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Nasca – Bonn: psychedelische Priester-Prozession

10. Mai 2018

So war das damals, vor rund 2000 Jahren, mit den riesigen Geoglyphen von Nazca oder Nasca in Peru: Man hatte die Scharrbilder auf Hochebenen quasi zwischen Himmel und Erde als Prozessionswege angelegt, auf denen immer wieder Priester unter Einfluss psychedelischer Drogen wie Mescalin und zum rhythmischen Klang zahlreicher Musikinstrumente in schwer verändertem Bewusstseinszustand wandelten, sich dabei zuweilen selbst wie fliegende Fabelwesen vorkamen und außerhalb von Raum und Zeit die Verbindung zu den Ahnen suchten aber auch für hinreichend Wasser sorgen sollten.

Das ist die Botschaft der peruanisch-schweizerischen Ausstellung „Nasca. Im Zeichen der Götter“, die nach Lima (über 86’000 Besucher) und Zürich (etwa 50’000) nun in die Bundeskunsthalle in Bonn gekommen ist (und im Rahmen der Eröffnung heute von 11 bis 14 Uhr kostenlos besucht werden kann), denn sie hat eine konkrete Schlussfolgerung, die die rund 200 oft spektakulären Artefakte – allesamt aus peruanischen Sammlungen und oft noch nie im Ausland gezeigt – in eine Geschichte bringt. Die in diesem Figurengefäß eines mythischen Ahnenwesens aus der frühen Nasca-Phase (50-300 CE; Stil Nasca 3) kulminiert, das von der Form her einem Grabbündel (einer Südamerika-typischen Mumie) entspricht und voller Symbolik ist – man beachte etwa die stilisierten Kakteen (= Quellen des Mescalins) auf den Schultern. Andere archäologische (Grab-)Funde zeigen, dass sich die Priesterschaft ähnlich ausstaffiert zu haben scheint und bei den Prozessionen die Mythen möglichst konkret nacherlebt haben dürfte, während Rhythmen und Drogen zu Synästhesie-Effekten in ihrer Wahrnehmung führten.

Peruanische Videokünstler haben das mal verspielt umgesetzt (was in Großprojektion den Besucher wieder in die Gegenwart entlässt). Dass es sich v.a. bei den schmalen Scharrfiguren um rituelle Wege handelt, wie schon lange vermutet wird, ist inzwischen archäologisch belegt: Der Boden dort ist von unzähligen Füssen festgetrampelt und kompaktiert worden. (Allerdings nur in der Mitte der Wege und mit Bedacht: Spekulationen über regelrechte Rennen in den Geoglyphen sind nicht belegbar.) Und die wesentliche Rolle von Musik ergibt sich aus der Feststellung, dass keine andere südamerikanische Kultur derart viele Instrumente – Trommeln, Flöten, Pfeifen – hinterlassen hat.

Die Prozessionen auf den Hochebenen, die in dieser kleinen Pilgerszene (ein Unikat aus gebranntem Ton, späte Nasca-Phase, 450-650 CE) dargestellt sein mögen, waren wohl vom bewohnten Tal aus zu sehen: Da es keinerlei schriftliche Überlieferungen gibt, kann über ihre konkreten Beweggründe derzeit nur spekuliert werden, aber die wenigen figürlichen Darstellungen haben meist irgendwie mit Wasser oder Quellen zu tun. Die Wirkung auf v.a. auch die Prozessierenden selbst muss jedenfalls bemerkenswert gewesen sein: Archäologen haben es ihnen mal nachgetan und auch schon ohne Drogen und Musik quasi psychedelische Erfahrungen gemacht, wenn sich die Gruppe in Spiralen in die Länge zieht und sich nach dem inneren Umkehrpunkt wieder selbst begegnet. Auch wenn der grundlegende Zweck der Geoglyphen jetzt geklärt scheint, harren noch unzählige Details der Klärung – und dem Boden darunter kann noch einiges entrissen werden: Ausgrabungen laufen, und viele aktuelle Funde sind noch nicht mal publiziert worden. Aber was in Lima, Zürich und nun Bonn bereits gezeigt werden kann, lässt eine der großen präkolumbianischen Kulturen – mit einem Kunst-Niveau, das es mit dem europäischen Altertum aufnehmen kann – ebenso schemenhaft wie dramatisch auferstehen.

Virtuell gibt’s in der Ausstellung aber auch: Projektionen auf 3D-Geländemodelle von Palpa und Nasca; anderswo kann per VR-Brille wie mit einer Drohne über die peruanischen Landschaften geflogen werden. Und in einer Kammer läuft in Dauerschleife diese arte-Doku:

Sie stellt den Stand der Forschung bzgl. der Geoglyphen fast deckungsgleich mit der Ausstellung [NACHTRÄGE: weitere Artikel hier, hier, hier, hier, hier, hier und hier – und ein Doodle] dar, was den Ausdruck eines tatsächlich erreichten Konsenses nach Jahrzehnten mitunter wilder Spekulationen festigt.

Eröffnungs-Pressekonferenz gestern Vormittag u.a. mit dem Kunsthallen-Chef und Kuratoren aus Lima und Zürich – der Züricher Peter Fux vom Museum Rietberg führte dann auch durch die Ausstellung und zog dabei einleitend wiedergegebenen Schlüsse, die durch ein Gespräch mit dem Nasca-Spezialisten Markus Reindel (bekannt aus obiger Doku) noch ergänzt wurden und auch durch eine Reihe Wandtafeln angedeutet werden.

Details aus – dem Wüstenklima sei Dank – erstaunlich gut erhaltenen 2000+ Jahre alten Textilien aus der initialen Phase = 200 BCE – 50 CE.

Und noch ein paar mehr der faszinierenden Keramiken der Ausstellung (auch sie vor allem als Grabbeigaben erhalten), chronologisch sortiert:

Eine Tasse mit Kameliden (Lamas; frühe Phase = 50-300 CE, Stil Nasca 3).

Eine Trommel mit einem Menschen fressenden Seelöwen (frühe Phase = 50-300 CE, Stil Nasca 3).

Großes Figurengefäß eines Orcas aus Cahuachi (frühe Phase = 50-300 CE, Stil Nasca 3).

Doppelausgussflasche eines Menschen fressenden Vogels (mittlere Phase = 300-450 CE, Stil Nasca 4)

Ein Krug mit der stilisierten Darstellung eines Orcas mit blutendem Maul (späte Phase = 450-650 CE, Stil Nasca 6). Und noch ein Gefäß mit festlicher Szene (späte Phase, Stil Nasca 7):