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Ein kleines Juwel der Astronomiegeschichte: die Stockholmer Sternwarte aus dem 18. Jahrhundert

27. Mai 2013

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Die alte Stockholmer Sternwarte damals und heute: Ein liebevoll gestaltetes Diorama (oben und unten) stellt die Beobachtung des Venusdurchgangs am 7. Juni 1761 durch deren langjährigen Leiter Pehr Wilhelm Wargentin und Kollegen – nebst allerlei Adel – in der großen Beobachtungshalle dar. Diesen damals meistgenutzen Raum, der aber selten so voll war, zeigt das mittlere Bild in seinem heutigen Zustand.

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Wargentin (1717-1783; links) und der Instrumentenbauer Daniel Ekström (1711-1755): Die Gemälde hängen in Wargentins ehemaligem Arbeitszimmer. Wie hier schon dargelegt, könnte Wargentin bei nämlichem Transit einer der Entdecker der Venus-Atmosphäre geworden sein.

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Ein achromatischer Dollond-Refraktor mit ca. 180-facher Vergrößerung, den Wargentin 1761 angeschafft hatte – vermutlich kam er bei der Transit-Beobachtung zum Einsatz!

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Davor ein Spiegelteleskop von James Short aus der Mitte des 18. Jahrhunderts: Der populäre englische Teleskopentwickler belieferte damals Sternwarten in ganz Europa.

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Ein Himmelsglobus von Anders Åkerman aus Uppsala von 1759 (dem wichtigsten schwedischen Globenmacher dieser Zeit mit über 100 Exemplaren) und ein Planetenmodell des Engländers William Jones von 1794.

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Diese Teleskope und Modelle befinden sich jetzt im alten Meridian-Raum der Sternwarte – und auch der Meridiankreis selbst, den der Engländer John Bird 1762 geliefert hatte.

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Ein Zirkumferentor von Daniel Ektröm von 1750, der zu Winkelmessungen waagerecht und senkrecht eingesetzt werden konnte.

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Ein Quadrant von John Bird von 1757 – in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts eines der meistgenutzen Instrumente der Sternwarte.

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Ein Gregory-Reflektor von William Cary vom Ende des 18. Jahrhunderts.

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Allerlei Gerätschaften in einer Art Wunderkammer der Sternwarte, allesamt nicht beschriftet.

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Außenansicht der Sternwarte von Norden (die N-S-Ausdehnung ist wesentlich größer): Die Kuppel wurde erst viel später oben drauf gesetzt …

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… und beherbergt diesen ca. 100 Jahre alten Zeiss-Refraktor, der heute noch für öffentliche Beobachtungen eingesetzt wird. Auch der rein mechanische Antrieb der Nachführung soll noch tadellos funktionieren.

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Zu guter Letzt noch ein Blick in den Sternwarten-Shop: Oben hängt die Venus des Sweden Solar System, des mit einem Maßstab von 1:20 Mio. größten ‚Planetenwegs‘ der Welt, der 1000 km quer durch’s Land reicht.

Wer entdeckte die Venus-Atmosphäre? Oder: Warum der Lomonossow-Effekt vielleicht besser Wargentin-Mallet-Effekt heißen sollte …

24. Juni 2012

Der augenfälligste Beweis für die Existenz einer Atmosphäre der Venus tritt zu Beginn und Ende der seltenen Venusdurchgänge vor der Sonne auf, wenn sie Sonnenlicht um den Planeten herum Richtung Erde bricht: „Aureole“ ist der neutrale Fachausdruck für diesen hauchzarten und oft nur in Fragmenten erkennbaren Lichtbogen, der die Scheibe der Venus außerhalb der Sonne weiter zeichnet, aber er wird vielfach auch als Lomonossow-Effekt oder Lomonossow-Bogen angesprochen – auch von diesem Blogger. Bisher. Der russische Universalgelehrte und „erste moderne Wissenschaftler“ des Landes, Michail Wassiljewitsch Lomonossow bzw. in wissenschaftlicher Transliteration Lomonosov, hatte sich bei den ersten systematischen Transitbeobachtungen 1761 in St. Petersburg auf die optischen Effekte beim Ein- und Austritt konzentriert und darüber sogleich einen Bericht verfasst, erst in Russisch (eine ganz neue Übersetzung ins Englische mit Anmerkungen) und dann auch gleich auf Deutsch; von sich selbst spricht er dabei in der dritten Person. Die Beschreibung seiner Beobachtungen beginnt dort auf (PDF-)Seite 10.

Eine diffuse Eintrübung des Sonnenrands beim 1. und 4. Kontakt und eine Ausbeulung des Sonnenrand über der gerade austretenden Venus sieht Lomonossow as klare Indizien für eine Atmosphäre des Planeten, die sich noch vor dem eigentlichen Transit vor die Sonne schiebe und in der Nähe des 2. und 3. Kontakts deren Licht breche und außerhalb der Sonnenscheibe erscheinen lasse. Dieser Bericht soll lange vergessen gewesen und erst in den 1950-er Jahren wieder entdeckt worden sein, aber seither wird vielfach Lomonossows Priorität bei der Entdeckung der Venusatmosphäre verbreitet. Doch in einem viel beachteten Paper haben nun zwei Astronomie-Geschichtler erhebliche Zweifel daran gesät: Alles was Lomonossow berichtete, sei durch optische Schwächen seines – wie er selbst zugibt – mangelhaften Teleskops zu erklären, als Varianten des berüchtigten Tropfenphänomens. Dieser Blogger muss dem nach eingehender Lektüre des Lomonossow-Textes (und Übersetzung der deutschen Fassung ins Englische) weitgehend zustimmen: Stutzen lässt allenfalls die Abb. 5, denn wenn die den Zustand des Austritts unmittelbar nach dem Zerreißen des ausgebeulten Bogens über dem Sonnenrand darstellen sollte, dann müsste doch etwas Atmosphäre im Spiel gewesen sein.

Aber wie sieht es mit anderen Detail-Berichten von mutmaßlichen Aureolen-Sichtungen 1761 aus? Manche schreiben Jean-Baptiste Chappe d’Auteroche eine überzeugende Aureolen-Beschreibung zu (deren Originaltext im Lomonossow-kritischen Paper erwähnt wird), aber besonders faszinierend klingen zwei Berichte aus Schweden, die der Astronom Johann Franz Encke 1822 zitierte (und auf die gerade eine Bloggerin hinwies): Ab Seite 101 kommen in seinem Versuch, aus Zeitmessungen des 1761-er Transits die AU zu bestimmen, erst Pehr Wilhelm Wargentin und dann Frederik Mallet zu Wort, die beide im Detail Phänome beschreiben, die doch sehr nach der korrekten Aureole klingen. Immer wieder ist von einem schwachen Glühen am dunklen Rand der Venus die Rede, viel schwächer als direktes Photosphärenlicht. Sollte man mithin besser Wargentin und Mallet die Priorität bei der Entdeckung der Venus-Atmosphäre zu schreiben? „Yes, it seems so“, meint dazu heute der erste Autor des Lomonossow-kritischen Papers nach der Lektüre von Enckes Zitaten in Übersetzung durch diesen Blogger. Ob diese Fragen wohl 2117 beim nächsten Transit zur allgemeinen Zufriedenheit geklärt sein werden …?