingefangen. Und die ASTRO-Teleskope flogen zweimal fest verankert in der Ladebucht mit, bei der Spacelab-Mission D2 auch eine All-Sky-Kamera – mit Kleinbildfilm.

  • Die Erforschung der Mikrogravitation war bei etwa 45 der 135 Shuttle-Missionen ein mehr oder weniger dominantes Thema und damit die mit Abstand populärste Wissenschaft mit dem STS – wobei die Bedeutung von derlei Experimenten und ihr Impakt auf relevante Forschungsfelder bis heute umstritten ist. Außer natürlich bei der Untersuchung der Auswirkungen von Schwerelosigkeit auf den Menschen, zwecks Verbesserung von dessen Gesundheit bei Raumflügen. Die Vielfalt der im Rahmen von Shuttle-Flügen durchgeführten µg-Experimente ist jedenfalls groß, auch dank der vielen Einsätze der von der ESA gestellten Spacelabs (die 1985 und 1993 unter deutschem ‚Kommando‘ flogen).

  • Beobachtungen der Erde wurden während der Shuttle-Flüge mal eher nebenher von fotografierenden Astronauten, mal als gezielte Foto-Aufträge durchgeführt, und mitunter führten Shuttles auch aufwendige Instrumente mit – die es allerdings nicht mit spezialisierten Satelliten und deren deutlich „saubererer“ Umgebung aufnehmen konnten. Eine bedeutende Ausnahme war die große Radaranlage, die 2000 für die Shuttle Radar Topography Mission („Digitales …“) mitgenommen wurde und die in dieser Form nur auf dem Shuttle möglich war. Allerdings sollen derzeit zwei Radarsatelliten noch bessere Daten für ein globales DTM mit höhrerer Auflösung liefern und die SRTM ersetzen. Für viel geringere Kosten …

  • Die Zustände im Low Earth Orbit erforschen konnte man im Shuttle – der technisch gesehen über die Hochatmosphäre nicht hinaus kam – ebenfalls: Zweimal wurden große Experimentträger ausgesetzt und nach Jahren Kollisionen mit Gas und Bestrahlung mit solarem UV wieder eingefangen, die LDEF und Eureca. Die Veränderungen an den Materialproben waren mitunter frappierend (und versetzten für kurze Zeit die Manager des kurz vor dem Start stehenden Hubble Space Telescope in Panik, weil sich auch bei ihm verwendete Wärmeschutzfolien stark verändert hatten). Eine Sackgasse der Forschung im LEO war allerdings die Wake Shield Faciliy, bei der der noch weiter verringerte Luftdruck hinter einem durch die Hochatmosphäre sausenden Schild für die Herstellung dünner Filme ausgenutzt wurde: Erhoffte kommerzielle Anwendungen blieben aus, irdische Technik konnte das genau so gut.

Auch in Sachen Wissenschaft hinterlässt der Space Shuttle also eine sehr gemischte Bilanz. Die Vielfalt der Möglichkeiten war zwar groß, die Zahl der Flüge – im Schitt 4.5 und nie mehr als 9 pro Jahr – aber sehr gering und die Kosten enorm: Fast 200 Mrd.$ (auf das Jahr 2010 bezogen) hat das Shuttle-Programm insgesamt gekostet, macht knapp 1.5 Mrd.$ pro Mission. Da kann auch gefragt werden, ob der Shuttle nicht in der Summe der Wissenschaft sogar geschadet hat, denn wenn man dasselbe Geld in Forschungsprojekte mit anderen Trägern … aber werfen wir lieber den Blick nach vorn: Das STS hat uns immerhin eine fertige Raumstation hinterlassen, deren wissenschaftliches Management des US-Teils die NASA soeben einer Non-Profit-Organisation übertragen hat, dem Center for the Advancement of Science in Space Inc. Am Ende wird wieder Bilanz gezogen …

Was wird aus der bemannten US-Raumfahrt nach den Kongress-Wahlen?

10. November 2010

Neun Monate nach der Ankündigung eines Kurswechsels in der bemannten Raumfahrt der USA sieht die Lage so aus: Beide Häuser des Kongresses haben – nach langem Hickhack – eine Authorization Bill (S. 3729) für den NASA-Haushalt der kommenden drei Jahre verabschiedet, die Präsident Obama am 11. Oktober auch unterzeichnet hat. Dieses Dokument gibt aber nur den generellen Kurs vor, der – je nach Sichtweise – weitgehend Obamas Vorstellungen entspricht oder doch Kernbereiche des Constellation-Programms (minus dem Mond als erstem Ziel allerdings) gerettet hat. Was noch fehlt, ist die zugehörige Appropriation Bill, die konkrete Freigabe der Finanzen für das – bereits seit dem 1. Oktober laufende – Finanzjahr 2011 (einstweilen gilt per Continuing Resolution der FY2010-Haushalt weiter). Hier ist nicht abzusehen, ob der alte („Lame Duck“-)Kongress – der Mitte November wieder zusammen tritt – darüber abstimmen wird oder erst der neue, bei dem bekanntlich die Mehrheit im Repräsentantenhaus zu den Republikanern gewechselt ist.

Die haben im Vorfeld der Wahlen versprochen, alle ‚freiwilligen‘ Staatsausgaben auf das Niveau von 2008 zurück zu fahren, was für die NASA nur noch 17.3 statt den in der Authorization vorgesehenen 19 Mrd.$ bedeuten würde – ein Disaster nicht nur für die bemannten Aktivitäten. Aber ist die Raumfahrt aus Republikaner-Sicht überhaupt eine freiwillige oder nicht eher eine für die Sicherheit des Landes relevante Aufgabe? In einem solchem Fall würde der Sparzwang hier nicht zwingend greifen. Die Authorization Bill ist jedenfalls ziemlich „bipartisan“ und wird von beiden Fraktionen getragen: Kurz vor Mitternacht am 29. September hatte sie auch das Repräsentatenhaus mit 304 zu 118 Stimmen verabschiedet, in genau der Fassung, die bereits am 5. August der Senat abgesegnet hatte (auf eine Kompromissversion hatte man sich nicht einigen können). Danach sollen in den Jahren 2011 bis 2013 insgesamt 58 Mrd.$ für die NASA zur Verfügung stehen.

Neu gegenüber Obamas Plänen ist ein sofortiger Beginn der Entwicklung einer Schwerlastrakete für Missionen über den Erdorbit hinaus ab Ende 2016 (11 Mrd.$) mit mutmaßlich Anteilen des Shuttles und der Ares I und V – Kritiker fürchten indes, dass Geld wie Zeit bei weitem nicht reichen werden – und die Fortsetzung der Entwicklung einer dafür tauglichen Raumkapsel auf der Basis der Orion. Zugleich soll es für die Förderung kommerzieller Raumvehikel für den Flug in den Orbit nur 1.3 Mrd.$ geben, aber immerhin: Das ist der vielleicht wichtigste Punkt, den Obama durchbringen konnte. Das Primärziel dieser Transportmittel, die ISS, bleibt bis mindestens 2020 in Betrieb, und ihr US-Segment wird zu einem „Nationallabor“ ausgebaut. Und es soll einen zusätzlichen Shuttle-Flug zu ihr im Sommer 2011 geben (der rund 500 Mio.$ kostet). Viele Abgeordnete beider Seiten stimmten der Authorization nur mit Murren zu, fürchteten aber, dass im Falle eines Scheiterns die NASA gänzlich ziellos geblieben wäre. Zahlreiche Artikel gibt’s im Cosmic Mirror #338 im grünen Kasten, vom 29.9.-6.11.

Deutschland macht schon mit bei der Verlängerung des ISS-Betriebs bis 2020: Der DLR-Chef hat als erster innerhalb der ESA zu verstehen gegeben, dass man den bisher üblichen 38%igen Anteil der europäischen Kostenbeteiligung auch für die kommenden 10 Jahre tragen will, die sich auf insgesamt 3.8 Mrd. Euro beläuft. Und auch kein anderes ESA-Land hat sich bislang gegen den langen Betrieb der Raumstation ausgesprochen. (Space News 30.9.2010. Auch Space.com 1.11.2010 zur Frage, ob in den Jahren, in denen die ISS nun permanent bewohnt ist, etwas Sinnvolles erforscht wurde. Und die BBC 11.10.2010 zu vagen Ideen, außen an der ISS gewaltige interplanetare Raumschiffe zu montieren)

So oder so: Das Ende des Shuttle-Programms rückt näher

Und das unabhängig davon, ob es jetzt noch zwei (am 30.11.2010 und 27.2.2011) oder drei Flüge geben wird: Am 30. September gab Lockheed Martin bekannt, dass die Produktion der riesigen Außentanks in Michoud bei New Orleans eingestellt worden ist. Insgesamt 136 External Tanks sind dort hergestellt worden, der letzte kam am 27. September im Kennedy Space Center an. (Space.com 1.10.2010)

Eine – bescheidene – Studie über ein interstellares Raumschiff, mit dem Astronauten in 100 Jahren zu einem anderen Stern aufbrechen könnten, läuft derzeit bei der DARPA, die sich sonst um futuristische Militärtechnologie kümmert, mit einem kleinen Beitrag der NASA: Dieses „Hundred Year Starship“ hat zwar für einiges Aufsehen gesorgt, aber es geht wohl vor allem um eine mögliche Strategie, solch ein kühnes Projekt (für das noch keinerlei Technik zur Verfügung steht) über viele Jahrzehnte stabil am Leben zu halten. Private Investoren sollen dazu ins Boot geholt und eine „multigenerationale“ Begeisterung geschaffen werden … (DARPA Release, Nature Blog 28., Science Journalism Tracker 29.10., Cosmic Log 1., Centauri Dreams 2.11.2010)

Sollen die EU oder die ESA die europäische Weltraumpolitik bestimmen?

Ersteres ist die Position Frankreichs, letzteres die u.a. Deutschlands: Die unterschiedlichen Sichtweisen wurden – dem Vernehmen nach; der entsprechende ESA Press Release schweigt sich dazu aus – auf der Konferenz „A new space policy for Europe“ Ende Oktober im Europäischen Parlament deutlich. (ESA Release vs. Space News 29.10.2010. Auch Spaceflight Now 28.9.2010 über den offenbar stabilen ESA-Haushalt – und Telegraph 7. und Reuters 23.10.2010 zu neuem Kostenärger mit den Galileo-NavSats. Für die – DLR, ESA Releases 26.10.2010 – immerhin der Vertrag über ihren Betrieb unterschrieben worden ist)

Kurswechsel bei der NASA – aufregende Reise ins Ungewisse

2. Februar 2010

„Obama hat den Aufbruch Amerikas zum Mond gestoppt und als Anti-Kennedy die Menschheit zum ewigen Verbleib auf der Erde verdammt.“ Derartige Sprüche waren viel zu hören gewesen, unter naiven Raumfahrtenthusiasten aber auch in der Presse, als Ende Januar ein dramatischer Kurswechsel der amerikanischen Raumfahrt immer klarer wurde. Doch nichts könnte weiter von der Realität entfernt sein: Die Rückkehr zum Mond, die vor sechs Jahren Obamas Amtsvorgänger Bush junior ausgerufen hatte (man beachte die kritischen Bemerkungen dieses Autors damals …), war schon vor Jahren und noch während dessen Amtszeit gescheitert. Obwohl bis heute rund 9 Milliarden Dollar in dieses Constellation genannte Programm gesteckt worden waren, lag die Entwicklung der Ares-Raketen und der anderen Hardware weit hinter dem Zeitplan, von technischen Problemen ganz zu schweigen.

Daran änderte auch der kurze Testflug einer rudimentären Ares letztes Jahr nichts. Insbesondere hatten es weder Bush noch der in Finanzdingen entscheidende US-Kongress seit 2004 für nötig gehalten, das Budget der NASA angemessen anzuheben: Apollo 2.0, wie Constellation gern genannt wurde, hatte von Anfang an keine Chance. Vergangenen Sommer dann zog ein vom neuen Präsidenten eingesetztes Komitee gewissermaßen die Notbremse: Schwarz auf Weiß konnte man im „Augustine-Report“ nachlesen, dass Constellation in der aktuellen Finanzlage nicht nur das einstige Zieljahr 2020 für die bemannte Rückkehr zum Mond verpassen würde. Vielmehr sei dies auch bis 2030 nicht zu schaffen, außer der NASA-Etat steige um gleich 3 Milliarden Dollar jedes Jahr. Ohne eine Budget-Erhöhung sei hingegen ein Verlassen des niedrigen Erdorbits de facto unmöglich.

Der Bericht zeigte dann einige Szenarien auf, wie man stattdessen verfahren könnte – und Obama hat sich, nicht unerwartet, für die drastischste, riskanteste aber auch aufregendste Lösung entschieden. Das glücklose Constellation-Programm wird abgebrochen, was erst einmal weitere 2 ½ Milliarden Dollar kostet, um es ordentlich abzuwickeln. Für bemannte Raumfahrt bis in den Orbit nach dem Ende der Shuttle-Flüge noch in diesem Kalenderjahr oder spätestens 2011 sollen künftig allein kommerzielle Anbieter sorgen, die massiv gefördert werden (inklusive des geheimnisvollen „Blue Origins“-Projekts des Amazon-Gründers übrigens). Und umfangreiche Mittel werden auch in die jahrelang vernachlässigte Technologie-Forschung gesteckt, um den späteren Aufbruch ins Sonnensystem letztendlich viel rasanter angehen zu können als mit herkömmlicher Technik. Immer wieder ist vom „game-changing“ Innovationen die Rede, die indes nie genauer benannt werden.

Zwar soll der Haushalt in den kommenden fünf Jahren um 6 Milliarden Euro auf zusammen rund 100 Mrd.$ wachsen und das Ausland verstärkt einbezogen werden, aber vieles bleibt auch nach einem Schwall von Dokumenten und gleich fünf Presse- und Telefonkonferenzen gestern und heute bedauerlich vage. Kann man technologische Durchbrüche einfach so erkaufen? Bekommt die US-Raumfahrtindustrie rasch überzeugende bemannte Transportvehikel hin? (Dafür spricht, dass schon lange sämtliche unbemannten Regierungsmissionen, z.T. Milliarden Dollar teuer, auf eingekauften Raketen starten.) Und zu welchen Zielen wird der nun eingeschlagene „flexible Weg“ den Menschen jenseits des LEO – wo zunächst einmal der Betrieb der ISS bis mindestens 2020 verlängert wird – führen und wann? Noch ist auch der Widerstand der Constellation-Fans im Kongress ist erheblich: Wo die US-Raumfahrt in zehn, zwanzig Jahren stehen wird, ist völlig offen. Aber vielleicht haben wir gerade den Anbruch eines neuen Zeitalters erlebt.

Konkrete Auswirkungen des neuen Kurses für die nahe Zukunft beginnen sich jedenfalls abzuzeichnen. So scheint nun sicher, dass die NASA die eine Sonde, die Solar Probe Plus, ganz dicht an die Sonne heran schicken wird, es soll – für 3 Mrd.$ in den nächsten 5 Jahren! – weitere „Precursor“-Missionen im Sonnensystem geben, um irgendwann doch jemand dorthin schicken zu können (so ist etwa ein ferngesteuerter Mondrover mit Live-Videoübertragung geplant). Und die bislang 4 Mio.$, die die NASA alljährlich in die Jagd auf erdnahe Kleinplaneten (NEAs) investiert, werden um 16 Mio.$/Jahr aufgestockt. Laufende Suchprogramme mit Teleskopen auf der Erde werden damit ausgebaut, das existentiell bedrohte Radioteleskop von Arecibo unterstützt, das sich um Detailbeobachtungen verdient macht, und die Jagd speziell mit dem neuen WISE-Satelliten verschärft, der schon mehrere NEAs gefunden hat: Da wird wohl auch der fieseste Obama-Feind nichts dagegen haben können.

Jede Menge Links zum NASA-Budget und -Kurswechsel im grünen Kasten des Cosmic Mirror #334 – und Nat’l Academies und UMD Releases und Artikel von Centauri Dreams und The Space Review zu einer großen Asteroiden-Studie, die gerade erst vor wenigen Tagen viel mehr NASA-Einsatz bei der NEA-Jagd angemahnt hatte.