
Sein Kern war nur wenige hundert Meter groß und hielt zudem deutlich weniger gut zusammen als der eines typischen Sungrazer-Kometen: Deshalb ist ISON schon beim Anflug auf sein Perihel zerbrochen, und die Fragmente konnten der Sonnenhitze nicht widerstehen. Aus Erkenntnissen von einer Pressekonferenz (10. Dezember), der folgenden wissenschaftlichen Session des AGU Fall Meetings in San Francisco und anschließenden anregeten Diskussionen im Internet vergangene Nacht formt sich bereits ein erstes Bild der Vorgänge des letzten Monats – der erste je beobachtete Sonnenkratzer aus der Oortschen Wolke hat viele Besonderheiten offenbart, und auch sein betrübliches Ende birgt noch Erkenntnisse. Eine wesentliche Kenngröße eines Kometen ist der Durchmesser des Kerns: Die Grafik oben zeigt mögliche Ergebnisse aus der Fotometrie der MRO-Kamera HiRISE, als ISON dem Mars nahe kam, wobei sowohl die Albedo als auch der Beitrag der inneren Koma zur Helligkeit des Lichtzentrums – der Kern blieb weit unter der Auflösungsgrenze – freie Parameter sind. Im Prinzip sind Kerndurchmesser zwischen 100 und 1000 m möglich, aber da ISON als „frischer“ Komet eine höhere Albedo als die Halley-üblichen paar Prozent haben dürfte und die Koma vermutlich gestört hat, nennen die Auswerter jetzt 600 m als Obergrenze und ein paar hundert Meter als wahrscheinlichsten Wert.
Das ist nun freilich ein Faktor 10 weniger als eine – wie ein mitverantwortlicher Astronom diesem Blog gegenüber zugegeben hat, all zu kühne – „Berechnung“ des Kerndurchmessers von rund 5 km aus Fotometrie des Swift-Satelliten, die durch Pressemitteilungen von NASA und Gemini die ‚öffentliche Meinung‘ in Richtung eines vielversprechenden Kometen hin beeinflusst haben mag. Nun hätte aber selbst ein 500-Meter-Kern das Perihel überstehen und für eine nette Kometen-Show Anfang September sorgen können, so o.g. Astronom: wenn sich ISONs Kern so wie der eines typischen Sonnenkratzer-Kometen der Kreutz-Gruppe verhalten hätte, wie der von Lovejoy vor zwei Jahren. Der hatte nämlich nur etwa 300 m Durchmesser, von denen selbst sein noch sonnennäheres Perihel 150-200 m übrig gelassen hatte. Die zerfielen erst Tage danach zu Staub – aber für ISON galt dies leider nicht. Der war offensichtlich weit weniger stabil: Bereits in den Stunden vor dem Perihel (nach einem alternativen Szenario sogar schon seit Ende Oktober) zerfiel er in mehrere Subkerne, die der Sonne nun viel mehr Angriffsfläche boten und – vermutlich vollständig – verdampft sind.
Den Detailprozessen dabei – verfolgt von drei Sonnensatelliten – wird man sicher noch wertvolle Erkenntnisse über den (gewesenen) Aufbau des Kerns entlocken können, schon jetzt aber auch die Wochen vor dem Ende waren ergiebig: Mit zunehmender Aktivität des noch mehr oder weniger intakten Kerns waren spektroskopische Untersuchung von Gas- und Staubkoma möglich. Nach einem der Helligkeitsausbrüche im November registrierte z.B. der High-Dispersion Spectrograph am Subaru-Teleskop Emission zahlreicher Moleküle und Atome wie C2, NH2, H2O+, CN, O und Na, und HIRESb an Keck sichtete ab Oktober ebenfalls viele Moleküle OH, NH, NH2, CH, CN, C2, C3, dazu Na (dessen Präsenz mit den Ausbrüchen zusammen hängen könnte) und K. Da es nach Nah-IR-Spektroskopie nicht genug C2H2 und HCN als Quellen zu geben scheint, dürften das CN und C2 aus CHON-Partikeln stammen, organischen Aggregaten, wie sie erstmals die Halley-Sonden gefunden hatten. MESSENGER im Merkur-Orbit wiederum meldet den Nachweis von H, S, Na, CS, OH, NH und CN – vieles davon beim gleichzeitig beobachteten Encke nicht zu erkennen.

Mit dem Subaru-Teleskop wurde bei 8.5 bis 11 µm schwache Emission von kleinen amorphen Silikatkörnchen nachgewiesen, kristalline Silikate ließen sich nicht blicken. Das passt zu Beobachtungen bei 11, 19 und 31 µm von der fliegenden Sternwarte SOFIA am 25. Oktober, die ISON leider nur 5 Minuten lang auf’s Korn nehmen konnte. Aber aus der relativen Helligkeit der drei Bilder ließ sich überdies schließen, dass die Größenverteilung der Staubteilchen „typisch“ war, im Sinne der von kurzperiodischen Kometen her bekannten. Insgesamt war ISON aber ein staubarmer Komet – und zusammen mit den oben indirekt erschlossen CHON-Partikeln könnte dies Hinweise auf den Entstehungsort ISONs geben: eher außen im solaren Urnebel, wo es weniger große Staubteilchen gab, dafür aber günstige Bedingungen für die Entstehung von organischen Molekülen durch die Bestrahlung von frei liegendem Eis?

A propos Eis: So ging es mit der Wasser-Produktion von ISON aufwärts, in logarithmischer(!) Darstellung gegen Tage vor dem Perihel aufgetragen und bestimmt aus Messungen des SWAN-Instruments von ISONs Lyman-Alpha-Emission. Die Kurve endet vor dem Perihel, da SWAN nicht in extremer Sonnennähe beobachten kann: Danach sah das Instrument den Kometen nicht wieder, und SUMER auf SOHO registriert schon im Perihel selbst keinerlei Lyman Alpha mehr – auch dies ein Beleg für die Zerstörung des Kerns bereits zu diesem Zeitpunkt. Vorher hatte auch das SPICAV-Instrument auf dem Venus Express die Lyman-Alpha-Emission ISONs beobachtet und sogar grobe UV-Bilder der Kometenkoma erzeugen können. Ein Vergleich mit Modellrechnungen liefert dann für den 20. November eine Wasserproduktionsrate von 10^30 Molekülen – oder 30 Tonnen – pro Sekunde. Zwischen 110 und 310 nm sah SPICAV nämliche Emission von H sowie von OH, sonst aber vermutlich keine weiteren Linien. So weit erste Einsichten aus den Prä-Perihel-Beobachtungen ISONs – und kommendes Jahr kommen mit C/2012 K1 (PANSTARRS) und C/2013 A1 (Siding Spring) gleich zwei weitere Oort-Kometen zu Besuch: zwar ohne ISON-gleiches Extrem-Perihel, dafür aber besser am Himmel zu beobachten.