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Nachrichten von Kleinplaneten kompakt

8. Juni 2010

Rosettas Ziel Lutetia ein kosmischer 125-km-Camembert

So beschreibt jedenfalls eine große Schar von Autoren – von 19 verschiedenen Institutionen – den Kleinplaneten Nr. 21, der nach dem antiken Namen von Paris benannt ist und an dem die Kometensonde Rosetta am 10. Juli vorbei fliegen wird. Schon lange ist Lutetia Gegenstand von irdischen Beobachtungen („Nächstes Rosetta-Ziel“); diesmal wurden zahlreiche Lichtkurven sowie 324 Aufnahmen mit Adaptiver Optik an den Keck-Teleskopen und dem VLT analysiert, von denen hier eine Auswahl zu sehen ist. Die Gestalt des von mehreren großen Impaktkratern mitgenommenen Asteroiden ist „well described by a wedge of Camembert cheese (justifying the Parisian name of Lutetia)“, heißt es in der Analyse, nach der der mittlere Durchmesser 105±5 km beträgt und Lutetia etwa 124 x 101 x grob 93 km groß ist. Die Rotationsachse liegt dabei – wie beim Uranus – praktisch in der Bahnebene (Neigung 95°), so dass die lutetischen Jahreszeiten extrem sind und wir über die Ausdehnung entlang der Rotationsachse nur wenig wissen: Derzeit scheint die Sonne steil auf die Nordhalbkugel, und jenseits von 35° Süd herrscht Polarnacht.

Rosetta sollte aber mit dem MIRO-Instrument auch die derzeitige Nachtseite im IR glimmen sehen – und weitere erdgebundene Beobachtungen sind im Juli 2011 sinnvoll, um die Volumenbestimmung aus anderer Perspektive abschließen zu können. Erst dann wird sich nämlich die Massenbestimmung Lutetias durch ihren bald zu messenden Einfluss auf Rosettas Bahn auch in eine exakte Dichte umrechnen lassen. (Carry & al., Preprint 28.5., BBC Blog 8.6.2010; das Rosetta-Blog der ESA ist schon wieder erwacht) NACHTRAG: Und die ESA behauptet, niemand wisse, wie Lutetia aussieht – während das IMCCE ein Shape Model rotieren lässt … NACHTRAG 2: Nach einer Beschwerde dieses Blogger via Twitter hat die ESA den o.g. Press Release korrigiert – zum Vergleich der Originaltext vom 15. Juni! Statt „no one knows what it looks like“ steht da jetzt: „Although recent high resolution ground-based images have given some idea of the overall shape of Lutetia, we have no idea what it looks like in detail.“ Inzwischen hat Rosetta übrigens Lutetia bereits im Blick, allerdings nur als Lichtpunkt.

Ab 600 km Durchmesser wird ein felsiger Asteroid rund durch seine eigene Schwerkraft und ein Eismond eines äußeren Planeten ab 400 km: Dieser schon lange bekannte Beobachtungsbefund lässt sich auch ‚aus ersten Prinzipien‘ herleiten. Und hat nun zu der Forderung geführt, dass die Grenze zwischen Kleinplaneten und Zwergplaneten bereits kategorisch hier, an der Demarkation „zwischen Kartoffel und Kugel“, gezogen werden sollte: Damit würde auch die Zahl der letzteren gewaltig anschwellen. (Lineweaver & Norman, Preprint 7.4.2010) NACHTRAG: Dieses neue 700-km-KBO wäre dann auch ein Kandidat.

Hayabusa bereits auf Australien-Kurs, morgen letzte Korrektur

Seit am Wochenende auch die 3. Bahnkorrektur gelang, zeigt die Bahn der zurückkehrenden Asteroidensonde („Hayabusa …“) nicht mehr an der Erde vorbei sondern auf Australien – und das letzte TCM am 9. Juni wird den Eintritt von Mutterschiff und Probenkapsel am 13. Juni vorbereiten, dem die japanische Öffentlichkeit inzwischen entgegenfiebert. Während gleichzeitig gerade – etwas verspätet – die Entfaltung des Sonnensegels von IKAROS stattfinden sollte: In Sachen kühne Weltraumexperimente ist Japan im Augenblick nicht zu schlagen … (JAXA Tweet 8., JAXA Release 5.6.2010; AFP, Daily Yomiuri, Planetary Society Blog, Space Today 8., BBC, Space.com, Adelaide Now, Planetary Society Blog 7., Sky News Oz, Moon, Mars & Beyond 6.6.2010)

Asteroidensonde Dawn schaffte größte Geschwindigkeitsänderung im All: Dank ihres unermüdlich arbeitenden Ionentriebwerks hat der künftige Vesta- und Ceres-Orbiter („Dawns Orbit …“) bis zum 5. Juni 4.3 km/s Beschleunigung aufsummiert und damit die erste Raumsonde mit Ionenantrieb überhaupt abgehängt, Deep Space 1. 620 Tage war Dawns Triebwerk insgesamt im Betrieb und verbrauchte dabei nicht einmal 165 kg Xenon. (JPL Release 7., Eureka 8.6.2010)

WISE hat bereits über 60’000 Asteroiden beobachtet

und davon etwa 11’000 neu entdeckt, wovon wiederum etwa 50 Near Earth Objects sind: Das ist die Bilanz der ersten 960’000 Bilder des Wide-field Infrared Survey Explorer, der im Juli seine erste Himmelsdurchmusterung abgeschlossen haben wird. Einige der Asteroiden (der genaue Anteil wird noch nicht verraten) sind sehr dunkel und daher im IR besser als im Sichtbaren zu sehen – noch ist WISE allerdings auf keinen gestoßen, der so dunkel wäre, dass man ihn im sichtbaren Licht überhaupt nicht gefunden haben könnte. Auch schon gesehen hat WISE etwa 800 Jupiter-Trojaner, die er besonders systematisch erfasst, und 72 Kometen, davon ein Dutzend seine Entdeckungen. Das Kühlmittel aus festem Wasserstoff sollte noch für eine halbe weitere Himmelsdurchmusterung reichen, danach wird WISE vermutlich abgeschaltet: Beantragte drei Monate weitere Beobachtungen in warmem Zustand hält die NASA für nicht sinnvoll genug, um die dafür nötigen 6.5 Mio.$ zu rechtfertigen. (Nature News 6., Space News 11., JPL Release, Space.com 24., Centauri Dreams 26., Planetary Society Blog 28.5.2010)

Erdnaher „Asteroid“ wohl ein altes Raumfahrt-Relikt: Der am 16. Mai von der Catalina Sky Survey entdeckte 2001 KQ war der Erde im Jahr 1975 sehr nahe und beschreibt eine so erdähnliche Bahn um die Sonne, dass es sich eigentlich nur um einen künstlichen Himmelskörper handeln kann – den eindeutig zu identifizieren allerdings noch nicht gelungen ist. Vermutlich ist es eine Raketenoberstufe, die eine Nutzlast auf eine sehr hohe oder interplanetare Bahn gebracht hatte. (LCOGT Blog 26., JPL Release, Transient Sky, Eureka 27.5., Discovery 3.6.2010)

Auch organische Substanzen im Eis auf dem Asteroiden Themis

Dass die gesamte Oberfläche von (24) Themis überraschend von Wassereis bedeckt ist, wurde hier schon vor längerer Zeit berichtet („Gefrorenes Wasser …“) – aber in den Spektren zweier unabhängiger Teams sind überdies noch Strukturen zu erkennen, die durch Beimischung organischer Verbindungen erklärt werden können. Wie verbreitet vereiste Hauptgürtelasteroiden – deren Beschichtung aus dem Inneren nachgeliefert werden muss, sonst würde sie sich nicht halten – wohl sind, weiß man nicht, aber hier dürften jene flüchtigen Bestandteile, die einst auf die junge Erde regneten (Wasser inklusive), noch in recht reiner Form vorzufinden sein. Und die Erforschung der – wohl mit Themis verwandten („‚Hauptgürtel-Kometen‘ …“) – Kometen im Hauptgürtel auch durch Raumsonden wird noch reizvoller. (Campins & al., Nature 464 [29.4.2010] 1230-1, Rivkin & Emery, ibid. 1232-3, Hsieh, ibid. 1286-7; UCF, JPL, UTN Releases, Nature News, Scientific American, Science News 28., Space Today 29.4.2010)

Zwergplanet Pluto die Welt des Sonnensystems mit den rasantesten Veränderungen?

4. Februar 2010

Sieht man von Kometenkernen und kollidierenden Kleinplaneten einmal ab, dann ist der Zwergplanet Pluto – dessen Entdecker übrigens heute 104 geworden wäre – derjenige Körper im Sonnensystem, dessen Oberfläche sich am rasantesten verändert: Das zeigen insbesondere Hubble-Aufnahmen aus dem Zeitraum 1994 bis 2003, die erst jetzt allesamt ausgewertet sind und gemeinsam betrachtet werden können. Oben fünf Gesamtkarten von Pluto (Norden links) aus – von links – Photometrie aus den Jahren 1954-1990 und insbesondere den gegenseitigen Bedeckungen von Pluto und Charon, von 1994 von der Faint Object Camera auf dem Hubble Space Telescope im UV und Blauen und von 2002/3 mit dem High Resolution Channel der Advanced Camera for Surveys ebenfalls auf Hubble, im Blauen und Grünen.

Die Auswertung der ACS-Bilder hat sich hingezogen, denn der Planet ist auf jeder Aufnahme nur wenige Pixel groß (drei Bilder rechts), was bei der schon lange wieder ausgebauten FOC (links) mit ihrer extrem hohen Vergrößerung noch anders war. Die Zahlen geben jeweils den Zentralmeridian an; die Rotationsperiode Plutos ist zum Glück bekannt: So konnten die ganze ACS-Serie schließlich – Stichwort: Dithern – mit enormem Rechenaufwand zu einer Gesamtkarte mit doch beachtlicher Auflösung vereinigt werden, die mit derjenigen nach den FOC-Bildern wie auch der alten Karte aus den Mutual Events vergleichbar ist. Und daraus ließen sich wieder künstliche Plutos erzeugen:

Plutoansichten 2002/3 mit Zentralmeridian 90°, 180° und 270° und ungefähr echter Farbe: Die braune Grundfärbung kommt wohl durch Methan zustande, das vom UV-Licht der fernen Sonne zu komplexen, C-reichen Molekülen verarbeitet wird, der helle Fleck auf dem mittleren Bild ist CO2-Frost, den sich die Sonde New Horizons 2015 aus der Nähe ansehen wird. Wer weiß, wie sich der Zwergplanet bis dahin noch verändert haben wird. Von 1994 bis 2002 ist beispielsweise der Norden deutlich heller und der gesamte Planet röter geworden.

Bilder dieser Qualität wird es vor der Ankunft der Sonde nicht mehr geben: Zwar waren 2008 neue ACS-Aufnahmen geplant, aber kurz bevor es so weit war, fiel die Kamera aus – und der nötige Kanal HRC war nicht reparabel. Es gibt nur – nicht veröffentlichte – Bilder geringerer Schärfe der WFPC2, und ab diesem April werden mit der neuen WFC3 fünf Monate lang neue Aufnahmen gemacht: Auch sie werden nicht die Auflösung von ACS-HRC oder gar FOC erreichen, aber wenigstens weitere Farbveränderungen würden sich nachweisen lassen, hieß es gerade auf einer NASA-Telecon.

NASA und HST Press Releases, Pluto-Infos von Marc Buie, der die HST-Daten auswertete, und frühe Artikel von Discovery und Space.com. NACHTRAG: Artikel von Planetary Society, Universe Today, Bad Astronomy und Cosmic Log. NACHTRAG 2: Ein detailliertes Paper ist tags darauf erschienen, als freies PDF und – nur für AJ-Abonnenten – in HTML, Software inklusive! (Ein weiteres Paper – hier als freies PDF – befasst sich mit HST-Messungen von Plutos Lichtkurve.) NACHTRAG 3: was die Albedo-Strukturen bedeuten könnten.