Es geht abwärts mit dem seltsamsten Stern im All

Der Stern mit der kuriosen Lichtkurve und noch kurioseren Spekulationen darüber scheint nun den ersten seiner mysteriösen Helligkeitseinbrüche zu erleben, seit Astronomen wie Öffentlichkeit auf das Phänomen aufmerksam gemacht wurden: hier die aktuelle Lichtkurve ab dem 3. Mai im r‘-Band. Man darf erwarten bzw. hoffen, dass nun Helligkeitsmessungen in vielen Farben und Spektroskopie endlich aufklären können, was auf dem Stern, in der Nähe des Sterns oder im interstellaren Medium vor sich geht: Unter den zahlreichen diskutierten Möglichkeiten waren klumpige Absorber in der Sichtlinie fern des Sterns zuletzt favorisiert worden, wenn auch nicht mit großem Abstand vor all den anderen publizierten Spekulationen. Deren Stand vom letzten Sommer hatte eine lange Serie von Blog-Artikeln eines führenden Spezialisten für diesen Stern (Kapitel I, II, III, IV, V, VI, VII, VIII, IX und X) präsentiert, die auch hier zusammengefasst sind, gefolgt von einem systematischen Paper aus dem selben Haus, das die Kandidaten-Familien sortierte und hier und hier diskutiert wird.

Die interessanteste neue Erkenntnis seit dem anfänglichen Rummel Ende 2015 war gewesen, dass die Helligkeit des Sterns während Keplers gesamter Primärmission kontinuierlich gefallen war, erst langsam, dann schnell, wie auch in diesem Press Release und diesem, diesem und diesem Artikel zusammengefasst ist. Hingegen zeigen die historischen Fotoplatten der Sternwarte Sonneberg keine signifikante Helligkeitsänderung von 1934 bis 1995, und zusammen mit anderen Plattenarchiven lässt sich dieses Statement sogar für den Zeitraum 1895 bis 1995 erweitern. Ein angebliches kontinuierliches Schwächerwerden seit dem 19. Jh., das aus einer anderen Plattensammlung geschlossen worden war (und um das es geradezu erbitterten Streit gegeben hatte) spielte bei dem o.g. Ranking der Hypothesen eine gewisse Rolle, dessen Autor meint aber, dass der unbestrittene Kepler-Lichtabfall bedeutender war.

In Keplers jahrelanger Präzisions-Photometrie des Stern ließ sich aber außer diesem Trend und den kurzen Helligkeitseinbrüchen noch mehr finden: namentlich eine strenge Periode von 0.88 Tagen, in denen die Helligkeit der Quelle schwankte. Und eine leichte Verschiebung ihrer Position bei jedem der großen Einbrüche (variability-induced motion oder VIM): Das spricht für mehr als einen Stern, der hier betroffen ist, und passt zu einem „swarm of interstellar junk (comets and planetoids) crossing the line of sight to the star and its optical companions at approximately 7 mas per year“. Also ein weiteres Indiz für die interstellare Hypothese der Einbrüche. Andere Papers hatten dagegen das Verschlucken eines Planeten durch den Stern postuliert (Artikel dazu hier, hier, hier und hier) oder eine Handvoll staubige Objekte im Orbit um ihn (Artikel hier, hier und hier) – oder kuriose ‚Lawinen‘-Effekte in ihm selbst (ein Artikel). Auch ein Update vom April zur crowdfunded Überwachung, ein erneuter Beobachtungs-Aufruf der AAVSO, ein Berkeley Release zu SETI-Anstrengungen, weitere Artikel hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier und hier, ein TED Talk, ein lebendiger TV-Bericht aus Australien, ein langer HangOut, ein langer SETI Chat – und wie die Entdeckerin ausgesprochen wird.

NACHTRAG: ein Video-Chat mit o.g. Experten – der Stern ist um 3% eingebrochen, wie diese Lichtkurve des Fairborn Observatory in Arizona zeigt. Das war die vereinbarte „Alarmstufe Rot“: Ein großes Beobachtungsprogramm mit zahlreichen Teleskopen – etwa den Kecks und Hobby-Eberly für Spektren – wurde aktiviert. Definitiv der erste Dip nach den Kepler-Messungen (die Lichtkurve ganz oben basiert übrigens auf den ‚gekauften‘ LCOGT-Messungen) und der erste, der in Echtzeit gesehen wird: Es ist gut möglich, dass dieses Wochenende die Daten aufgenommen werden, mit denen das Rätsel des Sterns gelöst werden wird! Auch eine offenbar neu analysierte Lichtkurve von Kepler mit dem Abfall seit 2009, ein möglicher spektraler Vorgänger der aktuellen Verdunklung, weitere Artikel dazu hier, hier, hier, hier, hier, hier und hier – und vielleicht hier bald Updates.

NACHTRAG 2: Ein Astronomer’s Telegram zum Helligkeitseinbruch verweist auch auf ein Amateur-Projekt zur Überwachung des Sterns, von dem dieser Photometrie-Plot seit Ende 2016 stammt – es ging demnach die ganze Zeit langsam bergab, um ziemlich genau 1% pro Jahr, bis zum jetzigen plötzlichen Einbruch. Es war übrigens schon die ganze Woche „Alarmstufe Gelb“, sowohl wegen Anzeichen für kleine Einbrüche seit dem 24. April wie wegen des o.g. vagen spektroskopischen Ereignisses (das auf zirkumstellares Material hinweisen könnte): Deswegen war die Frequenz der Beobachtungen des Fairborn Obs. bereits erhöht worden. Auch ein aktuelles Bild des Sterns, die genaue Quelle der Lichtkurve aus Arizona, weitere Artikel hier (von diesem Blogger) und hier – und eine Art Vorhersage des aktuellen Einbruchs unter Annahme einer Periodizität der großen Kepler-Ereignisse …

NACHTRAG 3: Bisher sind keine deutlichen Veränderungen im Spektrum zu sehen – auch viele aktuelle Spektren selbst in diesem Thread und hier, eine Liste aktiver Observatorien, ein weiterer Beobachtungs-Aufruf, weitere Artikel hier, hier, hier, hier und hier und eine beginnende Meta-Analyse. Nach den erwähnten Amateur-Messungen ist der Einbruch vielleicht schon vorbei und war nur klein (aber da kann noch was kommen). Und zu ihrem oben gezeigten Langzeittrend teilt Huan Meng vom Steward Observatory diesem Blog mit: „Yes, we have detected long-term dimming from late 2015 to 2017 at a significant level from UV to IR with 3 independent telescopes, including two of NASA’s space telescopes, Swift and Spitzer. The dimming rate at the visible wavelengths is 1-2% per year. There are hints that the dimming rate may be variable, though our current data cannot say for sure. Anyway, the qualitative dimming trend has been confirmed with high confidence.“

3 Antworten to “Es geht abwärts mit dem seltsamsten Stern im All”

  1. Allgemeines Live-Blog ab dem 21. Mai 2017 | Skyweek Zwei Punkt Null Says:

    […] Alles übers All … von Daniel Fischer … seit 1985 – und jetzt online im klassischen Blog-Format « Es geht abwärts mit dem seltsamsten Stern im All […]

  2. Allgemeines Live-Blog ab dem 27. Mai 2017 | Skyweek Zwei Punkt Null Says:

    […] von KIC 8462852 nun wieder haargenau auf dem alten praktisch horizontalen Trend liegt. Was wir von dem kleinen Einbruch gelernt haben, hat Boyajian gestern in einem Online Q&A betont: 1. dass die Einbrüche kein […]

  3. Weitere Artikel dieses Bloggers (seit August) | Skyweek Zwei Punkt Null Says:

    […] KIC8462852: Wiederholt sich das Muster der Einbrüche? Frühere Bestandsaufnahmen dieses Bloggers hier, hier und hier sowie eine von der NASA, die Lichtkurve von B. Gary, Papers hier (ein Artikel dazu), […]

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