Elektron „runder“ denn je gemessen: ein Test auch für manch ’neue Physik‘

Auch ein Objekt ohne räumliche Ausdehnung kann rund oder in die Länge gezogen sein: Ein freies Elektron umgibt sich nämlich – quantenmechanisch gesehen – mit einer Wolke aus virtuellen Teilchen. Und deren Kugelform ist nun genauer als je zuvor im Labor gemessen worden: zwar nur um 50% besser als zuvor aber mit einem neuen Ansatz, der in ein paar Jahre eine noch 100-mal genauere Aussage über die „Rundheit“ des Elektrons erlauben dürfte – was wiederum Abweichungen vom Standardmodell der Teilchenphysik nachweisen oder ausschließen würde, komplementär zu Messungen etwa in Teilchenbeschleunigern (s.u.). Exakt gesprochen geht es um die Bestimmung eines eventuellen elektrischen Dipolmoments (EDM) des Elektrons, das um mindestens 16 Zehnerpotenzen kleiner als sein magnetisches ist: Die neuen Messungen bedienten sich erstmals eines Moleküls (Ytterbiummonofluorid, YbF), dessen Quantenzustände präzise untersucht wurden. Schon kleine elektrische Zusatzeffekte an seinen Valenzelektronen würden sich interferometrsisch bemerkbar machen, was sie aber nicht taten.

Anders ausgedrückt: Würde man das Elektron (bzw. die virtuelle Ladungswolke um es herum) auf die Größe des ganzen Sonnensystems aufblasen, dann läge die Abweichung von der Kugelgestalt unter der Dicke eines menschlichen Haares. Das Standardmodell sagt ein EDM voraus, das um 11 Zehnerpotenzen unter der heute messbaren Obergrenze liegt, aber diese schließt bereits jetzt bestimmte Ideen in Sachen Supersymmetrie aus, namentlich WIMPs mit einigen 100 GeV: Die würden ein schon jetzt nachweisbares EDM des Elektrons zur Folge haben. Und auch bestimmte Lösungen der Materie/Antimaterie-Asymmetrie – es gilt zu erklären, warum am Ende Materie übrig blieb – lassen sich anhand eines eventuellen EDM testen. Hudson & al., Nature 473 [26.5.2011] 493-6; Leanhard, ibid. 459-60; Imperial College PR, Nature News, New Scientist 25., Physics World 26., Welt der Physik 30.5.2011. Und Arina & al., Preprint 25.5.2011 zum konfusen Bild der diversen Versuche, Dunkle Materie nachzuweisen, und astrobites 26.5.2011 zu einer neuen Methode mit speziellen CCDs

LHC mit Rekord-Strahlintensität weiter auf Erfolgskurs

Inzwischen sind die öffenlichen Versprechen führender Manager des Large Hadron Collider schon sehr konkret geworden: Innerhalb eines Jahres werde der Beschleuniger sicher festgestellt haben, ob an der Supersymmetrie etwas dran ist. Und wenn das Higgsteilchen eine besonders LHC-günstige Masse hat, dann könnte es schon diesen Sommer dingfest gemacht werden – anderenfalls sei bis Ende 2012 eine klare Aussage möglich, ob es überhaupt existiert oder aber nicht. Dieser Optimismus beruht auf der ständig wachsenden Strahlintensität: Mitte April waren bereits 480 „Bunches“ im Protonenstrahl, also Pakete à rund 100 Mrd. Protonen, das Ziel sind 2080 Bunches. Und im Mai hat sich die Zahl der tatsächlichen Kollisionen zwischen den Protonen gegenüber dem Vormonat auf 100 Mio./Sekunde verzehnfacht. Auch liegen jetzt die ersten detaillierten Analysen des Quark-Gluonen-Plasmas vor, das Ende 2010 bei Blei-Blei-Kollisionen („Erste LHC-Blei-Ergebnisse …“) erzeugt worden war: Für kurze Zeit gab es im LHC Materie, die 100’000-mal heißer als das Innere der Sonne und dichter als ein Neutronenstern war – und sich fast wie eine ideale Flüssigkeit verhielt.

Viel diskutiert wurde in den letzten Wochen auch über die nach draußen gedrungene Falschinformation über einen angeblichen Nachweis des Higgsteilchens: Während beim ATLAS-Detektor, aus dessen Kreisen das Leck gekommen war, eher Ärger vorherrscht, freut man sich beim LHC-Management schon fast ein wenig, ist doch die Anlage mal wieder ‚in die Zeitung‘ gekommen – und jetzt wissen alle genau, wie das mit der mehrstufigen Prüfung vermeintlicher Entdeckungen läuft bzw. im Idealfall zu laufen hat. Die merkwürdige Anomalie („Ein weltbewegendes …“) beim bald still gelegten Konkurrenten Tevatron ist übrigens mit mehr Daten nicht wieder weg gegangen sondern sogar stärker geworden, doch der LHC sieht sie weiterhin nicht. Bei der enorm gestiegenen Strahlintensität wird es aber nicht mehr lange dauern, bis er das Tevatron-Resultat klar bestätigen oder widerlegen kann. (Quantum Diaries, Ars Technica, Scientific American 31., Resonaances, Cosmic Variance 30., Francis Science News 28., Nature News 27., AFP 24., CERN Release, Symmetry Breaking 23., New York Times 21., Science News 20., Physics World Blog, New Scientist 19., New Scientist 18., AFP, BBC 17., New Scientist 12., Scientific American 11.5., Quantum Diaries 22.4.2011) NACHTRAG: zum Tevatron-Bump auch dieser und dieser Artikel.

Der Satellit Fermi bestätigt PAMELAs mysteriösen Positronenüberschuss gegenüber Elektronen in der Kosmischen Strahlung: Eigenlich ein Gamma-Observatorium, ist der NASA-Satellit auch als Teilchendetektor zu gebrauchen – und durch clevere Ausnutzung des Erdmagnetfelds sogar in der Lage, positiv und negativ geladene Elektronen zu unterscheiden. Der Effekt ist also kein instrumentelles Problem PAMELAs – aber seine Natur so ungeklärt wie zuvor: Es kann sich ebenso gut um eine bisher übersehene astrophysikalische Quelle – populärste Erklärung: teilchenbeschleunigende Pulsare – handeln wie zerstrahlende Dunkle Materie. Der neue Super-Teilchendetektor AMS auf der ISS – installiert just als die Fermi-Ergebnisse präsentiert wurden – sollte aber in der Lage sein, zwischen den Modellen zu unterscheiden. (Resonaances 17., Physics World 20.5.2011. Und Aguilar & al., Preprint 24.5.2011 zur weiterhin vorhandenen Anisotropie der Quellen der Kosmischen Strahlung mit ~20 TeV über der Südhalbkugel, die das Neutrinoteleskop IceCube anhand von inzwischen 32 Mrd. Myonen sieht)

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3 Antworten to “Elektron „runder“ denn je gemessen: ein Test auch für manch ’neue Physik‘”

  1. Markarian 0205 Says:

    „Auch ein Objekt ohne räumliche Ausdehnung kann rund oder in die Länge gezogen sein“

    Das ist der Brüller Tages! Selten so gelacht. Was keine räumliche Ausdehnung hat, ist kein Objekt, jedenfalls nicht im wissenschaftlichen Sinne und hat logischer Weise auch keine Gestalt – weder „rund“ noch „in die Länge gezogen“.

    Nur die Traumtänzer aus der Mathematik bezeichnen Ideen als Objekte. Aber das Schönste ist natürlich, das diese Ausdehnung aus virtuellen Teilchen bestehen soll. Das ist wahrscheinlich so wie der neue Aufschwung, der aus virtuellen Umsätzen besteht…

    Der Beitrag, wie die „Forschung“ die er beschreibt, ist eine Beleidigung der menschlichen Intelligenz. Aber wenn es Gelder für Institute beschafft, muß es wohl gut sein. Könnten wir das Ganze dann auch gleich zutreffend bezeichnen? Wie wärs mit „virtueller Forschung“! Ich wäre sofort bereit dafür virtuelle Steuern zu bezahlen…

  2. skyweek Says:

    Es ist immer eine gute Idee, sich mit der Fachsprache eines Forschungsgebiets – Stichwort: virtuelle Teilchen – vertraut zu machen, bevor man dazu schlaue Kommentare abgibt …

  3. Nachrichten aus der Teilchenphysik kompakt « Skyweek Zwei Punkt Null Says:

    […] reichte. Derweil schien der „Tevatron-Bump“ der amerikanischen Konkurrenz zunächst stärker geworden zu sein („LHC mit …“, 2. Absatz) – aber jetzt sieht ein anderes […]

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