Nachrichten aus der extremen Physik kompakt

Lauter Null-Resultate von IceCube und Super-Kamiokande

Da sage keiner, negative Resultate würden in der Wissenschaft nur ungern publiziert – zumindest wenn sie bei Einschränken theoretischer Möglichkeiten helfen, hagelt es Papers, wie jetzt gleich drei von zwei verschiedenen Detektoren für energiereiche Teilchen, die es in Eis bzw. Wasser blitzen lassen:

  • Das Neutrinoteleskop IceCube am Südpol sieht keine Neutrinoschauer bei Gamma Ray Bursts. In halbfertigem Zustand (40 Strings) wurde in der jeweils der halben Stunde nach 117 GRBs nichts gesehen: Das schließt bestimmte GRB-Modelle aus und macht es unwahrscheinlich, daß Gammabursts eine Quelle ultrahochenergetischer Kosmischer Strahlung sind. (APS Synopsis 7.4.2011) [NACHTRAG: Ist noch wem aufgefallen … NACHTRAG 2: … und noch jemand.]

  • Der japanische Super-Kamiokande sieht deutlich weniger aufwärts fliegende Myonen als zu erwarten wären, wenn die Dunkel-Materie-Detektoren DAMA und CoGeNT tatsächlich WIMPs sehen würden. Die sich dann in der Sonne ansammeln und vernichten müssten, wovon Super-Kamiokande etwas mitbekommen müsste. (Kappl & Winkler, Preprint 4.4.2011)

  • IceCube wiederum sieht keine Hinweise auf sterile Neutrinos, wie sie die Daten von LSND und MiniBooNE („Vage Hinweise …“) erklären könnten: Die würden den Fluss atmosphärischer Neutrinos – die der Eis-Detektor reichlich sieht – markant beeinflussen, weshalb das sterile Neutrino auf diesem Weg mit 3 Sigma Signifikanz ausgeschlossen werden kann. (Razzaque & Smirnov, Preprint 7.4.2011)

Zur Konfusion in Sachen Neutrinos, Antineutrinos und ggf. steriler Neutrinos tragen auch neue Berechnungen der Antineutrino-Produktion in Kernreaktoren bei, nach denen mehrere Generationen von Detektorexperimenten jeweils ca. 3% der flüchtigen Teilchen übersehen haben. (Mueller & al., Preprit 11., Mention & al., Preprint 23.3., Nature News 1.4.2011. Und das Nature Blog zu möglichen Detektorstörungen weltweit durch Fukushima-Teilchen)

Ein weltbewegendes schweres Elementarteilchen im Tevatron?

Wie schon kurz gemeldet („Hat das Tevatron …?“ Nachträge 3-5), hat sich bei Kollisionsexperimenten im amerikanischen Ringbeschleuniger möglicherweise ein schweres Elementarteilchen mit etwa 140-150 GeV Masse bemerkbar gemacht, das weder das lang gesuchte Higgs-Teilchen ist (dafür zerfällt es ganz anders) noch vom Standardmodell der Teilchenphysik vorhergesagt wird: Es könnte sogar der Träger einer fünften Grundkraft der Natur – ähnlich der starken Kernkraft – sein und wäre dann tatsächlich eine bahnbrechende Entdeckung. Wäre, denn der Effekt ist nur 3.2 Sigma groß und damit definitiv keine Entdeckung sondern nur eine interessante Schwankung, die man im Auge behalten sollte: Viele 3-Sigma-Effekte der Teilchenphysik sind mit mehr Daten wieder verschwunden, erst ab 5 Sigma spricht man von einer Entdeckung. Hier könnte der Effekt (bei Kollisionen, die ein W-Boson und zwei hadronische Jets erzeugen) sogar durch subtile systematische Fehler vorgetäuscht sein, und frühere Experimente sprechen tatsächlich in der Tendenz gegen das Teilchen.

Bis auf ein paar Schlagzeilen-Autoren sind sich daher alle einig: Geduld ist angesagt! Denn sowohl das Tevatron selbst hat bereits eine Menge Daten eingefahren, die nach Auswertung den Effekt deutlich stärker machen oder aber zum Verschwinden bringen werden, und auch der Large Hadron Collider würde noch dieses Jahr etwas sehen müssen. Das hindert die Theoretiker natürlich nicht, das mutmaßliche Teilchen schon mal ausgiebig in Modelle einzubauen – und eine vorgeschlagene Erweiterung des Standardmodells, die „Technicolour“-Hypothese, hat sogar etwas Ähnliches vorausgesagt. Spötter haben das Teilchen dagegen schon „Budgeton“ getauft: Schließlich ist die Abschaltung des Tevatron („Das Tevatron wird …“) noch dieses Jahr beschlossene Sache, und wer weiß, was eine potenziell große Entdeckung … (CDF Collaboration, Preprint 4., Fermilab Today 7.4.2011; zahlreiche weitere Artikel mit unterschiedlichem Tiefgang hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier und hier) NACHTRAG: das Medienecho im Überblick.

Bis zu 430 Atome, trotzdem Quantenverhalten: die schwersten „Schrödinger-Katzen“

Die Rechnungen der Quantenmechanik funktionieren, daran gibt es nach bald einem Jahrhundert nichts zu mäkeln – aber was sie bedeutet, darüber wird immer noch nachgedacht. Und konkret experimentiert: Gesucht wird das größte physische Objekt, das sich im Versuch wie eine Welle benimmt, mit messbaren Interferenzeffekten. Heute wird weithin angenommen, dass ein Quantenobjekt durch Wechselwirkung mit der Umwelt „dekohärent“ wird und seine Wellenfunktion zu einem eindeutigen Gebilde kollabiert; je größer ein Ding, desto leichter wirkt es wechsel und desto labiler ist die Wellenfunktion. Bisher waren die größten Objekte, an denen als Wellen experimentiert wurde, C60-„Fußball“-Moleküle, aber nun ist es gelungen, organische Moleküle oktopusartiger Gestalt mit bis zu 430 Atomen, 6 nm Größe und Atomgewicht 6910 in einem Interferometer als Wellen mit sich selbst interferieren zu lassen.

Eine grundlegende physikalische Entdeckung ist das zwar nicht aber insofern verblüffend, als diese Moleküle bereits die Komplexität von Insulin haben und mancher – quasi-lebende – Virus auch nicht größer ist. Schrödingers berühmte Katze ist in dem legendären Gedankenexperiment von 1935 ja nur deshalb gleichzeitig lebendig & tot, weil sie sich ‚unbeobachtet‘ zusammen mit einem einzelnen Atom unbekannten Zerfallszustands in einer Kiste befindet. Jetzt scheint es nicht mehr ausgeschlossen, direkt mit lebenden Organismen Quantenexperimente zu machen – das gibt zumindest zu denken … (Gerlich & al., Nature Communications, Nature News 5., PM der Uni Wien 6.4.2011. Auch eine PM der Uni Innsbruck zum ersten Quantengas zwischen zwei fermionischen Elementen, Ars Technica zu einer kuriosen Gravitations-Theorie und die FAZ zu Problemen mit der Großen Vereinheitlichung)

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3 Antworten to “Nachrichten aus der extremen Physik kompakt

  1. XENON100 setzt schärfste Limits für Dunkle Materie « Skyweek Zwei Punkt Null Says:

    […] sein. (H.E.S.S. Collaboration, Preprint 13.4.) Dafür gibt es bereits eine Interpretation des neuen Tevatron-Mysteriums („Ein weltbewegendes schweres Elementarteilchen im Tevatron?“) als neues Eichboson, das […]

  2. Gravity Probe B bestätigt Allgemeine Relativität – aber wer brauchte das noch? « Skyweek Zwei Punkt Null Says:

    […] werden – deutlich unterscheiden, aber kein einziges von 12’877 Events, die das Teleskop unter dem Südpol sah und die genauer untersucht wurden, hat eine astronomische Charakteristik. Für einen diffusen […]

  3. Nachrichten aus der Teilchenphysik kompakt « Skyweek Zwei Punkt Null Says:

    […] der mehrstufigen Prüfung vermeintlicher Entdeckungen läuft bzw. im Idealfall zu laufen hat. Die merkwürdige Anomalie („Ein weltbewegendes …“) beim bald still gelegten Konkurrenten Tevatron ist […]

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