Posts Tagged ‘Raumfahrt’

Vor ca. 60 Jahren: Disney hilft der US-Raumfahrt

14. April 2014

WALT DISNEY AND DR. WERNER VON BRAUN, 1954

Es war im Jahre 1954, als Walt Disney (l.) und andere Funktionäre seines Unterhaltungskonzerns das Redstone Arsenal in Alabama aufsuchten, um sich mit dem kommenden Leiter der Guided Missile Development Operation Division der Army Ballistic Missile Agency Wernher von Braum zu treffen (Versionen des Fotos datieren es mal auf den 13. April und mal 1. Januar 1954). Die Interessen beider Seiten harmonierten bestens, wie der offiziellen Historie der Kollaboration zu entnehmen ist: Disney wollte im Rahmen einer TV-Serie seinen neuen Themepark Disneyland bewerben und benötigte neues Material im Zusammenhang mit dessen „Tomorrowland“, von Braun wollte die Öffentlichkeit seiner neuen Heimat für die bemannte Raumfahrt begeistern wie er es bereits seit 1952 mit einer Zeitschriften-Serie tat.

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Das Ergebnis waren drei große Dokumentationen, weitsichtig bereits in Farbe produziert, obwohl es noch gar kein reguläres Farbfernsehen gab: Man in Space, der am 9. März 1955 Premiere hatte, Man and the Moon im selben Jahr und schließlich Mars and Beyond 1957 – vor allem diese aufwändigste Produktion von allen besticht noch heute durch ihre langen und technisch brillianten Animationssequenzen, auch zur Geschichte des Lebens auf der Erde. Dass die drei Filme die US-Politik direkt beeinflusst hätten, ist zwar umstritten („In the mid-1950s …“), aber die eigentliche Zielgruppe war angetan – drei weitere angedachte Filme kamen gleichwohl nie zustande.

Pläne und Kosten des Space Launch System „geleakt“: Wohin die Reise der NASA gehen soll

10. August 2011

mit der zuweilen als „Senate Launch System“ verspotteten Riesenrakete, deren überstürzte Entwicklung der US-Kongress einer renitenten Raumfahrtbehörde auf zu zwingen versucht und die bemannte Missionen jenseits des Low Earth Orbit ermöglichen soll, wird allmählich klarer, nachdem interne NASA-Dokumente aufgetaucht sind. Danach soll es den ersten unbemannten Testflug des SLS im Dezember 2017 um den Mond herum geben, gefolgt vom ersten bemannten – mit einer Apollo-8-artigen Umrundung des Mondes – im August 2021. Und bis zu diesem Zeitpunkt werden 29 bis 38 Milliarden Dollar ausgegeben worden sein, 17-22 Mrd.$ bis zum Test 2017 und weitere 12-16 Mrd.$ bis zum Mondflug 2021: Das jedenfalls sagen – pessimistische – NASA-eigene Zahlen voraus. Eine unabhängige Prüfung läuft noch bis Mitte August und soll auch der Grund für das bisherige eiserne Schweigen der NASA-Spitze zum ganzen Komplex sein. Immerhin hat der Chef öffentlich mitgeteilt, dass das grundlegende Konzept für das SLS ausgewählt sei. Und das ist dem Vernehmen nach im Wesentlichen die alte Ares V, d.h. ein massives Recycling von Bauteilen des Space Shuttle – den Wählern der Abgeordneten in den Wahlkreisen mit den einstigen Shuttle-Zulieferern zuliebe.

Die Haupttriebwerke, den Außentank und die Feststoff-Booster des Shuttle: Sie alle sollen wir wieder auf der Rampe sehen. Ungefähr einen Start der Luxusrakete pro Jahr sieht der Plan vor, wobei die Nr. 6 tatsächlich im August 2025 bemannt zu einem Asteroiden („Bemannter Asteroiden…“) fliegen würde. Aber das wäre noch nicht die endgültige Version des SLS: Die käme erst mit dem 13. Start im August 2032 zum Einsatz, mit einer Nutzlastkapazität von mindestens 130 Tonnen. Dieses laaanggezogene Szenario basiert bereits auf der Erwartung, dass es finanziell immer knapp bleiben wird. Das bedeutet aber auch, dass die zunächst schockierenden 29-38 Mio.$ für gerade mal zwei Starts über so viele Jahre verteilen, dass die jährlichen Ausgaben unter denen während des Shuttle-Programms bzw. des Aufbaus der ISS – oben am 19. Juli von der abgedockten Atlantis aus mit Mond & Erde gesehen – bleiben. Trotzdem fragt man sich, warum ein System, das auf lauter bekannter – und vielfach fluggetesteter! – Technologie basiert, derart teuer kommen soll. (NASA Spaceflight 27.7., Orlando Sentinel, Space Policy 5.8.2011)

Die ESA würde gerne in das neue US-Raumfahrtprogramm einsteigen und insbesondere Erfahrungen mit den ATV-Transportschiffen in die Entwicklung künftiger Raumschiffe für Reisen jenseits des LEO einbringen, die dann mit dem SLS starten sollen. Das hat weniger einen visionären als einen ökonomischen Grund: Mit dem Bau und Start von 5 ATVs bis 2014 leistet die ESA per Tauschgeschäft ihren Beitrag zu den Betriebskosten der ISS bis 2017, aber die soll ja nun bis 2020 im Orbit bleiben. Der Bau weiterer ATVs ist nicht so attraktiv wie Weiterentwicklungen, die in das Multi-Purpose Crew Vehicle der NASA einfließen könnten. Um den ISS-Anteil von 2017 bis 2020 zu „bezahlen“, wären MPCV-Beiträge in Höhe von 450 Mio. Euro erforderlich, die im Prinzip von den ESA-Mitgliedsstaaten bereits im März frei gegeben wurden. Und die ESA dringt auch auf eine bessere internationale Koordination der bemannten Post-ISS-Welt: Es sei geradezu „Anarchie“, schimpfte jüngst der ESA-Chef, dass für die ISS mehr unbemannte Transportschiffe als überhaupt benötigt entwickelt wurden, während sich niemand um bemannte Systeme kümmerte. (Spaceflight Now 26.7.2011)

Boeing will Astronauten mit der Atlas V zur ISS bringen

Diese Rakete hat bei allen ihrer 27 Starts – zuletzt mit dem Jupiterorbiter Juno – tadellos funktioniert und ist von einem man-rating nicht mehr weit entfernt: Daher hat sich Boeing entschieden, seine geplante siebensitzige Raumkapsel CST-100 mit ihr zur ISS zu bringen. Wenn die NASA mitzieht und das Projekt weiter fördert, versteht sich, mit jährlich 850 Mio.$: Dann sei bereits im vierten Quartal 2015 der erste bemannte Flug – mit zwei Boeing-eigenen Piloten – möglich, nach drei Teststarts und einem Bodentest des Startabbruch-Systems ohne Rakete. Die CST-100 könnte aber später auch auf andere vergleichbare Raketen gesetzt werden, die freilich ebenfalls erst ein ausgiebiges man-rating über sich ergehen lassen müssten. Bei operationellen Flügen zur ISS würden statt der Boeing-Piloten – die gerade gecastet werden; Astronauten-Erfahrung nicht zwingend erforderlich – NASA-Astronauten das Kommando haben. (Spaceflight Now 4.8.2011. Auch ein ESA Release 27.7.2011 zu Gesprächen über „neue Verwendungen“ der ISS als Technologie-‚Testbed‘ für die Vorbereitung von Missionen jenseits des LEO)

„Ein Schmetterling, angeschraubt auf einer Gewehrkugel“: Das war der Space Shuttle

14. Juli 2011
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„A butterfly bolted onto a bullet“ war der Space Shuttle, hat es sein 6-facher Passagier Story Musgrave gerade in einem Interview (TIME europ. Ausgabe 178 #3 [„18“.7.2011] 52 [NACHTRAG: jetzt auch online verfügbar]) ausgedrückt: Zwar ein „huge triumph“, aber zurecht am Ende angekommen, denn der Shuttle war „massively difficult to operate […] very unsafe, very fragile“ – und kostete 1.2 Mrd. statt der einst versprochenen 10 Mio.$ pro Flug. Eine Woche vor der nunmehr für den 21. Juli geplanten Rückkehr der Atlantis (oben das beliebte Flip-Manöver, die ISS mit der Atlantis während der letzten EVA mit Shuttle am 12.7., die frisch geborgenen Videos der Booster-Kameras, die Atlantis kurz vor dem Andocken, diverse Startvideos von Fans, eine weitere Perspektive der EVA und ein Video mit Kommentaren der Besatzung), geradezu symbolisch noch im Dunkeln, ein paar Facetten zu dem „Space Transportation System“, das vor genau 40 Jahren geplant und Anfang 1972 genehmigt wurde und seither das Treiben der NASA massiv beeinflusst hat. Die Zitate am Anfang sind eine Auswahl aus einer Sammlung in Skyweek 7 #14 [5.4.1991] zum Zehnjährigen des Erststarts 1981 …

I. Versprechungen eines Jahrzehnts … in Zitaten

„Raumfahrt wird im Zeitalter der ’space shuttle‘ billiger sein als bisher. Rund viereinhalb Millionen Dollar wird jeder Fährenstart dereinst kosten […] berechnet mit einer geschätzten Zahl von 56 Raumfährenstarts pro Jahr. Diese Annahme erscheint realistisch […]“ (Der Spiegel 3/1972)

„Ab 1979 sollte ein neues Konzept im US-Weltraumprogramm die Kosten von Raumoperationen drastisch verringern. In den folgenden 12 Jahren […] werden 725 Starts, im Mittel einer pro Woche, erwartet. […] Der wiederverwertbare Aspekt des Shuttle-Programms ist es, der die Kosten pro Flug auf 10.5 Mio.$ verringert. Die Orbitkosten für 1 kg Nutzlast werden ca. 350$ sein, statt 1000-2000$ mit konventionellen Raketen.“ (Wernher von Braun in Popular Science November 1974)

„Der Kostenvorteil gegenüber herkömmlichen Starts mit Wegwerfraketen ist beträchtlich. Jeder Start eines Nachrichtensatelliten vom Typ Intelsat kostete bisher etwa 25 Mio.$. Künftig werden jeweils zwei Satelliten dieser Größe mit einer Fähre transportiert werden können – für zusammen 21 Mio.$.“ (Der Spiegel 7/1978)

„Vom Beginn einer ‚dritten industriellen Revolution‘ sprechen die NASA-Planer, wenn – ebenfalls Anfang der 80-er Jahre – die Nutzung des Weltraums als Vakuum-Fabrikhalle sowie für die Stationierung von Sonnenkraftwerken beginnt […]. Mitte des kommenden Jahrzehnts sollen regelrechte Raumfabriken installiert werden – zur Massenproduktion leistungsstarker Computer-Komponenten […].“ (Der Spiegel 20/1978)

„Raumfahrtexperten im Kongress und Militärs erklärten, wenn die Möglichkeiten der Raumfähre voll ausgenutzt würden, könnte dies verhindern, dass die Sowjets die Kontrolle über den erdnahen Weltraum gewinnen […]. Die Amerikaner sehen im Shuttle eine Gegenwaffe zu den 19 Killersatelliten der Sowjets […]. Der Shuttle in seiner militärischen Version soll mit Hilfe von Laserstrahlen ähnliche Aufgaben erfüllen.“ (Süddeutsche Zeitung 9.4.1981)

„Der Triumph der Columbia wird voraussichtlich zu Flügen mit unzähligen kommerziellen, wissenschaftlichen und militärischen Anwendungen führen […] Die futuristischsten Vorschläge schreiben dem Shuttle eine Rolle bei der Konstruktion von Weltraumkolonien zu.“ (International Herald Tribune 16.4.1981 nach STS-1)

„[Der Shuttle] hat das Tor zu einer neuen Ära geöffnet, in der die Ausbeutung des Weltraums seine Erforschung in den Schatten stellen dürfte, eine Ära der Fabriken in der Umlaufbahn, riesiger Kommunikationsantennenanlagen und exotischer Weltraumwaffen.“ (Newsweek „27“.4.1981)

II. Wie und warum der Space Shuttle Realität wurde

Noch bevor das Apollo-Programm mit der ersten Landung seinen Höhepunkt erreicht hatte, machte man sich bei der NASA schon berechtigte Sorgen über die Zukunft all der gewaltigen Infrastruktur, die dafür entstanden war, die unzähligen Mitarbeiter und Kontraktoren und die generelle Richtung, die die bemannte Raumfahrt nach diesem Kraftakt einschlagen sollte. Ein großes Gesamtpaket aus Raumstationen(!) im Erd- und Mondorbit, einem preiswerten Transportmittel dorthin (was in damaliger Denkweise mit wiederverwendbar gleich zu setzen war) und einer späteren Reise zum Mars mit permanenter Besiedlung des Sonnensystems als Fernziel war das Ergebnis der – noch im Detail zu erforschenden – Denkprozesse um 1969, die alsbald mit der politischen und v.a. fiskalischen Realität kollidieren sollten. Mit dem Marsflug, der Apollo-Enthusiasten noch als der logische nächste Schritt erschienen sein mochte, und den Raumstationen konnte sich die US-Politik so gar nicht anfreunden, was den neuen Raumtransporter als alleiniges nächstes Großprojekt der bemannten US-Raumfahrt übrig ließ.

Der hatte zwar zunächst kein Ziel, schien aber wenigstens die Möglichkeit zu eröffnen, alle existierenden Wegwerfraketen zu ersetzen und durch größere Flexibilität auch für das US-Militär interessant zu sein; zudem war schon seit Jahrzehnten – und seit Ende 1967 zunehmend konkret – über einen derartigen Täger nachgedacht worden. Doch der Vorschlag scheiterte 1970 am bereits arg weltraummüde gewordenen Weißen Haus: Um die NASA als bedeutenden Technologietreiber zu erhalten, das war dem Anfang 1971 berufenen neuen Chef James Fletcher klar, musste der Shuttle noch im Laufe dieses Jahres durchgesetzt werden. Dazu wurde zum einen mit merkwürdigen Studien die enorme Wirtschaftlichkeit des Raumtransporters gegenüber herkömmlichen Raketen „bewiesen“ (ein junger österreichischer Ökonom spielte dabei eine Schlüsselrolle) und zum anderen das anfangs skeptische Verteidigungsministerium an Bord gelockt, indem die Größe der Ladebucht und die Flugeigenschaften militärischen Anforderungen angepasst wurden.

Im Mai 1971 musste die NASA jedoch erfahren, dass die für die Entwicklung des Wunschshuttles nötigen Etaterhöhungen in den folgenden Jahren ausbleiben würden: In der zweiten Jahreshälfte wurden Dutzende Alternativen zu einem vollständig wiederverwendbaren Shuttle mit einer bemannt zur Erde zurückkehrenden ersten Stufe (ähnlich einer Boeing 747) und dem eigentlichen Raumschiff mit den Wasser- und Sauerstofftanks darin untersucht – mit dem bekannten Kompromiss (Feststoff-Booster, Einweg-Außentank) als Ergebnis, der damals Thrust-Assisted Orbiter Shuttle (TAOS) genannt wurde. Über Alternativen zum Shuttle weigerte sich die NASA schlicht nach zu denken, obwohl dies manche im Weißen Haus immer wieder anmahnten. Die Entscheidung, den Shuttle tatsächlich zu bauen, fällte schließlich am 3. Januar 1972 Präsident Nixon zur Überraschung selbst der NASA-Spitze und gegen den Widerstand des Office of Management und Budget, das im Weißen Haus den Haushaltsplan macht, wie auch seines Wissenschaftsberaters.

Am 5. Januar verkündete Nixon in einer Ansprache „an entirely new type of space transportation system designed to help transform the space frontier“: Das werde „routine access to space by sharply reducing costs in dollars and preparation time“ ermöglichen, auf dass die Früchte der Raumfahrt nunmehr „into the daily lives of Americans and all people“ geliefert werden mögen. Von einem regelrechten Pendlerverkehr zwischen Boden und Orbit, für normale Bürger statt Superastronauten, fabulierte Nixon, und dass die Grenzen zwischen unbemannter und bemannter Raumfahrt schwinden würden, da ja nun der Wissenschaftler sein Instrument mal eben begleiten könne. Dieser Aspekt – der Shuttle als Tor für gewöhnliche Amerikaner ins All – und der Erhalt einer amerikanischen Führungsrolle in der Raumfahrt, die er bei Apollo so genoss, sind offenbar die treibenden Argumente für Nixons Zustimmung zum Shuttle gewesen: Selbst wenn der per se keine gute Investition sein sollte, müsse man ihn trotzdem haben, erklärte er an jenem 5. Januar seinen Gästen von der NASA.

An diesen Aufbruch in eine neue Ära glaubte damals keineswegs jeder: „Eine sinnlose Extravaganz“ schimpfte der demokratische Senator (und 1984 gescheiterte Präsidentschaftskandidat) Walter Mondale, der den Widerstand gegen den Shuttle anführte – dabei waren die damals kursierenden Kostenzahlen winzig. 5.5 Mrd.$ sollte die Entwicklung des Shuttles kosten, 10 Mio.$ jeder Flug, und nach 10 bis 12 Jahren wären die Entwicklungskosten wieder eingespielt. Schon damals allerdings gab es Zweifel an diesen Rechenkünsten: Die NASA ging von 514 Flügen in den 12 Jahren ab 1978 aus, also im Mittel 43 pro Jahr, bei denen der Shuttle im Schnitt 18 metrische Tonnen Nutzlast (60% des möglichen Maximums) mitführen würde. Das wären dann rund 770 Tonnen in den Orbit pro Jahr – viermal so viel, wie selbst im hektischsten Jahr des Apollo-Programms gestartet worden war. Die Hoffnung beruhte hier wieder auf dem vermeintlichen „Routine“-Aspekt des Shuttles, der seine Lasten so sanft in den Orbit bugsieren würde, dass Satelliten deutlich einfacher als bisher gebaut werden könnten.

Heute kann man das alles so viel klarer sehen: Die NASA hatte sich – und ihre Unterstützer in der Politik – in der Illusion verfangen, der Shuttle sei tatsächlich ein ungeheuer Geld sparendes Vehikel. Zugleich fehlte ihm aber die hingebungsvolle Unterstützung in der Politik, die das Apollo-Programm in den 1960-er Jahren ermöglicht hatte: Kaum lief das Shuttle-Programm, begannen schon die ersten Kürzungen, und dann begannen erst die richtigen Probleme mit dem sich als überaus komplex und wartungsintensiv erweisenden Vehikel, mit den beiden Totalverlusten 1986 und 2003 als fast zwangsläufigen Konsequenzen. Die Entscheidungsprozesse für dem Space Shuttle 1969-1972 gelten heute Politologen geradezu als ein Musterbeispiel, wie man es bei solch einer „Super-Technologie“ besser nicht machen sollte … (Gillette, Science 175 [28.1.1972] 392-396, Logsdon, Science 232 [30.5.1986] 1099-1105, Kay, Science, Technology & Human Values 19 [Spring 1994] 131-151. Noch mehr Stoff gibt es – frei zugänglich – bei Heppenheimer, The Space Shuttle Decision, Online-Buch [1999] der NASA History Series, und Logsdon, The Decision to build the Shuttle, 2-Stunden-Vorlesung [Herbst 2005] am MIT)

III. Was der Shuttle für die Wissenschaft gebracht hat

Forschung war nie die zentrale Aufgabe des Space Transportation Systems gewesen, aber zwischen dem Aussetzen und Einfangen von Satelliten, Technik-orientieren Experimenten und später dem Aufbau der ISS war doch in 30 Jahren auch allerhand Platz für z.T. exotische wissenschaftliche Experimente geblieben (Charles, Science 333 [1.7.2011] 28-33): Viele Forscher nahmen das Angebot für den Mitflug von Instrumenten an, sei es in der Kabine oder in der Ladebucht, auch wenn sie – z.T. sogar öffentlich – keinen Hehl daraus machten, dass es ihretwegen den Shuttle nicht gebraucht hätte.

  • Der Start großer Forschungssatelliten ist vermutlich der größte Beitrag des Shuttles zur (überwiegend astronomischen) Wissenschaft – und in zwei Fällen war es von Vorteil, dass Astronauten einen Satelliten in den Orbit begleiteten: Das Hubble Space Telescope haben sie später noch mehrfach besucht, Pannen behoben und die Detektoren erneuert – und beim Aussetzen des Compton Gamma Ray Observatory 1991 befreiten sie bei einer EVA eine klemmende Antenne mit Gewalt. (Zwar hätte man für die Kosten der vielem Missionen zu Hubble mehrere neue Satelliten bauen und auf Einwegraketen starten können, aber hätte man das auch getan?)

  • Verschiedene ‚Dienstleistungen‘ für die Astronomie haben die Shuttles über die Jahre erbracht: Mit dem Solar Max wurde 1984 ein unbemannt gestarteter Astrosatellit eingefangen und repariert wieder ausgesetzt – 5 Jahre hat er dann noch gearbeitet. Der Satellit SPARTAN wurde mit verschiedenen Nutzlasten mehrfach ausgesetzt und jeweils bei derselben Mission wieder eingefangen. Und die ASTRO-Teleskope flogen zweimal fest verankert in der Ladebucht mit, bei der Spacelab-Mission D2 auch eine All-Sky-Kamera – mit Kleinbildfilm.

  • Die Erforschung der Mikrogravitation war bei etwa 45 der 135 Shuttle-Missionen ein mehr oder weniger dominantes Thema und damit die mit Abstand populärste Wissenschaft mit dem STS – wobei die Bedeutung von derlei Experimenten und ihr Impakt auf relevante Forschungsfelder bis heute umstritten ist. Außer natürlich bei der Untersuchung der Auswirkungen von Schwerelosigkeit auf den Menschen, zwecks Verbesserung von dessen Gesundheit bei Raumflügen. Die Vielfalt der im Rahmen von Shuttle-Flügen durchgeführten µg-Experimente ist jedenfalls groß, auch dank der vielen Einsätze der von der ESA gestellten Spacelabs (die 1985 und 1993 unter deutschem ‚Kommando‘ flogen).

  • Beobachtungen der Erde wurden während der Shuttle-Flüge mal eher nebenher von fotografierenden Astronauten, mal als gezielte Foto-Aufträge durchgeführt, und mitunter führten Shuttles auch aufwendige Instrumente mit – die es allerdings nicht mit spezialisierten Satelliten und deren deutlich „saubererer“ Umgebung aufnehmen konnten. Eine bedeutende Ausnahme war die große Radaranlage, die 2000 für die Shuttle Radar Topography Mission („Digitales …“) mitgenommen wurde und die in dieser Form nur auf dem Shuttle möglich war. Allerdings sollen derzeit zwei Radarsatelliten noch bessere Daten für ein globales DTM mit höhrerer Auflösung liefern und die SRTM ersetzen. Für viel geringere Kosten …

  • Die Zustände im Low Earth Orbit erforschen konnte man im Shuttle – der technisch gesehen über die Hochatmosphäre nicht hinaus kam – ebenfalls: Zweimal wurden große Experimentträger ausgesetzt und nach Jahren Kollisionen mit Gas und Bestrahlung mit solarem UV wieder eingefangen, die LDEF und Eureca. Die Veränderungen an den Materialproben waren mitunter frappierend (und versetzten für kurze Zeit die Manager des kurz vor dem Start stehenden Hubble Space Telescope in Panik, weil sich auch bei ihm verwendete Wärmeschutzfolien stark verändert hatten). Eine Sackgasse der Forschung im LEO war allerdings die Wake Shield Faciliy, bei der der noch weiter verringerte Luftdruck hinter einem durch die Hochatmosphäre sausenden Schild für die Herstellung dünner Filme ausgenutzt wurde: Erhoffte kommerzielle Anwendungen blieben aus, irdische Technik konnte das genau so gut.

Auch in Sachen Wissenschaft hinterlässt der Space Shuttle also eine sehr gemischte Bilanz. Die Vielfalt der Möglichkeiten war zwar groß, die Zahl der Flüge – im Schitt 4.5 und nie mehr als 9 pro Jahr – aber sehr gering und die Kosten enorm: Fast 200 Mrd.$ (auf das Jahr 2010 bezogen) hat das Shuttle-Programm insgesamt gekostet, macht knapp 1.5 Mrd.$ pro Mission. Da kann auch gefragt werden, ob der Shuttle nicht in der Summe der Wissenschaft sogar geschadet hat, denn wenn man dasselbe Geld in Forschungsprojekte mit anderen Trägern … aber werfen wir lieber den Blick nach vorn: Das STS hat uns immerhin eine fertige Raumstation hinterlassen, deren wissenschaftliches Management des US-Teils die NASA soeben einer Non-Profit-Organisation übertragen hat, dem Center for the Advancement of Science in Space Inc. Am Ende wird wieder Bilanz gezogen …

Der Astronauten-Cartoon, den keiner versteht …

6. Mai 2011

Selten hat eine Kurve die Welt der Astro-Blogger und -Twitterer in derartige Wallung versetzt wie diese hier, die vor ein paar Tagen im populären Webcomic eines Ex-NASA-Mannes erschien: Gegen die Zeit aufgetragen ist die Zahl der noch lebenden Astronauten, die auf einem fremden Himmelskörper gestanden haben, mit der zukünftigen Entwicklung anhand von Sterbetafeln abgeschätzt. Keine erfolgreichen Reisen zu Zielen im Sonnensystem vorausgesetzt (zumindest Asteroidenbesuche in den 2020-ern sind ja NASA-seitig angedacht, mit Mars- oder eher Marsmond-Besuchen in den 2030-ern), würde demnach der letzte ‚außerirdische‘ Mensch um das Jahr 2035 sterben. „The universe is probably littered with the one-planet graves of cultures which made the sensible economic decision that there’s no good reason to go into space – each discovered, studied, and remembered by the ones who made the irrational decision“, steht dann noch in das Bild eingebettet. Unisono wird der Cartoon als Anklage gegen die Dummheit der Menschheit im Allgemeinen (oder der aktuellen US-Regierung im Besonderen) gefeiert, von „Trauer“, gar „Schmerz“ ist die Rede, die einen beim Betrachten überkomme.

Ein gewaltiges Missverständnis von Autor wie Fans gleichermaßen, die das Apollo-Programm zu dem Aufbruch in den weiteren Kosmos schlechthin verklären, der dann von unfähigen Politikern von Nixon (Space Shuttle statt Mond- und Marsflug) bis Obama (irgendwie gar nichts mehr, jedenfalls in der irrigen öffentlichen Meinung) systematisch und nachhaltig sabotiert wurde! Dabei wird verkannt, dass die Mondlandungen 1969 bis 1972 eine regelrechte Anomalie der Geschichte waren, eine heroische Anstrengung – geboren unter kuriosen Umständen (siehe Artikel 277; in 3 Wochen ist es genau 50 Jahre her) und mit kaum mehr fassbarem Glück nur 12 Jahre nach dem Beginn der Raumfahrt überhaupt zu einem Erfolg geraten. Eine nachhaltige Strategie zur Expansion der Menschheit über seine viel beschworene „Wiege“ hinaus steckte nie dahinter, und mit der primitiven Technik der 1960-er Jahre wäre das auch verwegen gewesen. Die beste Parallele ist wohl die Erforschung und spätere permanente Besiedlung des Südpols, der vor 100 Jahren ein dem Weltraum vergleichbares mythisches Ziel gewesen sein dürfte.

Nachdem Amundsen und Scott 1911/12 mit primitiven Mitteln und Einsatz aller Kräfte den Pol tatsächlich erreicht hatten (und nur eine der beiden Expeditionen die Rückreise überstand), stand nicht weniger als 45 Jahre kein Mensch mehr am Pol, erst 1956 wieder, diesmal vergleichsweise komfortabel per Flugzeug angereist. Womit noch im selben Jahr auch der Aufbau der Amundsen–Scott South Pole Station begann, auf der seither vielfältige Forschung betrieben wird. Warum soll es mit der interplanetaren bemannten Raumfahrt nicht ganz genau so sinnvoll voran gehen?! Wir sind jetzt in der Ära zwischen den aufopferungsvollen Demonstrationen, dass es überhaupt geht, und der Phase der bezahlbaren, Nutzen bringenden und nachhaltigen Ausführung. Die – wie schon bei anderer Gelegenheit argumentiert – eher durch energische Arbeit an neuen Raumfahrttechniken denn durch Apollo-artige Crashprogramme erreicht werden kann. Und schon gar nicht durch Wehklagen, früher sei alles besser gewesen – ein erklärter Fan des XKCD-Cartoons hat das immerhin schon eingesehen

50 Jahre Gagarin, 30 Jahre Space Shuttle – und ratlos in der Gegenwart

12. April 2011

Das heutige Doppeljubiläum von Wostok 1 und STS-1 hätte kaum zu einem seltsameren Zeitpunkt kommen können, denn so ratlos wie jetzt waren die USA – aber auch der Rest der raumfahrenden Menschheit – wohl selten, wie es weiter gehen soll (und warum eigentlich). Der Blick in die Vergangenheit ist da klarer: Kurz vor dem Jubiläum von Yuri Gagarins Erdumrundung – im ungewöhnlichen Video oben in Echtzeit mit Bildern von der ISS aus nachgestellt – sind ein paar neue Details des Fluges bekannt geworden, seine Tochter gab das erste Interview für ein westliches Medium, und selbst eine 92-jährige Lehrerin des Raumfahrers wurde aufgespürt. (Viele weitere Artikel rund um’s Gagarin-Jubiläum gibt’s in Sammlungen von Russian Space Web, BBC, ESA, Universe Today und SciLogs sowie auf den Geschichtsseiten dieses Bloggers). Aber der Lauf der Dinge war wohl nicht so, wie man sich das in Ost wie West einmal vorgestellt hatte:

  • Vor 50 Jahren gelingt der Sowjetunion Gagarins Orbitalflug mit einer Wostok-Rakete, während die USA noch ein fast Jahr brauchen, bis sie gleichziehen können. Die Raketen auf beiden Seiten sind aus militärischen Langstreckenraketen hervor gegangen (siehe auch die Parallel-Timeline der Raumfahrtgeschichte bis 1962), wobei Gagarins Wostok-K zur „Raketenfamilie“ R-7 gehört. Schon Sputnik 1 war auf einer Rakete dieser extrem langlebigen Serie gestartet.

  • Vor 30 Jahren fliegen die Sowjets ihre Kosmonauten weiterhin mit Raketen der R-7-Provinienz (Soyuz-Varianten), während die USA mit dem Space Shuttle etwas grundlegend Neues versuchen. Von den Hoffnungen der 1970-er Jahre, er werde den Zugang in den LEO drastisch verbilligen (wenige Millionen US-Dollar pro Mission wurden ernsthaft versprochen), sämtliche anderen Träger ersetzen und mindestens im Wochenrhythmus abheben können, ist man allerdings schon bei der Premiere mit der Columbia weit entfernt.

  • Heute fliegen die Russen ihre Kosmonauten immer noch mit R-7-Raketen (etwas moderneren Soyuz-Varianten) – und der Space Shuttle steht am Ende des Programms, mit nur noch zwei geplanten Starts. Jede einzelne Mission hat rund 1.5 Milliarden US-Dollar (2010) gekostet, das gesamte Programm knapp 200 Mrd.$. Und erstmals seit 50 Jahren haben die USA keinen konkreten Plan, was als nächstes kommen soll: Um weiter zur maßgeblich von ihnen finanzierten ISS zu kommen, müssen US-Astronauten mit Soyuz- alias R-7-Raketen fliegen. Ganz wie Gagarin vor 50 Jahren …

Während die unbemannte Raumfahrt im vergangenen halben Jahrhundert eine enorme Entwicklung durchgemacht hat, im Anwendungsbereich (Kommunikation, Wetter, Erdbeobachtung etc.) völlig unverzichtbar geworden ist und im Forschungssektor vor allem Astronomie und Planetenforschung revolutioniert hat, dreht sich die bemannte im Kreis. Buchstäblich: Schließlich ist der LEO nur ein paarmal verlassen worden und seit 1972 gar nicht mehr. Dass der Mensch im Weltraum „gebraucht“ wird, lässt sich aus den Erfahrungen der ersten 50 Jahre bemannter Raumfahrt kaum belegen, aber die Reise ins All hatte immer schon eine starke „transutilitäre“ visionäre Komponente, die einen Wert an sich darstellen mag. Wenn man sie also weiter will, die bemannte Raumfahrt, wie sollte das sinnvoll gehen?

Unter all den pathetischen Worten zum Doppel-Jahrestag fallen jene von Dennis Bushnell, dem Chefwissenschaftler des Langley Research Center der NASA, aus dem Rahmen, der es auf den Punkt bringt: Vertraut den Transportdienst zur ISS den Privatfirmen an, die dieser Aufgabe inzwischen gewachsen zu sein scheinen, schreibt er in Nature 472 [7.4.2011] 27-29 – und kommt ansonsten endlich weg von den Raketen der Vergangenheit! Denn nur mit „revolutionären Technologien“ sei es zu vertretbaren Kosten und in akzeptabler Zeit möglich, Menschen in den Raum jenseits des Mondes zu bringen: „reducing the mass of the vehicle; novel launch and propulsion systems (including alternative fuels, such as positrons, energy beaming and in-orbit refuelling); and intelligent architecture and systems for more affordable life-support and radiation protection.“

„Several of these technologies could be truly game-changing,“ glaubt Bushnell: „The use of nanotubes in spacecraft construction, for example, could reduce the ‚dry mass‘ – the amount to be launched, excluding fuel – by three to five times, if we can create structural materials with the same strength properties as individual nanotubes.“ Und er fragt sich auch, ob man denn wirklich den Menschen selbst mit Riesenaufwand auf fremde Welten schaffen muss, um diese zu ‚erfahren‘: Er kann sich – z.B. bei der Marserkundung – durchaus „space exploration for everyone using immersive virtual reality and remote planetary sensors“ vorstellen, „with autonomous robotics to supply the data. This could offer a better-than-being-there experience at much reduced cost and risk.“ Von so etwas konnten die Pioniere der Raumfahrt noch nicht einmal träumen. Wir schon.