So „war es“ auf der ersten virtuellen AAS-Tagung

Rund 1350 Astronomen aus 35 Ländern haben Anfang des Monats an der – notgedrungen – ersten virtuellen Ausgabe der halbjährlich stattfindenden Tagungen der American Astronomical Society teilgenommen, die vom 1. bis 3. Juni „stattfand“ aber für 30 Tage online bleiben sollte. Der „Teilnehmer“ betrat ein Second-Life-artiges „Foyer“ wie bei einer richtigen Konferenz, von dem aus es zu den Vorträgen oder Postern – und in der heißen Phase auch zu Echtzeit-Meeting-Räumen – ging.

Die Vorträge der Tagung wurden an den drei Tagen live via Zoom gehalten, oft wie bei solchen Ereignissen gewohnt (und gefürchtet) in mehreren Sessions parallel – aber das virtuelle Format bot den Vorteil, dass allen Vorträge on demand über die Zoom-Aufzeichnung beigewohnt werden konnte (dann natürlich ohne die Möglichkeit, direkt Fragen zu stellen). Und die Poster waren jedes eine kleine Webseite, mit Mutimedia-Content und z.T. sogar gesprochenen Kommentaren der Autoren.

Aus der Eröffungssansprache der AAS-Präsidentin Megan Donahue: Dieses Meeting ist wesentlich CO2-ärmer geraten als man sich hätte träumen lassen, aber irgendwie weist es den Weg in die Zukunft … Ein paar Spezial-Vorträge mehr sind bei der AAS frei verfügbar, z.B. auch in dieser Playlist – und auch eine Open Mic Night fehlt nicht.

Aus der Sonnensession vom Poster 112.04 „Composing Eclipse Images from the Ground and from Space“ hier ein Komposit von Nicolas Lefaudeux aus 646 Aufnahmen der Korona (auf dem die Streamer über 12 Sonnenradien weit reichen) vom 2. Juli 2019, die auf dem Cerro Tololo in Chile entstanden, und einige der Beobachter daselbst.

Auf Asteroiden-Jagd mit den exotischen Evryscopes (unten das südliche auf dem Cerro Tololo, im Video eine Nacht mit dem nördlichen auf dem Mt. Laguna in Kalifornien): Jedes sieht 16’512 Quadratgrad mit 13″ Auflösung und macht 2-Minuten-Aufnahmen mit Grenzgröße 16. Das System – mehr simultanes Gesichtsfeld hat kein anderes – erkennt NEOs und Hauptgürtel-Asteroiden ebenso wie künstliche Satelliten, was nun ausgenutzt wird (Solar-System-I-Poster 129.04).

Mehr als 60 erdnahe Asteroiden erwischt das Radio- bzw. in diesem Fall Radarteleskop von Arecibo jedes Jahr – und 2019 waren es sogar 125! Diesen November wird man sich den von Hayabusa 2 besuchten Ryugu anschauen – und im März 2021 Apophis, bei seiner größten Erdnähe bis zum Super-Vorbeiflug 2029. Und diesen Oktober wird die gute Perihelopposition des Mars ausgenutzt (Solar-System-I-Poster 129.01).

Die meisten Meteoriten, die man auf der Erde findet, sind Chondriten – aber das provokative Solar-System-II-Poster 230.03 postuliert Hot Isostatic Pressing (HIP), bei dem die charakteristischen Chondrulen beim Vorbeiflug an glühenden großen Asteroiden im frühen Sonnensystem entstanden. So ‚behandelte‘ Kleinkörper sind dann beständiger, und ihre Bruchstücke werden überproportional häufig auf der Erde gefunden – während sie für die Geschichte des Sonnensystems keine relevante Rolle spielten.

Auf Exoplaneten-Jagd per Transitmethode mit Amateur-Equipment auf einer Wiese in Massachussets – 50 km von Boston entfernt – ist Paul Benni (Planeten-I-Poster 113.04), der die Galactic Plane eXoplanet survey (GPX) als Hobby aber in enger Zusammenarbeit mit Profis betreibt. Und bei Sternen mit engen Nachbarn klarer sieht als manches von deren Instrumenten, der Satellit TESS inklusive (Bild oben rechts, siehe auch die 4. Pressekonferenz unten): So gelang die Entdeckung des Planeten von „GPX-1“.

Ein komplementärer Ansatz zur Exoplaneten-Jagd „für alle“ im EPO-Poster 324.01: die Panoptic Astronomical Networked Observatories for a Public Transiting Exoplanets Survey (PANOPTES) mit z.Z. 18 ferngesteuerten Stationen rund um den Globus im (unterschiedlich weit gediehenen) Aufbau, in in Bhutan – die kosten etwa $5000 pro Einheit, und die Bilder landen in der Cloud, wo sie dann von Citizen Scientists analysiert werden. Mehr Mitarbeiter willkommen!

Im Talk 206.04 wurde auf Probleme mit der kürzlich publizierten möglichen Sichtung des Planeten Proxima Centauri c durch das Instrument SPHERE hingewiesen: Nimmt man dessen Astrometrie dazu, kommt man auf nur 7 Erdmassen, während aus langjähriger Hubble-FGS-Astrometrie von Proxima eher 18±5 Erdmassen folgen – mehr dazu auch in der 4. Pressekonferenz unten.

Eine Himmelskarte mit 1832 starken Gravitationslinsen, enstanden im Rahmen eines Komplett-Katalogs (Gravitational-Lensing-Poster 140.02): Schon jetzt hat der 1899 Einträge, und es dürften 2000 werden. Die breite Lücke verursacht natürlich die Milchstraße, hinter der keine Galaxien zu sehen sind. Wie erwartet verteilen sich die Linsen-Fälle ansonsten – gemäß des Kopernikanischen Prinzips – gleichmäßig am Himmel, typische Rotverschiebungen des linsenden Objekts bis 0.4 bis 0.8, und es sind üblicherweise einzelne Galaxien. Durch LSST und Euclid sollte sich die Zahl der bekannten Linsen-Systeme in absehbarer Zeit verhundertfachen.

Das Projekt ORCAS – ein Orbiting Configurable Artificial Star, der als kontrollierbarer Lichtpunkt in 180’000 km Entfernung Großteleskopen auf der Erde Adaptive Optik im sichtbaren Licht ermöglichen würde – wurde im Talk 305.05 (und der Pressekonferenz Nr. 6 unten) vorgestellt: Das Keck-Teleskop würde damit weit schärfer gucken können als das JWST und erst vom hypothetischen Riesensatelliten LUVOIR übertroffen.

Ein wesentlicher Grund, warum das Hubble Space Telescope auch nach 30 Jahren noch so populär wie eh und je ist: Keines der großen neuen Teleskope im Weltraum im Weltraum oder auf der Erde wird sich um den UV-Bereich kümmern. Aus dem Exhibitor Showcase: What’s Next for Hubble – wo es auch hieß, dass seitens der Hardware ein Betrieb des Satelliten bis ~2025 sicher und bis zum Ende des Jahrzehnts möglich erscheint …

… während im Exhibitor Showcase: The Hubble Space Telescope at 30 schon mal ein Plan für die nächsten Jahre ausgebreitet wurde.

Speziell auf die besonderen UV-Fähigkeiten des Teleskops zugeschnitten ist dabei die Ultraviolet Legacy Library of Young Stars as Essential Standards, der 1000 Orbits Hubbles gewidmet werden sollen: mehr als für irgendein anderes Großprogramm, wie in der STScI Town Hall (Session 216) betont wurde.

Und dann kommt – auch wenn derzeit aus dem Plan des Weißen Hauses gestrichen, was der Kongress bitteschön richten soll – WFIRST, inzwischen allgemein als Roman Space Telescope bezeichnet: Hubbles Spiegeldurchmesser aber ein drastisch größeres Gesichtsfeld, so dass auf dieser Town Hall von „Hunderten Hubbles in den 2020-ern“ die Rede war. Große Durchmusterungen gehen 700- bis 1500-mal schneller als mit dem HST!

Ebenfalls auf der Streichliste (aber hoffnungsvoll, dass es weiter geht) ist die fliegende Sternwarte SOFIA, an deren wissenschaftlichem Ertrag (im Verhältnis zu den hohen Betriebskosten) gezweifelt wird: Wie dieser Vergleich – in einem SOFIA Community Update – mit dem Satelliten Herschel zeigt, ist sie zumindestens besonders schnell, wenn es um Durchmusterungen geht.

Warum die Zeit reif sei für „Low Radio Frequency Astrophysics from the Farside of the Moon“, erklärte Vortrag 102.02: Heiße Fragen aus der Exoplaneten-Forschung und Kosmologie, die langwellige Radioastronomie unter perfekter Abschirmung der Erde erforderten, hätten sich als ‚killer apps‘ für solch eine Mission erwiesen.

Am anderen Ende des „Spektrums“ der Radioastronomie war das Exhibitor Webinar: Aficionado Radio Telescopes (eine bearbeitete Aufzeichnung) von Glen Langston (NSF) angesiedelt – für wenige $$ kann man Hornantennen basteln, die mit SDR und einem Laptop in Sekunden Radiostrahlung von der Milchstraße (und mit einiger Integration auch deren einzelne Arme dank deren unterschiedlicher Geschwindigkeit relativ zur Sonne) nachweisen können. Open Source Radio Telescopes (OSRT) wird das genannt: ideal für Schulprojekte, da muss auch kräftig gebastelt werden. Am Ende des Webinars führte Langston – der aus einem Park ’sendete‘ – solch ein Gerät auch live am Himmel vor.

Auch die sechs Pressekonferenzen der Tagung waren natürlich Online-Veranstaltungen: bei der ersten ging es um die Verteilung von Zwerggalaxien und was das über Dunkle Materie aussagt, eine ungleichmäßige Anordnung von Galaxien-Rotationsrichtungen, den Nachweis von reichlich heißem intergalaktischem Gas um die Milchstraßen-artige Galaxie NGC 3221 von großer Ausdehnung und einen Galaxien-Protocluster.

Die zweite PK handelte von der komplexen Chemie Planetarischer Nebel, der Beobachtung in vielen Wellenlängen des Ausbruchs eines Röntgen-Doppelsterns, dem Nachweis eines Ausbruchs des Crab-Pulars mit einem neuen Teleskop-Prototypen für den Cherenkov Telescope Array und ein neues Modell zum Wachstum Schwarzer Löcher durch Akkretion und Verschmelzungen.

Die dritte PK wurde hier schon gezeigt („Die dritte Pressekonferenz …“) und diskutiert – stattdessen hier eine farbenfrohe Demo des Zentrums der Milchstraße in virtueller Realität. Ansonsten ging es um die Rolle von Magnetfeldern (ein Artikel) und die Filamente im Galaktischen Zentrum sowie die Kinematics of the Magellanic Stream and Implications for its Ionization: Press Releases hier und hier.

In der PK Nr. 4 ging es um Evidence for a Past Martian Ring from the Orbital Inclination of Deimos (ein Press Release und ein Artikel), die oben erwähnte Massen-Problematik von Proxima Centauri c (Press Releases hier und hier), die ebenfalls schon erwähnte Amateur-Planeten-Entdeckung (ein Artikel) und einen nahen und jungen Braunen Zwerg mit einer Scheibe.

PK #5 handelte von optischen Beobachtungen der Fermi Bubbles (ein Press Release), dem heißen Gas (siehe 1. PK) auch rund um die Milchstraße und einem 30° langen Ultraviolett-Bogen, der am Himmel auf UMa zentriert ist.

Die sechste PK schließlich behandelte die Suche nach der Population III (weitere Press Releases hier und hier), das oben erwähnte Projekt ORCAS – und die Bedrohung der Astronomie durch Mega-Konstellationen: Auf letztere Beiträge wurde bereits hier eingegangen.

Ansonsten wurde für dieses „Treffen“ – umfangreiche Berichte zu den Tagen eins, zwei und drei [NACHTRAG: sowie allmählich wachsende Online-„Proceedings“ zu allen Themen, etwa auch Proxima c] – noch dieser Werbefilm für LISA erstellt … und nach dem Meeting ist vor dem Meeting: Heute beginnt bereits mit der genau so virtuellen aber gleich fünf Tage langen Jahrestagung der European Astronomical Society die mit über 1600 Teilnehmern vermutlich größte astronomische Online-Tagung des Jahres, auf einer schon wieder anderen Plattform. Und dieser Blogger hat erneut das Password …

2 Antworten to “So „war es“ auf der ersten virtuellen AAS-Tagung”

  1. Und noch eine große Astrokonferenz – online | Skyweek Zwei Punkt Null Says:

    […] Monat nach der amerikanisch dominierten ersten großen Astronomie-Tagung rein online mit über 1000 Teilnehmern folgte mit dem European Astronomical Society Annual Meeting 2020 (EAS […]

  2. Protokoll der 237. Tagung der AAS | Skyweek Zwei Punkt Null Says:

    […] wieder nur online – wie schon der Vorgänger letzten Juni – findet diese Woche die große Tagung der American Astronomical Society statt, […]

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