Es geschah vor 65 Jahren: Mysterium um die Luft-Aufnahmen des letzten „Finsterniskometen“

Wie dieses Jahr, so war auch 65 Jahre zuvor Anfang November eine kurze Totale Sonnenfinsternis über Ostafrika zu sehen – aber viel berühmter wurde der Komet 1948 V1, der während der Totalität am 1.11.1948 in nur 2° Abstand und etwa -2 mag. hell neben der Korona erschien: Weil ihn dabei viele gleichzeitig entdeckten, wurde er einfach „Eclipse Comet“ getauft, das letzte Mal übrigens, dass ein Komet keinen richtigen Namen nach Entdeckern oder Sternwarten etc. erhalten hat. Und 1948 V1 (damals noch als 1948 l und später 1948 XI katalogisiert) blieb auch der letzte Komet, der zum ersten Mal während einer Sonnenfinsternis gesichtet wurde – doch wie steht es um Fotos, die Korona & Komet zusammen zeigen? Gary Kronk schreibt in seiner epochalen Cometography 4 311 dass „numerous photographs of the eclipse were taken, which, despite the short exposures, plainly showed the comet.“

Da verwundert es schon, dass eine Google-Suche nach nämlichen Fotos nicht ein einziges zutage fördert, und auch energisches Forschen in der Literatur nur eine einzige angebliche Aufnahme in einem tschechischen Paper von 1999. Die Bildunterschrift dort behauptet, das Bild habe R. d’E. Atkinson in Nairobi gemacht, während wiederum bei Kronk zu lesen ist: „Some of the best photographs were taken by a team of astronomers from the Royal Observatory (Greenwich, England) that had set up in Mombasa (Kenya)“ – wo die Finsternis aber überhaupt nicht total war! Die nämliche britische Expedition unter Leitung von des Astronomen Robert d’Escourt Atkinson war tatsächlich gezielt in Mombasa deutlich außerhalb der Umbra geblieben, um die umschwenkende Sonnensichel mit Filmkameras aufzunehmen, was zur verbesserten Bahnbestimmung des Mondes dienen sollte, wie einem Vorbericht in Sky & Telescope VIII (December 1948) 38, einem riesigen Paper zu den Ergebnissen – Teile eins, zwei und drei – sowie diesem langen Interview zu entnehmen ist!

Atkinson beschrieb sein kenianisches Abenteuer, das auch die Begegnung mit 16 Löwen gleichzeitig umfasste, bereits am 24. November 1948 auf einem Ordinary General Meeting der British Astronomical Association, dessen Protokoll im Journal of the BAA 59 #2 (January 1949) 57 zu finden ist: Er war „conscious of a great sense of self-denial, in that although he had travelled about 10,000 miles he had deliberately gone where he would just fail to see the total phase of the eclipse“ – und den Kometen natürlich auch, denn er erlebte nur eine 98%ige Sonnenfinsternis. Es irren also Kronk wie der Tscheche wie auch P. Poitevin, bei dem Atkinson den Kometen ebenfalls in Nairobi fotografierte, wobei sein „picture can be seen in many publications“. Aber auch davon kann nach dem Stand der Recherche keine Rede sein: Zwar gibt es viele Fotos des ‚Finsterniskometen‘, der zu den hellsten des 20. Jh. zählte, z.B. in Sky & Telescope 68 #4 (October 1984) 378, aber sie entstanden alle in den Wochen nach der SoFi.

Wie Atkinson zu dem unverdienten Ruf des SoFi-Kometen-Fotografen gekommen ist, lässt sich jedoch leicht nachvollziehen: Er war der erste, der tatsächlich Fotos von Sonne und Komet ausmaß! Und wie er an diese kam, beschrieb er auf dem BAA-Meeting und ist auch in aktuellen Comet Notes in The Observatory sowie Sky & Telescope VIII (January 1949) 59 zu finden: SoFi & Komet waren aus einem Flugzeug der Royal Air Force – Kenia war damals und noch für 15 Jahre britische Kolonie – heraus fotografiert worden, aus 13’000 Fuss Höhe, mit 200 mm Brennweite, Blende 5.6 und 1/300 Sekunde Belichtungszeit. Drei solche Negative konnte Atkinson ausmessen und Abstand und Position des Kometen relativ zur Sonne bestimmen, was bei der frühen Bahnbestimmung half, und zum Meeting nach London hatte er offenbar auch Abzüge mitgebracht – doch dann verliert sich die Spur der Bilder.

Aber wie war Atkinson überhaupt an die Negative gekommen? Auch das erzählte er in London: Zunächst hatte er von der Kometenentdeckung während der Finsternis nur aus der Presse erfahren und es nicht geglaubt, dann aber in Nairobi bei einem britischen Amateurastronomen gewohnt – und der hatte ihn mit den SoFi/Kometen-Beobachtern aus der Luft zusammen gebracht! Der Komet war auf vier Negativen der nicht nur in diesem Bericht namenlosen „R.A.F. officers“ zu erkennen, und Position und Schweif stimmten mit den visuellen Berichten anderer überein. Drei Bilder waren kurz belichtet und wie erwähnt astrometrisch leidlich auszuwerten (Atkinson klagte vor der BAA, die technischen Daten der Kamera nur ungenügend zu kennen), das vierte mit einer anderen (Hand-)Kamera länger belichtet worden und zeigte mehr Schweif – ist dies womöglich das in dem tschechischen Paper 51 Jahre später reproduzierte? Und wieso und in wessen Auftrag war die SoFi überhaupt aus der Luft beobachtet worden?

Der von Atkinson besuchte Amateurastronom und seine Wahlheimat Nairobi könnten der Schlüssel zu der ganzen Geschichte sein. Der Mann hieß Herbert Kay „Pop“ Binks und muss nach allen auffindbaren Quellen eine bemerkenswerte Persönlichkeit gewesen sein: unter anderem Profi-Fotograf mit speziellem Interesse an Luftbild-Aufnahmen und Astronomie, der auch gerne astronomischen Expeditionen half (eine Anekdote auf S. 293). Und in einem Vorort von Nairobi befand sich mit der R.A.F.-Basis Eastleigh – heute Moi Air Base – die Zentrale der gesamten britischen Militärluftfahrt für Ostafrika. Die sich, wie einer kenianischen Chronik zu entnehmen ist, in jenen relativ friedlichen Jahren vor allem mit intensiver fotografischer Kartierung Afrikas aus der Luft beschäftigte! Flugzeuge mit passenden Kameras gab es also und viel Erfahrung – und nebenan in Nairobi einen Experten für Luftbildfotografie, der Kontakte zur R.A.F. pflegte und gleichzeitig Astrofan war.

So weit die mit vertretbarem Aufwand im Internet recherchierbaren Fakten (mit dankenswerter Unterstützung durch Sheridan Williams, Randall Rosenfeld, Mike Frost, Jay Pasachoff und Rick Fienberg). Und nun eine kühne Spekulation: Könnte es sein, dass Binks einige Piloten-Freunde in Eastleigh dazu anstiftete, bei einem Luftbildflug „zufällig“ nach oben in Richtung dunkle Sonne zu fotografieren? Und dass diese dann nicht namentlich genannt werden wollten, weil sie auf gar keiner offiziellen Mission gewesen waren (auch wenn Atkinson einen der Beteiligten als Air Commodore bezeichnet, ein mittlerer Dienstrang)? Leider starben Binks – der wenig Astronomisches publiziert zu haben scheint – 1971 und Atkinson (von den über den Finsterniskometen bis auf die Astrometrie nichts zu finden war) 1982, wobei sein wissenschaftlicher Nachlass in Indiana blieb, wohin er 1964 gegangen war: Die Suche nach den Hintergründen des Finsternisfluges und die Jagd nach den Negativen, guten Abzügen oder wenigstens ordentlichen Reproduktionen mit klarer Provenienz geht weiter …

NACHTRAG: Dieser Artikel über Finsterniskometen machte noch auf einen Bericht über ein Referat Atkinsons bereits am 12. November auf einem Meeting der Royal Astronomical Society (Seiten 220-221) aufmerksam: Dort zeigte er mindestens zwei Dias von Bildern aus dem R.A.F.-Flieger. Eins war die Reproduktion eines freihändigen und lang belichteten, das deutlich den Schweif zeigt, ein anderes stammt von einer von mehreren kurz belichteten mit längerer Brennweite und besserer Schärfe, die Atkinson als „offiziell“ (in Anführungszeichen) tituliert. Sie wurden mit Blende 5.6 und 1/300 Sekunde Belichtungszeit innerhalb und auch außerhalb der Totalität aufgenommen und zeigen den Kometenkopf – offenbar heller als die Venus – noch 5 bis 10 Sekunden nach dem 3. Kontakt. Es waren drei dieser Negative gewesen, die ihm der auch nicht namentlich genannte Air Commodore zur astrometrischen Auswertung überlassen hatte.

sofi1948

NACHTRAG 2: Während eines Besuches in der VSW Urania in Hove in Belgien hatte dieser Blogger im Mai 2015 endlich Gelegenheit, in der dortigen Bibliothek einem der letzten noch nicht überprüften Literaturzitate nach zu gehen. Und siehe da: In Beekman, Kometen als Prooi van de Zon (Kometen als Beute der Sonne), Zenit 10 [Mai 1983] 192-7, findet sich auf Seite 194 doch tatsächlich diese bessere Reproduktion des Bildes aus dem tschechischen Paper! Das konnte dem Vortrag des Autors zum nämlichen Thema als Opener des 10. Duisteren Dags daselbst gerade noch hinzu gefügt werden. Auch in der niederländischen Zeitschrift hat das Bild eine unmögliche BU (als Aufnahme von Atkinson in Nairobi) und wird im Artikel selbst gar nicht angesprochen: In dem geht es um Sungrazer, zu denen der Eclipse Comet aber gar nicht gehörte. Doch das Bild hat die bisher nicht aufgetauchte Quellenangabe Royal Greenwich Observatory, die womöglich weiter weist: Kann es sein, dass die Negative oder gute Kopien heute im Archiv der Royal Museums Greenwich gelandet sind, dem die Sternwarte später zufiel? Auf einer Kometentagung in Leipzig im Juni 2014 war jedenfalls nach Halten desselben Vortrags sogleich mit einer dort ebenfalls vorgestellten Software der Anblick des Schweifs während der SoFi simuliert worden: Alles passt – in dessen besserer Fassung erst recht – zu dem Foto, bei dem es sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit um die eine lang belichtete Aufnahme aus dem RAF-Flugzeug handelt! NACHTRAG 3: Auf einer Kometentagung auf der Sternwarte Ondřejov im Juni 2015 wurde dann erneut berichet: alle Slides, v.a. Auszüge aus den Texten.

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2 Antworten to “Es geschah vor 65 Jahren: Mysterium um die Luft-Aufnahmen des letzten „Finsterniskometen“”

  1. Daniels Dies & Das | ECC @ Hvězdárna Ondřejov – Tag 2/3 Says:

    […] zu verbesseren, wozu es auch eine Grundsatzdiskussion gab. Dazwischen hatte ich über den Stand der Ermittlungen über den Eclipse Comet von 1948 […]

  2. Ein Monument für den „fränkischen Galilei“ | Skyweek Zwei Punkt Null Says:

    […] Nach so viel Tiefsinn mag sich der Leser dann in die drei Biografien vertiefen, mit denen der Band beginnt (Seiten 13-161): Die bei weitem längste und vor Detailfülle aus allen Nähten platzende behandelt natürlich Marius‘ Leben selbst, belegt durch 478(!) Fußnoten und ich manchem Detail Neuland. Wiederum von allgemeinem Interesse ist die viel kürzere Biografie von Marius‘ Förderer – und Teleskop-Beschaffer – Fuchs von Bimbach, dessen sich der bekannte Astronomiehistoriker Wolfang Dick angenommen hat: Exemplarisch wird sichtbar, wie man mit Quellen kritisch umgehen muss und dass sich vermeintliche Wahrheiten in der Sekundärliteratur in Wohlgefallen auflösen, wenn man Informationen aus erster Hand zumindest näher kommt. (Diese Erfahrung machte auch der Rezensent immer wieder, z.B. hier und hier auf der Suche nach dem Entdecker der Venusatmosphäre oder im Zusammenhang mit dem Finsternis-Kometen von 1948.) […]

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