„UFO“-Galaxien vom JWST – die Hubble übersah

Das soll hier keine der leider allzu verbreiteten „Iih, was war Hubble schlecht“-Stories sein sondern ist schlichte Physik: Das HST kann nur bis 1.6 µm ins Infrarote schauen, und so bleiben ihm Galaxien, die „zu rot“ sind, schlicht verborgen. Solche „HST-dark“-Galaxien, die mit anderen Teleskopen bei längeren Wellenlängen detektiert wurden, sind schon länger bekannt, aber das JWST sieht sie nun schärfer und empfindlicher – und hat, wie das Paper „JWST reveals a population of ultra-red, flattened disk galaxies at 2<z<6 previously missed by HST" berichtet, einen bislang unbekannten Typ HST-darker Galaxien entdeckt, den die Autoren „Ultra-red Flattened Objects“ (UFOs) nennen: Hier eins der 12 Exemplare in Falschfarben, von Webb mit 1.5 bis 4.4 µm und von Hubble mit 606 nm bis 1.6 µm.

Alle zwölf UFOs des JWST, ebenfalls mit den NIRCam-Filtern F444W, F277W und F150W den Farben R, G und B zugeordnet: Charakteristische Eigenschaften sind eine eher längliche Gestalt – und das Fehlen des für die meisten Galaxien typischen Farb-Gradienten, von röter in der Mitte bis blauer im Außenbereich. Ihre photometrischen Rotverschiebungen liegen zwischen 2 < z < 6, und von der absoluten Größe her entsprechen sie kompakten massereichen Galaxien bei z~2 oder den Kernen massereicher Galaxien in unserer Nachbarschaft. Weiter zurück in die Vergangenheit blickt dagegen das Paper „On the ages of bright galaxies ∼500 Myr after the Big Bang: insights into star formation activity at z≳15 with JWST“: Das typische Alter von 11 UV-hellen Galaxien mit 8 < z < 11.5 liegt bei 30 Mio. Jahren. Damit sind sie jünger als bei z~7 – und umgekehrt sollte es bei z~15 zehnmal weniger Galaxien geben. Was im Konflikt mit den vielen mutmaßlichen JWST-Funden mit sehr hohen Rotverschiebungen wäre, indes …

… kann die photometrischen Bestimmung der Rotverschienbung auch gehörig daneben gehen, wie das Paper „A dusty starburst masquerading as an ultra-high redshift galaxy in JWST CEERS observations“ im oberen Bild exemplarisch an einem Fall aus Webbs Cosmic Evolution Early Release Science Survey (CEERS; in der Mitte ein Teil dieses Feldes mit ein paar netten nahen Galaxien) zeigt: Hier wurden über ein NIRCam-Falschfarben-Bild (1.2 bis 4.4 µm) einer Galaxie Radio-Konturen vom NOrthern Extended Millimeter Array (NOEMA) auf dem Plateau de Bure bei 1.1 mm gelegt, das offenkundig dasselbe Objekt sieht. Allein aus den NIRCam-Aufnahmen wäre eine Rotverschiebung von ca. 18 gefolgt, doch die praktischerweise im Archiv vorhandenen tiefen NOEMA-Daten enthüllen, dass es sich vielmehr um eine staubige sternbildene Galaxie mit z~5 handelt! Von zwei prominenten JWST-Hoch-z-Galaxienkandidaten liegen leider nur schlechtere Radio-Archiv-Daten vor: Der z~16.7-Kandidat (Absätze 1-3) könnte ebenfalls von NOEMA gesehen worden sein, aber am Ort des z~14-Kandidaten (Absatz 5 und jetzt auch Gegenstand dieses Press Releases zu CEERS) sehen weder das JCMT auf Hawaii (bei 850 µm, unten) noch Herschel noch Spitzer etwas: Das unterstützt die Interpretation als Galaxie mit hoher Rotverschiebung.

Weitere Zweifel am z~16.7-Kandidaten – der auch in diesem Paper auf Seite 16 kurz erwähnt wurde und auch in dem Paper „A Comprehensive Study on Galaxies at z~9-17 Found in the Early JWST Data: UV Luminosity Functions and Cosmic Star-Formation History at the Pre-Reionization Epoch“ mitspielt – wird derweil im Paper „Schrodinger’s Galaxy Candidate: Puzzlingly Luminous at z≈17, or Dusty/Quenched at z≈5?“ angegangen: Diesmal sind die Argumente für eine erheblich geringere Rotverschiebung die räumliche Nähe zu mehreren z~5-Galaxien und eine ‚Verschmutzung‘ des Spektrums durch Emissionslinien. Wäre „CEERS-1749“ wirklich eine Galaxie mit z > 16, würde sie – im Gegensatz zu anderen Hoch-z-Galaxien und -Kandidaten auch gar nicht zu Modellen des Galaxien-Wachstums im frühen All passen (Grafik). Papers wie „Stress Testing ΛCDM with High-redshift Galaxy Candidates“ haben wohl nur wenig Aussagekraft, bevor die Zuverlässigkeit der Rotverschiebungs-Bestimmung über NIRCam-Bilder nicht besser abgeklopft ist – die „Schrodinger‘ Galaxy“-Autoren finden allerdings, dass das Vortäuschen hoher z-Werte einen ‚perfect storm‘ widriger Umstände erfordert und die meisten Kandidaten doch echt sein dürften.

Noch mehr ferne Galaxien gefällig? Hier sind die Daten des im März vorgezeigten NIRCam-Bilds mit dem Stern 2MASS J17554042+6551277 neu und in Falschfarbe verarbeitet, und es gibt auch noch die Papers „JWST unveils heavily obscured (active and passive) sources up to z~13“, „A First Look at the Abundance Pattern – O/H, C/O, Ne/O, and Fe/O – in z>7 Galaxies with JWST/NIRSpec“, „JWST NIRCam+NIRSpec: Interstellar medium and stellar populations of young galaxies with rising star formation and evolving gas reservoirs“ (auch ein Thread dazu), „Searching for Extremely Blue UV Continuum Slopes at z=7−11 in JWST/NIRCam Imaging: Implications for Stellar Metallicity and Ionizing Photon Escape in Early Galaxies“ und „In-orbit Commissioning of the Near-Infrared Spectrograph on the James Webb Space Telescope“. Auch die wechselwirkenden Galaxien IC 1623 (eine andere Verarbeitung), das Wagenrad Webbs gegen Hubbles geblinkt, wodurch Eigenbewegungen von Sternen sichtbar werden, und markante Unterschiede im Wesen der Bild-Daten zwischen beiden Weltraum-Teleskopen. [18:40 MESZ]

Drei Vorträge und Chats zu Webb aus den letzten Tagen (im 3. Video mit JWSR am Anfang und Ende kommt bei 1:13:05 ein NLC-Bild dieses Bloggers vor) – und hier und hier gleich noch mehr – auch Astrobiologie mit Webb und Artikel hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier und hier und Webb-Gags hier, hier und hier: Exakt diese Wurstscheibe war aus diesem lahmen Witz von vor vier Jahren geklaut worden (der damals sogar in Deutschland mehrfach ein Thema war) und wurde wiederum hier geklaut … worüber seither mehr (Update) oder weniger (mehr) sinnvoll auf der ganzen Welt geschrieben wird.

Messungen der Protonen-Intensität (in logarithmischer Skala) nach einem Solar Energetic Particle Event am 29. November 2020 durch Raumsonden nahe der Erde oben – und den Mars Energetic Particle Analyzer (MEPA) auf Tianwen-1 (TW-1) unterwegs zum Mars: Die magnetische Kopplung der Messorte sollte beim Detail-Verständnis von CMEs helfen. Auch Beobachtungen von Plasma am Mond durch Indiens Chandrayaan 2, die koreanische Mondmission Danuri verfolgt durch Amateurfunker, auch in Bochum (auch weitere Bilder vom Start hier und hier), Beobachtungen durch SOHO von einem Kometen-Sturz in die Sonne, die MFG für PUNCH, die ersten Daten von Chinas neuem Umwelt-Satelliten, mehr NLC von der ISS (und wie man noch mehr solche Bilder auf Twitter findet) – und ein Thread über die kleinsten Satelliten, die technisch möglich sind. [21:55 MESZ]

Guter Anfang, schlechtes Ende – der Start des ersten indischen Small Satellite Launch Vehicle ist wegen eines Logik-Fehlers in der 4. Stufe gescheitert, aber sonst hat alles funktioniert: Webcasts hier und hier, weitere Fotos, die mutmaßliche Absturz-Zone der Nutzlast, ein Live-Ticker und Artikel hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier und hier. Auch Beobachtungen am Himmel vom russischen „Inspektor“ (das Video, auch gestackt) und Überlegungen zur Bahn – und in Australien noch mehr Raumschrott bislang unklarer Herkunft, während dort die Crew-Dragon-Trümmer untersucht werden. [23:45 MESZ – Ende]

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